Schiedsrichter mit Pfiff: Männliche Emanze als Rarität

Sie gehören zum Spiel wie der Ball ins Tor. 80.000 Schiedsrichter sorgen auf Deutschlands Fußballplätzen für Recht und Ordnung. DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke stellt immer donnerstags Referees mit ungewöhnlichen Geschichten vor. Engagiert und unparteiisch - Schiedsrichter mit Pfiff!

Nicht mehr lange, dann wird auch diese Spezies ausgestorben sein. Wie die Dinosaurier und die Kurznasen-Maräne. Noch aber gibt es Exemplare seiner Gattung, wenn die Zahl der Mohikaner auch beständig kleiner wird. Einer von ihnen ist Andreas Weichert.

Er ist Schiedsrichter, wie 78.251 andere in Deutschland. Er ist Schiedsrichter-Lehrwart, schon seltener, aber noch keine Rarität. Etwas Besonderes bekommt seine Geschichte durch seine Rolle als Emanze. Als männliche Emanze, falls es so etwas gibt. Ball Paradox, in seinem Fall: Pfiff verkehrt herum.

Den Frauen hinterher pfeifen

Andreas Weichert ist einer der wenigen Schiedsrichter in Deutschland, der noch in höheren Ligen für Spiele von Frauenteams eingesetzt wird. In den obersten beiden Ligen werden die Spiele ausschließlich von Frauen geleitet, auch die Assistenten sind hier ausschließlich Assistentinnen. Ab der Regionalliga aber kommt es vor, dass Männer ganz ohne Anzüglichkeit den Damen hinterherpfeifen dürfen - als Schiedsrichter beim Frauenfußball.

Früher war dies ganz normal. 1991, im ersten Jahr der Frauen-Bundesliga, wurden insgesamt 122 Spiele von Männern geleitet. Auch international ging es zunächst nicht ohne Männer. Bei der ersten WM der Frauen im selben Jahr pfiffen überwiegend Männer, bei der nächsten WM 1995 hielt sich das Verhältnis der Geschlechter die Waage, ebenso bei den Olympischen Spielen ein Jahr später. Damals griff beim 0:0 der Amerikanerinnen gegen China sogar der mehrmalige Weltschiedsrichter Pierluigi Collina zur Pfeife.

In dessen Tradition steht also auch Andreas Weichert. Natürlich pfeift er nicht nur bei den Damen, natürlich ist er hauptsächlich bei Männerspielen im Einsatz. „Aber ab und zu mal ein Frauenspiel, schlecht ist das nicht“, sagt Weichert.

Schon früh Gefallen an den Schiedsrichtern

Seine Karriere begann, wie seine Einsätze bei den Frauen sind: ungewöhnlich. Sogar in mehrerer Hinsicht. Von seinem Vater, einem glühenden Anhänger des 1. FC Kaiserslautern, wurde er einst mit auf den Betzenberg geschleppt. Ende der 80er-Jahre, an den Gegner und die Saison kann sich Weichert nicht mehr erinnern. Zehn, elf Jahre sei er alt gewesen, fußballinteressiert, das ja, aber nicht übermäßig begeistert.

Was ihm gefallen hat, waren nicht in erster Linie die Tricks und Tore der Spieler, sondern die Macht der Schiedsrichter. Zwei Spieler wurden bei besagtem Spiel mit der Roten Karte des Feldes verwiesen, dem kleinen Andreas hat dies imponiert. „Papa, das will ich auch können“, sagt er damals.

Können konnte er allerdings erst später. Weichert musste warten bis er 13 Jahre alt wurde, dann meldete er sich zum Schiedsrichterkurs, erwarb den Schein und begann seine Karriere als Unparteiischer.

Mehr als 100 Einsätze pro Saison

Eher ungewöhnlich ist auch, dass er selber nie Fußball gespielt hat. Seine Vita widerlegt also die These, dass ein Schiedsrichter Fußballer gewesen sein muss, um als Unparteiischer gute Leistungen bringen zu können. „Ein Vorteil ist das bestimmt. Ich glaube schon, dass es Schiedsrichtern, die selber Fußballer waren, leichter fällt, sich in die Spieler hineinzuversetzen“, sagt Weichert.

Auch er aber hatte einen Vorteil, gerade weil er nicht selber gespielt hat: Zeit. In seiner Jugend hat er es auf viel mehr Einsätze gebracht als seine Kollegen aus der Schiedsrichtergruppe, die parallel zu ihrer Tätigkeit als Schiedsrichter noch selber gespielt haben. Mehr als 100 Einsätze pro Saison waren für ihn keine Seltenheit, in der Addition kommt der heute 31-Jährige auf mehr als 1500 Spiele.

Mittlerweile pfeift er in der Hessenliga, in der Regionalliga steht er an der Seitenlinie - weiterer Aufstieg nicht ausgeschlossen. Er hat den Nachteil also mit Fleiß und Hartnäckigkeit ausgeglichen und kann heute mit Fug und Recht von sich behaupten, die Mentalität der Spieler zu verstehen.

Frauenfußball "weniger schnell und weniger hart"

Und die der Spielerinnen? Sind ja auch Fußballer, einen großen Unterschied hat Weichert bisher nicht feststellen können. Nur, dass es bei den Damen meist fairer zu geht. „Es wird mehr Fußball gespielt“, sagt Weichert. Das Spiel sei weniger schnell und weniger hart, die Aufgabe für den Schiedsrichter deswegen zumeist ein wenig leichter.

Und wo macht das Schiedsen mehr Spaß? „Es kommt immer darauf an, wie das Spiel läuft. Ich habe schon sehr spannende Frauenspiele gepfiffen, die für mich mehr Spaß gemacht haben als Männerspiele“, sagt er.

Aufstiegschancen ausgeschlosssen - bei den Frauen

Highlight seiner Karriere bei den Frauen war ein Aufstiegspiel in die 2. Bundesliga der Frauen. 700 Zuschauer, tolle Stimmung, tolles Spiel. „Das war wirklich großartig“, sagt Weichert. Auch bei den Herren der Schöpfung habe er nicht viele Spiele geleitet, die für ihn ein ähnlich schönes Erlebnis gewesen seien.

Und? Findet er es deswegen schade, dass die Aufstiegschancen für Männer bei Frauenspielen ausgeschlossen sind. Ja. Und nein. „Ich würde schon gerne mal ein Spiel der Frauen-Bundesliga pfeifen“, sagt er. „Aber man muss akzeptieren, dass es Wünsche im Leben gibt, die sich nicht erfüllen lassen.“

Das meinen DFB.de-User:

"Ich finde es sehr schade, dass es für Männer ausgeschlossen ist, auch in der Frauenbundesliga zu pfeiffen. Damit wird auch hier wieder die Gleichstellung nicht ernst genommen. Mein Vorschlag: Quotiert die Schiedsrichterlisten in beiden Bundesligen. 25% der Schiedsrichter in der Frauenbundesliga Männer und umgekehrt. Noch besser wäre es, für beide Ligen eine Liste aufzustellen, wobei dass widerum auch problematisch sein könnte. Ich finde es trotzdem gut, dass es immer noch engagierte Schiedsrichter gibt. Ohne Sie könnte es keinen (fairen) Fußball geben. Hut ab!" (Quentin Wallschläger)

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Sie gehören zum Spiel wie der Ball ins Tor. 80.000 Schiedsrichter sorgen auf Deutschlands Fußballplätzen für Recht und Ordnung. DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke stellt immer donnerstags Referees mit ungewöhnlichen Geschichten vor. Engagiert und unparteiisch - Schiedsrichter mit Pfiff!

Nicht mehr lange, dann wird auch diese Spezies ausgestorben sein. Wie die Dinosaurier und die Kurznasen-Maräne. Noch aber gibt es Exemplare seiner Gattung, wenn die Zahl der Mohikaner auch beständig kleiner wird. Einer von ihnen ist Andreas Weichert.

Er ist Schiedsrichter, wie 78.251 andere in Deutschland. Er ist Schiedsrichter-Lehrwart, schon seltener, aber noch keine Rarität. Etwas Besonderes bekommt seine Geschichte durch seine Rolle als Emanze. Als männliche Emanze, falls es so etwas gibt. Ball Paradox, in seinem Fall: Pfiff verkehrt herum.

Den Frauen hinterher pfeifen

Andreas Weichert ist einer der wenigen Schiedsrichter in Deutschland, der noch in höheren Ligen für Spiele von Frauenteams eingesetzt wird. In den obersten beiden Ligen werden die Spiele ausschließlich von Frauen geleitet, auch die Assistenten sind hier ausschließlich Assistentinnen. Ab der Regionalliga aber kommt es vor, dass Männer ganz ohne Anzüglichkeit den Damen hinterherpfeifen dürfen - als Schiedsrichter beim Frauenfußball.

Früher war dies ganz normal. 1991, im ersten Jahr der Frauen-Bundesliga, wurden insgesamt 122 Spiele von Männern geleitet. Auch international ging es zunächst nicht ohne Männer. Bei der ersten WM der Frauen im selben Jahr pfiffen überwiegend Männer, bei der nächsten WM 1995 hielt sich das Verhältnis der Geschlechter die Waage, ebenso bei den Olympischen Spielen ein Jahr später. Damals griff beim 0:0 der Amerikanerinnen gegen China sogar der mehrmalige Weltschiedsrichter Pierluigi Collina zur Pfeife.

In dessen Tradition steht also auch Andreas Weichert. Natürlich pfeift er nicht nur bei den Damen, natürlich ist er hauptsächlich bei Männerspielen im Einsatz. „Aber ab und zu mal ein Frauenspiel, schlecht ist das nicht“, sagt Weichert.

Schon früh Gefallen an den Schiedsrichtern

Seine Karriere begann, wie seine Einsätze bei den Frauen sind: ungewöhnlich. Sogar in mehrerer Hinsicht. Von seinem Vater, einem glühenden Anhänger des 1. FC Kaiserslautern, wurde er einst mit auf den Betzenberg geschleppt. Ende der 80er-Jahre, an den Gegner und die Saison kann sich Weichert nicht mehr erinnern. Zehn, elf Jahre sei er alt gewesen, fußballinteressiert, das ja, aber nicht übermäßig begeistert.

Was ihm gefallen hat, waren nicht in erster Linie die Tricks und Tore der Spieler, sondern die Macht der Schiedsrichter. Zwei Spieler wurden bei besagtem Spiel mit der Roten Karte des Feldes verwiesen, dem kleinen Andreas hat dies imponiert. „Papa, das will ich auch können“, sagt er damals.

Können konnte er allerdings erst später. Weichert musste warten bis er 13 Jahre alt wurde, dann meldete er sich zum Schiedsrichterkurs, erwarb den Schein und begann seine Karriere als Unparteiischer.

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Mehr als 100 Einsätze pro Saison

Eher ungewöhnlich ist auch, dass er selber nie Fußball gespielt hat. Seine Vita widerlegt also die These, dass ein Schiedsrichter Fußballer gewesen sein muss, um als Unparteiischer gute Leistungen bringen zu können. „Ein Vorteil ist das bestimmt. Ich glaube schon, dass es Schiedsrichtern, die selber Fußballer waren, leichter fällt, sich in die Spieler hineinzuversetzen“, sagt Weichert.

Auch er aber hatte einen Vorteil, gerade weil er nicht selber gespielt hat: Zeit. In seiner Jugend hat er es auf viel mehr Einsätze gebracht als seine Kollegen aus der Schiedsrichtergruppe, die parallel zu ihrer Tätigkeit als Schiedsrichter noch selber gespielt haben. Mehr als 100 Einsätze pro Saison waren für ihn keine Seltenheit, in der Addition kommt der heute 31-Jährige auf mehr als 1500 Spiele.

Mittlerweile pfeift er in der Hessenliga, in der Regionalliga steht er an der Seitenlinie - weiterer Aufstieg nicht ausgeschlossen. Er hat den Nachteil also mit Fleiß und Hartnäckigkeit ausgeglichen und kann heute mit Fug und Recht von sich behaupten, die Mentalität der Spieler zu verstehen.

Frauenfußball "weniger schnell und weniger hart"

Und die der Spielerinnen? Sind ja auch Fußballer, einen großen Unterschied hat Weichert bisher nicht feststellen können. Nur, dass es bei den Damen meist fairer zu geht. „Es wird mehr Fußball gespielt“, sagt Weichert. Das Spiel sei weniger schnell und weniger hart, die Aufgabe für den Schiedsrichter deswegen zumeist ein wenig leichter.

Und wo macht das Schiedsen mehr Spaß? „Es kommt immer darauf an, wie das Spiel läuft. Ich habe schon sehr spannende Frauenspiele gepfiffen, die für mich mehr Spaß gemacht haben als Männerspiele“, sagt er.

Aufstiegschancen ausgeschlosssen - bei den Frauen

Highlight seiner Karriere bei den Frauen war ein Aufstiegspiel in die 2. Bundesliga der Frauen. 700 Zuschauer, tolle Stimmung, tolles Spiel. „Das war wirklich großartig“, sagt Weichert. Auch bei den Herren der Schöpfung habe er nicht viele Spiele geleitet, die für ihn ein ähnlich schönes Erlebnis gewesen seien.

Und? Findet er es deswegen schade, dass die Aufstiegschancen für Männer bei Frauenspielen ausgeschlossen sind. Ja. Und nein. „Ich würde schon gerne mal ein Spiel der Frauen-Bundesliga pfeifen“, sagt er. „Aber man muss akzeptieren, dass es Wünsche im Leben gibt, die sich nicht erfüllen lassen.“

Das meinen DFB.de-User:

"Ich finde es sehr schade, dass es für Männer ausgeschlossen ist, auch in der Frauenbundesliga zu pfeiffen. Damit wird auch hier wieder die Gleichstellung nicht ernst genommen. Mein Vorschlag: Quotiert die Schiedsrichterlisten in beiden Bundesligen. 25% der Schiedsrichter in der Frauenbundesliga Männer und umgekehrt. Noch besser wäre es, für beide Ligen eine Liste aufzustellen, wobei dass widerum auch problematisch sein könnte. Ich finde es trotzdem gut, dass es immer noch engagierte Schiedsrichter gibt. Ohne Sie könnte es keinen (fairen) Fußball geben. Hut ab!" (Quentin Wallschläger)