Wunder von Uerdingen 1986: "Da war das Gefühl, et läuft"

Das Fußballmagazin 11Freunde hat die Partie zum "größten Fußballspiel aller Zeiten" gekürt. Bis heute ist das 7:3 im Viertelfinal-Rückspiel des Europapokals der Pokalsieger zwischen Bayer 05 Uerdingen und Dynamo Dresden (Hinspiel: 0:2) am 19. März 1986 das Synonym für ein deutsches Europacup-Wunder. 1:3 hatte Uerdingen in der zweiten Begegnung zur Halbzeit zurückgelegen, um dann historisch zurückzuschlagen. 35 Jahre später treffen beide Klubs wieder aufeinander, diesmal in der 3. Liga, diesmal trotz Heimrecht für Uerdingen nicht im Krefelder Grotenburg-Stadion. Fan-Reporter Carsten Germann hat mit Anhängern beider Klubs gesprochen, die 1986 live dabei waren.

DFB.de: Thomas Bernhardt und Rainer Tetzlaff, Sie sind Fans des KFC Uerdingen. Sie waren damals live in der Grotenburg-Kampfbahn dabei. Wann hatten Sie am 19. März 1986 das Gefühl, dem größten Fußballspiel aller Zeiten beizuwohnen?

Thomas Bernhardt (54): Beim 4:3 von Wolfgang Schäfer! Da habe ich geahnt: Das könnten noch mehr Tore werden, das Publikum ist total ausgerastet. Es hallte plötzlich durch die Grotenburg: "Nur noch zwei."

Rainer Tetzlaff (55): Zwischen dem 5:3 und 6:3! Ich saß auf der Tribüne, hatte erstmals eine Sitzplatzkarte, damals für 40 D-Mark. Meine Mutter und ein Freund waren dabei, meine Mutter war vorher noch nie im Stadion gewesen. Das Komische war: Wir wussten auf der Tribüne nicht um die Arithmetik und haben gerätselt! 5:3 hätte nicht gereicht, 6:3 aber schon. Ab diesem Zeitpunkt hatte man als Krefelder dann das Gefühl "et läuft".

DFB.de: Wie war es zum Anpfiff? Wie war die Erwartungshaltung, da Uerdingen ja ein 0:2 aus dem Hinspiel wettmachen musste?

Bernhardt: Vor dem Spiel habe ich, wenn ich ehrlich bin, nicht mehr daran geglaubt. Die Erwartungen waren ohnehin nicht so groß, weil Dynamo Dresden eine große Nummer im Fußball der DDR war. Ich kann es nicht beschreiben, warum ich gesagt habe: Lass' uns ins Stadion gehen. Es war, als wenn ich eine innere Stimme gehört hätte.

Tetzlaff: (lacht) Tja, ich bin eine Minute zu spät gekommen und es stand schon 1:0 für Dresden. Das war sehr ernüchternd. Wir hatten allerdings viel Geld für unsere Tribünenkarten bezahlt. Und wollten unbedingt bleiben. Das Stadion aber leerte sich nach dem 0:1 schon spürbar…

DFB.de: Jens Luger, Sie sind Fan von Dynamo, waren beim Hinspiel im Stadion und waren später von 1991 bis 1994 mitverantwortlich im Fan-Projekt Dresden e.V.. Wann haben Sie im Rückspiel gemerkt, dass es für Dresden aus dem Ruder läuft?

Jens Luger (54): Spätestens ab dem Eigentor von Ralf Minge in der 63. Minute zum 3:3. Ich hatte ein ungutes Gefühl, als wir aus der Kabine kamen, und weil sich Torhüter Bernd Jakubowski schwer verletzt hatte und nie wieder spielen konnte. Ersatztorhüter Jens Ramme hatte auf diesem Niveau noch nie gespielt. Mit Jakubowski wäre es wahrscheinlich anders gelaufen. Ramme, der zur Pause eingewechselt wurde, war sehr unerfahren und ohne Spielpraxis.

DFB.de: Aber das war es nicht alleine, oder?

Luger: Es war einer der Gründe. Dazu kam die fehlende Cleverness trotz gestandener Leute wie Hans-Jürgen Dörner, Reinhard Häfner oder Ralf Minge. Alle diese erfahrenen Spieler hätten versuchen müssen, den Ball vom Strafraum weg zu halten. Sie haben zu lieb gespielt.

DFB.de: Herr Bernhardt, Herr Tetzlaff, Hand aufs Herz - wie sehr haben Sie mit dem Gedanken gespielt, in der Halbzeitpause beim Stand von 1:3 vorzeitig zu gehen?

Bernhardt: Bei mir war die Besonderheit, dass ich die erste Halbzeit im Fernsehen gesehen habe. Es war die erste Live-Europacup-Übertragung aus Krefeld. Meine Freundin wohnte zwei Minuten Fußweg vom Stadion weg. In der Halbzeit sind wir ins Stadion gegangen. Sie hielt mich für bekloppt, weil es ja 1:3 stand. Ich dachte an 1977, an das DFB-Pokalspiel im Viertelfinale gegen Eintracht Frankfurt - 6:3 nach Verlängerung. Uns kamen nun hunderte Leute entgegen, aber wir gingen trotzdem ins Stadion und haben die beste zweite Halbzeit erlebt, die je ein Fußballfan gesehen hat.

Tetzlaff: Ich habe diesen Gedanken gar nicht gehabt. Mein Motto war: Ich habe 40 D-Mark bezahlt, ich bleibe bis zum Schluss hier sitzen. Der Grund war typisch für Krefeld: Et kann nur besser werden! Es war das Erlebnis Livespiel unter Flutlicht, wir wären auch gegen jeden anderen Gegner im Stadion geblieben.

DFB.de: Wie war in Dresden die Gefühlslage zur Halbzeit, Herr Luger?

Luger: Ganz klar: Dieses Mal kommen wir weiter! Ich durfte zu der Partie nicht nach Krefeld reisen, war erst im UEFA-Cup-Halbfinale 1989 in Stuttgart als Dynamo-Fan mit dabei. Nach dem 3:1 zur Halbzeit in Krefeld haben die Nachbarn in der Wohnung über uns schon die Sektflaschen aufgemacht…

DFB.de: Frage an die KFC-Fans: Welches ist Ihre persönliche Lieblingsszene im Spiel?

Thomas Bernhardt: Das war das 6:3 von Wolfgang Funkel, per Elfmeter. Da lagen sich wildfremde Menschen in den Armen, hatten Tränen in den Augen, es war unbeschreiblich.

Rainer Tetzlaff: Genau! Das sechste Tor von Wolfgang Funkel. Bei ihm brauchte man die wenigsten Sorgen zu haben, er war immer der Turm in der Schlacht, den würde ich aus einer tollen Uerdinger Mannschaft hervorheben.

DFB.de: Was war aus Dresdner Sicht der Knackpunkt?

Luger: Neben der Verletzung von Torhüter Jakubowski war die zweite Schlüsselszene meines Erachtens das schnelle 4:3 durch Wolfgang Schäfer. Es fiel nur sieben Minuten nach dem Ausgleich. Das war ein Knackpunkt. Als das 5:3 fiel, eigentlich schon beim 4:3, habe ich zu Hause begonnen, meine Dynamo-Wimpel von der Wand abzuhängen. Ich hatte einfach die Schnauze voll. Im Jahr zuvor hatte Dynamo gegen Rapid Wien 3:0 gewonnen und verlor im Rückspiel noch 0:5. Alle haben gedacht: Das passiert uns nicht noch mal. Aber es kam noch schlimmer! Nach dem 6:3 habe ich den Fernseher ausgemacht und bin spazieren gegangen. Dabei hatte Dynamo selbst bei 3:6 noch zwei Riesenchancen von Minge und Jörg Stübner.

DFB.de: Hat dieses Spiel das Fanleben bei Bayer Uerdingen verändert?

Bernhardt: Ich kann nur für mich sprechen. Seit ich als Sechsjähriger in der Regionalliga erstmals im Stadion gewesen bin, schlägt mein Herz blau-rot. Dann kam 1977 das DFB-Pokalspiel gegen Frankfurt. Man sagte danach in Krefeld: Du darfst ein Uerdingen-Spiel nie vor dem Abpfiff verlassen. Das war toll. 1986 war das Spiel des Jahrhunderts und man war danach noch stolzer, die blau-rote Flagge zu tragen.

Tetzlaff: Die Leute haben danach mehr Dauerkarten für die Grotenburg gekauft. Ich will aber nicht sagen, dass die Ansprüche gestiegen sind. Das Krefelder Publikum ist per se sehr anspruchsvoll. Ich finde, Uerdingen hat es in der Folgezeit sehr gut gemacht und ist durch das Spiel gegen Dresden schlagartig in Deutschland, in ganz Europa bekannt geworden. Wir wurden sogar im Urlaub in Spanien auf Uerdingen angesprochen. Plötzlich war Uerdingen ein Begriff.

DFB.de: Also nur positive Effekte?

Tetzlaff: Nein. Man muss auch sagen, dass sich nach dem Spiel in Krefeld viele brüsteten, natürlich im Stadion gewesen zu sein. Nach dem Erfolg von 1985 mit dem Pokalsieg und dem Spiel gegen Dresden 1986 kamen die Schönwetter-Gucker dazu. Das ist in Uerdingen extrem. Die blieben auch ganz schnell wieder weg, als es nicht mehr gut lief. Bei unserem rheinischen Nachbarn Borussia Mönchengladbach ist das anders. Dort gibt es ein viel höheres Fanpotenzial, da verzeiht man auch mal schlechte Leistungen.

DFB.de: Und in Dresden?

Luger: Man dachte sich nur: So ungerecht kann die Welt sein! Und: Das gibt es nur einmal im Leben.

DFB.de: Wie sehr ist das Spiel bis heute Thema in Uerdinger Fankreisen?

Bernhardt: Es wird immer präsent bleiben. Es ist das Spiel des Jahrhunderts, das macht einen sehr stolz. Für Erinnerungen kann man sich aber nichts kaufen, Sie wissen ja um die finanzielle und sportliche Situation, in der wir momentan sind…Deswegen: Wir werden als Fans immer davon zehren.

Tetzlaff: Das ist das Thema Nummer eins, noch vor dem DFB-Pokalsieg 1985, das sind die Spiele, an die man sich erinnert.

DFB.de: Herr Luger, welchen Stellenwert hatte die Dresdner Niederlage in Uerdingen im DDR-Fußball aus Ihrer Sicht?

Luger: Es war dramatisch, weil ich denke, die Sportfunktionäre hatten das Weiterkommen gegen Uerdingen fest eingeplant. Deswegen hatte es politisch Konsequenzen, es hat Klaus Sammer den Trainerjob gekostet. Einer der entscheidenden Dresdner Akteure, Frank Lippmann, ist nach dem Spiel auch noch im Westen geblieben. Für Sammer war es traumatisch. Ich habe nach der Wende mit dem Dresdner Fan-Projekt ein Interview mit Klaus Sammer geführt. Er sagte uns dabei: "Wir können über alles reden – außer über Grotenburg 1986." Das wurde in Dresden zum feststehenden Begriff für dieses Spiel. Grotenburg '86 war für Dresden das, was für den FC Bayern München das Drama in Barcelona 1999 gegen Manchester United war.

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Das Fußballmagazin 11Freunde hat die Partie zum "größten Fußballspiel aller Zeiten" gekürt. Bis heute ist das 7:3 im Viertelfinal-Rückspiel des Europapokals der Pokalsieger zwischen Bayer 05 Uerdingen und Dynamo Dresden (Hinspiel: 0:2) am 19. März 1986 das Synonym für ein deutsches Europacup-Wunder. 1:3 hatte Uerdingen in der zweiten Begegnung zur Halbzeit zurückgelegen, um dann historisch zurückzuschlagen. 35 Jahre später treffen beide Klubs wieder aufeinander, diesmal in der 3. Liga, diesmal trotz Heimrecht für Uerdingen nicht im Krefelder Grotenburg-Stadion. Fan-Reporter Carsten Germann hat mit Anhängern beider Klubs gesprochen, die 1986 live dabei waren.

DFB.de: Thomas Bernhardt und Rainer Tetzlaff, Sie sind Fans des KFC Uerdingen. Sie waren damals live in der Grotenburg-Kampfbahn dabei. Wann hatten Sie am 19. März 1986 das Gefühl, dem größten Fußballspiel aller Zeiten beizuwohnen?

Thomas Bernhardt (54): Beim 4:3 von Wolfgang Schäfer! Da habe ich geahnt: Das könnten noch mehr Tore werden, das Publikum ist total ausgerastet. Es hallte plötzlich durch die Grotenburg: "Nur noch zwei."

Rainer Tetzlaff (55): Zwischen dem 5:3 und 6:3! Ich saß auf der Tribüne, hatte erstmals eine Sitzplatzkarte, damals für 40 D-Mark. Meine Mutter und ein Freund waren dabei, meine Mutter war vorher noch nie im Stadion gewesen. Das Komische war: Wir wussten auf der Tribüne nicht um die Arithmetik und haben gerätselt! 5:3 hätte nicht gereicht, 6:3 aber schon. Ab diesem Zeitpunkt hatte man als Krefelder dann das Gefühl "et läuft".

DFB.de: Wie war es zum Anpfiff? Wie war die Erwartungshaltung, da Uerdingen ja ein 0:2 aus dem Hinspiel wettmachen musste?

Bernhardt: Vor dem Spiel habe ich, wenn ich ehrlich bin, nicht mehr daran geglaubt. Die Erwartungen waren ohnehin nicht so groß, weil Dynamo Dresden eine große Nummer im Fußball der DDR war. Ich kann es nicht beschreiben, warum ich gesagt habe: Lass' uns ins Stadion gehen. Es war, als wenn ich eine innere Stimme gehört hätte.

Tetzlaff: (lacht) Tja, ich bin eine Minute zu spät gekommen und es stand schon 1:0 für Dresden. Das war sehr ernüchternd. Wir hatten allerdings viel Geld für unsere Tribünenkarten bezahlt. Und wollten unbedingt bleiben. Das Stadion aber leerte sich nach dem 0:1 schon spürbar…

DFB.de: Jens Luger, Sie sind Fan von Dynamo, waren beim Hinspiel im Stadion und waren später von 1991 bis 1994 mitverantwortlich im Fan-Projekt Dresden e.V.. Wann haben Sie im Rückspiel gemerkt, dass es für Dresden aus dem Ruder läuft?

Jens Luger (54): Spätestens ab dem Eigentor von Ralf Minge in der 63. Minute zum 3:3. Ich hatte ein ungutes Gefühl, als wir aus der Kabine kamen, und weil sich Torhüter Bernd Jakubowski schwer verletzt hatte und nie wieder spielen konnte. Ersatztorhüter Jens Ramme hatte auf diesem Niveau noch nie gespielt. Mit Jakubowski wäre es wahrscheinlich anders gelaufen. Ramme, der zur Pause eingewechselt wurde, war sehr unerfahren und ohne Spielpraxis.

DFB.de: Aber das war es nicht alleine, oder?

Luger: Es war einer der Gründe. Dazu kam die fehlende Cleverness trotz gestandener Leute wie Hans-Jürgen Dörner, Reinhard Häfner oder Ralf Minge. Alle diese erfahrenen Spieler hätten versuchen müssen, den Ball vom Strafraum weg zu halten. Sie haben zu lieb gespielt.

DFB.de: Herr Bernhardt, Herr Tetzlaff, Hand aufs Herz - wie sehr haben Sie mit dem Gedanken gespielt, in der Halbzeitpause beim Stand von 1:3 vorzeitig zu gehen?

Bernhardt: Bei mir war die Besonderheit, dass ich die erste Halbzeit im Fernsehen gesehen habe. Es war die erste Live-Europacup-Übertragung aus Krefeld. Meine Freundin wohnte zwei Minuten Fußweg vom Stadion weg. In der Halbzeit sind wir ins Stadion gegangen. Sie hielt mich für bekloppt, weil es ja 1:3 stand. Ich dachte an 1977, an das DFB-Pokalspiel im Viertelfinale gegen Eintracht Frankfurt - 6:3 nach Verlängerung. Uns kamen nun hunderte Leute entgegen, aber wir gingen trotzdem ins Stadion und haben die beste zweite Halbzeit erlebt, die je ein Fußballfan gesehen hat.

Tetzlaff: Ich habe diesen Gedanken gar nicht gehabt. Mein Motto war: Ich habe 40 D-Mark bezahlt, ich bleibe bis zum Schluss hier sitzen. Der Grund war typisch für Krefeld: Et kann nur besser werden! Es war das Erlebnis Livespiel unter Flutlicht, wir wären auch gegen jeden anderen Gegner im Stadion geblieben.

DFB.de: Wie war in Dresden die Gefühlslage zur Halbzeit, Herr Luger?

Luger: Ganz klar: Dieses Mal kommen wir weiter! Ich durfte zu der Partie nicht nach Krefeld reisen, war erst im UEFA-Cup-Halbfinale 1989 in Stuttgart als Dynamo-Fan mit dabei. Nach dem 3:1 zur Halbzeit in Krefeld haben die Nachbarn in der Wohnung über uns schon die Sektflaschen aufgemacht…

DFB.de: Frage an die KFC-Fans: Welches ist Ihre persönliche Lieblingsszene im Spiel?

Thomas Bernhardt: Das war das 6:3 von Wolfgang Funkel, per Elfmeter. Da lagen sich wildfremde Menschen in den Armen, hatten Tränen in den Augen, es war unbeschreiblich.

Rainer Tetzlaff: Genau! Das sechste Tor von Wolfgang Funkel. Bei ihm brauchte man die wenigsten Sorgen zu haben, er war immer der Turm in der Schlacht, den würde ich aus einer tollen Uerdinger Mannschaft hervorheben.

DFB.de: Was war aus Dresdner Sicht der Knackpunkt?

Luger: Neben der Verletzung von Torhüter Jakubowski war die zweite Schlüsselszene meines Erachtens das schnelle 4:3 durch Wolfgang Schäfer. Es fiel nur sieben Minuten nach dem Ausgleich. Das war ein Knackpunkt. Als das 5:3 fiel, eigentlich schon beim 4:3, habe ich zu Hause begonnen, meine Dynamo-Wimpel von der Wand abzuhängen. Ich hatte einfach die Schnauze voll. Im Jahr zuvor hatte Dynamo gegen Rapid Wien 3:0 gewonnen und verlor im Rückspiel noch 0:5. Alle haben gedacht: Das passiert uns nicht noch mal. Aber es kam noch schlimmer! Nach dem 6:3 habe ich den Fernseher ausgemacht und bin spazieren gegangen. Dabei hatte Dynamo selbst bei 3:6 noch zwei Riesenchancen von Minge und Jörg Stübner.

DFB.de: Hat dieses Spiel das Fanleben bei Bayer Uerdingen verändert?

Bernhardt: Ich kann nur für mich sprechen. Seit ich als Sechsjähriger in der Regionalliga erstmals im Stadion gewesen bin, schlägt mein Herz blau-rot. Dann kam 1977 das DFB-Pokalspiel gegen Frankfurt. Man sagte danach in Krefeld: Du darfst ein Uerdingen-Spiel nie vor dem Abpfiff verlassen. Das war toll. 1986 war das Spiel des Jahrhunderts und man war danach noch stolzer, die blau-rote Flagge zu tragen.

Tetzlaff: Die Leute haben danach mehr Dauerkarten für die Grotenburg gekauft. Ich will aber nicht sagen, dass die Ansprüche gestiegen sind. Das Krefelder Publikum ist per se sehr anspruchsvoll. Ich finde, Uerdingen hat es in der Folgezeit sehr gut gemacht und ist durch das Spiel gegen Dresden schlagartig in Deutschland, in ganz Europa bekannt geworden. Wir wurden sogar im Urlaub in Spanien auf Uerdingen angesprochen. Plötzlich war Uerdingen ein Begriff.

DFB.de: Also nur positive Effekte?

Tetzlaff: Nein. Man muss auch sagen, dass sich nach dem Spiel in Krefeld viele brüsteten, natürlich im Stadion gewesen zu sein. Nach dem Erfolg von 1985 mit dem Pokalsieg und dem Spiel gegen Dresden 1986 kamen die Schönwetter-Gucker dazu. Das ist in Uerdingen extrem. Die blieben auch ganz schnell wieder weg, als es nicht mehr gut lief. Bei unserem rheinischen Nachbarn Borussia Mönchengladbach ist das anders. Dort gibt es ein viel höheres Fanpotenzial, da verzeiht man auch mal schlechte Leistungen.

DFB.de: Und in Dresden?

Luger: Man dachte sich nur: So ungerecht kann die Welt sein! Und: Das gibt es nur einmal im Leben.

DFB.de: Wie sehr ist das Spiel bis heute Thema in Uerdinger Fankreisen?

Bernhardt: Es wird immer präsent bleiben. Es ist das Spiel des Jahrhunderts, das macht einen sehr stolz. Für Erinnerungen kann man sich aber nichts kaufen, Sie wissen ja um die finanzielle und sportliche Situation, in der wir momentan sind…Deswegen: Wir werden als Fans immer davon zehren.

Tetzlaff: Das ist das Thema Nummer eins, noch vor dem DFB-Pokalsieg 1985, das sind die Spiele, an die man sich erinnert.

DFB.de: Herr Luger, welchen Stellenwert hatte die Dresdner Niederlage in Uerdingen im DDR-Fußball aus Ihrer Sicht?

Luger: Es war dramatisch, weil ich denke, die Sportfunktionäre hatten das Weiterkommen gegen Uerdingen fest eingeplant. Deswegen hatte es politisch Konsequenzen, es hat Klaus Sammer den Trainerjob gekostet. Einer der entscheidenden Dresdner Akteure, Frank Lippmann, ist nach dem Spiel auch noch im Westen geblieben. Für Sammer war es traumatisch. Ich habe nach der Wende mit dem Dresdner Fan-Projekt ein Interview mit Klaus Sammer geführt. Er sagte uns dabei: "Wir können über alles reden – außer über Grotenburg 1986." Das wurde in Dresden zum feststehenden Begriff für dieses Spiel. Grotenburg '86 war für Dresden das, was für den FC Bayern München das Drama in Barcelona 1999 gegen Manchester United war.

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