Zum 50. Geburtstag: Höhepunkte aus Jens Lehmanns Karriere

Weltmeister wurde er nie, obwohl er bei drei Turnieren dabei war. Europameister auch nicht, immerhin stand er 2008 im Finale. Zehn Jahre währte seine Länderspielkarriere. 61 Einsätze sind eine stolze Zahl, und doch gab es allein vier Torhüter, die es auf mehr Länderspiele brachten. Jens Lehmann, der heute 50 Jahre jung wird, ist trotzdem allgemein bekannt. Die Karriere des streitbaren Esseners enthielt zahlreiche Begebenheiten, die ihn unvergesslich machen. Das Leben des Jubilars in Schlaglichtern.

Die S-Bahn-Fahrt

Seit 1988 spielt Lehmann, von Schwarz-Weiß Essen gekommen, für den damaligen Zweitligisten Schalke 04. Er steigt mit den Knappen 1991 in die Bundesliga auf und ist schon mit 20 die Nummer eins, aber nie ganz unumstritten. Im Herbst 1993 ist Schalke in der Krise, mit Jörg Berger kommt ein neuer Trainer und es kommt das Spiel in Leverkusen am 16. Oktober 1993. Der Gästeblock ist voll, die Treuen hoffen auf die Wende zum Guten. Doch mit der Aufstellung sind sie nicht ganz einverstanden, im Tor wollen sie schon länger wieder ihren Liebling Holger Gehrke sehen. Der Trainerwechsel, so hoffen einige Fans, wäre doch die Gelegenheit auch den Torwart zu wechseln, aber Berger hält zu Lehmann. Die Folge: Von Beginn an gibt es Rufe und Pfiffe gegen Lehmann, dem das nicht einleuchtet: "Warum das so ist, weiß ich nicht!".

Die Pfiffe zeigen Wirkung. Lehmann macht einen unsicheren Eindruck, schon nach 27 Minuten steht es 0:3. Nun geht es nur noch um Schadensbegrenzung. Als die Schalker in die Kabine trotten, bleibt Holger Gehrke draußen und lässt sich warm schießen: Torwartwechsel - für Lehmann ist sein 52. Bundesligaspiel vorzeitig beendet. Jörg Berger sagt der Presse: "Ich habe ihm gestattet, mit seinem Bruder sofort nach Hause zu fahren. Er war so down. Einen Torwart in solcher Situation muss man schützen, auch vor falschen eigenen Reaktionen." Stattdessen kommt es zu einer ganz besonderen, in der Bundesliga einmaligen Reaktion. Denn Lehmann stellt die Situation in der Kabine etwas anders dar: "Berger sagte zu mir: 'Wir sehen uns morgen.' Ich verstand das als Aufforderung, das Stadion zu verlassen. Ich dachte, mein Bruder Jörg würde vor den Toren auf mich warten, wie er es ein Jahr zuvor bei meiner Verletzung schon einmal tat. Handys gab es damals bekanntlich noch nicht. Also fragte ich die Ordner nach dem nächsten Weg zum Bahnhof." 

Und so trottet er mit seiner Sporttasche den knapp einen Kilometer langen Weg durch einen Park zum S-Bahnhof Leverkusen Mitte, während seine Mitspieler noch ein Bundesligaspiel bestreiten. Da steht er nun am Bahnhof und wartet auf die S-Bahn und nicht die Tram, wie es die Legende will und merkt, dass er gar kein Geld dabei hat. Zum Glück sieht er einen enttäuschten Schalke-Fan, der ebenfalls das Stadion schon verlassen hat. Lehmann erzählt: "Ich lieh mir fünf Mark von einem älteren Herrn, den ich wiedererkannte, weil er häufig beim Training in Schalke war. Ich fuhr also nach Hause nach Essen, der Zug hielt quasi direkt vor meiner Haustür. Ich schaltete um 18 Uhr den Fernseher an und erfuhr aus der Sportschau, dass wir das Spiel 1:5 verloren hatten. Den älteren Herrn habe ich nie mehr wiedergesehen, um ihm die fünf Mark zurückgeben zu können." Das nicht, aber 15 Jahre später hätte er sein Gewissen beinahe noch erleichtern können. Als Lehmann nach einer grandiosen Karriere mit 61 Länderspielen mit fast 40 Jahren noch mal beim VfB Stuttgart in der Bundesliga spielt, stellt sich ihm nach dem Training ein jüngerer Mann vor. Er sei der Sohn des Schalke-Fans, der ihm am Bahnhof einst aus der Verlegenheit geholfen hatte. Er wollte aber kein Geld, sondern nur mal kurz "Hallo" sagen. So holte Lehmann eine der vielen Geschichten, die ihn zum etwas anderen Torwart machten, wieder ein.

Der Bluff von San Siro

Am 21. Mai 1997 feiert Schalke den größten Erfolg seiner Vereinsgeschichte. Im zweiten Finale des UEFA-Pokals geht es gegen Inter Mailand ins Elfmeterschießen. Jede Mannschaft hatte ihr Heimspiel 1:0 gewonnen. Lehmann wird von Trainer Huub Stevens über die Vorlieben der Inter-Schützen informiert, der Niederländer hat sie alle in seinem Laptop erfasst. Mit Erfolg, schon den zweiten Schuss von Ivan Zamorano hält er, weil der wie vorgesehen nach rechts zielt. Aber dann kommt der Niederländer Aron Winter, den Landsmann Stevens nicht im Laptop hat. Also denkt sich Lehmann sich für ihn etwas Besonderes aus. Er baut sich vor ihm auf und sagt ihm auf Englisch, dass er in der Mitte stehen bleiben werde ("I will keep standing in the middle"). Statt aus dieser "Information" einen Vorteil zu ziehen, verunsichert sie Winter und er setzt den Ball am Tor vorbei. Minuten später holt Schalke sich den bis dato einzigen Europapokal – und keiner will mehr einen anderen Torwart.

Kopfballtor im Derby

Das ewig junge 88. Revierderby zwischen Dortmund und Schalke erlebt am 19. Dezember 1997 ein Novum, die Bundesliga auch. Und das liegt an Lehmann, der bis dahin keinen guten Tag erwischt und an beiden Gegentoren einen Anteil gehabt hat. Es gibt beim Stand von 2:1 für den BVB in der 90. Minute noch eine Ecke für Schalke und Jens Lehmann eilt mit nach vorne. Er selbst erzählt von der Tat, die ihn berühmter als jede Parade macht, in dem Buch von Manni Breuckmann – "50 legendäre Szenen des Deutschen Fußballs". Ein Auszug: "Wieder ging ich mit nach vorne. Das war ein spontaner Impuls, ich dachte, ich könnte etwas bewegen. Vorher abgesprochen war es nicht, auch dazu aufgefordert wurde ich nicht. Olaf Thon schlug die Ecke, von der rechten Seite, relativ kurz und weg vom Fünfer zu Linke, der verlängerte den Ball auf den langen Pfosten. Ich sprintete los, und ich wusste sofort: den Ball erwischst du, den machst du rein – die Flugbahn war einfach ideal. Er kam direkt auf meinen Kopf, ich köpfte aus kurzer Distanz gegen die Laufrichtung vom Dortmunder Keeper Klos – 2:2!" Danach ist Feierabend. Das 33.325 Bundesliga-Tor ist das erste eines Torwarts aus dem Spiel heraus, zuvor hatten einige immerhin Elfmeter verwandelt. Es wird auch Tor des Monats. Trotz dieses "Verbrechens" wird er 1999 Torwart bei Borussia Dortmund und 2002 zum einzigen Mal Deutscher Meister.

Rot im Finale

Am 18. Mai 2006 steht Lehmann mit dem FC Arsenal in Paris im Finale um die Champions League gegen Favorit FC Barcelona. Lehmann ist mit seinem Team 745 Minuten ohne Gegentor und hat den Champions-League-Rekord aufgestellt. Doch für Lehmann kommen nur noch 18 Minuten hinzu, dann kommt er bei einem Rettungsversuch gegen Samuel Eto’o Sekundenbruchteile zu spät und wird vom Platz gestellt. Trotz Unterzahl geht Arsenal sogar in Führung, verliert erst in der letzten Viertelstunde das Spiel mit 2:1. So bitter es für Lehmann ist, ungewohnt ist es nicht: Mit fünf Platzverweisen hält er den Bundesligarekord für einen Torhüter.

Der Zettel

Lehmann wird von Bundestrainer Jürgen Klinsmann kurz vor der WM 2006 zur deutschen Nummer eins ernannt, nachdem er vier Turniere im DFB-Kader als Ersatzmann hatte ertragen müssen. Dass er nun gegenüber Oliver Kahn bevorzugt wird, ist im Fanvolk umstritten. Dann kommt das Viertelfinale gegen Argentinien in Berlin, als er die Kritiker verstummen lässt. Es kommt nach 120 Minuten (1:1) zum Elfmeterschießen und wie in Mailand 1997 wird er wieder bestens präpariert. So jedenfalls geht die Legende. Torwarttrainer Andreas Köpke drückt ihm einen Zettel mit dem Wappen des Schlosshotels Grunewald, dem WM-Quartier, in die Hand, auf dem mit Bleistift die argentinischen Schützen notiert sind. Dummerweise ist die Schrift durch Feuchtigkeit verblasst, teils verwischt. Lehmann kann nicht alles lesen, was er wissen müsste. Aber vor jedem Schuss zieht er den Zettel wieder aus dem Stutzen und signalisiert dem Argentinier: Ich weiß, was Du vorhast. Er hält den Schuss von Ayala, obwohl der in die andere Ecke schießt als der Zettel will "und Cambiasso, dessen Schuss ich glücklicherweise halten konnte, stand nicht drauf". Egal. Lehmann erzählt noch 2018: "Ein Argentinier sagte mir später, der Zettel habe wie ein böser Voodoo-Zauber auf sie gewirkt." Der Zettel, von Lehmann nach dem Spiel schon achtlos zerknüllt, wird wieder aufgehoben, Weihnachten 2006 für "Ein Herz für Kinder" für eine Million Euro versteigert und liegt heute im Haus der Geschichte in Bonn.

Die kleinen Ausraster

Manchmal gehen mit Lehmann auf dem Platz die Gäule durch. In Dortmund rüttelt er einst Mitspieler Amoroso durch und fliegt vom Platz, Leverkusens Stürmer Ulf Kirsten zwickt er die Nase. Den Schuh des Hoffenheimers Salihovic, den der verloren hat, wirft er auf sein Tornetz. Und einem VfB-Fan, der ihm nach dem Spiel in Mainz anblafft, klaut er die Brille. Torhüter und Linksaußen...

Der Nationalspieler

Jens Lehmann wird von Berti Vogts erstmals in den Kader berufen und debütiert am 18. Februar 1998 gegen den Oman in Maskat (2:0). In den folgenden 171 Länderspielen ist er fast immer dabei, aber meist nur Zuschauer. Im Konkurrenzkampf mit Andreas Köpke und Oliver Kahn muss er sich zunächst hinten anstellen. So firmiert Lehmann gemeinsam mit Kahn als deutscher Torhüter, der die meisten Turniere als Reservist erlebte – vier (WM 1998 und 2002, EM 2000 und 2004). Erst 2006 kommt er zum Zug, Klinsmann hält ihn für den besseren Fußballer als Kahn, mit dem sich Lehmann über die Jahre einige verbale Scharmützel liefert. Auch Joachim Löw setzt auf Lehmann, selbst als der bei Arsenal 2007/2008 auf die Bank muss. Im DFB-Tor aber stellt er vom 22. August 2007 bis 27. Mai 2008 einen Rekord auf und bleibt 681 Minuten ohne Gegentor. Löw geht mit ihm in die EM 2008. Da erreicht Deutschland das Finale und unterliegt Spanien 0:1, Lehmann geht nach 61 Länderspielen im Alter von 38 Jahren als Vize-Europameister.

Jens Lehmanns Karrieredaten

Vereine:

1975-1978 DJK Heisingen
1978-1998 Schalke
1998/1999 AC Mailand
1999-2003 Borussia Dortmund
2003-2008 FC Arsenal 
2008-2010 VfB Stuttgart
2011 FC Arsenal II

61 A-Länderspiele
6 U 19-Länderspiele
6 U 21 Länderspiele
5x Olympia-Auswahl

Titel:

UEFA-Pokalsieger 1997
Deutscher Meister 2002
Englischer Meister 2004
Englischer Supercupsieger 2004
Englischer Pokalsieger 2005 (FA-Cup)

Auszeichnungen:

Europas bester Torwart 1997 und 2006

[um]

Weltmeister wurde er nie, obwohl er bei drei Turnieren dabei war. Europameister auch nicht, immerhin stand er 2008 im Finale. Zehn Jahre währte seine Länderspielkarriere. 61 Einsätze sind eine stolze Zahl, und doch gab es allein vier Torhüter, die es auf mehr Länderspiele brachten. Jens Lehmann, der heute 50 Jahre jung wird, ist trotzdem allgemein bekannt. Die Karriere des streitbaren Esseners enthielt zahlreiche Begebenheiten, die ihn unvergesslich machen. Das Leben des Jubilars in Schlaglichtern.

Die S-Bahn-Fahrt

Seit 1988 spielt Lehmann, von Schwarz-Weiß Essen gekommen, für den damaligen Zweitligisten Schalke 04. Er steigt mit den Knappen 1991 in die Bundesliga auf und ist schon mit 20 die Nummer eins, aber nie ganz unumstritten. Im Herbst 1993 ist Schalke in der Krise, mit Jörg Berger kommt ein neuer Trainer und es kommt das Spiel in Leverkusen am 16. Oktober 1993. Der Gästeblock ist voll, die Treuen hoffen auf die Wende zum Guten. Doch mit der Aufstellung sind sie nicht ganz einverstanden, im Tor wollen sie schon länger wieder ihren Liebling Holger Gehrke sehen. Der Trainerwechsel, so hoffen einige Fans, wäre doch die Gelegenheit auch den Torwart zu wechseln, aber Berger hält zu Lehmann. Die Folge: Von Beginn an gibt es Rufe und Pfiffe gegen Lehmann, dem das nicht einleuchtet: "Warum das so ist, weiß ich nicht!".

Die Pfiffe zeigen Wirkung. Lehmann macht einen unsicheren Eindruck, schon nach 27 Minuten steht es 0:3. Nun geht es nur noch um Schadensbegrenzung. Als die Schalker in die Kabine trotten, bleibt Holger Gehrke draußen und lässt sich warm schießen: Torwartwechsel - für Lehmann ist sein 52. Bundesligaspiel vorzeitig beendet. Jörg Berger sagt der Presse: "Ich habe ihm gestattet, mit seinem Bruder sofort nach Hause zu fahren. Er war so down. Einen Torwart in solcher Situation muss man schützen, auch vor falschen eigenen Reaktionen." Stattdessen kommt es zu einer ganz besonderen, in der Bundesliga einmaligen Reaktion. Denn Lehmann stellt die Situation in der Kabine etwas anders dar: "Berger sagte zu mir: 'Wir sehen uns morgen.' Ich verstand das als Aufforderung, das Stadion zu verlassen. Ich dachte, mein Bruder Jörg würde vor den Toren auf mich warten, wie er es ein Jahr zuvor bei meiner Verletzung schon einmal tat. Handys gab es damals bekanntlich noch nicht. Also fragte ich die Ordner nach dem nächsten Weg zum Bahnhof." 

Und so trottet er mit seiner Sporttasche den knapp einen Kilometer langen Weg durch einen Park zum S-Bahnhof Leverkusen Mitte, während seine Mitspieler noch ein Bundesligaspiel bestreiten. Da steht er nun am Bahnhof und wartet auf die S-Bahn und nicht die Tram, wie es die Legende will und merkt, dass er gar kein Geld dabei hat. Zum Glück sieht er einen enttäuschten Schalke-Fan, der ebenfalls das Stadion schon verlassen hat. Lehmann erzählt: "Ich lieh mir fünf Mark von einem älteren Herrn, den ich wiedererkannte, weil er häufig beim Training in Schalke war. Ich fuhr also nach Hause nach Essen, der Zug hielt quasi direkt vor meiner Haustür. Ich schaltete um 18 Uhr den Fernseher an und erfuhr aus der Sportschau, dass wir das Spiel 1:5 verloren hatten. Den älteren Herrn habe ich nie mehr wiedergesehen, um ihm die fünf Mark zurückgeben zu können." Das nicht, aber 15 Jahre später hätte er sein Gewissen beinahe noch erleichtern können. Als Lehmann nach einer grandiosen Karriere mit 61 Länderspielen mit fast 40 Jahren noch mal beim VfB Stuttgart in der Bundesliga spielt, stellt sich ihm nach dem Training ein jüngerer Mann vor. Er sei der Sohn des Schalke-Fans, der ihm am Bahnhof einst aus der Verlegenheit geholfen hatte. Er wollte aber kein Geld, sondern nur mal kurz "Hallo" sagen. So holte Lehmann eine der vielen Geschichten, die ihn zum etwas anderen Torwart machten, wieder ein.

Der Bluff von San Siro

Am 21. Mai 1997 feiert Schalke den größten Erfolg seiner Vereinsgeschichte. Im zweiten Finale des UEFA-Pokals geht es gegen Inter Mailand ins Elfmeterschießen. Jede Mannschaft hatte ihr Heimspiel 1:0 gewonnen. Lehmann wird von Trainer Huub Stevens über die Vorlieben der Inter-Schützen informiert, der Niederländer hat sie alle in seinem Laptop erfasst. Mit Erfolg, schon den zweiten Schuss von Ivan Zamorano hält er, weil der wie vorgesehen nach rechts zielt. Aber dann kommt der Niederländer Aron Winter, den Landsmann Stevens nicht im Laptop hat. Also denkt sich Lehmann sich für ihn etwas Besonderes aus. Er baut sich vor ihm auf und sagt ihm auf Englisch, dass er in der Mitte stehen bleiben werde ("I will keep standing in the middle"). Statt aus dieser "Information" einen Vorteil zu ziehen, verunsichert sie Winter und er setzt den Ball am Tor vorbei. Minuten später holt Schalke sich den bis dato einzigen Europapokal – und keiner will mehr einen anderen Torwart.

Kopfballtor im Derby

Das ewig junge 88. Revierderby zwischen Dortmund und Schalke erlebt am 19. Dezember 1997 ein Novum, die Bundesliga auch. Und das liegt an Lehmann, der bis dahin keinen guten Tag erwischt und an beiden Gegentoren einen Anteil gehabt hat. Es gibt beim Stand von 2:1 für den BVB in der 90. Minute noch eine Ecke für Schalke und Jens Lehmann eilt mit nach vorne. Er selbst erzählt von der Tat, die ihn berühmter als jede Parade macht, in dem Buch von Manni Breuckmann – "50 legendäre Szenen des Deutschen Fußballs". Ein Auszug: "Wieder ging ich mit nach vorne. Das war ein spontaner Impuls, ich dachte, ich könnte etwas bewegen. Vorher abgesprochen war es nicht, auch dazu aufgefordert wurde ich nicht. Olaf Thon schlug die Ecke, von der rechten Seite, relativ kurz und weg vom Fünfer zu Linke, der verlängerte den Ball auf den langen Pfosten. Ich sprintete los, und ich wusste sofort: den Ball erwischst du, den machst du rein – die Flugbahn war einfach ideal. Er kam direkt auf meinen Kopf, ich köpfte aus kurzer Distanz gegen die Laufrichtung vom Dortmunder Keeper Klos – 2:2!" Danach ist Feierabend. Das 33.325 Bundesliga-Tor ist das erste eines Torwarts aus dem Spiel heraus, zuvor hatten einige immerhin Elfmeter verwandelt. Es wird auch Tor des Monats. Trotz dieses "Verbrechens" wird er 1999 Torwart bei Borussia Dortmund und 2002 zum einzigen Mal Deutscher Meister.

Rot im Finale

Am 18. Mai 2006 steht Lehmann mit dem FC Arsenal in Paris im Finale um die Champions League gegen Favorit FC Barcelona. Lehmann ist mit seinem Team 745 Minuten ohne Gegentor und hat den Champions-League-Rekord aufgestellt. Doch für Lehmann kommen nur noch 18 Minuten hinzu, dann kommt er bei einem Rettungsversuch gegen Samuel Eto’o Sekundenbruchteile zu spät und wird vom Platz gestellt. Trotz Unterzahl geht Arsenal sogar in Führung, verliert erst in der letzten Viertelstunde das Spiel mit 2:1. So bitter es für Lehmann ist, ungewohnt ist es nicht: Mit fünf Platzverweisen hält er den Bundesligarekord für einen Torhüter.

Der Zettel

Lehmann wird von Bundestrainer Jürgen Klinsmann kurz vor der WM 2006 zur deutschen Nummer eins ernannt, nachdem er vier Turniere im DFB-Kader als Ersatzmann hatte ertragen müssen. Dass er nun gegenüber Oliver Kahn bevorzugt wird, ist im Fanvolk umstritten. Dann kommt das Viertelfinale gegen Argentinien in Berlin, als er die Kritiker verstummen lässt. Es kommt nach 120 Minuten (1:1) zum Elfmeterschießen und wie in Mailand 1997 wird er wieder bestens präpariert. So jedenfalls geht die Legende. Torwarttrainer Andreas Köpke drückt ihm einen Zettel mit dem Wappen des Schlosshotels Grunewald, dem WM-Quartier, in die Hand, auf dem mit Bleistift die argentinischen Schützen notiert sind. Dummerweise ist die Schrift durch Feuchtigkeit verblasst, teils verwischt. Lehmann kann nicht alles lesen, was er wissen müsste. Aber vor jedem Schuss zieht er den Zettel wieder aus dem Stutzen und signalisiert dem Argentinier: Ich weiß, was Du vorhast. Er hält den Schuss von Ayala, obwohl der in die andere Ecke schießt als der Zettel will "und Cambiasso, dessen Schuss ich glücklicherweise halten konnte, stand nicht drauf". Egal. Lehmann erzählt noch 2018: "Ein Argentinier sagte mir später, der Zettel habe wie ein böser Voodoo-Zauber auf sie gewirkt." Der Zettel, von Lehmann nach dem Spiel schon achtlos zerknüllt, wird wieder aufgehoben, Weihnachten 2006 für "Ein Herz für Kinder" für eine Million Euro versteigert und liegt heute im Haus der Geschichte in Bonn.

Die kleinen Ausraster

Manchmal gehen mit Lehmann auf dem Platz die Gäule durch. In Dortmund rüttelt er einst Mitspieler Amoroso durch und fliegt vom Platz, Leverkusens Stürmer Ulf Kirsten zwickt er die Nase. Den Schuh des Hoffenheimers Salihovic, den der verloren hat, wirft er auf sein Tornetz. Und einem VfB-Fan, der ihm nach dem Spiel in Mainz anblafft, klaut er die Brille. Torhüter und Linksaußen...

Der Nationalspieler

Jens Lehmann wird von Berti Vogts erstmals in den Kader berufen und debütiert am 18. Februar 1998 gegen den Oman in Maskat (2:0). In den folgenden 171 Länderspielen ist er fast immer dabei, aber meist nur Zuschauer. Im Konkurrenzkampf mit Andreas Köpke und Oliver Kahn muss er sich zunächst hinten anstellen. So firmiert Lehmann gemeinsam mit Kahn als deutscher Torhüter, der die meisten Turniere als Reservist erlebte – vier (WM 1998 und 2002, EM 2000 und 2004). Erst 2006 kommt er zum Zug, Klinsmann hält ihn für den besseren Fußballer als Kahn, mit dem sich Lehmann über die Jahre einige verbale Scharmützel liefert. Auch Joachim Löw setzt auf Lehmann, selbst als der bei Arsenal 2007/2008 auf die Bank muss. Im DFB-Tor aber stellt er vom 22. August 2007 bis 27. Mai 2008 einen Rekord auf und bleibt 681 Minuten ohne Gegentor. Löw geht mit ihm in die EM 2008. Da erreicht Deutschland das Finale und unterliegt Spanien 0:1, Lehmann geht nach 61 Länderspielen im Alter von 38 Jahren als Vize-Europameister.

Jens Lehmanns Karrieredaten

Vereine:

1975-1978 DJK Heisingen
1978-1998 Schalke
1998/1999 AC Mailand
1999-2003 Borussia Dortmund
2003-2008 FC Arsenal 
2008-2010 VfB Stuttgart
2011 FC Arsenal II

61 A-Länderspiele
6 U 19-Länderspiele
6 U 21 Länderspiele
5x Olympia-Auswahl

Titel:

UEFA-Pokalsieger 1997
Deutscher Meister 2002
Englischer Meister 2004
Englischer Supercupsieger 2004
Englischer Pokalsieger 2005 (FA-Cup)

Auszeichnungen:

Europas bester Torwart 1997 und 2006

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