Gehörloser Schiri gibt Bezirksliga-Debüt

Er stammt aus einer Familie gehörloser Spitzensportler und ist ein wenig aus der Art geschlagen: Vater Rudolf und die Brüder Alberto und Tobias haben internationale Einsätze im Wasserball zu verzeichnen, die Mutter gehörte dem Volleyball-A-Kader an und Bruder Roberto ist aktuell Mitglied der Basketballnationalmannschaft des Deutschen Gehörlosen-Sportverbandes. Nur Ricardo Scheuerer ist kein aktiver Sportler. Für ihn stehen beruflich, zurzeit absolviert er eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten im dritten Lehrjahr, und vor allem auch im Sport Regeln und Fairness im Vordergrund. Und so hat er sich konsequent für eine Laufbahn als Fußballschiedsrichter entschieden.

Angefangen hat alles vor sechs Jahren, als sich Ricardo Scheuerer auf einen Aufruf im Internet meldete und mit 15 seinen ersten Schiedsrichterschein machte. Seitdem hat er laut Jörg Wehling vom Berliner Fußball-Verband eine starke Entwicklung genommen. Anfängliche Bedenken, ob ein gehörloser Schiedsrichter in der oft rauen Atmosphäre der Kreisligen zu Recht käme, hat Scheuerer durch sein entschlossenes Auftreten zerstreut und ist zu einem allseits akzeptierten Mitglied der Berliner Schiedsrichtergilde geworden. Selbst als er in der Kreisliga A ein Spiel vorzeitig abbrechen musste und dabei massiv angefeindet wurde, wurde er für sein umsichtiges, professionelles Auftreten gelobt.

Seine ausgezeichnete Leistungen wurden erst vor wenigen Wochen vom Berliner Schiedsrichterausschuss gewürdigt: In der jetzt anstehenden Saison steigt er von der Kreisliga A in die Bezirksliga auf und leitet dort an diesem Sonntag um 14.30 Uhr seine erste Partie in dieser Spielklasse zwischen dem TSV Rudow II und SV Blau Gelb Berlin. Scheuerer freut sich auf diese Herausforderung und ist sicher, sie zu meistern.

In Berlin findet er ideale Rahmenbedingungen vor. Der BFV unterstützt ihn außerordentlich. Er gehört der Fördergruppe 2 an, wird von erfahrenen Schiedsrichtern beobachtet und monatlich zu speziellen Themen geschult. Dabei übernimmt der Verband einen erheblichen Teil der Kosten für Gebärdensprachdolmetscher, ohne deren Einsatz die Weiterbildung eines Gehörlosen nicht möglich wäre.

Aber neben dem idealen Umfeld ist es vor allem sein ungewöhnlicher Ehrgeiz, der ihn weiterbringt. Er investiert sehr viel Zeit und Energie in sein Hobby und bringt als 20-Jähriger entscheidende persönliche Eigenschaften für einen Schiedsrichter mit. Im internationalen Gehörlosen-Fußball erreichte seine Karriere im Juni 2015 einen ersten Höhepunkt, als er bei der Europameisterschaft der Gehörlosen in Hannover eingesetzt wurde.

Der Schiedsrichterverantwortliche der EM, Wolfgang Mierswa vom DFB-Schiedsrichterausschuss, beurteilt seine Leistungen bei der „EuroDeaf 2015“ sehr positiv: „Ricardo Scheuerer zeichnet sich durch eine selbstbewusste, sehr gute Körpersprache aus, verfügt über eine ausgezeichnete Zweikampfbewertung und ist vor allem körperlich topfit. Einzig Erfahrung fehlt ihm noch, aber die wird er sich als erst 20-Jähriger im Laufe der nächsten Jahre schon aneignen.“ Eine Beurteilung, der sich auch Jörg Wehling vom Schiedsrichterausschuss des Berliner Fußballverbandes voll anschließen kann.

Ricardo Scheuerer ist dem BFV, vor allem aber auch seiner Familie und Freundin, für deren uneingeschränkte Unterstützung sehr dankbar. Letztere wird auch in Zukunft häufig auf ihren Partner verzichten müssen, denn bei seiner hohen Motivation ist nicht zu befürchten, dass er sich auf den bisherigen Erfolgen ausruht. Er selbst gibt als Ziel im internationalen Gehörlosen-Fußball an, bei den Deaflympics, die Olympischen Spiele der Gehrlosen, Spiele leiten zu wollen. Und im Fußball der Hörenden will er es bis zur Oberliga bringen.