Zum Tode von Tilkowski: Wembley-Tor, Werbestar und Wohltäter

Zu den Sportlern, deren Karriere sich auf eine Szene, einen historischen Moment, reduzieren lässt, ob glücklich oder nicht, gehörte seit mehr als 50 Jahren der Fußballtorwart Hans Tilkowski. Seit jenem 30. Juli 1966, als im WM-Finale zwischen England und Deutschland das berühmte Wembley-Tor fiel, war auch er quasi unsterblich. In der Rolle des um den Sieg betrogenen Opfers. "Ich komme selbst nachts nicht zur Ruhe, noch im Traum muss ich die Frage beantworten, ob der Ball drin war", sagte er einmal.

Das legte sich erst etwas, als sich die technischen Möglichkeiten verbesserten. Heute zweifelt kaum jemand mehr daran, dass der Schuss von Geoffrey Hurst in der 101. Minute zum 3:2 für England nicht im Tor war. Reihenweise kippten auch die Engländer um. Alan Ball gestand Hans Tilkowski 1981 als Erster: "Hans, it was no goal!" Bobby Moore zog 1991 nach, und selbst Geoff Hurst gab 2001 zu: "Nachdem ich jahrzehntelang alle Argumente gehört und die Zeitlupenwiederholung hunderte Male im Fernsehen gesehen habe, muss ich einräumen, dass es so aussieht, als habe der Ball nicht die Linie überschritten."

Nun ist Hans Tilkowski, der 39-mal das Tor der Nationalmannschaft hütete, im Alter von 84 Jahren gestorben. DFB-Präsident Fritz Keller erklärt: "Für mich gehört er zu den größten Persönlichkeiten des deutschen Fußballs, sein Tod ist für den DFB und die Fußballfamilie ein schmerzlicher Verlust."

"Großer Sportler, großartiger Mensch"

Warum ist das so, wer war Hans Tilkowski? Sicher mehr als nur ein Torwart, der ein Tor hinnehmen musste, das keins war. Der kicker betitelte eine Würdigung zum 80. Geburtstag so: "Großer Sportler, großartiger Mensch." Der Sportler Tilkowski war der erste deutsche Keeper seiner Zunft, der Fußballer des Jahres wurde (1965) und einen Europapokal (1966 mit Borussia Dortmund) gewann.

Mit 21 debütierte er bereits in der Nationalmannschaft, da hielt er noch den Kasten von Westfalia Herne weitgehend sauber. Sauber genug jedenfalls, dass sie das Vereinsheim nach ihm benannten. 23 Gegentore in der Saison 1958/1959 markierten einen Oberligarekord. Kein Wunder also, dass "der schöne Hans" ein Publikumsliebling im Stadion am Schloß Strünkede war und auf einem Transparent einmal stand: "Tilkowski hält heut wunderbar, darum siegt Westfalia."

Mit ihr wurde er 1959 Meister der Oberliga West und erreichte zweimal die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft. Es war die größte Zeit des heute viertklassigen Klubs, und sie endete mit seinem Abgang.

Ausgebootet bei WM 1962, dann ausgesöhnt mit Herberger

Denn als die Bundesliga gegründet wurde, zog es Tilkowski 1963 zum BVB. Er bestritt 121 Einsätze, davon 40 am Karriereende für Eintracht Frankfurt. Später versuchte er im Oberhaus etwas weniger erfolgreich sein Glück als Trainer, unter anderem bei Werder Bremen. Hans Tilkowski war auch einer der ersten Fußballer, die von der Werbung entdeckt wurden, und schon vor Franz Beckenbauer pries er die Rindfleischsuppe von Knorr an. Auf dem Platz bot er kein Spektakel, galt dafür als "König des Stellungsspiels". Er strahlte Ruhe aus wie nur wenige.

Aus der Haut fuhr er nur einmal, und wieder schrieb er Geschichte. Hans Tilkowski löste bei der WM 1962 den ersten großen Torwartzoff bei der Nationalmannschaft aus, nachdem ihn Bundestrainer Sepp Herberger unmittelbar vor Turnierbeginn in Chile gegen den unerfahrenen Zweitligakeeper Wolfgang Fahrian ausgetauscht hatte. Die Legende sagt, Tilkowski habe vor Wut das Hotelzimmer zerlegt und jahrelang nicht mehr mit Herberger gesprochen. Es war nur halb so schlimm: In Chile waren die Zimmer so spartanisch, "da war nicht viel zu zerlegen", witzelte er später.

Und nach seiner Aussöhnung mit Herberger, der allerdings überlegt hatte, ihn wegen eines rufschädigenden Interviews zu verklagen, schickte Tilkowski ihm schon zu Weihnachten 1963 eine Karte, und "später verstanden wir uns besser als zuvor".

Hans hilft: "Entscheidend is nich' nur aufm Platz"

Das führt uns zum Menschen Hans Tilkowski, der den Blick über den Tellerrand nie gescheut hat. Seine wichtigsten Werte hießen "Glaubwürdigkeit, Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Respekt" - und danach lebte der Bergmannssohn. Sein Engagement bei zahlreichen Benefizveranstaltungen brachte ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande (1991), das Bundesverdienstkreuz I. Klasse (2008) und den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen (2000) ein.

Ob für das Kinderhilfswerk UNICEF, die Leukämie-Forschung, eine Kinderkrebsklinik in Leipzig oder zuletzt die Aids-Hilfe Düsseldorf - Tilkowskis Name öffnete Türen, Herzen und Geldbörsen. In seiner Biografie berichtete er davon, wie er auf sanften Druck seiner Luise - "Hans, da musst du was machen" - 200.000 Mark zusammentrieb und die davon gekauften Gerätschaften und Spielwaren selbst nach Leipzig fuhr. Denn, da musste er BVB-Idol Adi Preißler mal widersprechen, "entscheidend is nich' nur aufm Platz".

Zwar in einem Dortmunder Vorort namens Husen am 12. Juli 1935 geboren, war er doch in Herne zuhause - mit Frau Luise und drei Kindern - und blieb es bis zuletzt. Er war der berühmteste Sohn der Stadt, selbst eine Schule trägt dort seinen Namen. Das war die eine Konstante seines Lebens. Die andere kennt jedes Kind, und sie trägt auch den Namen seiner Biografie: "Und ewig fällt das Wembley-Tor." Davon kann er nun an einem anderen Ort erzählen, aber auch dort werden sie die Geschichte schon mal gehört haben.

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Zu den Sportlern, deren Karriere sich auf eine Szene, einen historischen Moment, reduzieren lässt, ob glücklich oder nicht, gehörte seit mehr als 50 Jahren der Fußballtorwart Hans Tilkowski. Seit jenem 30. Juli 1966, als im WM-Finale zwischen England und Deutschland das berühmte Wembley-Tor fiel, war auch er quasi unsterblich. In der Rolle des um den Sieg betrogenen Opfers. "Ich komme selbst nachts nicht zur Ruhe, noch im Traum muss ich die Frage beantworten, ob der Ball drin war", sagte er einmal.

Das legte sich erst etwas, als sich die technischen Möglichkeiten verbesserten. Heute zweifelt kaum jemand mehr daran, dass der Schuss von Geoffrey Hurst in der 101. Minute zum 3:2 für England nicht im Tor war. Reihenweise kippten auch die Engländer um. Alan Ball gestand Hans Tilkowski 1981 als Erster: "Hans, it was no goal!" Bobby Moore zog 1991 nach, und selbst Geoff Hurst gab 2001 zu: "Nachdem ich jahrzehntelang alle Argumente gehört und die Zeitlupenwiederholung hunderte Male im Fernsehen gesehen habe, muss ich einräumen, dass es so aussieht, als habe der Ball nicht die Linie überschritten."

Nun ist Hans Tilkowski, der 39-mal das Tor der Nationalmannschaft hütete, im Alter von 84 Jahren gestorben. DFB-Präsident Fritz Keller erklärt: "Für mich gehört er zu den größten Persönlichkeiten des deutschen Fußballs, sein Tod ist für den DFB und die Fußballfamilie ein schmerzlicher Verlust."

"Großer Sportler, großartiger Mensch"

Warum ist das so, wer war Hans Tilkowski? Sicher mehr als nur ein Torwart, der ein Tor hinnehmen musste, das keins war. Der kicker betitelte eine Würdigung zum 80. Geburtstag so: "Großer Sportler, großartiger Mensch." Der Sportler Tilkowski war der erste deutsche Keeper seiner Zunft, der Fußballer des Jahres wurde (1965) und einen Europapokal (1966 mit Borussia Dortmund) gewann.

Mit 21 debütierte er bereits in der Nationalmannschaft, da hielt er noch den Kasten von Westfalia Herne weitgehend sauber. Sauber genug jedenfalls, dass sie das Vereinsheim nach ihm benannten. 23 Gegentore in der Saison 1958/1959 markierten einen Oberligarekord. Kein Wunder also, dass "der schöne Hans" ein Publikumsliebling im Stadion am Schloß Strünkede war und auf einem Transparent einmal stand: "Tilkowski hält heut wunderbar, darum siegt Westfalia."

Mit ihr wurde er 1959 Meister der Oberliga West und erreichte zweimal die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft. Es war die größte Zeit des heute viertklassigen Klubs, und sie endete mit seinem Abgang.

Ausgebootet bei WM 1962, dann ausgesöhnt mit Herberger

Denn als die Bundesliga gegründet wurde, zog es Tilkowski 1963 zum BVB. Er bestritt 121 Einsätze, davon 40 am Karriereende für Eintracht Frankfurt. Später versuchte er im Oberhaus etwas weniger erfolgreich sein Glück als Trainer, unter anderem bei Werder Bremen. Hans Tilkowski war auch einer der ersten Fußballer, die von der Werbung entdeckt wurden, und schon vor Franz Beckenbauer pries er die Rindfleischsuppe von Knorr an. Auf dem Platz bot er kein Spektakel, galt dafür als "König des Stellungsspiels". Er strahlte Ruhe aus wie nur wenige.

Aus der Haut fuhr er nur einmal, und wieder schrieb er Geschichte. Hans Tilkowski löste bei der WM 1962 den ersten großen Torwartzoff bei der Nationalmannschaft aus, nachdem ihn Bundestrainer Sepp Herberger unmittelbar vor Turnierbeginn in Chile gegen den unerfahrenen Zweitligakeeper Wolfgang Fahrian ausgetauscht hatte. Die Legende sagt, Tilkowski habe vor Wut das Hotelzimmer zerlegt und jahrelang nicht mehr mit Herberger gesprochen. Es war nur halb so schlimm: In Chile waren die Zimmer so spartanisch, "da war nicht viel zu zerlegen", witzelte er später.

Und nach seiner Aussöhnung mit Herberger, der allerdings überlegt hatte, ihn wegen eines rufschädigenden Interviews zu verklagen, schickte Tilkowski ihm schon zu Weihnachten 1963 eine Karte, und "später verstanden wir uns besser als zuvor".

Hans hilft: "Entscheidend is nich' nur aufm Platz"

Das führt uns zum Menschen Hans Tilkowski, der den Blick über den Tellerrand nie gescheut hat. Seine wichtigsten Werte hießen "Glaubwürdigkeit, Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Respekt" - und danach lebte der Bergmannssohn. Sein Engagement bei zahlreichen Benefizveranstaltungen brachte ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande (1991), das Bundesverdienstkreuz I. Klasse (2008) und den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen (2000) ein.

Ob für das Kinderhilfswerk UNICEF, die Leukämie-Forschung, eine Kinderkrebsklinik in Leipzig oder zuletzt die Aids-Hilfe Düsseldorf - Tilkowskis Name öffnete Türen, Herzen und Geldbörsen. In seiner Biografie berichtete er davon, wie er auf sanften Druck seiner Luise - "Hans, da musst du was machen" - 200.000 Mark zusammentrieb und die davon gekauften Gerätschaften und Spielwaren selbst nach Leipzig fuhr. Denn, da musste er BVB-Idol Adi Preißler mal widersprechen, "entscheidend is nich' nur aufm Platz".

Zwar in einem Dortmunder Vorort namens Husen am 12. Juli 1935 geboren, war er doch in Herne zuhause - mit Frau Luise und drei Kindern - und blieb es bis zuletzt. Er war der berühmteste Sohn der Stadt, selbst eine Schule trägt dort seinen Namen. Das war die eine Konstante seines Lebens. Die andere kennt jedes Kind, und sie trägt auch den Namen seiner Biografie: "Und ewig fällt das Wembley-Tor." Davon kann er nun an einem anderen Ort erzählen, aber auch dort werden sie die Geschichte schon mal gehört haben.

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