Zum 75. Geburtstag: Grabowski und die goldenen Siebziger

Sein Abgang war scheinbar perfekt. Am 30. Geburtstag wurde Jürgen Grabowski Weltmeister, da trat er aus der Nationalmannschaft zurück. Wie man das eben so machen soll – gehen, wenn es am schönsten ist. Heute wird er 75 und zweifelt daran, ob es wirklich richtig war. Anlässlich seines runden Geburtstags blickt der wohl größte Spieler von Eintracht Frankfurt auf seine Karriere zurück, vor allem auf seine Zeit im DFB-Trikot. Eine Reise, die zu drei Weltmeisterschaften und einer Europameisterschaft führt – direkt in die goldenen Siebziger des deutschen Fußballs.

Jürgen Grabowski über...

... sein größtes Spiel: Natürlich das WM-Finale 1974 in München gegen die Niederländer an meinem 30. Geburtstag. Das Gefühl nach dem Abpfiff war unbeschreiblich, es war die totale Begeisterung. Ich dachte: "Mir gehört die Welt!" Aber ich will auch die Pokalsiege mit der Eintracht 1974 und 1975 nicht unerwähnt lassen. Beim UEFA-Cup-Sieg 1980 war die Freude eine andere, da ich das Finale wegen meiner Verletzung nicht mehr spielen konnte.

... seinen Tiefpunkt: Das war das DDR-Spiel bei der WM 1974 in Hamburg, weil ich danach aus der Mannschaft flog. Es heißt immer, dass Franz Beckenbauer die Aufstellung für das nächste Spiel gemacht hat. Ich habe ihn damals gefragt, ob das stimme und er hat sich so ein bisschen rausgewunden. Das habe ich ihm geglaubt und es war auch besser so, dass er so geantwortet hat. Wenn er es zugegeben hätte, hätte ich nicht gewusst, wie ich dann noch mit ihm hätte umgehen sollen.

... sein wichtigstes Tor: Das war gegen die Schweden in Düsseldorf, als ich rein kam und das 3:2 schoss. Da hat mir der liebe Gott geholfen, und ich war wieder drin in der Mannschaft, die dann in München Weltmeister wurde.

... die Wahrheit über seinen Rücktritt 1974: Die Legende hält sich weiterhin, dass einige von uns wegen des Ärgers um die Frauen beim Bankett aufhörten. Dabei wussten wir schon vor dem Finale, dass sie nicht dabei sein durften. Das war also kein Grund. Ich habe mir das reiflich überlegt und mich ein paar Wochen nach dem Endspiel dazu entschlossen aufzuhören. Natürlich weil es ein perfektes Ende zu sein schien, aber auch weil ich in der Nationalmannschaft nie so ganz zufrieden war. Das Spiel lief fast immer durch die Mitte, wir hatten ja große Spielmacher mit Netzer oder Overath – und wenn Beckenbauer nach vorne kam, spielte er mit Müller Doppelpass. Auf den Flügeln bekam man sehr wenig Bälle und wenn dann mal einer kam, musstest du was daraus machen. Ich habe mich in der Rolle nicht sehr wohl gefühlt – aber so war der Fußball damals. Heute lässt man den Ball laufen, früher lief man mit dem Ball. Ich bin mir jetzt aber nicht mehr sicher, ob es richtig war, mit 30 aufzuhören.

... sein Fast-Comeback: Meine beste Zeit hatte ich eigentlich, nachdem ich nicht mehr für Deutschland spielte. Bei der Eintracht hatte ich eine ganz andere Rolle im Mittelfeld. Kurz vor der WM 1978 wollte mich Bundestrainer Helmut Schön deshalb zurückholen, ich war fast 34. Es kostete mich einige schlaflose Nächte, ehe ich zu ihm nach Wiesbaden fuhr und persönlich absagte. Wir hatten so ein gutes Verhältnis, dass es mir umso schwerer fiel, aber ich hielt es für richtig.

... seine Tribünen-WM: Ich war erst neun Monate in der Bundesliga, da gab ich schon mein Länderspieldebüt und Helmut Schön nahm mich dann auch noch mit zur WM nach England. Damals durfte man nicht auswechseln und so hockte ich bei allen sechs Spielen auf der Tribüne, aber das war für mich damals gar nicht schlimm. Mitzufahren war schon eine Auszeichnung und jeder Tag, jedes Training mit Leuten wie Uwe Seeler, Helmut Haller oder Franz Beckenbauer war etwas Besonderes. Und wenn Co-Trainer Dettmar Cramer zu uns gesprochen hat, stand mir jungem Kerl vor Staunen der Mund offen. Es war alles sehr lehrreich.

... die Hitze von Mexiko: Mexiko 1970 war eigentlich die schönste WM. Wir waren weit weg von zu Hause und hatten trotzdem nur Heimspiele, weil die Mexikaner so deutschfreundlich waren. Ich war damals nicht gesetzt und duellierte mich mit dem Schalker "Stan" Libuda um den Rechtsaußenposten. Helmut Schön legte uns trotzdem auf ein Zimmer und wir haben uns wunderbar verstanden, es gab keinen Streit, keinen Neid – wir hatten ein Superverhältnis. Bis auf das Jahrhundertspiel gegen Italien haben wir alles gewonnen und von dem 3:4 reden die Leute heute noch. Ich habe die Flanke auf Schnellinger gegeben, das kommt mir eigentlich etwas zu kurz in der Betrachtung, das war gar nicht so einfach mit links so dicht an der Eckfahne um den Verteidiger rum. Die Hitze hat mir an dem Tag gar nichts ausgemacht, ich war voller Adrenalin bei dem verrückten Spielverlauf und hab dem Helmut Schön noch versprochen: "Ich marschiere nach vorne und auch wieder zurück – kein Problem." Als wir es dann verloren hatten, flossen auch bei mir ein paar Tränen. Wir waren sehr enttäuscht, für diesen großen Kampf nicht belohnt worden zu sein.

... seinen EM-Frust: Ich darf mich auch Europameister nennen und mittlerweile trage ich das voller Stolz mit mir. Von zehn Spielen habe ich auf dem Weg zum Titel 1972 ja achteinhalb gemacht, unter anderem das legendäre 3:1 von Wembley. Dann kam das Testspiel gegen die Russen in München und Helmut Schön ließ mich draußen mit den Worten: "Jürgen, schon' dich für die EM! Doch Erwin Kremers spielte sich an dem Tag in die Elf und so war ich bei der Endrunde in Belgien nur Reservist, hatte einen Joker-Einsatz im Halbfinale, beim Finale sah ich zu und war schon sauer. Es kann eben ein Nachteil sein, wenn du der einzige Vertreter deines Vereins bist und auch die örtliche Presse nicht für dich eintritt. Aber ich will nicht nachtreten, es ist alles lange her.

... seine Treue zur Eintracht: Ich bin 1965 von Biebrich zur SGE gewechselt, immer dort geblieben und das war schon richtig so. 1968 warben bekanntlich die Bayern um mich, Manager Robert Schwan saß in meinem Beisein mit unserem Präsidenten Robert Gramlich zusammen. Ich war regelrecht erleichtert, dass der Gramlich damals nicht gesagt hat: "Okay, der Grabi kann gehen." Ich habe halt doch eine gewisse Heimatverbundenheit.

Fakten zu Jürgen Grabowski

44 A-Länderspiele von 1966 bis 1974, 5 Tore
1 Amateurländerspiel 1965
1 Juniorenländerspiel 1967
1x Europaauswahl
1x Weltauswahl

441 Bundesligaspiele von 1965 bis 1980, 109 Tore
40 Europapokalspiele, 9 Tore
45 DFB-Pokalspiele, 19 Tore

Erfolge:

Weltmeister 1974
Europameister 1972
DFB-Pokalsieger 1974, 1975
UEFA-Pokalsieger 1980

[um]

Sein Abgang war scheinbar perfekt. Am 30. Geburtstag wurde Jürgen Grabowski Weltmeister, da trat er aus der Nationalmannschaft zurück. Wie man das eben so machen soll – gehen, wenn es am schönsten ist. Heute wird er 75 und zweifelt daran, ob es wirklich richtig war. Anlässlich seines runden Geburtstags blickt der wohl größte Spieler von Eintracht Frankfurt auf seine Karriere zurück, vor allem auf seine Zeit im DFB-Trikot. Eine Reise, die zu drei Weltmeisterschaften und einer Europameisterschaft führt – direkt in die goldenen Siebziger des deutschen Fußballs.

Jürgen Grabowski über...

... sein größtes Spiel: Natürlich das WM-Finale 1974 in München gegen die Niederländer an meinem 30. Geburtstag. Das Gefühl nach dem Abpfiff war unbeschreiblich, es war die totale Begeisterung. Ich dachte: "Mir gehört die Welt!" Aber ich will auch die Pokalsiege mit der Eintracht 1974 und 1975 nicht unerwähnt lassen. Beim UEFA-Cup-Sieg 1980 war die Freude eine andere, da ich das Finale wegen meiner Verletzung nicht mehr spielen konnte.

... seinen Tiefpunkt: Das war das DDR-Spiel bei der WM 1974 in Hamburg, weil ich danach aus der Mannschaft flog. Es heißt immer, dass Franz Beckenbauer die Aufstellung für das nächste Spiel gemacht hat. Ich habe ihn damals gefragt, ob das stimme und er hat sich so ein bisschen rausgewunden. Das habe ich ihm geglaubt und es war auch besser so, dass er so geantwortet hat. Wenn er es zugegeben hätte, hätte ich nicht gewusst, wie ich dann noch mit ihm hätte umgehen sollen.

... sein wichtigstes Tor: Das war gegen die Schweden in Düsseldorf, als ich rein kam und das 3:2 schoss. Da hat mir der liebe Gott geholfen, und ich war wieder drin in der Mannschaft, die dann in München Weltmeister wurde.

... die Wahrheit über seinen Rücktritt 1974: Die Legende hält sich weiterhin, dass einige von uns wegen des Ärgers um die Frauen beim Bankett aufhörten. Dabei wussten wir schon vor dem Finale, dass sie nicht dabei sein durften. Das war also kein Grund. Ich habe mir das reiflich überlegt und mich ein paar Wochen nach dem Endspiel dazu entschlossen aufzuhören. Natürlich weil es ein perfektes Ende zu sein schien, aber auch weil ich in der Nationalmannschaft nie so ganz zufrieden war. Das Spiel lief fast immer durch die Mitte, wir hatten ja große Spielmacher mit Netzer oder Overath – und wenn Beckenbauer nach vorne kam, spielte er mit Müller Doppelpass. Auf den Flügeln bekam man sehr wenig Bälle und wenn dann mal einer kam, musstest du was daraus machen. Ich habe mich in der Rolle nicht sehr wohl gefühlt – aber so war der Fußball damals. Heute lässt man den Ball laufen, früher lief man mit dem Ball. Ich bin mir jetzt aber nicht mehr sicher, ob es richtig war, mit 30 aufzuhören.

... sein Fast-Comeback: Meine beste Zeit hatte ich eigentlich, nachdem ich nicht mehr für Deutschland spielte. Bei der Eintracht hatte ich eine ganz andere Rolle im Mittelfeld. Kurz vor der WM 1978 wollte mich Bundestrainer Helmut Schön deshalb zurückholen, ich war fast 34. Es kostete mich einige schlaflose Nächte, ehe ich zu ihm nach Wiesbaden fuhr und persönlich absagte. Wir hatten so ein gutes Verhältnis, dass es mir umso schwerer fiel, aber ich hielt es für richtig.

... seine Tribünen-WM: Ich war erst neun Monate in der Bundesliga, da gab ich schon mein Länderspieldebüt und Helmut Schön nahm mich dann auch noch mit zur WM nach England. Damals durfte man nicht auswechseln und so hockte ich bei allen sechs Spielen auf der Tribüne, aber das war für mich damals gar nicht schlimm. Mitzufahren war schon eine Auszeichnung und jeder Tag, jedes Training mit Leuten wie Uwe Seeler, Helmut Haller oder Franz Beckenbauer war etwas Besonderes. Und wenn Co-Trainer Dettmar Cramer zu uns gesprochen hat, stand mir jungem Kerl vor Staunen der Mund offen. Es war alles sehr lehrreich.

... die Hitze von Mexiko: Mexiko 1970 war eigentlich die schönste WM. Wir waren weit weg von zu Hause und hatten trotzdem nur Heimspiele, weil die Mexikaner so deutschfreundlich waren. Ich war damals nicht gesetzt und duellierte mich mit dem Schalker "Stan" Libuda um den Rechtsaußenposten. Helmut Schön legte uns trotzdem auf ein Zimmer und wir haben uns wunderbar verstanden, es gab keinen Streit, keinen Neid – wir hatten ein Superverhältnis. Bis auf das Jahrhundertspiel gegen Italien haben wir alles gewonnen und von dem 3:4 reden die Leute heute noch. Ich habe die Flanke auf Schnellinger gegeben, das kommt mir eigentlich etwas zu kurz in der Betrachtung, das war gar nicht so einfach mit links so dicht an der Eckfahne um den Verteidiger rum. Die Hitze hat mir an dem Tag gar nichts ausgemacht, ich war voller Adrenalin bei dem verrückten Spielverlauf und hab dem Helmut Schön noch versprochen: "Ich marschiere nach vorne und auch wieder zurück – kein Problem." Als wir es dann verloren hatten, flossen auch bei mir ein paar Tränen. Wir waren sehr enttäuscht, für diesen großen Kampf nicht belohnt worden zu sein.

... seinen EM-Frust: Ich darf mich auch Europameister nennen und mittlerweile trage ich das voller Stolz mit mir. Von zehn Spielen habe ich auf dem Weg zum Titel 1972 ja achteinhalb gemacht, unter anderem das legendäre 3:1 von Wembley. Dann kam das Testspiel gegen die Russen in München und Helmut Schön ließ mich draußen mit den Worten: "Jürgen, schon' dich für die EM! Doch Erwin Kremers spielte sich an dem Tag in die Elf und so war ich bei der Endrunde in Belgien nur Reservist, hatte einen Joker-Einsatz im Halbfinale, beim Finale sah ich zu und war schon sauer. Es kann eben ein Nachteil sein, wenn du der einzige Vertreter deines Vereins bist und auch die örtliche Presse nicht für dich eintritt. Aber ich will nicht nachtreten, es ist alles lange her.

... seine Treue zur Eintracht: Ich bin 1965 von Biebrich zur SGE gewechselt, immer dort geblieben und das war schon richtig so. 1968 warben bekanntlich die Bayern um mich, Manager Robert Schwan saß in meinem Beisein mit unserem Präsidenten Robert Gramlich zusammen. Ich war regelrecht erleichtert, dass der Gramlich damals nicht gesagt hat: "Okay, der Grabi kann gehen." Ich habe halt doch eine gewisse Heimatverbundenheit.

Fakten zu Jürgen Grabowski

44 A-Länderspiele von 1966 bis 1974, 5 Tore
1 Amateurländerspiel 1965
1 Juniorenländerspiel 1967
1x Europaauswahl
1x Weltauswahl

441 Bundesligaspiele von 1965 bis 1980, 109 Tore
40 Europapokalspiele, 9 Tore
45 DFB-Pokalspiele, 19 Tore

Erfolge:

Weltmeister 1974
Europameister 1972
DFB-Pokalsieger 1974, 1975
UEFA-Pokalsieger 1980

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