DFB-Stützpunkte: Das große Kicker-Casting

Hier in Alsfeld in der oberhessischen Provinz könnten an einem Abend im April die nächsten Fußballhelden entdeckt werden. Es nieselt, der Wind ist schneidend, der Kunstrasen war mal das Neueste vom Neuen, aber das ist schon einige Zeit her. Der Boden ist hart und seifig. Wie ein nasser Teppich. Immer wieder rutscht ein Spieler aus. Keine Bedingungen für rustikalen Körpereinsatz. Aber darum soll es an diesem unwirtlichen Tag auch nicht gehen.

Der Kicker von morgen soll schnell sein, gut am Ball, engagiert. Und er soll Spaß am Sport haben. Am DFB-Stützpunkt Alsfeld wird ausgebildet, wer beides hat: Talent und Freude.

„Nur so können die Trainingsinhalte richtig erlernt werden“, sagt Stützpunkttrainer Michael Dörr. Heute ist die Vorsichtung, im Fernsehen würde es wohl Casting heißen und in gut beheizten und beleuchteten Räumlichkeiten stattfinden. Das ist in Alsfeld anders. DFB.de

Parcours zum Üben

Moritz Rechmann ist einer von wenigen, die eine kurze Hose tragen. Trotz der Kälte. „Mache ich sonst ja auch“, sagt der 11-Jährige, der bei der TSG Kirtorf im zentralen Mittelfeld spielt, hinter den Spitzen, wo immer was los ist. Moritz hat in den Osterferien geübt, hat im Garten einen eigenen Parcours aufgebaut. Pass auf eine Steinwand, Ball annehmen, dribbeln und schießen. Ins Tor hatte er Säcke gestellt, „um Zielen zu üben“.

Heute soll sich das auszahlen, auch wenn er ein bisschen nervös ist. Doch er will Fußballer werden, und da ist das Training am Stützpunkt eine gute Sache. Weil es ihn weiterbringen könnte. Genau das will das Trainerteam Michael Dörr, Günter Stiebig, Hans-Georg Schlosser und Reinhold Göllner erreichen. „Doch es ist wichtig, dass das Training kindgerecht abläuft, deshalb haben wir auch alle mindestens die B-Lizenz“, sagt Dörr.

Die Balance aus Fordern und Fördern, aus Anfeuern und Zureden zu finden, ist die große Kunst im Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Und eines ist ganz klar, so Dörr: „Die Schule steht immer im Vordergrund. Nicht jedes Talent wird Nationalspieler, Profifußballer oder wird seinen Lebensunterhalt mit dem Fußballspielen bestreiten können.“

Talente für Deutschland: Sichtung in Alsfeld

366 DFB-Stützpunkte in Deutschland

Alsfeld ist einer von 366 DFB-Stützpunkten, die sich über das gesamte Bundesgebiet verteilen. Der Sportkreis Alsfeld verfügt über „viel Masse, was die Fläche angeht“, so Dörr, „aber wenig Bevölkerung, und kein Verein spielt im Jugendbereich höherklassig“.

Genau darum gibt es die Stützpunkte des DFB. Weil eben nicht jede Region an den Profifußball unmittelbar angeschlossen ist und es natürlich auch dort Talente gibt. Talente, die vielleicht erst auf den zweiten Blick auffallen, aber ebenso intensiv gefördert werden sollen. Eine Stützpunktteilnehmerin aus Alsfeld, Johanna Straube, hat es beim SC 07 Bad Neuenahr sogar schon auf Bundesliga-Einsätze gebracht.

Spielverständnis, Technik und Taktik vermitteln

Gesichtet und anschließend trainiert werden die Spieler am Stützpunkt in zwei Gruppen von um die 20 Spieler aus den Altersklassen U12/13 und U14/15. „Spielverständnis und Technik gehören zu den Basisübungen der 90 Minuten pro Woche am Stützpunkt“, sagt Günter Stiebig, der auch Sportlicher Leiter der Junioren von Kickers Offenbach ist. „Auch taktische Einheiten kommen dazu.“

Neben dem regelmäßigen umfangreichen Training ist aber noch eins wichtig: Durch die Arbeit an den Stützpunkten werden die meisten Talente zum ersten Mal erfasst - sonst wären sie womöglich durchs Sichtungssieb gefallen.

Ein großes Talent muss kein großer Spieler werden

Eine Gewähr, dass aus einem großen Talent auch ein großer Spieler wird, kann es gleichwohl nicht geben, das wissen die Trainer. Und das vermitteln sie auch den Eltern.

„Schulische Leistungen, soziale Veränderungen und die körperliche Entwicklung wirken sich sehr stark auf das Leistungspotenzial der jungen Talente aus - sowohl positiv als auch negativ“, heißt es auf einem Infoblatt, das den Eltern an die Hand gegeben wird. „Das ist bei allem Ehrgeiz immer zu beachten“, sagt Michael Dörr. Um so wichtiger sei die regelmäßige Sichtung.

Die besten 15 von 120 dürfen wiederkommen

Bereits Anfang des Jahres haben sich die Alsfelder Trainer in der Halle auf Talentsichtung begeben. Diese Einheit ist die zweite, Ende Juni folgt noch eine - der „Recall“ sozusagen, auch während der Saison schauen sich die Trainer Begegnungen der Jugendmannschaften der Region an. Zur Vorsichtung können alle Spieler des Jahrgangs 1999 aus dem Sportkreis Alsfeld kommen.

„Das wären etwa 100 bis 120 Spieler“, überschlägt Hans-Georg Schlosser. Die besten 15 aus der Region dürfen ab Sommer einmal in der Woche zum Stützpunkttraining kommen. Heute sind genau 22 angetreten, darunter zwei Mädchen, die sich und ihr Können unter Beweis stellen wollen. Vielleicht ist es dem einen oder anderen tatsächlich zu kalt gewesen.

"Vieles sieht man schon recht rasch"

Die Sichtungskriterien sind klar. Die Spieler werden auf Schnelligkeit, Beidfüßigkeit, Gewandtheit, technische Fertigkeiten, Entwicklungsfähigkeit, Spielvermögen und ihre Freude am Spiel überprüft.

Eigentlich ziemlich viel für eine 90-Minuten-Einheit mit 22 Kindern. „Vieles sieht man schon recht rasch, daran, wie sich die Spieler bewegen, wie engagiert sie auftreten“, sagt Stiebig. Doch ein erster Blick will auch gestützt sein durch objektivere Eindrücke.

Vier Übungen ergeben einen Überblick vom Können der jungen Kicker: ein klassischer Sprint über 20 Meter, um Antritt und Schnelligkeit feststellen zu können; ein Lauf- sowie ein Dribblingtest durch einen Parcours zum Testen von Beweglichkeit und Ballfertigkeit. Und, zum Abschluss, ein Turnier, entweder Vier-gegen-Vier oder Sechs-gegen-Sechs mit Torwart - dafür gibt es auch noch eine eigene Trainingseinheit.

Was sagt der Bewertungszettel?

Die Trainer machen sich Notizen. Wer hatte eine gute Aktion? Wer hat einen guten Schuss? Wer fällt durch seine Technik auf, wer durch kluge Pässe? Dieser subjektive Eindruck wird am Ende mit der objektiven Beurteilung durch handgestoppte Zeiten zusammengeführt. All diese Daten landen auf Bewertungszettel, der die Grundlage für die Entscheidung des Trainer-Quartetts bildet.

Das Urteil: Alle 22 dürfen wiederkommen, dürfen sich Ende Juni ein weiteres Mal beweisen. Auch Moritz, obwohl er mit sich nicht ganz zufrieden gewesen ist. „Das Dribbling hat nicht so gut geklappt“, sagt er. Bei den Trainern hat er indes einen guten Eindruck hinterlassen, gerade seine Spielübersicht ist positiv aufgefallen. Ob es arg kalt war? „Ging schon“, sagt der Junge. Nur die Hände, über die hat er lieber seine Joggingjacke gezogen.

Michael Dörr hat nicht gefroren. Es hat ihn wohl auch ein wenig erwärmt, dass er einige gute Spieler gesehen hat. „Für die Jungs ist das Training am Stützpunkt eine große Chance“, sagt er. „Wer diese Hürde nimmt und sich bewährt, dem stehen die Türen offen. Wenn alles optimal läuft, kann es der erste Schritt zur Fußballkarriere sein.“ Und begonnen hat sie dann vielleicht an einem kalten Tag in Alsfeld, Oberhessen.

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Hier in Alsfeld in der oberhessischen Provinz könnten an einem Abend im April die nächsten Fußballhelden entdeckt werden. Es nieselt, der Wind ist schneidend, der Kunstrasen war mal das Neueste vom Neuen, aber das ist schon einige Zeit her. Der Boden ist hart und seifig. Wie ein nasser Teppich. Immer wieder rutscht ein Spieler aus. Keine Bedingungen für rustikalen Körpereinsatz. Aber darum soll es an diesem unwirtlichen Tag auch nicht gehen.

Der Kicker von morgen soll schnell sein, gut am Ball, engagiert. Und er soll Spaß am Sport haben. Am DFB-Stützpunkt Alsfeld wird ausgebildet, wer beides hat: Talent und Freude.

„Nur so können die Trainingsinhalte richtig erlernt werden“, sagt Stützpunkttrainer Michael Dörr. Heute ist die Vorsichtung, im Fernsehen würde es wohl Casting heißen und in gut beheizten und beleuchteten Räumlichkeiten stattfinden. Das ist in Alsfeld anders. DFB.de

Parcours zum Üben

Moritz Rechmann ist einer von wenigen, die eine kurze Hose tragen. Trotz der Kälte. „Mache ich sonst ja auch“, sagt der 11-Jährige, der bei der TSG Kirtorf im zentralen Mittelfeld spielt, hinter den Spitzen, wo immer was los ist. Moritz hat in den Osterferien geübt, hat im Garten einen eigenen Parcours aufgebaut. Pass auf eine Steinwand, Ball annehmen, dribbeln und schießen. Ins Tor hatte er Säcke gestellt, „um Zielen zu üben“.

Heute soll sich das auszahlen, auch wenn er ein bisschen nervös ist. Doch er will Fußballer werden, und da ist das Training am Stützpunkt eine gute Sache. Weil es ihn weiterbringen könnte. Genau das will das Trainerteam Michael Dörr, Günter Stiebig, Hans-Georg Schlosser und Reinhold Göllner erreichen. „Doch es ist wichtig, dass das Training kindgerecht abläuft, deshalb haben wir auch alle mindestens die B-Lizenz“, sagt Dörr.

Die Balance aus Fordern und Fördern, aus Anfeuern und Zureden zu finden, ist die große Kunst im Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Und eines ist ganz klar, so Dörr: „Die Schule steht immer im Vordergrund. Nicht jedes Talent wird Nationalspieler, Profifußballer oder wird seinen Lebensunterhalt mit dem Fußballspielen bestreiten können.“

Talente für Deutschland: Sichtung in Alsfeld

366 DFB-Stützpunkte in Deutschland

Alsfeld ist einer von 366 DFB-Stützpunkten, die sich über das gesamte Bundesgebiet verteilen. Der Sportkreis Alsfeld verfügt über „viel Masse, was die Fläche angeht“, so Dörr, „aber wenig Bevölkerung, und kein Verein spielt im Jugendbereich höherklassig“.

Genau darum gibt es die Stützpunkte des DFB. Weil eben nicht jede Region an den Profifußball unmittelbar angeschlossen ist und es natürlich auch dort Talente gibt. Talente, die vielleicht erst auf den zweiten Blick auffallen, aber ebenso intensiv gefördert werden sollen. Eine Stützpunktteilnehmerin aus Alsfeld, Johanna Straube, hat es beim SC 07 Bad Neuenahr sogar schon auf Bundesliga-Einsätze gebracht.

Spielverständnis, Technik und Taktik vermitteln

Gesichtet und anschließend trainiert werden die Spieler am Stützpunkt in zwei Gruppen von um die 20 Spieler aus den Altersklassen U12/13 und U14/15. „Spielverständnis und Technik gehören zu den Basisübungen der 90 Minuten pro Woche am Stützpunkt“, sagt Günter Stiebig, der auch Sportlicher Leiter der Junioren von Kickers Offenbach ist. „Auch taktische Einheiten kommen dazu.“

Neben dem regelmäßigen umfangreichen Training ist aber noch eins wichtig: Durch die Arbeit an den Stützpunkten werden die meisten Talente zum ersten Mal erfasst - sonst wären sie womöglich durchs Sichtungssieb gefallen.

Ein großes Talent muss kein großer Spieler werden

Eine Gewähr, dass aus einem großen Talent auch ein großer Spieler wird, kann es gleichwohl nicht geben, das wissen die Trainer. Und das vermitteln sie auch den Eltern.

„Schulische Leistungen, soziale Veränderungen und die körperliche Entwicklung wirken sich sehr stark auf das Leistungspotenzial der jungen Talente aus - sowohl positiv als auch negativ“, heißt es auf einem Infoblatt, das den Eltern an die Hand gegeben wird. „Das ist bei allem Ehrgeiz immer zu beachten“, sagt Michael Dörr. Um so wichtiger sei die regelmäßige Sichtung.

Die besten 15 von 120 dürfen wiederkommen

Bereits Anfang des Jahres haben sich die Alsfelder Trainer in der Halle auf Talentsichtung begeben. Diese Einheit ist die zweite, Ende Juni folgt noch eine - der „Recall“ sozusagen, auch während der Saison schauen sich die Trainer Begegnungen der Jugendmannschaften der Region an. Zur Vorsichtung können alle Spieler des Jahrgangs 1999 aus dem Sportkreis Alsfeld kommen.

„Das wären etwa 100 bis 120 Spieler“, überschlägt Hans-Georg Schlosser. Die besten 15 aus der Region dürfen ab Sommer einmal in der Woche zum Stützpunkttraining kommen. Heute sind genau 22 angetreten, darunter zwei Mädchen, die sich und ihr Können unter Beweis stellen wollen. Vielleicht ist es dem einen oder anderen tatsächlich zu kalt gewesen.

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"Vieles sieht man schon recht rasch"

Die Sichtungskriterien sind klar. Die Spieler werden auf Schnelligkeit, Beidfüßigkeit, Gewandtheit, technische Fertigkeiten, Entwicklungsfähigkeit, Spielvermögen und ihre Freude am Spiel überprüft.

Eigentlich ziemlich viel für eine 90-Minuten-Einheit mit 22 Kindern. „Vieles sieht man schon recht rasch, daran, wie sich die Spieler bewegen, wie engagiert sie auftreten“, sagt Stiebig. Doch ein erster Blick will auch gestützt sein durch objektivere Eindrücke.

Vier Übungen ergeben einen Überblick vom Können der jungen Kicker: ein klassischer Sprint über 20 Meter, um Antritt und Schnelligkeit feststellen zu können; ein Lauf- sowie ein Dribblingtest durch einen Parcours zum Testen von Beweglichkeit und Ballfertigkeit. Und, zum Abschluss, ein Turnier, entweder Vier-gegen-Vier oder Sechs-gegen-Sechs mit Torwart - dafür gibt es auch noch eine eigene Trainingseinheit.

Was sagt der Bewertungszettel?

Die Trainer machen sich Notizen. Wer hatte eine gute Aktion? Wer hat einen guten Schuss? Wer fällt durch seine Technik auf, wer durch kluge Pässe? Dieser subjektive Eindruck wird am Ende mit der objektiven Beurteilung durch handgestoppte Zeiten zusammengeführt. All diese Daten landen auf Bewertungszettel, der die Grundlage für die Entscheidung des Trainer-Quartetts bildet.

Das Urteil: Alle 22 dürfen wiederkommen, dürfen sich Ende Juni ein weiteres Mal beweisen. Auch Moritz, obwohl er mit sich nicht ganz zufrieden gewesen ist. „Das Dribbling hat nicht so gut geklappt“, sagt er. Bei den Trainern hat er indes einen guten Eindruck hinterlassen, gerade seine Spielübersicht ist positiv aufgefallen. Ob es arg kalt war? „Ging schon“, sagt der Junge. Nur die Hände, über die hat er lieber seine Joggingjacke gezogen.

Michael Dörr hat nicht gefroren. Es hat ihn wohl auch ein wenig erwärmt, dass er einige gute Spieler gesehen hat. „Für die Jungs ist das Training am Stützpunkt eine große Chance“, sagt er. „Wer diese Hürde nimmt und sich bewährt, dem stehen die Türen offen. Wenn alles optimal läuft, kann es der erste Schritt zur Fußballkarriere sein.“ Und begonnen hat sie dann vielleicht an einem kalten Tag in Alsfeld, Oberhessen.