Einrücken und den Flügel Überladen

Auch wenn das Tor bekanntlich in der Mitte steht, ist der Flügel ein beliebter Weg zum Ziel. Nicht umsonst spielt die sogenannte "Breite" im Spiel eine elementare Rolle. Doch wie kann die Breite ideal genutzt werden? Was ist nötig, um aus der Breite schließlich wieder in die Tiefe und vor allem in Richtung Tor zu gelangen? Das wollen wir im zweiten Teil unserer Beitragsreihe zu taktischen Prinzipien klären.

Überzahl in jeder Spielphase

Im ersten Beitrag der Reihe ging es um das Schaffen von Überzahl im Spielaufbau. Grundsätzlich ist das Schaffen von Überzahl natürlich in jeder Spielphase erstrebenswert. Gerade in Ballbesitz gibt es diverse kleinteilige, gruppentaktische Mittel, um das eigene Team in bestimmten Räumen Überzahl erzeugen zu lassen. Das erleichtert den Ballvortrag und hilft dabei, sich spielerisch aus Drucksituationen zu lösen. Wichtig ist dabei jedoch, dass die Überzahl sukzessive nach vorne übertragen wird. Dafür müssen die Spieler*innen ihre Position, wie sie vom Magneten auf der Taktiktafel vorgegeben wird, phasenweise verlassen und der Spielphase entsprechend interpretieren. Das wohl einfachste und prominenteste Beispiel aus dem modernen Fußball ist die Rolle der Außenverteidiger*innen – vor allem bei Grundordnungen, die doppelt besetzte Flügel vorsehen. Diese sind zwar laut Taktiktafel vor allem Teil der Vierer-Abwehrkette, werden aber meist in Ballbesitz dazu angehalten, auf dem Spielfeld hoch und breit zu stehen, um den ballführenden Innenverteidiger*innen Platz zu schaffen und sich in den Angriff einschalten zu können.

Die Rolle der Außenangreifer*innen

Aber was passiert mit den Außenangreifer*innen, wenn die Hinterleute in ihren Raum vordringen? Ein Weg, die Balance in der Raumaufteilung wiederherzustellen, ist, die offensiven Außen in den Halbraum einrücken zu lassen. Dadurch schaffen sie Raum am Flügel, den die nachrückenden Außenverteidiger*innen mit einem Tiefenlauf besetzen können. Gleichzeitig eröffnen sie so die Möglichkeit für einen progressiven Pass von dem/der Ballführenden. Ein solches Verhalten ist häufig die Basis für etwaige "Steil-Klatsch"-Kombinationen, die für ein schnelles und zielgerichtetes Spiel nach vorne hilfreich sind. Die Idee dabei: Eine Linie bewusst überspielen, um den/die Spieler*in auf ebendieser Linie schließlich nach einem Klatschball in offener Spielstellung in Szene zu setzen, ohne dass er/sie mit dem Rücken zum Gegner aufdrehen muss. Aus dem offensiven Halbraum heraus, bieten sich für die eingerückten Außen dabei meistens zwei Optionen: Direkt auf den Flügel oder aber ins Zentrum prallen lassen, um schließlich im Spiel über den Dritten auf den Flügel zu gelangen.

  • 4 dribbelt an und zieht dadurch zwei Gegner auf sich.
  • 2 besetzt den Raum im Rücken von 11 (Rot), sodass 7 einrücken und sich für den Steilpass von 4 anbieten kann.
  • 6, 8 und 10 sorgen indes dafür, dass der Passweg durch die Halbspur offen bleibt.
  • 7 lässt in die Mitte auf 8 prallen.
  • 8 hat nun das offene Spielfeld vor sich und kann direkt für die hinterlaufende 2 durchspielen.
  • Für die verteidigende Mannschaft gilt es nun, eine Entscheidung zu treffen: Rückt 5 auf den Flügel raus und öffnet so kurzzeitig einen Raum im Zentrum oder zieht 3 zurück nach außen und übergibt 7 (Blau) an 5?
  • 5 und 3 (Rot) entscheiden sich, die Positionen zu tauschen.
  • 7 nutzt die Gelegenheit und läuft in den dadurch entstandenen Raum ein.
  • 2 treibt den Ball am Flügel in Richtung Tor.
  • Alle anderen rücken nach.

Nur eine Möglichkeit von vielen

Die dargestellte Situation skizziert natürlich nur eine von vielen Möglichkeiten, den Flügel zu überladen. Je nach Spielidee und vorgegebener Grundordnung lassen sich mit der Mannschaft diverse weitere Lösungen erarbeiten, um das übergeordnete Prinzip "Flügel überladen" zu erfüllen. Hilfreich ist dabei die Visualisierung der Räume, die besetzt und bespielt werden sollen. So lässt sich recht schnell erkennen, welche Spieler*innen phasenweise ihre Position verlassen und den Flügel besetzen können, ohne dabei gefährliche Lücken zu öffnen, die dem Gegner schließlich wiederum gefährliche Gegenstöße ermöglichen würden. Guardiolas Manchester City agiert beispielsweise häufig mit einrückenden Außenverteidigern, die durch ihre Positionierung die zentralen Mittelfeldspieler auf den Flügel verdrängen!

Wenn vom Zentrum die Rede ist, sind die Halbräume oft mitgemeint. Doch je detaillierter das Spielfeld in seine Räume und Zonen unterteilt wird, desto leichter lassen sich Prinzipien formulieren und sinnvolle Abläufe finden. Im Spiel verschwimmen die Grenzen zwischen den Räumen naturgemäß, doch die gedachten Linien helfen bei der Orientierung und dem richtigen Timing bei Positionswechseln, wie das folgende Beispiel von Manchester City zeigt.

  • Mit dem Pass von Laporte auf Stones rückt Walker in den Halbraum ein.
  • Stones dribbelt an und zieht 11 auf sich, in dessen Rücken Silva nun den Flügel besetzt.
  • 8 geht kurz mit Silva mit, muss dann aber doch im Halbraum bleiben, um Druck auf Walker auszuüben, der den Pass von Stones entgegennimmt.
  • Nachdem Stones schon zwei Spieler im Halbraum auf sich gezogen hat, bindet Walker dort den dritten.
  • Dadurch entsteht eine Überzahl am Flügel, die Silva, Foden und Mahrez gegen 3 und 4 ausspielen können.