Ariane Hingst: "Stillstand ist Rückschritt"

Ariane Hingst ist neue Co-Trainerin der U 19- und U 20-Frauen. Die 41-Jährige war zuletzt als Assistentin beim VfL Wolfsburg tätig und will beim DFB ihre große Erfahrung als 174-fache Nationalspielerin einbringen. Im DFB.de-Interview erklärt sie, auf welche Aufgaben sie sich besonders freut und warum die Nachwuchs-Fußballerinnen unter der Pandemie besonders gelitten haben.

DFB.de: Ariane Hingst, wie bewerten Sie die Konstellation, dass mit Julia Simic, Lena Lotzen und Ihnen drei ehemalige Spielerinnen nun in den Trainerinnenstab im Nachwuchsbereich des DFB eingebunden werden?

Ariane Hingst: Ich habe sehr gute Gespräche mit Kathrin Peter geführt und hatte von Anfang an ein gutes Gefühl. Wichtig ist mir, dass das Zwischenmenschliche passt. Und das tut es. Tina Theune hat schon vor vielen Jahren dafür geworben, dass Spielerinnen Trainerinnenlizenzen machen, um dem Fußball bestenfalls erhalten zu bleiben und so ihre Erfahrungen weiterzugeben. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass die Mischung im Trainerinnenteam perfekt ist. Wir Ex-Spielerinnen sind ein Puzzlestück von ganz vielen. Aber ich bin davon überzeugt, dass das Puzzle mit uns besser werden kann. Damit sich am Ende ein schönes Motiv ergibt, müssen alle Teile zusammenpassen.

DFB.de: Sie haben über 170 Länderspiele bestritten und haben alles gewonnen, was man gewinnen kann. Sie standen in Schweden und Australien unter Vertag. Sind das die Erfahrungen, die Sie einbringen werden?

Hingst: Ja, natürlich. Vor allem die Auslandsaufenthalte haben mich enorm nach vorne gebracht - besonders in menschlicher Hinsicht. Es ist wichtig, andere Kulturen und andere Denkweisen kennenzulernen. Dadurch wird man aufgeschlossener und offener. Andererseits kann man Dinge, die in Deutschland wirklich gut laufen, auch dementsprechend einordnen. Diese Lebenserfahrung möchte ich gerne an die jungen Spielerinnen weitergeben. Das ist aus meiner Sicht ähnlich wichtig wie die sportliche Kompetenz.

DFB.de: Sie waren seit 2016 bereits als Co-Trainerin beim VfL Wolfsburg tätig. Sie betreten also im Gegensatz zu Julia Simic und Lena Lotzen, die gerade erst ihre Karrieren beendet haben, kein Neuland.

Hingst: Ich hatte das große Glück, mit Ralf Kellermann, Britta Carlson und zuletzt Stephan Lerch zusammenarbeiten zu können. Das sind Kolleginnen und Kollegen, von denen ich sehr viel lernen konnte. Aber auf der anderen Seite war ihnen meine Meinung auch sehr wichtig, so dass ich mich immer aktiv einbringen konnte. Beim DFB ist die Aufgabe allerdings anders gelagert. Jetzt werde ich nicht mehr tagtäglich auf dem Trainingsplatz stehen, sondern nur noch während der Lehrgänge. In der übrigen Zeit geht es unter anderem darum, Kontakt zu den Spielerinnen zu halten. Außerdem ist die Altersstruktur nun eine ganz andere. In Wolfsburg hatten wir viele erfahrene Spielerinnen, die bereits große Erfolge gefeiert haben. Beim DFB gehöre ich zum Stab der U 19- und der U 20-Frauen. Da geht es darum, Talente so zu fördern, dass sie ganz oben ankommen und bestenfalls auch den Sprung in die Frauen-Nationalmannschaft schaffen.

DFB.de: Geht es in dieser Altersklasse vor allem auch um die individuelle Entwicklungsförderung?

Hingst: Ja, ganz klar. Natürlich wollen wir auch als Mannschaft erfolgreich sein. Daher spielen auch teamtaktische Aspekte eine wichtige Rolle. Aber unser Fokus liegt darauf, die Spielerinnen individuell zu fördern und zu fordern.

DFB.de: Was ist Ihre konkrete Aufgabe im Trainerinnenteam?

Hingst: Das werden wir in den kommenden Tagen im Trainerteam nochmal konkretisieren. Aber es wird darauf hinauslaufen, dass ich die Spielerinnen in ihren Heimatvereinen besuche, dass ich die Lehrgänge vor- und nachbereite oder dass ich gegnerische Teams beobachte. Bei uns ist die große Herausforderung, dass wir mit der U 19 und der U 20 zwei Jahrgänge zu betreuen haben. Das ist auch organisatorisch nicht so einfach. Außerdem ist das eine Altersgruppe, in der entscheidende Fragen eine Antwort brauchen. Wie geht es nach der Schule weiter? Geht es vielleicht zum Studium ins Ausland? Die sportlichen Aspekte sind nur der eine Teil, den wir im Blick haben müssen. Die persönlichen Dinge sind mindestens genauso wichtig. Nur wenn eine Spielerin im Leben steht und mit sich im Reinen ist, wird sie als Fußballerin auf dem Rasen ihre beste Leistung abrufen können. Umso spannender ist diese Aufgabe. Logischerweise wollen wir das Maximum herausholen. Wir werden unseren Weg finden.

DFB.de: Können Sie einschätzen, wo wir in dieser Altersklasse im internationalen Vergleich stehen? Müssen die Fans sich Sorgen machen, dass wir den Anschluss verlieren - wie es ja oft zu hören ist?

Hingst: Nein, das sehe ich nicht so, Sorge ist der falsche Eindruck. Wichtig ist es, dass man sich immer und zu jeder Zeit hinterfragt und auch mal neue Wege geht. Und das nicht nur, wenn der Erfolg ausbleibt, sondern vor allem dann, wenn man oben steht. Wir befinden uns in einem ständigen Wandel. Bei der A-Nationalmannschaft haben wir es erlebt, dass zeitweise andere Nationen an uns vorbeigezogen sind. Aber jetzt sind wir wieder auf dem richtigen Weg. Wo genau wir im internationalen Vergleich stehen, ist nach eineinhalb Jahren Pandemie schwer einzuschätzen. Es ist unglaublich, was in dieser Zeit auf die Spielerinnen eingeprasselt ist. Sie sind von heute auf morgen aus ihrem sportlichen und privaten Alltag rausgerissen worden. Plötzlich durften sie nur noch in Wohnzimmern dribbeln und mit den Eltern im Garten passen. Wir hoffen alle, dass wir die anstehenden Maßnahmen auch durchziehen können. Wir müssen zurück auf den Platz. Stillstand ist Rückschritt.

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Ariane Hingst ist neue Co-Trainerin der U 19- und U 20-Frauen. Die 41-Jährige war zuletzt als Assistentin beim VfL Wolfsburg tätig und will beim DFB ihre große Erfahrung als 174-fache Nationalspielerin einbringen. Im DFB.de-Interview erklärt sie, auf welche Aufgaben sie sich besonders freut und warum die Nachwuchs-Fußballerinnen unter der Pandemie besonders gelitten haben.

DFB.de: Ariane Hingst, wie bewerten Sie die Konstellation, dass mit Julia Simic, Lena Lotzen und Ihnen drei ehemalige Spielerinnen nun in den Trainerinnenstab im Nachwuchsbereich des DFB eingebunden werden?

Ariane Hingst: Ich habe sehr gute Gespräche mit Kathrin Peter geführt und hatte von Anfang an ein gutes Gefühl. Wichtig ist mir, dass das Zwischenmenschliche passt. Und das tut es. Tina Theune hat schon vor vielen Jahren dafür geworben, dass Spielerinnen Trainerinnenlizenzen machen, um dem Fußball bestenfalls erhalten zu bleiben und so ihre Erfahrungen weiterzugeben. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass die Mischung im Trainerinnenteam perfekt ist. Wir Ex-Spielerinnen sind ein Puzzlestück von ganz vielen. Aber ich bin davon überzeugt, dass das Puzzle mit uns besser werden kann. Damit sich am Ende ein schönes Motiv ergibt, müssen alle Teile zusammenpassen.

DFB.de: Sie haben über 170 Länderspiele bestritten und haben alles gewonnen, was man gewinnen kann. Sie standen in Schweden und Australien unter Vertag. Sind das die Erfahrungen, die Sie einbringen werden?

Hingst: Ja, natürlich. Vor allem die Auslandsaufenthalte haben mich enorm nach vorne gebracht - besonders in menschlicher Hinsicht. Es ist wichtig, andere Kulturen und andere Denkweisen kennenzulernen. Dadurch wird man aufgeschlossener und offener. Andererseits kann man Dinge, die in Deutschland wirklich gut laufen, auch dementsprechend einordnen. Diese Lebenserfahrung möchte ich gerne an die jungen Spielerinnen weitergeben. Das ist aus meiner Sicht ähnlich wichtig wie die sportliche Kompetenz.

DFB.de: Sie waren seit 2016 bereits als Co-Trainerin beim VfL Wolfsburg tätig. Sie betreten also im Gegensatz zu Julia Simic und Lena Lotzen, die gerade erst ihre Karrieren beendet haben, kein Neuland.

Hingst: Ich hatte das große Glück, mit Ralf Kellermann, Britta Carlson und zuletzt Stephan Lerch zusammenarbeiten zu können. Das sind Kolleginnen und Kollegen, von denen ich sehr viel lernen konnte. Aber auf der anderen Seite war ihnen meine Meinung auch sehr wichtig, so dass ich mich immer aktiv einbringen konnte. Beim DFB ist die Aufgabe allerdings anders gelagert. Jetzt werde ich nicht mehr tagtäglich auf dem Trainingsplatz stehen, sondern nur noch während der Lehrgänge. In der übrigen Zeit geht es unter anderem darum, Kontakt zu den Spielerinnen zu halten. Außerdem ist die Altersstruktur nun eine ganz andere. In Wolfsburg hatten wir viele erfahrene Spielerinnen, die bereits große Erfolge gefeiert haben. Beim DFB gehöre ich zum Stab der U 19- und der U 20-Frauen. Da geht es darum, Talente so zu fördern, dass sie ganz oben ankommen und bestenfalls auch den Sprung in die Frauen-Nationalmannschaft schaffen.

DFB.de: Geht es in dieser Altersklasse vor allem auch um die individuelle Entwicklungsförderung?

Hingst: Ja, ganz klar. Natürlich wollen wir auch als Mannschaft erfolgreich sein. Daher spielen auch teamtaktische Aspekte eine wichtige Rolle. Aber unser Fokus liegt darauf, die Spielerinnen individuell zu fördern und zu fordern.

DFB.de: Was ist Ihre konkrete Aufgabe im Trainerinnenteam?

Hingst: Das werden wir in den kommenden Tagen im Trainerteam nochmal konkretisieren. Aber es wird darauf hinauslaufen, dass ich die Spielerinnen in ihren Heimatvereinen besuche, dass ich die Lehrgänge vor- und nachbereite oder dass ich gegnerische Teams beobachte. Bei uns ist die große Herausforderung, dass wir mit der U 19 und der U 20 zwei Jahrgänge zu betreuen haben. Das ist auch organisatorisch nicht so einfach. Außerdem ist das eine Altersgruppe, in der entscheidende Fragen eine Antwort brauchen. Wie geht es nach der Schule weiter? Geht es vielleicht zum Studium ins Ausland? Die sportlichen Aspekte sind nur der eine Teil, den wir im Blick haben müssen. Die persönlichen Dinge sind mindestens genauso wichtig. Nur wenn eine Spielerin im Leben steht und mit sich im Reinen ist, wird sie als Fußballerin auf dem Rasen ihre beste Leistung abrufen können. Umso spannender ist diese Aufgabe. Logischerweise wollen wir das Maximum herausholen. Wir werden unseren Weg finden.

DFB.de: Können Sie einschätzen, wo wir in dieser Altersklasse im internationalen Vergleich stehen? Müssen die Fans sich Sorgen machen, dass wir den Anschluss verlieren - wie es ja oft zu hören ist?

Hingst: Nein, das sehe ich nicht so, Sorge ist der falsche Eindruck. Wichtig ist es, dass man sich immer und zu jeder Zeit hinterfragt und auch mal neue Wege geht. Und das nicht nur, wenn der Erfolg ausbleibt, sondern vor allem dann, wenn man oben steht. Wir befinden uns in einem ständigen Wandel. Bei der A-Nationalmannschaft haben wir es erlebt, dass zeitweise andere Nationen an uns vorbeigezogen sind. Aber jetzt sind wir wieder auf dem richtigen Weg. Wo genau wir im internationalen Vergleich stehen, ist nach eineinhalb Jahren Pandemie schwer einzuschätzen. Es ist unglaublich, was in dieser Zeit auf die Spielerinnen eingeprasselt ist. Sie sind von heute auf morgen aus ihrem sportlichen und privaten Alltag rausgerissen worden. Plötzlich durften sie nur noch in Wohnzimmern dribbeln und mit den Eltern im Garten passen. Wir hoffen alle, dass wir die anstehenden Maßnahmen auch durchziehen können. Wir müssen zurück auf den Platz. Stillstand ist Rückschritt.

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