Magdeburgs Triumph 1974: Helden im Bademantel

DFB.de erinnert in einer fünfteiligen Serie an die deutschen Triumphe beim Europapokal der Pokalsieger, der zwischen 1960 und 1999 ausgetragen wurde. Heute: Der 1. FC Magdeburg bezwingt im Finale 1974 völlig überraschend den AC Mailand.

Von 1957 bis 1991 nahmen insgesamt 16 Vereine aus der DDR und eine Stadtauswahl (Leipzig) am Europapokal teil. Das Ergebnis aus insgesamt 532 Spielen kommt bescheiden daher: Es gab nur einen Titel – und den holte der 1. FC Magdeburg im Pokal der Pokalsieger. Es war kurz vor der WM 1974, als die DDR zum einzigen Mal an einer Endrunde teilnahm. Auch der Erfolg über den großen Nachbarn aus der BRD in Hamburg (1:0) wäre ohne Magdeburger nicht möglich gewesen und noch heute ist an Stammtischen vom legendären Sparwasser-Tor die Rede. Doch wie schaffte der 1. FCM den einmaligen Triumph im glorreichen Jahr 1974?

Der Weg nach Rotterdam führte über Breda (0:0/2:0), Ostrau (0:2/3:0 n. V.), Stara Zagora (2:0/1:1) und Lissabon (1:1/2:1). Zuhause gewann Magdeburg alle Spiele und mit jedem stieg die Zuschauerzahl, gegen Sporting Lissabon waren es 35.000. Am 8. Mai 1974 wartete im Finale des Europapokals der Pokalsieger nicht irgendwer auf den 1. FCM, es wartete der große AC Mailand, der im Halbfinale noch die Gladbacher Borussen eliminiert hatte.

Für den Kicker war es schlicht ein Duell zwischen David und Goliath. „Hier der mehrfache Europapokalsieger und Weltcupgewinner, dort eine Mannschaft, die im internationalen Fußball ein unbeschriebenes Blatt ist. Hier eine Elf, die mit glanzvollen Namen wie Rivera, Schnellinger oder Chiarugi bestückt ist, dort ein Gegner, der nichts dergleichen aufzuweisen hat.“ Die Spieler arbeiteten fast alle beim „Schwermaschinen-Kombinat Ernst Thälmann“ und fuhren mit dem Fahrrad zum abendlichen Training, auf den bestellten Trabi warteten auch Nationalspieler Jahre. Einer hieß Klaus Decker und weil der gesperrt war, sprang in Rotterdam ein Spieler aus der Bezirksliga-Reserve ein. Der David-gegen-Goliath-Vergleich hatte gewiss seine Berechtigung, auch wenn es für Magdeburg schon die sechste Europacup-Teilnahme war und man im Vorjahr im Meister-Cup gegen Juventus Turin gut mithielt (0:1 in beiden Spielen).

Trapattonis Scoutingpläne durchkreuzt

FCM-Trainer Heinz Krügel, der DDR-Führung als „Ost-West-Versöhnler“ negativ aufgefallen, las seinen Spielern den Artikel aus dem verbotenen West-Organ vor. um die Motivation und den Ehrgeiz weiter zu steigern und für ein Fußball-Wunder zu sorgen. Krügel: „Der Artikel war der beste Ansporn für meine Jungs.“ Der FC Magdeburg Anfang der Siebziger mag trotz zweier Meisterschaften (1972 und 1974) ein international unbeschriebenes Blatt gewesen sein, aber das war vor allem den politischen Rahmenbedingungen jener Epoche geschuldet. Was da hinter Mauer und Stacheldrahtzäunen vorging, blieb der westlichen Welt weitgehend verborgen und das war so gewollt. Als der junge Milan-Trainer Giovanni Trapattoni sich am 1. Mai 1974 erstmals über den Finalgegner, mit dem keiner rechnete, informieren wollte, wurde er schlicht reingelegt. Fünf Magdeburger sollten an diesem Tag eigentlich im Junioren-EM-Spiel der DDR gegen Polen auflaufen, doch urplötzlich wurde auf sie verzichtet. Zufälle gibt es.

Wundertüte Magdeburg gegen den damals kriselnden Weltklub Milan – es war ein seltsames Finale. Das dachten sich wohl auch die Rotterdamer - und blieben zu Hause. Nur 5000 Zuschauer verloren sich im weiten Rund „de Kuip“, es war ein absoluter Minusrekord für die Endspiele der Europapokal-Historie. Den DDR-Pokalsieger durften nur 350 ausgesuchte Anhänger begleiten, darunter die Besatzungen von fünf Handelsschiffen, die zufällig in Rotterdam lagen und nicht alle wirkliche Fußballexperten waren. „Da waren auch Leute dabei, die erst mal gefragt haben: Wer ist denn hier der 1. FC Magdeburg?“, erinnerte sich Krügel, der 2008 verstarb.

In dieser eigentümlichen Atmosphäre also stieg das größte Spiel in der Historie des 1. FC Magdeburg, in dessen sieben Spieler standen, die es ins vorläufige WM-Aufgebot geschafft hatten. Im Frühjahr 1974 gab es zarte Anzeichen, dass auch der andere deutsche Staat, der in fast allen anderen Sportarten längst konkurrenzfähig war, auch zur Fußballmacht werden könnte. Dass dazu ein unter dem Strich „eine über weite Strecken mäßige Partie“ (Kicker) wesentlich beitrug, tat der Freude keinen Abbruch.

Feiern im Bademantel

Die Ostdeutschen hatten Torwartsorgen, Stammkeeper Ulrich Schulze war angeschlagen und beide Vertreter Fieber, wobei es die nachnominierte Nummer drei erst auf der Anreise erwischte. Vielleicht war es auch die Aufregung, aber zum Glück konnte Schulze ja spielen. Tore kassierte ohnehin nur sein Gegenüber Pierluigi Pizzaballa.



DFB.de erinnert in einer fünfteiligen Serie an die deutschen Triumphe beim Europapokal der Pokalsieger, der zwischen 1960 und 1999 ausgetragen wurde. Heute: Der 1. FC Magdeburg bezwingt im Finale 1974 völlig überraschend den AC Mailand.

Von 1957 bis 1991 nahmen insgesamt 16 Vereine aus der DDR und eine Stadtauswahl (Leipzig) am Europapokal teil. Das Ergebnis aus insgesamt 532 Spielen kommt bescheiden daher: Es gab nur einen Titel – und den holte der 1. FC Magdeburg im Pokal der Pokalsieger. Es war kurz vor der WM 1974, als die DDR zum einzigen Mal an einer Endrunde teilnahm. Auch der Erfolg über den großen Nachbarn aus der BRD in Hamburg (1:0) wäre ohne Magdeburger nicht möglich gewesen und noch heute ist an Stammtischen vom legendären Sparwasser-Tor die Rede. Doch wie schaffte der 1. FCM den einmaligen Triumph im glorreichen Jahr 1974?

Der Weg nach Rotterdam führte über Breda (0:0/2:0), Ostrau (0:2/3:0 n. V.), Stara Zagora (2:0/1:1) und Lissabon (1:1/2:1). Zuhause gewann Magdeburg alle Spiele und mit jedem stieg die Zuschauerzahl, gegen Sporting Lissabon waren es 35.000. Am 8. Mai 1974 wartete im Finale des Europapokals der Pokalsieger nicht irgendwer auf den 1. FCM, es wartete der große AC Mailand, der im Halbfinale noch die Gladbacher Borussen eliminiert hatte.

Für den Kicker war es schlicht ein Duell zwischen David und Goliath. „Hier der mehrfache Europapokalsieger und Weltcupgewinner, dort eine Mannschaft, die im internationalen Fußball ein unbeschriebenes Blatt ist. Hier eine Elf, die mit glanzvollen Namen wie Rivera, Schnellinger oder Chiarugi bestückt ist, dort ein Gegner, der nichts dergleichen aufzuweisen hat.“ Die Spieler arbeiteten fast alle beim „Schwermaschinen-Kombinat Ernst Thälmann“ und fuhren mit dem Fahrrad zum abendlichen Training, auf den bestellten Trabi warteten auch Nationalspieler Jahre. Einer hieß Klaus Decker und weil der gesperrt war, sprang in Rotterdam ein Spieler aus der Bezirksliga-Reserve ein. Der David-gegen-Goliath-Vergleich hatte gewiss seine Berechtigung, auch wenn es für Magdeburg schon die sechste Europacup-Teilnahme war und man im Vorjahr im Meister-Cup gegen Juventus Turin gut mithielt (0:1 in beiden Spielen).

Trapattonis Scoutingpläne durchkreuzt

FCM-Trainer Heinz Krügel, der DDR-Führung als „Ost-West-Versöhnler“ negativ aufgefallen, las seinen Spielern den Artikel aus dem verbotenen West-Organ vor. um die Motivation und den Ehrgeiz weiter zu steigern und für ein Fußball-Wunder zu sorgen. Krügel: „Der Artikel war der beste Ansporn für meine Jungs.“ Der FC Magdeburg Anfang der Siebziger mag trotz zweier Meisterschaften (1972 und 1974) ein international unbeschriebenes Blatt gewesen sein, aber das war vor allem den politischen Rahmenbedingungen jener Epoche geschuldet. Was da hinter Mauer und Stacheldrahtzäunen vorging, blieb der westlichen Welt weitgehend verborgen und das war so gewollt. Als der junge Milan-Trainer Giovanni Trapattoni sich am 1. Mai 1974 erstmals über den Finalgegner, mit dem keiner rechnete, informieren wollte, wurde er schlicht reingelegt. Fünf Magdeburger sollten an diesem Tag eigentlich im Junioren-EM-Spiel der DDR gegen Polen auflaufen, doch urplötzlich wurde auf sie verzichtet. Zufälle gibt es.

Wundertüte Magdeburg gegen den damals kriselnden Weltklub Milan – es war ein seltsames Finale. Das dachten sich wohl auch die Rotterdamer - und blieben zu Hause. Nur 5000 Zuschauer verloren sich im weiten Rund „de Kuip“, es war ein absoluter Minusrekord für die Endspiele der Europapokal-Historie. Den DDR-Pokalsieger durften nur 350 ausgesuchte Anhänger begleiten, darunter die Besatzungen von fünf Handelsschiffen, die zufällig in Rotterdam lagen und nicht alle wirkliche Fußballexperten waren. „Da waren auch Leute dabei, die erst mal gefragt haben: Wer ist denn hier der 1. FC Magdeburg?“, erinnerte sich Krügel, der 2008 verstarb.

In dieser eigentümlichen Atmosphäre also stieg das größte Spiel in der Historie des 1. FC Magdeburg, in dessen sieben Spieler standen, die es ins vorläufige WM-Aufgebot geschafft hatten. Im Frühjahr 1974 gab es zarte Anzeichen, dass auch der andere deutsche Staat, der in fast allen anderen Sportarten längst konkurrenzfähig war, auch zur Fußballmacht werden könnte. Dass dazu ein unter dem Strich „eine über weite Strecken mäßige Partie“ (Kicker) wesentlich beitrug, tat der Freude keinen Abbruch.

Feiern im Bademantel

Die Ostdeutschen hatten Torwartsorgen, Stammkeeper Ulrich Schulze war angeschlagen und beide Vertreter Fieber, wobei es die nachnominierte Nummer drei erst auf der Anreise erwischte. Vielleicht war es auch die Aufregung, aber zum Glück konnte Schulze ja spielen. Tore kassierte ohnehin nur sein Gegenüber Pierluigi Pizzaballa.

Ein Eigentor seines Landsmanns Enrico Lanzi zwei Minuten vor der Pause, der eine Flanke von Raugust ins eigene Netz lenkte, sorgte für den ersten Höhepunkt und dafür, dass sich die Sensation anbahnte. Milan musste nun sein Defensiv-Konzept aufgeben, beim spielerisch starken FCM-Mittelfeld um Jürgen Pommerenke und Wolfgang Seguin rollte der Ball. Die überalterten Italiener um den 31-jährigen Gianni Rivera und den Deutschen Karl-Heinz Schnellinger (35) hatten kräftemäßig nicht mehr viel zuzusetzen, während die im Schnitt 22,3 Jahre jungen Magdeburger locker noch eine Verlängerung hätten verkraften können.

Trapattoni hatte schon geahnt: „Wer das 1:0 schießt, gewinnt!“ Und wer das 2:0 schießt, erst recht. mit dem Treffer von Wolfgang Seguin aus spitzem Winkel (73.) war das Spiel entschieden. Es war der Endstand. „Wie die Italiener uns in der letzten halben Stunde hinterherlaufen mussten – das war schon ein tolles Gefühl“, erinnerte sich Axel Tyll noch 2010 in der Zeitschrift 11 Freunde. Als der niederländische Schiedsrichter Arie van Gemert um 22.15 Uhr abpfiff, brannten auch die Italiener ein Feuerwerk ab. Aus purem Frust verbrannte die kleine Hundertschaft von Milan-Fans ihre rot-schwarzen Fahnen.

Dagegen drehten die Magdeburger in unverwechselbarem und schon damals kurios anmutendem Outfit samt Pokal eine Ehrenrunde. Sie trugen gegen die Kälte weiße Bademäntel, eine Aufmerksamkeit von Hausherr Feyenoord Rotterdam, der seine Spieler nach Flutlichtspielen damit auch gern mal ausstattete. So wurden sie im Westen zu den „Helden in Bademänteln“, in der Heimat wurden sie schlicht geliebt. Es waren ja fast ausnahmslos Jungs aus der Region, was angesichts der gängigen Praxis in der DDR, hochveranlagte Spieler einfach von A nach B zu delegieren, ob sie nun wollten oder nicht, bemerkenswert ist.

Glückwunsch-Telegramm von Erich Honecker

Der Alte Markt war am 9. Mai 1974 schwarz vor Menschen, als die Champions nach einer Feiernacht, in der der Pokal mit dem unvermeidlichen Rotkäppchen-Sekt so manches Mal gefüllt wurde, zum Empfang im Rathaus-Keller eintrafen. Allerdings fehlten die Stars, fünf Spieler mussten gleich morgens um sechs nach der Final-Nacht aufbrechen zur Nationalmannschaft. Egal. Auch ohne Sparwasser, Pommerenke & Co war Magdeburg für einen Tag Partystadt. Bei der Ankunft der Helden lag das Glückwunsch-Telegramm von Erich Honecker schon vor. Der Staatsrats-Vorsitzende kam mit wenigen Worten aus: „Liebe Sportfreunde! Ich beglückwünsche Sie sehr herzlich zu dieser hervorragenden Leistung und wünsche Ihnen auch weiterhin viel Erfolg!“

Der Wunsch bezog sich gewiss auch auf die Fußball-WM einen Monat später, wo beide deutsche Mannschaften in einer Gruppe spielten. Der Kicker hatte schon so eine Ahnung und baute sie in seinen Spielbericht aus Rotterdam ein: „Und wer es bisher noch nicht glauben wollte, dem wird es jetzt endgültig klar sein: das WM-Spiel am 22. Juni gegen die DDR wird für unsere Nationalelf alles andere als ein Spaziergang.“ In der Tat. Das einzige Tor an jenem denkwürdigen Tag erzielte ein Mann aus Magdeburg: Jürgen Sparwasser.

Auch darüber sprechen die Champions, die damals 5000 Ost-Mark pro Kopf als Prämie erhielten, noch heute, wenn sie sich am Jahrestag meist beim Grillen wieder treffen.

Die Sieger-Elf:

Ulrich Schulze – Detlef Enge, Manfred Zapf, Helmut Gaube, Wolfgang Abraham – Jürgen Pommerenke, Wolfgang Seguin, Axel Tyll – Detlef Raugust, Jürgen Sparwasser, Martin Hoffmann.