Zum 60. Geburtstag: "Es gibt nur ein' Rudi Völler!"

Manche Fußballer werden trotz großer erlebnisreicher Karrieren auf ein Ereignis reduziert. Europameister Thomas Helmer auf sein Phantomtor, Weltmeister Zinedine Zidane auf seinen Kopfstoß und Andy Möller, der beide Titel gewann, auf seine Schwalbe. Das wird ihnen natürlich nicht gerecht. Rudi Völler, der heute 60 Jahre jung wird, hat es da etwas besser.

Bei ihm sind es zwei Ereignisse, wie er dieser Tage in einem der vielen Interviews, die er geben musste, wissen ließ: In Deutschland werde er überall auf das Fernsehinterview mit Waldemar Hartmann 2003 angesprochen, als dem damaligen Bundestrainer mal so richtig der Kragen platzte und er seine Kritiker in den Senkel stellte. Und im Ausland sei "das mit Frank Rijkaard eine weltweite Geschichte. Egal, wo ich auf der Welt bin, irgendein Taxifahrer spricht mich immer darauf an."

Es war die auch nicht sonderlich erfreuliche Spuckaffäre im WM-Achtelfinale 1990 gegen die Niederlande, als Völler und Rijkaard vom Platz flogen, wobei es nur der Niederländer verdient hatte. Aber da war doch noch so viel mehr in einem mittlerweile 60-jährigen Fußballerleben.

Populär auch nach dem Karriereende

Wer war der Spieler Rudi Völler, wer ist der Mensch? Wie konnte er ein Volksheld werden, einmalig bleiben? Denn bekanntlich, das wurde lange Zeit in allen Stadien gesungen, "gibt es nur ein' Rudi Völler!"

Auf seinen ersten Fußballschuhen aus dem Hause adidas stand "Uwe" und das war in gewisser Weise ein Versprechen. Wie kein anderer nach dem großen Uwe Seeler wurde ein deutscher Fußballer so sehr durch seinen Vornamen Kult. Wenn Rudi Völler heute, fast 25 Jahre nach dem Ende seiner Karriere irgendwo in der Öffentlichkeit auftaucht, dann kann er sie immer noch hören, die langgezogenen "Ruuuuudi"-Rufe, die erstmals zu seinen Zeiten bei Werder Bremen erklangen.

Ausdruck ungebrochener Sympathie, die sich nur wenige Fußballer im Profigeschäft erworben haben. Weil nur wenige Werte wie Ehrgeiz und Kampfgeist mit Bescheidenheit und Fairness vereinigen können. Völler konnte es, der Hesse war der Uwe Seeler der Achtziger und als die Dekade zu Ende war, hatte er dem Hamburger sogar etwas voraus. Im Juli 1990 wurde Völler in Rom, seiner damaligen Wahlheimat und somit "in meinem Stadion" Weltmeister!

Foul an Völler, Elfertor Brehme, Weltmeister 1990

Weil er einen Elfmeter gegen Argentinien herausholte, den sein Spezi Andy Brehme eiskalt verwandelte. Mag sein, dass es ein unberechtigter Elfmeter war, eine Schwalbe können jedoch alle ausschließen, die Völler je kennengelernt haben. Eigentlich war er ja für die Tore zuständig und oft genug erfüllte er die Anforderungen von Trainern, Mitspielern, Fans und der Öffentlichkeit.

In einem Buch über Torjägertypen wird er in der Kategorie der "Schlitzohren" geführt. Er war nicht der Größte, nicht der Schnellste und auch nicht der Stärkste, aber er hatte Durchsetzungsvermögen.

Andere erzielten ihre Tore einfach nur, er erkämpfte sie oft regelrecht. Selten dass er mal aus drei Metern abstaubte, bei ihm ging meist ein Zweikampf voraus. Ein gewonnener natürlich. "Rudi Völler heißt heute der Mann, der sich auf seltsam watschigen Füßen samt rudernden Armen durch die gegnerischen Abwehrreihen trickst und fummelt - stets für ein Tor gut.

Völler ist auf dem besten Weg, ein neuer Uwe zu werden. Gefürchtet beim Gegner, geliebt von den Fans", lesen wir 1983 im kicker. Es ist das Jahr, in dem er von Null auf Hundert schießt: Torschützenkönig, Fußballer des Jahres, Nationalspieler. Und mancher hatte es kommen sehen.

Mit 15 nach Offenbach, mit 17 Bundesligaspieler

Mit 15 hatte er für seinen Heimatklub TSV 1860 Hanau schon so viele Tore gemacht, dass es ihn zu Höherem drängte: "Ich wusste schon in der Jugend, dass ich vielleicht ein bisschen besser bin. Da versucht man dann, zu Kickers Offenbach oder Eintracht Frankfurt zu gehen", sagte er der Frankfurter Rundschau. Jedenfalls wenn man im Einzugsgebiet der hessischen Topklubs jener Tage lebte.

Wobei ihm eigentlich immer klar war, dass es nur zum OFC gehen konnte, wo er schon als Knirps mit seinem Bruder auf den Bieberer Berg gepilgert war, der damals auch Bundesligafußball zu bieten hatte. Sein erstes Idol war Erwin Kostedde, der erste dunkelhäutige DFB-Nationalspieler und natürlich ein Torjäger. Es klappte, die Kickers holten ihn 1975.

Mit 17 debütierte und traf er bereits in der 2. Liga für den OFC, der ihm 1800 DM brutto zahlte. Noch als Offenbacher wurde er Juniorennationalspieler. Als er mit 20 zum TSV 1860 München wechselte und gegen Fortuna Düsseldorf im Herbst 1980 erstmals drei Tore in der Bundesliga schoss, murmelte auf der Tribüne des Olympiastadions ein Mann anerkennend in seinen dunklen Bart: "Der wird mal ein Großer!" Das sagte Gerd Müller, der "Bomber der Nation".

90 Länderspiele, 47 Tore

So groß wie Müller wurde keiner, auch Völler nicht, zumal er zunächst zurück in die 2. Liga musste. Aber nach Abschluss seiner Karriere im Mai 1996 bei Bayer Leverkusen wurden 132 Bundesligatore in 232 Einsätzen gezählt. Bis heute hält er den Torrekord der eingleisigen 2. Liga mit 37 Treffern für 1860 München (1981/1982). Und in seinem ersten Jahr bei Werder Bremen (1982/1983) gewann er auch in der Bundesliga sofort die Torschützenkanone. Einen solchen Doppelschlag hat es nie wieder gegeben.

Im selben Jahr wurde er Nationalspieler, für Deutschland schoss er in 90 Spielen 47 Tore - nur vier DFB-Nationalspieler haben mehr, nur einer von ihnen (Gerd Müller) dabei weniger Spiele als Völler.

In jedem zweiten Spiel ein Tor, regelmäßig Tore bei drei WM- und zwei EM-Endrunden, Welt- und Vizeweltmeister (1986) - aber immer auf dem Boden geblieben. So wird man Volksheld. Auch wenn man - im Gegensatz zu Seeler - Angeboten aus Italien nicht widersteht.

Champions-League-Sieg mit Marseille

1987 ging Völler zum AS Rom, wo er seine zweite Frau Sabrina kennenlernte. Danach, bei Olympique Marseille, gewann er auch Titel, 1993 war er der erste deutsche Champions-League-Gewinner und Bundestrainer Berti Vogts reaktivierte ihn vor der WM 1994 wieder für die Nationalelf, aus der er sich im Oktober 1992 schon verabschiedet hatte. Aber die "Ruuudi"-Rufe wollten nicht verstummen, manchmal braucht das Land auch alte Männer. Er kam, sah und traf noch zweimal im Achtelfinale gegen Belgien.

Einen Makel hat seine Karriere: Meister wurde er nie. Den Titel mit Marseille (1992) nahmen ihm die Sportjuristen wieder weg, weil Präsident Bernard Tapie Schiedsrichter bestach. Mit Werder schaffte er es auch nicht, weil Michael Kutzop 1986 mit einem Elfmeter im entscheidenden Spiel gegen die Bayern nur den Pfosten traf.

Es wäre die perfekte Genugtuung für Völler gewesen, der den Elfmeter herausgeholt hatte bei seinem Comeback sechs Monate nach dem berühmten "Augenthaler-Foul" im Hinspiel. Es sollte nicht sein. Heute sagt er: "Wenn mir jemand sagt ich sei nie Deutscher Meister geworden, dem antworte ich: Dafür habe ich die wichtigen Titel gewonnen." Weltmeister und Champions-League-Gewinner!

Außerdem: Solche kleinen Tragödien steigerten nur seine Popularität, wie auch der besagte Fall Rijkaard, als er sich im WM-Achtelfinale von Mailand von dem Holländer bespucken lassen musste und auch noch vom Platz gestellt wurde. Nie war eine Sperre ungerechter. Am Ende aber wurde alles gut, damals in Rom.

WM-Rückkehr auf der Trainerbank

Was keiner ahnte: Es war nicht sein letztes WM-Finale. Als Deutschland zehn Jahre später einen Bundestrainer suchte, fiel die Wahl auf Völler, damals Sportchef bei Bayer Leverkusen. Er sollte nur eine Übergangslösung sein, die Fans aber sahen keine bessere. Als bei seinem Debüt im August 2000 die elf Namen der Spieler über Lautsprecher gerufen wurden, brüllte die Masse in Hannover jedesmal "Völler". Als Christoph Daum dann an seiner eigenen Haarprobe scheiterte, die Kokain-Genuss nachwies, blieb Völler länger als gedacht Bundestrainer - vier Jahre.

Auf dem Weg zur WM 2002 erlebte er seine schwersten Stunden im Fußball, die Mannschaft musste gegen die Ukraine in die Playoffs. Völler gesteht: "Ich habe selten in meinem Leben so großen Druck erlebt." Er wollte nicht der erste Bundestrainer sein, der eine WM verpasst, ansonsten wäre er wohl "nach Australien ausgewandert". Sagt er heute, nicht ganz im Ernst. Damals war es bitterer Ernst.

Sie bestanden die Feuerprobe und das was danach kam, war schier unglaublich. Die Schicksalsspiele vom November 2001 hatten Völler und das Team zusammengeschweißt. Sie fighteten sich 2002 durch das Turnier in Japan und Südkorea und wurden erst im Finale geschlagen. Als er mit seiner Mannschaft auf dem Balkon am Frankfurter Römer stand, da sang das Volk es wieder, das Lied, das nur er selbst nicht mehr hören kann: "Es gibt nur ein' Rudi Völler". Kein Widerspruch.

Vom Trainer zum Macher

Einem wie ihm verziehen sie auch so manchen Vulkanausbruch, seine Wutrede im ARD-Studio anno 2003 gegen Moderator Gerhard Delling und Experte Günter Netzer nach einem dürftigen 0:0 auf Island machte ihn nur noch beliebter. War er doch einfach wieder nur "Ruudi". Authentisch, ehrlich, gerade heraus. Einer wie Uwe eben. Auch in der Lage, sich zu entschuldigen, etwa dafür TV-Mann Waldemar Hartmann im Interview den Genuss von "ein paar Weißbier" während der Sendung unterstellt zu haben. Hartmann lebte gut davon und damit, nicht zuletzt wegen der Werbeangebote, die ihm Völlers Ausbruch einbrachten. Keiner konnte Völler lange böse sein.

Nach dem Vorrundenaus bei der EM 2004 in sportlich bleierner Zeit trat er zurück und widmete sich wieder seinem neuen Herzensverein Bayer Leverkusen, wo er seit 2018 offiziell als Geschäftsführer Sport firmiert und nun Sportdirektor Simon Rolfes anlernt, so wie ihn einst Rainer Calmund in die Geheimnisse des Fußballs hinter den Kulissen einweihte.

Bis 2022 läuft sein Vertrag, danach muss auch noch nicht Schluss sein: "Ich mache es vielleicht noch ein paar Jährchen." Die Trennung vom Fußball, der derzeit wegen Corona alle ausgesetzt sind, würde ihm ziemlich schwer fallen. "Ich bin schon ein bisschen besessen", gesteht der Vater dreier Söhne, der auch an spielfreien Tagen immer nach Möglichkeiten sucht irgendwo Fußball zu sehen. Sonst wäre er auch nicht der geworden, der er ist. Ein Siegertyp, der immer auf dem Boden geblieben ist, selbst wenn er mal in die Luft gegangen ist. "Ruuuuuudi" halt.

[um]

Manche Fußballer werden trotz großer erlebnisreicher Karrieren auf ein Ereignis reduziert. Europameister Thomas Helmer auf sein Phantomtor, Weltmeister Zinedine Zidane auf seinen Kopfstoß und Andy Möller, der beide Titel gewann, auf seine Schwalbe. Das wird ihnen natürlich nicht gerecht. Rudi Völler, der heute 60 Jahre jung wird, hat es da etwas besser.

Bei ihm sind es zwei Ereignisse, wie er dieser Tage in einem der vielen Interviews, die er geben musste, wissen ließ: In Deutschland werde er überall auf das Fernsehinterview mit Waldemar Hartmann 2003 angesprochen, als dem damaligen Bundestrainer mal so richtig der Kragen platzte und er seine Kritiker in den Senkel stellte. Und im Ausland sei "das mit Frank Rijkaard eine weltweite Geschichte. Egal, wo ich auf der Welt bin, irgendein Taxifahrer spricht mich immer darauf an."

Es war die auch nicht sonderlich erfreuliche Spuckaffäre im WM-Achtelfinale 1990 gegen die Niederlande, als Völler und Rijkaard vom Platz flogen, wobei es nur der Niederländer verdient hatte. Aber da war doch noch so viel mehr in einem mittlerweile 60-jährigen Fußballerleben.

Populär auch nach dem Karriereende

Wer war der Spieler Rudi Völler, wer ist der Mensch? Wie konnte er ein Volksheld werden, einmalig bleiben? Denn bekanntlich, das wurde lange Zeit in allen Stadien gesungen, "gibt es nur ein' Rudi Völler!"

Auf seinen ersten Fußballschuhen aus dem Hause adidas stand "Uwe" und das war in gewisser Weise ein Versprechen. Wie kein anderer nach dem großen Uwe Seeler wurde ein deutscher Fußballer so sehr durch seinen Vornamen Kult. Wenn Rudi Völler heute, fast 25 Jahre nach dem Ende seiner Karriere irgendwo in der Öffentlichkeit auftaucht, dann kann er sie immer noch hören, die langgezogenen "Ruuuuudi"-Rufe, die erstmals zu seinen Zeiten bei Werder Bremen erklangen.

Ausdruck ungebrochener Sympathie, die sich nur wenige Fußballer im Profigeschäft erworben haben. Weil nur wenige Werte wie Ehrgeiz und Kampfgeist mit Bescheidenheit und Fairness vereinigen können. Völler konnte es, der Hesse war der Uwe Seeler der Achtziger und als die Dekade zu Ende war, hatte er dem Hamburger sogar etwas voraus. Im Juli 1990 wurde Völler in Rom, seiner damaligen Wahlheimat und somit "in meinem Stadion" Weltmeister!

Foul an Völler, Elfertor Brehme, Weltmeister 1990

Weil er einen Elfmeter gegen Argentinien herausholte, den sein Spezi Andy Brehme eiskalt verwandelte. Mag sein, dass es ein unberechtigter Elfmeter war, eine Schwalbe können jedoch alle ausschließen, die Völler je kennengelernt haben. Eigentlich war er ja für die Tore zuständig und oft genug erfüllte er die Anforderungen von Trainern, Mitspielern, Fans und der Öffentlichkeit.

In einem Buch über Torjägertypen wird er in der Kategorie der "Schlitzohren" geführt. Er war nicht der Größte, nicht der Schnellste und auch nicht der Stärkste, aber er hatte Durchsetzungsvermögen.

Andere erzielten ihre Tore einfach nur, er erkämpfte sie oft regelrecht. Selten dass er mal aus drei Metern abstaubte, bei ihm ging meist ein Zweikampf voraus. Ein gewonnener natürlich. "Rudi Völler heißt heute der Mann, der sich auf seltsam watschigen Füßen samt rudernden Armen durch die gegnerischen Abwehrreihen trickst und fummelt - stets für ein Tor gut.

Völler ist auf dem besten Weg, ein neuer Uwe zu werden. Gefürchtet beim Gegner, geliebt von den Fans", lesen wir 1983 im kicker. Es ist das Jahr, in dem er von Null auf Hundert schießt: Torschützenkönig, Fußballer des Jahres, Nationalspieler. Und mancher hatte es kommen sehen.

Mit 15 nach Offenbach, mit 17 Bundesligaspieler

Mit 15 hatte er für seinen Heimatklub TSV 1860 Hanau schon so viele Tore gemacht, dass es ihn zu Höherem drängte: "Ich wusste schon in der Jugend, dass ich vielleicht ein bisschen besser bin. Da versucht man dann, zu Kickers Offenbach oder Eintracht Frankfurt zu gehen", sagte er der Frankfurter Rundschau. Jedenfalls wenn man im Einzugsgebiet der hessischen Topklubs jener Tage lebte.

Wobei ihm eigentlich immer klar war, dass es nur zum OFC gehen konnte, wo er schon als Knirps mit seinem Bruder auf den Bieberer Berg gepilgert war, der damals auch Bundesligafußball zu bieten hatte. Sein erstes Idol war Erwin Kostedde, der erste dunkelhäutige DFB-Nationalspieler und natürlich ein Torjäger. Es klappte, die Kickers holten ihn 1975.

Mit 17 debütierte und traf er bereits in der 2. Liga für den OFC, der ihm 1800 DM brutto zahlte. Noch als Offenbacher wurde er Juniorennationalspieler. Als er mit 20 zum TSV 1860 München wechselte und gegen Fortuna Düsseldorf im Herbst 1980 erstmals drei Tore in der Bundesliga schoss, murmelte auf der Tribüne des Olympiastadions ein Mann anerkennend in seinen dunklen Bart: "Der wird mal ein Großer!" Das sagte Gerd Müller, der "Bomber der Nation".

90 Länderspiele, 47 Tore

So groß wie Müller wurde keiner, auch Völler nicht, zumal er zunächst zurück in die 2. Liga musste. Aber nach Abschluss seiner Karriere im Mai 1996 bei Bayer Leverkusen wurden 132 Bundesligatore in 232 Einsätzen gezählt. Bis heute hält er den Torrekord der eingleisigen 2. Liga mit 37 Treffern für 1860 München (1981/1982). Und in seinem ersten Jahr bei Werder Bremen (1982/1983) gewann er auch in der Bundesliga sofort die Torschützenkanone. Einen solchen Doppelschlag hat es nie wieder gegeben.

Im selben Jahr wurde er Nationalspieler, für Deutschland schoss er in 90 Spielen 47 Tore - nur vier DFB-Nationalspieler haben mehr, nur einer von ihnen (Gerd Müller) dabei weniger Spiele als Völler.

In jedem zweiten Spiel ein Tor, regelmäßig Tore bei drei WM- und zwei EM-Endrunden, Welt- und Vizeweltmeister (1986) - aber immer auf dem Boden geblieben. So wird man Volksheld. Auch wenn man - im Gegensatz zu Seeler - Angeboten aus Italien nicht widersteht.

Champions-League-Sieg mit Marseille

1987 ging Völler zum AS Rom, wo er seine zweite Frau Sabrina kennenlernte. Danach, bei Olympique Marseille, gewann er auch Titel, 1993 war er der erste deutsche Champions-League-Gewinner und Bundestrainer Berti Vogts reaktivierte ihn vor der WM 1994 wieder für die Nationalelf, aus der er sich im Oktober 1992 schon verabschiedet hatte. Aber die "Ruuudi"-Rufe wollten nicht verstummen, manchmal braucht das Land auch alte Männer. Er kam, sah und traf noch zweimal im Achtelfinale gegen Belgien.

Einen Makel hat seine Karriere: Meister wurde er nie. Den Titel mit Marseille (1992) nahmen ihm die Sportjuristen wieder weg, weil Präsident Bernard Tapie Schiedsrichter bestach. Mit Werder schaffte er es auch nicht, weil Michael Kutzop 1986 mit einem Elfmeter im entscheidenden Spiel gegen die Bayern nur den Pfosten traf.

Es wäre die perfekte Genugtuung für Völler gewesen, der den Elfmeter herausgeholt hatte bei seinem Comeback sechs Monate nach dem berühmten "Augenthaler-Foul" im Hinspiel. Es sollte nicht sein. Heute sagt er: "Wenn mir jemand sagt ich sei nie Deutscher Meister geworden, dem antworte ich: Dafür habe ich die wichtigen Titel gewonnen." Weltmeister und Champions-League-Gewinner!

Außerdem: Solche kleinen Tragödien steigerten nur seine Popularität, wie auch der besagte Fall Rijkaard, als er sich im WM-Achtelfinale von Mailand von dem Holländer bespucken lassen musste und auch noch vom Platz gestellt wurde. Nie war eine Sperre ungerechter. Am Ende aber wurde alles gut, damals in Rom.

WM-Rückkehr auf der Trainerbank

Was keiner ahnte: Es war nicht sein letztes WM-Finale. Als Deutschland zehn Jahre später einen Bundestrainer suchte, fiel die Wahl auf Völler, damals Sportchef bei Bayer Leverkusen. Er sollte nur eine Übergangslösung sein, die Fans aber sahen keine bessere. Als bei seinem Debüt im August 2000 die elf Namen der Spieler über Lautsprecher gerufen wurden, brüllte die Masse in Hannover jedesmal "Völler". Als Christoph Daum dann an seiner eigenen Haarprobe scheiterte, die Kokain-Genuss nachwies, blieb Völler länger als gedacht Bundestrainer - vier Jahre.

Auf dem Weg zur WM 2002 erlebte er seine schwersten Stunden im Fußball, die Mannschaft musste gegen die Ukraine in die Playoffs. Völler gesteht: "Ich habe selten in meinem Leben so großen Druck erlebt." Er wollte nicht der erste Bundestrainer sein, der eine WM verpasst, ansonsten wäre er wohl "nach Australien ausgewandert". Sagt er heute, nicht ganz im Ernst. Damals war es bitterer Ernst.

Sie bestanden die Feuerprobe und das was danach kam, war schier unglaublich. Die Schicksalsspiele vom November 2001 hatten Völler und das Team zusammengeschweißt. Sie fighteten sich 2002 durch das Turnier in Japan und Südkorea und wurden erst im Finale geschlagen. Als er mit seiner Mannschaft auf dem Balkon am Frankfurter Römer stand, da sang das Volk es wieder, das Lied, das nur er selbst nicht mehr hören kann: "Es gibt nur ein' Rudi Völler". Kein Widerspruch.

Vom Trainer zum Macher

Einem wie ihm verziehen sie auch so manchen Vulkanausbruch, seine Wutrede im ARD-Studio anno 2003 gegen Moderator Gerhard Delling und Experte Günter Netzer nach einem dürftigen 0:0 auf Island machte ihn nur noch beliebter. War er doch einfach wieder nur "Ruudi". Authentisch, ehrlich, gerade heraus. Einer wie Uwe eben. Auch in der Lage, sich zu entschuldigen, etwa dafür TV-Mann Waldemar Hartmann im Interview den Genuss von "ein paar Weißbier" während der Sendung unterstellt zu haben. Hartmann lebte gut davon und damit, nicht zuletzt wegen der Werbeangebote, die ihm Völlers Ausbruch einbrachten. Keiner konnte Völler lange böse sein.

Nach dem Vorrundenaus bei der EM 2004 in sportlich bleierner Zeit trat er zurück und widmete sich wieder seinem neuen Herzensverein Bayer Leverkusen, wo er seit 2018 offiziell als Geschäftsführer Sport firmiert und nun Sportdirektor Simon Rolfes anlernt, so wie ihn einst Rainer Calmund in die Geheimnisse des Fußballs hinter den Kulissen einweihte.

Bis 2022 läuft sein Vertrag, danach muss auch noch nicht Schluss sein: "Ich mache es vielleicht noch ein paar Jährchen." Die Trennung vom Fußball, der derzeit wegen Corona alle ausgesetzt sind, würde ihm ziemlich schwer fallen. "Ich bin schon ein bisschen besessen", gesteht der Vater dreier Söhne, der auch an spielfreien Tagen immer nach Möglichkeiten sucht irgendwo Fußball zu sehen. Sonst wäre er auch nicht der geworden, der er ist. Ein Siegertyp, der immer auf dem Boden geblieben ist, selbst wenn er mal in die Luft gegangen ist. "Ruuuuuudi" halt.

###more###