Talentschmiede Saarland

Ziemlich genau eine Million Menschen leben im Saarland, einer von 80 Deutschen. Nicht eben viel. Von den 16 deutschen Bundesländern hat nur Bremen (660.000) weniger Einwohner. Das Saarland hat seit 1993 keinen Bundesligisten mehr. Was jedoch dieTalentförderung angeht, ist das kleine Bundesland im Südwesten ziemlich weit vorne und steht damit exemplarisch für das Engagement des DFB in der Jugendarbeit. Regelmäßig kommen Junioren-Nationalspieler aus Neunkirchen oder Saarbrücken, aus Homburg oder Saarlouis. Und einige schaffen es dann sogar bis in die Bundesliga. Ein Beleg für die seit Jahren ausgezeichnete Talentförderung an der Saar ist Philipp Wollscheid. Der Abwehrspieler von Bayer Leverkusen hat eine ungewöhnliche Entwicklung hinter sich. Während andere bereits früh zu großen Vereinen wechselten, spielte er bis zu seinem 18. Lebensjahr spielte nur bei kleineren Vereinen in seiner Heimatregion, erst dann ging er zum 1. FC Saarbrücken und später nach Franken. Zuvor war er drei Jahre lang am DFB-Stützpunkt Braunshausen gefördert worden. Mittlerweile hat er es sogar erste Einsätze bei der A-Nationalmannschaft gefeiert.

Stammspieler in Nürnberg

Warum dieser Weg? "Vielleicht habe ich mich einfach erst spät entwickelt und in jungen Jahren noch nicht auf dem Niveau, das andere hatten", sagt er. Das Training am Stützpunkt half ihm sehr, war ein wichtiger Schritt in seiner Karriere, wie er heute sagt: "Zunächst mal hatte ich einmal öfter Training in der Woche. Außerdem haben wir dort viel Neues gelernt, gerade auch im taktischen Bereich. Diese Dinge versteht man erst gar nicht, weil man sie nicht kannte. Man merkt aber bald, dass sie Sinn ergeben. Wie man zum Beispiel nach vorne verschiebt, wenn der Gegner angreift, das bringt schon eine Menge." Von Saarbrücken aus besorgte sich Wollscheid 2009 mit Hilfe seines Beraters ein Probetraining beim 1. FC Nürnberg, bei der zweiten Mannschaft. "Ich wollte mir nachher nicht vorwerfen, nicht alles versucht zu haben. Das hätte ich bestimmt irgendwann bereut", sagt er. In Nürnberg überzeugte er, wurde prompt verpflichtet und empfahl sich schon bald für höhere Aufgaben. Im April 2010 debütierte er für die deutsche U 20- Nationalmannschaft. Im November 2010 absolvierte er dann sein erstes Spiel in der Bundesliga, inzwischen hat er sich etabliert.

Herrmann, Trapp, Matuschyk, Frantz

Wollscheid ist einer von mehreren Spielern aus dem Saarland, die sich in der Bundesliga einen Namen gemacht haben: Patrick Herrmann, Profi von Borussia Mönchengladbach, ist ein weiterer. Von 2002 bis 2005 trainierte er am DFB-Stützpunkt Berschweiler, erst mit 17 zog es ihn zur Borussia. In der U 21 spielte Herrmann gemeinsam mit einem weiteren Saarländer, der steht im Tor und heißt Kevin Trapp. Nach den Stationen FC Brotdorf, SSV Bachem und SV Mettlach und dreijähriger Förderung am DFB-Stützpunkt Braunshausen ging er zum 1 FC Kaiserslautern, wurde Juniorennational- und Bundesliga-Torwart. Mittlerweile ist er die unumstrittene Nummer Eins bei Eintracht Frankfurt. Mike Frantz bewährte sich ein Jahr lang am damaligen Stützpunkt St. Ingbert, war in keinem Nachwuchsleistungszentrum und nicht in der Junioren-Bundesliga. Inzwischen steht er beim 1. FC Nürnberg unter Vertrag. Adam Matuschyk wählte einen anderen Weg. Der Mittelfeldspieler wechselte schon in der U 15 zum 1. FC Köln, durchlief dort die Jugendabteilung. Bis 2003 war er am DFB-Stützpunkt Tünsdorf, 2010 machte er sein erstes Bundesliga-Spiel. Auch in die polnische Nationalmannschaft wurde er schon mehrfach berufen.

Mehr als 4.500 Spiele gesichtet

Sechs seiner 366 Stützpunkte hat der DFB im Saarland: Hülzweiler, Braunshausen, Altenwald, Berschweiler, Tünsdorf und Limbach. In der eher ländlich geprägten Region, in der der ganz große Fußball nicht zu Hause ist, bieten diese Stützpunkte die Chance, Talente zu entdecken, zu fordern und zu fördern. Dabei gilt es auch, Vorarbeit zu leisten. "In den vergangenen acht Jahren haben wir mehr als 4.500 Spielsichtungen gemacht", sagt Koordinator Christian Meyer. Viele Spiele, viele Spieler. 18 Trainer bilden im DFBAuftrag im Saarland die Kinder und Jugendlichen aus, 17 dieser Trainer sind schon seit 2002 mit dabei. "Es ist ein Vorteil, dass wir immer nur kurze Wege zurücklegen müssen", sagt Meyer. "Gute Spieler fallen so eher auf. Ich behaupte: Uns geht kein Talent durch die Lappen." Wollscheid sei ein Beleg dafür, wie viel gutes Sichten und individuelles Fördern für eine Karriere bewirken kann - auch bei Spielern, die sich noch nicht in ganz jungen Jahren einem großen Klub anschließen, die sich nicht schon früh von anderen abheben und sich erst später weiterentwickeln. "Es ist offensichtlich, dass die Talentförderung im Saarland sehr positiv umgesetzt wird, vom Verband bis in die Vereine", sagt der Sportliche Leiter des DFB-Talentförderprogramms, Jörg Daniel.

Fünf Saarländer im Nationalteam

Die Qualität der Nachwuchsförderung schlägt sich nicht zuletzt in den Nationalmannschaften nieder. Der Höhepunkt wurde 2007 beim U 17-Vier-Länder-Turnier erreicht, als neben Patrick Herrmann auch Muhittin Bastürk, Steven Zellner, Tobias Penth und Boris Becker das DFB-Trikot trugen: fünf Saarländer für Deutschland. Das hatte es vorher noch nicht gegeben. Die gute Zusammenarbeit der Verantwortlichen an den Stützpunkten mit dem Saarländischen Fußballverband betont auch Verbandstrainer Volker Müller. "Über ein sorgfältiges Sichtungssystem finden unsere Spieler den Weg ins Talentförderprogramm. Mit hoher Trainerqualität wird dort das Vereinstraining unterstützt und der Spieler individuell gefördert", sagt er. "Über die Verbandsauswahl, Training und hohe Spielanforderungen durch Auswahlgegner geht der Weg weiter zur DFB-Sichtung und vielleicht in den DFB-Kader." Es sei daher nicht unbedingt notwendig, schon früh seine Heimatvereine zu verlassen und es bei großen Klubs zu versuchen.

"Gut, wie es gelaufen ist"

Philipp Wollscheid sieht das ganz ähnlich. "Ich weiß gar nicht, ob ich das damals überhaupt geschafft hätte. Nicht nur sportlich, sondern auch als Mensch", sagt er. "Für meine persönliche Entwicklung war das allemal gut so, wie es gelaufen ist. Ich hatte ein gefestigtes Umfeld dadurch, dass ich bis ich 20 war bei meiner Familie bleiben konnte." Sein Weg in die Bundesliga hat ihn bestätigt, dass es der richtige war. Der richtige für ihn persönlich, kein Erfolgspatent. Und auch eine Europameisterin ist aus dem Saarland zuhause: Dzsenifer Marozsán trainierte am DFB-Stützpunkt St. Ingbert von 2003 bis 2006 mit den Jungs. Und zeigte denen so manches Mal, wo es lang geht.