Diagonale Flugbälle auf dem Prüfstand: technisch anspruchsvoll – taktisch effizient?

In einem vorherigen Beitrag haben wir uns bereits mit den Vorzügen und technischen Voraussetzungen des Kurzpassspiels beschäftigt. Klar ist: Je kürzere Distanzen gespielte Bälle zurücklegen müssen, desto wahrscheinlicher ist deren Ankunft bei Abnehmer*innen. Gerade Spitzenteams wie Bayern München oder Manchester City verdeutlichen ihre spielerische Dominanz größtenteils mit dem Kurzpassspiel. Um allerdings die weiten Strecken auf dem Feld zum gegnerischen Tor zurückzulegen, bedarf es vieler gelungener und gegnerüberwindender Zuspiele. Dies bringt natürlich Risiken mit sich, denn Ballverluste und gegnerische Kontersituationen, gerade in Tornähe, können fatale Folgen haben. Vorbeugend dieser Gefahren und zur Überbrückung weiter Distanzen, findet sich im modernen Fußball ein gern genutztes Stilmittel wieder: Der Flug- bzw. Diagonalball.

Verwandt trotz Unterschieden

Flug- und Diagonalpässe können kategorisch als „lange“ oder „weite“ Bälle zusammengefasst werden. Sowohl der Flug- als auch der Diagonalball ermöglichen dem eigenen Team, weite Distanzen zu überbrücken und sie trotzen den Gefahren von einfachen Abspielfehlern im Aufbauspiel. Einzig der Winkel stellt einen elementaren Unterschied dar. Während unter dem Begriff des 'Flugballes' auch gerade Flugbahnen mit einbezogen werden können, ist der Diagonalball durch seine Multidirektionalität gekennzeichnet. 'Spurwechsel' und Änderung der Spielrichtung gehen mit diesem einher. Da viele Mannschaften vorwiegend und primär mit diagonalen Flugpässen operieren, werden diese im modernen Fußball allgemein unter 'Flugbälle' zusammengefasst und gleichgestellt.

Technische Voraussetzungen

Merkmale für ein technisch sauber ausgeführten Diagonalball sind:

  • der Voll- bzw. Innenspannstoß mit durchschwingendem Schuss- und festem Standbein
  • ein fixiertes Fußgelenk
  • das Treffen des Balles unterhalb des Zentrums
  • der Einsatz des Gegenarms als Stabilisationshilfe

Allerdings ist der technische Ablauf nicht allein maßgeblich für das Gelingen der Aktion. Die größte Herausforderung für Spieler*innen ist die Umsetzung im Wettbewerb unter Raum-, Zeit- und Gegner*innendruck, sowie die richtige situative Anwendung. Wer Störfaktoren wie unmittelbaren Gegenspieler*innen trotzt, der kann die sichere Umsetzung des gespielten Balles nutzen, um schnellstmöglich Raumgewinne zu erzielen. Nichtsdestotrotz bedingt jeder technisch einwandfreie Diagonalball eine gute Feldaufteilung möglicher Passempfänger*innen. Dabei gilt: Je länger der Pass, desto schwieriger wird es für Passgeber*innen, die aufzubringende Kraft einzuschätzen und die Feldposition von Mitspieler*innen zu antizipieren. Je ausgeprägter die Fähigkeiten im Umgang mit Flugbällen, desto besser können Mitspieler*innen mit Zuspielen in Szene gesetzt werden. Während Passempfänger*innen mit unmittelbaren Druck den Flugball eher in den Rücken des Gegners bzw. der Gegnerin (in den Lauf) benötigen, sollte das Anspiel von freien Spieler*innen eher in den Vorderfuß erfolgen, damit sie den Ball sichern oder umgehend ins Dribbling gehen können. Doch wann genau wendet man Diagonalbälle zielführend an?

Taktisches Rüstzeug

In der Tat bieten Diagonalbälle einige taktische Vorzüge. Egal ob gegen tiefstehende oder hochpressende Gegner*innen, die situative Anwendung des Flugballes kann einen großen Mehrwert zur erfolgreichen Gestaltung des Mannschaftsspiels bieten. Hierfür gelten folgende taktische Prinzipien:

1. Spielverlagerung – weg vom Druck

Viele Mannschaften nutzen die Seitenlinie im Pressing als zusätzliches Hilfsmittel, um Balleroberungen zu generieren. Das Locken hin zur Seitenlinie führt zu einer flächendeckend hohen Anzahl von Gegenspieler*innen in der ballnahen Zone. Ergo: Selbst für druckresistente Spieler*innen wird der Stress spürbarer. Allerdings entblößen die Gegner*innen häufig die ballferne Seite. Gelingt dem ballbesitzenden Team in dieser Situation eine Spielverlagerung, so können auf der anderen Spielfeldseite große Räume, sogar mit kurzzeitigen Überzahl- oder Gleichzahlsituationen entstehen. Es bieten sich profitable Möglichkeiten.

2. Schnell in die Spitze

In Relation zum Kurzpassspiel, bieten Flug-/Diagonalbälle die Möglichkeit, bereits mit einem Pass alle gegnerischen Spieler*innen zu überspielen. Möchte man also risikolos und schnellstmöglich in die gegnerische Hälfte bzw. den gegnerischen Strafraum eindringen, bieten sich gezielte Pässe hinter die letzte Verteidigungslinie an. Häufig entstehen so kämpferische Laufduelle um den Ball, nah am gegnerischen Tor. Ob nun unmittelbare Torgefahr entsteht, oder ob man nachgeht bzw. gegenpresst – der eigene Mannschaftsverbund verweilt weitestgehend geordnet und das Risiko eines folgenschweren Ballverlustes ist minimal.

3. Hinter die Kette – “entgegenströmig” zur Kette

In der Tat überbrücken Flugbälle in kürzerer Zeit mehr Raum. Wie bereits erläutert, stellen Spielerverlagerungen die gegnerische Mannschaft vor Probleme. Sie sind permanenter Schiebebewegungen ausgesetzt, was bei ihnen für Orientierungs- und Zugriffsschwierigkeiten sorgt. Das gegnerische Team wird so auf allen 'Achsen' in Bewegung gebracht. Zieht sich der Gegner kompakt zurück, verschiebt von links nach rechts, von hinten nach vorne und umgekehrt, können Diagonalbälle aus dem Zentrum ein zielführendes stilistisches Mittel sein. Überraschende Läufe in die Tiefe, “entgegenströmig” zum Kettenverhalten, als auch Läufe von der ballfernen Seite in den Rücken der Abwehr können einen Flugball als Überraschungsmoment provozieren. Die Zuspiele erfolgen gegnerüberwindend und relativ tornah – müssen aber dennoch die nötige Höhe und Präzision aufweisen. Dann können Angreifer*innen meist mit wenigen Kontakten abschließen.