Elf Tipps und Infos für inklusive Spielformen

In Zusammenarbeit zwischen dem Landesverband der Lebenshilfe Baden-Württemberg für Menschen mit Behinderung sowie der Fußballschule des Karlsruher Sport-Clubs (KSC) wurde ein gemeinsames Fußballprojekt für Kinder mit und ohne Handicap ins Leben gerufen. Mit dem Ziel der Stärkung der Teilhabe von Kindern mit Behinderung am Sport nahmen am Ostercamp der KSC-Fußballschule– ohne vorherige Ankündigung – zwei Kinder mit Behinderung am Trainingsbetrieb teil. Diese inklusive Trainingswoche übertraf alle Erwartungen an das Miteinander zwischen den beteiligten Kindern mit und ohne Behinderung. Zu keinem Zeitpunkt stand das Thema „Behinderung“ im Mittelpunkt – ganz selbstverständlich und von Beginn an waren die beiden Camp-Teilnehmer ein akzeptierter Teil der Trainingsgruppe.

Am besten Sie überzeugen sich selbst in diesem Video mit Impressionen der KSC-Trainingswoche

Das Projekt stellt ein weiteres Best-Practice-Beispiel für die Inklusion im Fußballsport dar und ist zur Nachahmung empfohlen. Durch die Dokumentation dieser gemeinsamen Trainingswoche entstanden nachfolgende 11 Tipps und Infos, die Fußballvereinen praxisnahe Hilfestellungen für das Training in inklusiven Spielformen geben.

© Lebenshilfe Baden-Württemberg

Wer sich an seine eigenen Anfänge im Sportverein zurück erinnern kann, weiß, dass für die ersten Schritte auf dem Platz eine Menge Mut gehört. Wie nehmen mich die neuen Mannschaftskameraden auf? Reicht meine Leistung? Mag mich der Trainer?

– Diese Fragen haben zunächst einmal nichts mit Behinderung zu tun, selbst Fußballprofis können davon berichten. Trotzdem ist der Mut zu diesem ersten Schritt im neuen Verein oder Trainingsbetrieb für Sportlerinnen und Sportler mit Behinderung – aber auch für die beteiligten Trainerinnen und Trainer – häufig eine besonders große Herausforderung. Oft steht im Vorfeld zusätzlich die Frage im Raum, ob eine Teilnahme überhaupt erwünscht ist.

Für Übungsleiter, Trainer und Verantwortliche bedeutet das:
Zur Teilnahme motivieren und das Gefühl vermitteln, willkommen zu sein, ist auch dann möglich, wenn evtl. selbst noch Unsicherheiten vorhanden sind, wie das erste gemeinsame Training verläuft.

© Lebenshilfe Baden-Württemberg

Vielleicht zeigt sich beim ersten gemeinsamen Training, dass es für die Teilnehmerin oder den Teilnehmer mit Behinderung einen besonderen Assistenzbedarf gibt, der nicht vom vorhandenen Trainerteam übernommen werden kann. Einen entsprechenden Unterstützungsbedarf zu äußern, schmälert nicht den Erfolg von Teilhabe – im Gegenteil. Eine Assistenzperson, die ihre Rolle defensiv und beiläufig wahrnimmt, kann für das gesamte Trainingsteam eine Bereicherung sein.

Im Rahmen unseres Camps der KSC-Fußballschule hatten wir zusätzlich zum Trainerteam einen Assistenten beteiligt, der in erster Linie einen Blick auf die Teilnehmer mit Behinderung hatte und im Bedarfsfall schnell und ohne große Hektik unterstützen konnte. Gleichzeitig war er für alle weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer als Trainer selbstverständlicher Teil des Camps, so dass erst gar keine Gedanken an eine Sonderrolle aufkommen konnten.

© Lebenshilfe Baden-Württemberg

Ein funktionierendes Team braucht Vertrauen.

Mannschaftskameraden – und das gilt eben nicht nur für Sportlerinnen und Sportler mit Behinderung – sollten sich zu jedem Zeitpunkt sicher sein können, dass sportliche Fehler im Training keine Häme oder Ausgrenzung zur Folge haben werden. Gleiches gilt für die Wortwahl: Sicher kann es sinnvoll sein, sich im Vorfeld mit der Mannschaft auf Regeln für den sprachlichen Umgang miteinander zu einigen. Werden diese eingehalten, braucht sich niemand mehr Gedanken darüber zu machen, im Eifer des Gefechtes etwas beleidigendes zu sagen. Auch übertriebene Rücksichtnahme kann das Teamgefüge belasten.

Mindestens genauso wichtig ist Vertrauen für die Arbeit von Trainer und Betreuer. Für inklusives Training gilt umso mehr: Keine Angst vor Fehlern! Nicht jede Übungseinheit wird gelingen (siehe auch 6), und doch: Existiert zwischen Mannschaft, Trainer und Eltern eine Vertrauensbasis, wird jeder gemeinsame Schritt zur bereichernden Erfahrung. Schwierigkeiten dürfen dann durchaus auch gegenüber den Teilnehmenden oder Eltern angesprochen werden.

© Lebenshilfe Baden-Württemberg

Im Rahmen unseres gemeinsamen Camps von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung hatte sich das Trainerteam entschieden, die Behinderung einiger Teilnehmer nicht vorab zu kommunizieren. Das Ergebnis gab ihnen Recht: von Anfang an stand ganz selbstverständlich das sportliche Training und gemeinsame Spiel im Mittelpunkt – und die Behinderung völlig im Hintergrund.

Klar, gab es den ein oder anderen Blick und bald auch direkte Nachfragen auf dem Platz. Und dort lassen sich die neugierigen Fragen auch am besten beantworten. Mit wenigen Sätzen wird die Angelegenheit dann häufig schneller zur Nebensache als gedacht.

Wenn sich die Mannschaft gefunden hat, kann es durchaus eine Option sein, auch einmal ausführlicher (z. B. im Rahmen einer Mannschaftsbesprechung) über ein Handicap zu informieren. Gerade in der Phase des ersten Kennenlernens kann so etwas Teilnehmende mit Behinderung jedoch auch in eine Sonderrolle drängen. Für alle Schritte gilt: die betroffene Person – als Experte in eigener Sache – selbst fragen und im besten Fall direkt einbeziehen.

© Lebenshilfe Baden-Württemberg

Trainer und Mannschaft haben sportliche Ziele. Das darf auch bei einer Beteiligung von Menschen mit Behinderung noch berechtigter Anspruch sein.

Leistungsorientierung ist ein fester Bestandteil des Sportes, der sich auch bei der Teilhabe von Menschen mit Behinderung nicht wegdiskutieren lässt. Gleichzeitig sind individuelle Leistungsunterschiede nicht nur eine Frage von Behinderung oder Fitnesszustand. Gerade bei Mannschaftssportarten finden sich im Trainingsbetrieb Rollen und Positionen für ganz verschiendene »Spielertypen«. Zu vermeiden ist in jedem Fall eine Sonderbehandlung, also weder eine Bevorzugung noch eine Ausgrenzung.

©

Die erfolgreiche Beteiligung von Sportlerinnen und Sportlern mit Behinderung erfordert flexible, unkonventionelle und innovative Trainingsformen – da erklärt es sich von selbst, dass eine Übungseinheit gelegentlich nicht den gewünschten Erfolg zeigt – und eine andere möglicherweise völlig unverhofft besonders gut verläuft.

Inklusive Trainingsarbeit heißt also nicht, bewährte und sinnvolle Methoden kritisch zu hinterfragen, sondern kontinuierlich weiterzuentwickeln.

Dazu gehört auch ein ordentliches Maß an Spontaneität. Inklusive Trainingsansätze lassen sich eben selten ausschließlich an der Taktiktafel entwerfen.

Und eines haben unsere Erfahrungen in der Fußballschule gezeigt: Nichts motiviert mehr zur gemeinsamen Trainingsarbeit, als gelungene praktische Schritte!

© Lebenshilfe Baden-Württemberg

Wenn jeder Teil der Mannschaft ist, hat auch jeder Anteil am gemeinsamen Erfolg. Dazu gehört in gleicher Weise, dass auch Rechte und Pflichten im Verein auf alle Schultern verteilt sind. Wenn körperliche Einschränkungen vielleicht nicht alle Aufgaben zulassen, finden sich mit Sicherheit Alternativen, die einen genauso wichtigen Beitrag bedeuten können.

© Lebenshilfe Baden-Württemberg

Die sportlichen Ziele der Spielerinnen und Spieler, der Ehrgeiz der Eltern, die spielerische Qualität des nächsten Punktspielgegners – Übungsleiter und Trainer spüren auch im Amateurbereich den Leistungsdruck.

Bei unserem Fußballcamp in Karlsruhe stand der Spaß am Spiel und weniger die Leitungsorientierung im Vordergrund. Aber wie sieht es im Liga-Betrieb aus? Dauerhaft ist ein »Stammplatz auf der Bank« für Sportlerinnen und Sportler mit Behinderung nur selten eine befriedigende Situation.

— Aber vielleicht sind es schon Kurzeinsätze? Möglicherweise findet sich auch taktisch ein Feld der Beteiligung, das der Mannschaft sportlich nützen kann. Inklusion heißt nicht, alles gleich zu machen. Gefragt ist ein Gespür für die Person und die Situation. Auch Spielerinnen und Spieler ohne Behinderung bewegen sich im Rahmen ihrer mannschaftlichen Möglichkeiten. Wenn es gelingt, deutlich zu machen, dass jeder Einzelne ein wertvoller Teil der Mannschaft ist, dann haben ehrliche Worte über die individuellen Grenzen nichts mit Ausgrenzung zu tun.

© Lebenshilfe Baden-Württemberg

Entscheidend ist eben doch nicht nur »auf´m Platz«. Ein großer Teil des Zusammenhaltes im Team entsteht bei gemeinsamen Aktivitäten außerhalb des Spielfeldes. Für die Verantwortlichen ist es dabei manchmal gar nicht so einfach, alle in gleicher Weise zu beteiligen. Die Teilhabe von Aktiven mit Behinderung darf aber nicht an mangelnder Barrierefreiheit oder fehlender Flexibilität scheitern. Denn wenn das gesamte Team einen Ausflug in den Freizeitpark oder ins Stadion unternimmt, dann bestehen keine Zweifel daran, dass der Mannschaftskamerad mit Behinderung dazu gehört!

© Lebenshilfe Baden-Württemberg

Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung sind im Vorfeld häufig unsicher, ob eine Beteiligung Ihrer Tochter oder Ihres Sohnes überhaupt körperlich denkbar ist und ob Ihr Kind seinen Platz im Teamgefüge findet. Gleichzeitig mag es die ein oder anderen Eltern von Kindern ohne Behinderung geben, die die sportliche Entwicklung ihres Nachwuchses durch das inklusive Angebot in Gefahr sehen.

Für Verantwotliche des Vereins ergibt sich daraus eine doppelte Herausforderung, die es im Gleichgewicht zu halten gilt. Eltern kennen ihre Kinder besser als jeder andere, Ihre Erfahrungen und Einschätzungen können (auch um einen neuen Trainingsteilnehmer besser einschätzen zu können) viel wert sein. Gleichzeitig lassen sich Bedenken – von welcher Seite auch immer geäußert – nirgends besser zerstreuen, als in einem unvoreingenommenen Trainingsspiel.

© Lebenshilfe Baden-Württemberg

Für Teilhabe und Inklusion gibt es mehr als ein Erfolgsrezept. Oft sind die praktischen Erfahrungen völlig andere, als die erwarteten. Für alle gilt: Wer Menschen mit Behinderung an seinem sportlichen Angebot beteiligen möchte, muss das Spiel nicht neu erfinden. Eine große Unterstützung und ein Gewinn für beide Seiten kann die Vernetzung mit anderen sein, die ebenfalls »inklusiv trainieren«. Assistenz, Beteiligungsformen, Trainingsmethoden – die Themenfelder für den Austausch sind enorm. Dabei kommt es gar nicht unbedingt darauf an, dass es sich um die gleiche Sportart handelt.

Für weitere Rückfragen zum Projekt steht Ihnen Christopher Märkle (christopher.maerkle@lebenshilfe-bw.de), Bildungsreferent Landesverband Baden-Württemberg der Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung e. V., gerne zur Verfügung.