Zum 100.: "Turek, du bist ein Fußballgott!"

Schon mit 17 erfüllte sich sein Traum, den Tausende seiner Fußballgeneration vergebens träumten: Toni Turek landete am 27. September 1936 in Sepp Herbergers berühmtem Notizbuch. Der junge Torwart einer Duisburger Jugendauswahl, die das Vorspiel zum Länderkampf mit Luxemburg in Krefeld bestritt, war dem frisch ernannten Reichstrainer aufgefallen: seine Ruhe, sein Stellungsspiel, seine verblüffende Fangsicherheit. Bis zur ersten Nominierung in die Nationalmannschaft vergingen aber noch sechs Jahre, und gespielt hat der erste deutsche Weltmeistertorwart, der heute 100 Jahre geworden wäre, sogar erst 14 Jahre später.

Denn der Krieg, der so viel Unheil anrichtete, blockierte auch die Nationalmannschaftspläne Tureks. Nach dem Slowakei-Spiel am 22. November 1942 in Preßburg, als er erstmals als Reservist im Kader war, wurde der Spielbetrieb eingestellt. Und die prägendste Erinnerung, die Turek von dieser Reise mitnahm, war zudem schmerzhaft: Im Zug fiel ihm der Materialkoffer des Zeugwarts von der Ablage auf seinen Kopf. Die Kollegen lachten, Herberger witzelte: "Wenn der Toni das verkraften kann, dann verträgt er auch ein Länderspiel." Es wurden dann 20, nur 20 - denn "meine besten Jahre sind im Krieg geblieben", hat Turek, der an vielen Fronten kämpfen musste und seit 1943 einen Granatsplitter im Hinterkopf hatte, oft gesagt.

Länderspieldebüt mit 31

Aber er überstand ihn, und als nach 1945 wieder Fußball gespielt wurde, machte der Duisburger Bäckergeselle doch noch seinen Weg. Obwohl er mit seinen Vereinen wenig Erfolg hatte und nur einen Titel gewann - mit der TSG Ulm wurde er 1949 Verbandspokalsieger in Württemberg -, blieb er immer in Herbergers Fokus. Als nach genau achtjähriger Pause das erste Länderspiel nach dem Krieg stattfand, stand er in Stuttgart beim 1:0 gegen die Schweiz im Tor.

Das späte Glück des Toni Turek, der beim Debüt schon 31 war, währte noch ein Weilchen. Auf dem Weg zur WM in die Schweiz setzte Herberger meist auf den populären Keeper, der seit 1950 wieder in seiner Heimatregion spielte und sich nach Abstechern in Ulm und Frankfurt der Düsseldorfer Fortuna anschloss. Für sie bestritt er in der Oberliga West 133 Spiele, man sprach in Fachkreisen von der "Turek-Elf". Bei den jährlichen Abstimmungen des kicker über die populärsten Torhüter des Landes landete er 1953 auf Platz eins. Das Publikum mochte seine unprätentiöse Art, er war kein Flieger und stand meist richtig. Viel machte er mit Auge oder, um es mit WM-Kapitän Fritz Walter zu sagen: "Der guckt die Bäll' 'naus'". Fortuna-Mitspieler Mattes Mauritz witzelte: "Er bewegte sich nur, wenn es nicht anders ging." Für den kicker war er der "Torhüter stoischer Eleganz", der seinen Strafraum eigentlich nie verließ.

Das Bündel herausragender Eigenschaften wog jedenfalls schwer genug, um die nicht zu leugnenden Schwächen in der Strafraumbeherrschung und beim Führen einer Abwehr zu kompensieren. Herberger setzte Turek vor der WM in vier Jahren 13-mal ein, auch in allen vier Qualifikationsspielen. Trotzdem schwankte der Bundestrainer vor dem Turnier, das sie alle unsterblich machen sollte, zwischen ihm und dem Essener Talent Fritz Herkenrath, wie seinen Erinnerungen zu entnehmen ist. Da Herkenrath aber mit Rot-Weiß Essen nach der Saison auf Südamerikareise ging, verzichtete Herberger auf den noch Unerprobten, und für Turek war die Bahn endgültig frei.

"Denkzettel" als Glücksfall: Kein Einsatz beim 3:8

Bei der WM in der Schweiz kassierte Turek in fünf Einsätzen sechs Tore. Er verärgerte Herberger zwar etwas mit seiner "Lust zur Schau" in der Vorrunde, weshalb er ihm nach dem 4:1 gegen die Türkei "die Leviten lesen" musste. Das 3:8 gegen die Ungarn blieb Turek erspart, sein Fehlen sollte eigentlich ein "Denkzettel" sein, doch im Nachhinein war es eher ein Glück. Während Vertreter Heinrich Kwiatkowski deprimiert war, ging Turek unbelastet in die nächsten Spiele und lieferte im Viertelfinale gegen Jugoslawien (2:0) ein grandioses Spiel. Der kicker schwärmte von seinen "fantastischen Paraden", deutsche Fans trugen ihm vom Platz.

Es war noch kein Vergleich zur Begeisterung, die die Mannschaft im WM-Finale am 4. Juli in Bern entfachte, als sie -erneut gegen Ungarn - nach einem 0:2-Rückstand noch 3:2 gewann. Turek, der nach einem Missverständnis mit Werner Kohlmeyer das 0:2 verschuldet hatte, bestätigte in den verbleibenden 80 Minuten Herbergers Einschätzung, dass er Rückschläge am leichtesten verkraften könne und "der verlässlichste" unter seinen Torhütern sei.

"Fußballgott" wider Willen

Mit zahllosen Paraden rettete Turek an diesem Glanztag den deutschen Sieg und avancierte durch die berühmte Radioreportage Herbert Zimmermanns in der 24. Minute, als er Hidegkutis Volleyhammer mit der Schulter über die Latte lenkte, zum ersten deutschen "Fußballgott". Zimmermann rief euphorisiert: "Turek, du bist ein Teufelskerl! Turek, du bist ein Fußballgott!"

"Toni, du bist ein Fußballgott!", rief er also nicht, doch die persönlichere Ansprache hat sich im kollektiven Gedächtnis der Fußballnation durchgesetzt. Folgenreicher war die Bezeichnung "Fußballgott", für die sich Zimmermann nach Protesten von Kirchenvertretern entschuldigen musste und die Turek stets "peinlich" war.

"Ohne den Sieg im Endspiel wäre ich nicht mehr hier"

Nach der WM, für die er mit 2000 Mark entlohnt wurde, bestritt er nur noch ein Länderspiel im Oktober 1954, dann forderte das Alter seinen Tribut. In 20 Länderspielen kassierte er nur 27 Tore, für die damalige Zeit ein respektabler Wert! 13-mal ging er als Sieger vom Platz, nur viermal als Verlierer. In seinen neun Pflichtspielen blieb er ungeschlagen.

1956 beendete Turek seine Karriere bei Borussia Mönchengladbach, für die er 1956/1957 nur noch viermal spielte. Weil Fußballer damals vom Sport allein nicht leben konnten, auch nicht als Weltmeister. Bis 1977 war er Angestellter in der Verwaltung der Düsseldorfer Rheinbahn, ehe er sich frühverrenten lassen musste. Denn im September 1973 befiel ihn über Nacht durch einen Virus eine Querschnittslähmung. Seine letzten Lebensjahre bis zum tödlichen Schlaganfall im Mai 1984 wurden von Operationen, Krankenhausaufenthalten, einem Leben im Rollstuhl und mit Krücken geprägt. "Viel Glück habe ich im Leben nicht gehabt", sagte der Vater zweier Kinder am Ende seiner Tage.

Wobei ihm die Besuche und Briefe der Kameraden von Bern noch über manches Tief hinweghalfen. So sagte er 1978, dem Jahr in dem ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde: "Ohne den Sieg im Endspiel wäre ich heute nicht mehr hier. Ich wäre kaputtgegangen." Heute ist er immer noch da - im Gedenken der Menschen. Vor dem Düsseldorfer Stadion steht eine Bronzestatue, die einen Torwart zeigt, der sich gelassen an einen Torpfosten in Form einer Eins lehnt. Die Gefahr nicht scheuend. So soll er in Erinnerung bleiben, der "Torwart stoischer Eleganz". Der kein Gott war, nur ein Mensch mit ganz besonderen Fähigkeiten.

Tureks Vereine

1927-1938 Duisburger SC 1900
1938-1943 und 1945 - September 1946 TuS Duisburg 48/99
1941/1942 SSV Ulm
1946/1947 Eintracht Frankfurt
1947-1950 TSG Ulm
1950-1955 Fortuna Düsseldorf
1956-1957 Borussia Mönchengladbach

[um]

Schon mit 17 erfüllte sich sein Traum, den Tausende seiner Fußballgeneration vergebens träumten: Toni Turek landete am 27. September 1936 in Sepp Herbergers berühmtem Notizbuch. Der junge Torwart einer Duisburger Jugendauswahl, die das Vorspiel zum Länderkampf mit Luxemburg in Krefeld bestritt, war dem frisch ernannten Reichstrainer aufgefallen: seine Ruhe, sein Stellungsspiel, seine verblüffende Fangsicherheit. Bis zur ersten Nominierung in die Nationalmannschaft vergingen aber noch sechs Jahre, und gespielt hat der erste deutsche Weltmeistertorwart, der heute 100 Jahre geworden wäre, sogar erst 14 Jahre später.

Denn der Krieg, der so viel Unheil anrichtete, blockierte auch die Nationalmannschaftspläne Tureks. Nach dem Slowakei-Spiel am 22. November 1942 in Preßburg, als er erstmals als Reservist im Kader war, wurde der Spielbetrieb eingestellt. Und die prägendste Erinnerung, die Turek von dieser Reise mitnahm, war zudem schmerzhaft: Im Zug fiel ihm der Materialkoffer des Zeugwarts von der Ablage auf seinen Kopf. Die Kollegen lachten, Herberger witzelte: "Wenn der Toni das verkraften kann, dann verträgt er auch ein Länderspiel." Es wurden dann 20, nur 20 - denn "meine besten Jahre sind im Krieg geblieben", hat Turek, der an vielen Fronten kämpfen musste und seit 1943 einen Granatsplitter im Hinterkopf hatte, oft gesagt.

Länderspieldebüt mit 31

Aber er überstand ihn, und als nach 1945 wieder Fußball gespielt wurde, machte der Duisburger Bäckergeselle doch noch seinen Weg. Obwohl er mit seinen Vereinen wenig Erfolg hatte und nur einen Titel gewann - mit der TSG Ulm wurde er 1949 Verbandspokalsieger in Württemberg -, blieb er immer in Herbergers Fokus. Als nach genau achtjähriger Pause das erste Länderspiel nach dem Krieg stattfand, stand er in Stuttgart beim 1:0 gegen die Schweiz im Tor.

Das späte Glück des Toni Turek, der beim Debüt schon 31 war, währte noch ein Weilchen. Auf dem Weg zur WM in die Schweiz setzte Herberger meist auf den populären Keeper, der seit 1950 wieder in seiner Heimatregion spielte und sich nach Abstechern in Ulm und Frankfurt der Düsseldorfer Fortuna anschloss. Für sie bestritt er in der Oberliga West 133 Spiele, man sprach in Fachkreisen von der "Turek-Elf". Bei den jährlichen Abstimmungen des kicker über die populärsten Torhüter des Landes landete er 1953 auf Platz eins. Das Publikum mochte seine unprätentiöse Art, er war kein Flieger und stand meist richtig. Viel machte er mit Auge oder, um es mit WM-Kapitän Fritz Walter zu sagen: "Der guckt die Bäll' 'naus'". Fortuna-Mitspieler Mattes Mauritz witzelte: "Er bewegte sich nur, wenn es nicht anders ging." Für den kicker war er der "Torhüter stoischer Eleganz", der seinen Strafraum eigentlich nie verließ.

Das Bündel herausragender Eigenschaften wog jedenfalls schwer genug, um die nicht zu leugnenden Schwächen in der Strafraumbeherrschung und beim Führen einer Abwehr zu kompensieren. Herberger setzte Turek vor der WM in vier Jahren 13-mal ein, auch in allen vier Qualifikationsspielen. Trotzdem schwankte der Bundestrainer vor dem Turnier, das sie alle unsterblich machen sollte, zwischen ihm und dem Essener Talent Fritz Herkenrath, wie seinen Erinnerungen zu entnehmen ist. Da Herkenrath aber mit Rot-Weiß Essen nach der Saison auf Südamerikareise ging, verzichtete Herberger auf den noch Unerprobten, und für Turek war die Bahn endgültig frei.

"Denkzettel" als Glücksfall: Kein Einsatz beim 3:8

Bei der WM in der Schweiz kassierte Turek in fünf Einsätzen sechs Tore. Er verärgerte Herberger zwar etwas mit seiner "Lust zur Schau" in der Vorrunde, weshalb er ihm nach dem 4:1 gegen die Türkei "die Leviten lesen" musste. Das 3:8 gegen die Ungarn blieb Turek erspart, sein Fehlen sollte eigentlich ein "Denkzettel" sein, doch im Nachhinein war es eher ein Glück. Während Vertreter Heinrich Kwiatkowski deprimiert war, ging Turek unbelastet in die nächsten Spiele und lieferte im Viertelfinale gegen Jugoslawien (2:0) ein grandioses Spiel. Der kicker schwärmte von seinen "fantastischen Paraden", deutsche Fans trugen ihm vom Platz.

Es war noch kein Vergleich zur Begeisterung, die die Mannschaft im WM-Finale am 4. Juli in Bern entfachte, als sie -erneut gegen Ungarn - nach einem 0:2-Rückstand noch 3:2 gewann. Turek, der nach einem Missverständnis mit Werner Kohlmeyer das 0:2 verschuldet hatte, bestätigte in den verbleibenden 80 Minuten Herbergers Einschätzung, dass er Rückschläge am leichtesten verkraften könne und "der verlässlichste" unter seinen Torhütern sei.

"Fußballgott" wider Willen

Mit zahllosen Paraden rettete Turek an diesem Glanztag den deutschen Sieg und avancierte durch die berühmte Radioreportage Herbert Zimmermanns in der 24. Minute, als er Hidegkutis Volleyhammer mit der Schulter über die Latte lenkte, zum ersten deutschen "Fußballgott". Zimmermann rief euphorisiert: "Turek, du bist ein Teufelskerl! Turek, du bist ein Fußballgott!"

"Toni, du bist ein Fußballgott!", rief er also nicht, doch die persönlichere Ansprache hat sich im kollektiven Gedächtnis der Fußballnation durchgesetzt. Folgenreicher war die Bezeichnung "Fußballgott", für die sich Zimmermann nach Protesten von Kirchenvertretern entschuldigen musste und die Turek stets "peinlich" war.

"Ohne den Sieg im Endspiel wäre ich nicht mehr hier"

Nach der WM, für die er mit 2000 Mark entlohnt wurde, bestritt er nur noch ein Länderspiel im Oktober 1954, dann forderte das Alter seinen Tribut. In 20 Länderspielen kassierte er nur 27 Tore, für die damalige Zeit ein respektabler Wert! 13-mal ging er als Sieger vom Platz, nur viermal als Verlierer. In seinen neun Pflichtspielen blieb er ungeschlagen.

1956 beendete Turek seine Karriere bei Borussia Mönchengladbach, für die er 1956/1957 nur noch viermal spielte. Weil Fußballer damals vom Sport allein nicht leben konnten, auch nicht als Weltmeister. Bis 1977 war er Angestellter in der Verwaltung der Düsseldorfer Rheinbahn, ehe er sich frühverrenten lassen musste. Denn im September 1973 befiel ihn über Nacht durch einen Virus eine Querschnittslähmung. Seine letzten Lebensjahre bis zum tödlichen Schlaganfall im Mai 1984 wurden von Operationen, Krankenhausaufenthalten, einem Leben im Rollstuhl und mit Krücken geprägt. "Viel Glück habe ich im Leben nicht gehabt", sagte der Vater zweier Kinder am Ende seiner Tage.

Wobei ihm die Besuche und Briefe der Kameraden von Bern noch über manches Tief hinweghalfen. So sagte er 1978, dem Jahr in dem ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde: "Ohne den Sieg im Endspiel wäre ich heute nicht mehr hier. Ich wäre kaputtgegangen." Heute ist er immer noch da - im Gedenken der Menschen. Vor dem Düsseldorfer Stadion steht eine Bronzestatue, die einen Torwart zeigt, der sich gelassen an einen Torpfosten in Form einer Eins lehnt. Die Gefahr nicht scheuend. So soll er in Erinnerung bleiben, der "Torwart stoischer Eleganz". Der kein Gott war, nur ein Mensch mit ganz besonderen Fähigkeiten.

Tureks Vereine

1927-1938 Duisburger SC 1900
1938-1943 und 1945 - September 1946 TuS Duisburg 48/99
1941/1942 SSV Ulm
1946/1947 Eintracht Frankfurt
1947-1950 TSG Ulm
1950-1955 Fortuna Düsseldorf
1956-1957 Borussia Mönchengladbach

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