Zu Udo Latteks 85.: Sein Leben ist erloschen, sein Ruhm nicht

Sein Leben lang hat er viel geredet und dabei stets auch viel gesagt. Rhetorisch bewandert, wie sich das für einen Pädagogen gehört, und couragiert, wie es sein Charakter war. Der einstige DFB-Trainer Udo Lattek trug sein Herz auf der Zunge. Einer wie er eignete sich für Talk-Shows und da sahen wir ihn dann auch noch mit 76 Jahren an jedem Sonntagmorgen sitzen, am Stammtisch des DSF, das längst Sport1 heißt, uns im "Doppelpass" die Fußballwelt erklären und sie auch gern ein bisschen aufmischen. Oft unterbrachen Udo-Rufe aus dem Podium die Debatte, der Mann war Kult.

Heute vor 85 Jahren kam er auf die Welt, die er nur 16 Tage nach seinem 80. Geburtstag Ende Januar 2015 verließ. Seine letzten Tage verbrachte er als Parkinson- und Alzheimer-Patient im Pflegeheim, rührend umsorgt von Ehefrau Hildegard, die dort ein Appartement gemietet hatte, um ständig in seiner Nähe sein zu können. Sein Leben ist erloschen, sein Ruhm nicht.

Schauen wir auf das, was bleibt und was ihm keine Krankheit der Welt nehmen konnte. Udo Lattek, geboren am 16. Januar 1935 im ostpreußischen Bosemb, hat es weit gebracht im Leben. Von der Kriegsfurie aus der Heimat vertrieben, siedelten sich die Latteks im Rheinland an. Von dort zog Udo Lattek aus, die Fußball-Welt zu erobern, wenn er nebenbei auch die Lehrer-Laufbahn einschlug - für Sport, obwohl er auch Mathematik und Physik studiert hatte. Als Spieler war er unter anderem für Bayer Leverkusen und den VfL Osnabrück aktiv, für den er in der Oberliga Nord, der höchsten Spielklasse vor Bundesliga-Gründung, in 23 Spielen zehn Tore erzielte. Es ist kein Vergleich zu dem, was der Trainer Lattek, von seinem späteren Rivalen Hennes Weisweiler an der Akademie in Köln ausgebildet, schaffte.

Beckenbauer gibt den entscheidenden Tipp

Mit acht Meisterschaften ist er der erfolgreichste Trainer, nicht nur in der Geschichte der Bundesliga, sondern des deutschen Fußballs. Zwei Hattricks schaffte er mit dem FC Bayern München (1972-1974 und 1985-1987), zwei Titel mit Borussia Mönchengladbach (1976, 1977). Als einziger Trainer der Welt gewann er alle drei Europapokale - den der Landesmeister (1974 mit dem FC Bayern), den mittlerweile abgeschafften Pokal der Pokalsieger (1982 mit dem FC Barcelona) und den UEFA-Pokal (1979 mit Borussia Mönchengladbach). Dreimal gewann er mit den Bayern den DFB-Pokal (1971, 1984, 1986). "Wer 14 Titel holt, kann nicht nur Glück haben. Das Glück muss man erzwingen", sagte Lattek über Lattek, dem nur eines fehlte: "Sicher wäre ich gern Bundestrainer geworden", vertraute er 2005 der WELT an.

Groß geworden ist er mit den Bayern und die mit ihm. "Mit ihm begann eigentlich die große Zeit der Bayern", sagte Uli Hoeneß, der sein Spieler und später als Manager sein Vorgesetzter, immer aber auch sein Freund war.

Wie begann es? Franz Beckenbauer hatte dem Vorstand, der auf Trainer-Suche war, 1970 den Tipp gegeben. Sie kannten sich von der Nationalmannschaft, deren Co-Trainer Lattek von 1965 bis 1969 gewesen war. Beim berühmten Wembley-Finale saß er neben Bundestrainer Helmut Schön auf der Bank.

Es war zunächst mehr der Umgang als die Kompetenz, die den erst 35-jährigen Lattek zum Favoriten des Kaisers machte. Eigentlich brauchte die Weltklasse-Mannschaft um Maier, Beckenbauer und Müller sowieso keinen Trainer, hieß es allgemein. "Jetzt haben’s beim FC Bayern, wo der Mozart und der Beethoven in einer Band stehen, endlich auch einen passenden Bediener, der nur die Noten umzublättern braucht", lästerte Trainer-Kollege Max Merkel. Beckenbauer schrieb 1975 in seinen Memoiren, als Lattek gerade entlassen war: "In der Tat empfanden wir den neuen Trainer Lattek mitunter wie jemanden, der zum technischen Personal gehörte. Er drängte sich nicht auf."

Keiner konnte eine Mannschaft besser motivieren

Sepp Maier sagte dem Kicker 2015: "Er war wie ein zwölfter Spieler, ich habe ihn nie als einen Trainer empfunden, eher als einen Kumpel." Mit ihm konnte man auch mal lachen. Lattek selbst gestand im Gespräch mit der WELT zu seinem 70. Geburtstag: "So trainieren wie ich es getan habe, das kann jeder. Eine Mannschaft körperlich fit zu machen, das haben wir alle auf der Sporthochschule gelernt. Die Kunst aber ist es zu sehen, welcher Spieler mal ein Lob braucht oder eher mal einen Tritt in den Hintern." Seine Art kam an bei den jungen, noch erfolgshungrigen Bayern. Er war das Kontrastprogramm zum mürrischen und unzugänglichen Vorgänger Branko Zebec. Spieler-Freund Lattek war so etwas wie der Klopp der Siebziger, in denen vorrangig Trainer mit großen Meriten als Spieler die Jobs bekamen. Lattek hatte es ja nur bis zum Oberliga-Stürmer geschafft, in die Bundesliga kam er nur mit der Trainer-Lizenz. Zu seinen Stärken gehörte die Rhetorik, seine Worte saßen, er war auch ein früher Daum - keiner konnte eine Mannschaft besser motivieren. Und sei es durch einen gemeinsamen Nachmittag im Biergarten anstelle eines Trainings.

Irgendwas musste ja dran sein an diesem Mann, der nur für große und populäre Klubs arbeitete. Nach Bayern kam Gladbach, obwohl er 1975 schon bei Rot-Weiß Essen unterschrieben hatte. "Was würden Sie machen, wenn Sie die Wahl hätten zwischen einem Fahrrad und einem Mercedes?", entgegnete er Reportern keck. Es folgten zwei Jahre in Dortmund, dann zog es ihn 1981 in Folge des tragischen Todes seines Sohnes Dirk (Leukämie) in eine andere Umgebung. Lattek sagte: "Wenn der Tod meines Sohnes nicht gewesen wäre, hätte ich die meiste Zeit auf der Sonnenseite des Lebens gestanden."

Immer Ärger mit Maradona

Beruflich stand er dort quasi immer. Beim FC Barcelona gewann er auf Anhieb den Europapokal, dann kam Diego Maradona. Mit der Diva aus Argentinien gab es immer mal Ärger, einmal ließ Lattek den Bus ohne ihn abfahren. Deswegen sei er im März 1983 gefeuert worden, erzählte er gerne. Es hatte etwas Gutes, der Weg zurück zu den Bayern war frei. Nach dem verlorenen Landesmeister-Finale 1987 gegen den FC Porto wollte er seine Karriere beenden und verließ München. Auch weil er sich zu gut mit einigen Spielern verstanden habe, die der Vorstand aussortiert wissen wollte. Da ging er lieber selbst.

Nach einem Intermezzo als Kolumnist bei der Sport Bild und als Technischer Direktor beim 1. FC Köln, wo sein Talisman, ein blauer Pullover, als Symbol einer Siegesserie Berühmtheit erlangte, fand er 1992 wieder auf den Rasen zurück.

Sein Vertrag mit Schalke 04 wurde handschriftlich fixiert. Er erhielt kein Gehalt, nur Prämien. Sonderbare Prämien: 1,5 Millionen D-Mark war es dem Präsidenten Günter Eichberg wert, wenn Schalke vor dem BVB landen würde. Latteks Ruf als cleverer Geschäftsmann tat das keinen Abbruch. Seine Schalker Vergangenheit hielt die Dortmunder im April 2000 nicht davon ab, ihn als Retter zu holen. Fünf Spiele hatte er Zeit, den Abstieg zu verhindern. Dafür erhielt der allzeit Geschäftstüchtige eine Million Mark. Er schaffte es in vier Spielen. Mit 65 ging er dann doch endlich in Rente. Aber als Kolumnist der Welt am Sonntag und als Fernseh-Experte verschaffte er sich weiterhin Gehör. 2005 antwortete er auf die Frage, wo es denn am schönsten war: "Eigentlich immer da, wo ich gerade war." Glücklich, wer das sagen kann.

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Sein Leben lang hat er viel geredet und dabei stets auch viel gesagt. Rhetorisch bewandert, wie sich das für einen Pädagogen gehört, und couragiert, wie es sein Charakter war. Der einstige DFB-Trainer Udo Lattek trug sein Herz auf der Zunge. Einer wie er eignete sich für Talk-Shows und da sahen wir ihn dann auch noch mit 76 Jahren an jedem Sonntagmorgen sitzen, am Stammtisch des DSF, das längst Sport1 heißt, uns im "Doppelpass" die Fußballwelt erklären und sie auch gern ein bisschen aufmischen. Oft unterbrachen Udo-Rufe aus dem Podium die Debatte, der Mann war Kult.

Heute vor 85 Jahren kam er auf die Welt, die er nur 16 Tage nach seinem 80. Geburtstag Ende Januar 2015 verließ. Seine letzten Tage verbrachte er als Parkinson- und Alzheimer-Patient im Pflegeheim, rührend umsorgt von Ehefrau Hildegard, die dort ein Appartement gemietet hatte, um ständig in seiner Nähe sein zu können. Sein Leben ist erloschen, sein Ruhm nicht.

Schauen wir auf das, was bleibt und was ihm keine Krankheit der Welt nehmen konnte. Udo Lattek, geboren am 16. Januar 1935 im ostpreußischen Bosemb, hat es weit gebracht im Leben. Von der Kriegsfurie aus der Heimat vertrieben, siedelten sich die Latteks im Rheinland an. Von dort zog Udo Lattek aus, die Fußball-Welt zu erobern, wenn er nebenbei auch die Lehrer-Laufbahn einschlug - für Sport, obwohl er auch Mathematik und Physik studiert hatte. Als Spieler war er unter anderem für Bayer Leverkusen und den VfL Osnabrück aktiv, für den er in der Oberliga Nord, der höchsten Spielklasse vor Bundesliga-Gründung, in 23 Spielen zehn Tore erzielte. Es ist kein Vergleich zu dem, was der Trainer Lattek, von seinem späteren Rivalen Hennes Weisweiler an der Akademie in Köln ausgebildet, schaffte.

Beckenbauer gibt den entscheidenden Tipp

Mit acht Meisterschaften ist er der erfolgreichste Trainer, nicht nur in der Geschichte der Bundesliga, sondern des deutschen Fußballs. Zwei Hattricks schaffte er mit dem FC Bayern München (1972-1974 und 1985-1987), zwei Titel mit Borussia Mönchengladbach (1976, 1977). Als einziger Trainer der Welt gewann er alle drei Europapokale - den der Landesmeister (1974 mit dem FC Bayern), den mittlerweile abgeschafften Pokal der Pokalsieger (1982 mit dem FC Barcelona) und den UEFA-Pokal (1979 mit Borussia Mönchengladbach). Dreimal gewann er mit den Bayern den DFB-Pokal (1971, 1984, 1986). "Wer 14 Titel holt, kann nicht nur Glück haben. Das Glück muss man erzwingen", sagte Lattek über Lattek, dem nur eines fehlte: "Sicher wäre ich gern Bundestrainer geworden", vertraute er 2005 der WELT an.

Groß geworden ist er mit den Bayern und die mit ihm. "Mit ihm begann eigentlich die große Zeit der Bayern", sagte Uli Hoeneß, der sein Spieler und später als Manager sein Vorgesetzter, immer aber auch sein Freund war.

Wie begann es? Franz Beckenbauer hatte dem Vorstand, der auf Trainer-Suche war, 1970 den Tipp gegeben. Sie kannten sich von der Nationalmannschaft, deren Co-Trainer Lattek von 1965 bis 1969 gewesen war. Beim berühmten Wembley-Finale saß er neben Bundestrainer Helmut Schön auf der Bank.

Es war zunächst mehr der Umgang als die Kompetenz, die den erst 35-jährigen Lattek zum Favoriten des Kaisers machte. Eigentlich brauchte die Weltklasse-Mannschaft um Maier, Beckenbauer und Müller sowieso keinen Trainer, hieß es allgemein. "Jetzt haben’s beim FC Bayern, wo der Mozart und der Beethoven in einer Band stehen, endlich auch einen passenden Bediener, der nur die Noten umzublättern braucht", lästerte Trainer-Kollege Max Merkel. Beckenbauer schrieb 1975 in seinen Memoiren, als Lattek gerade entlassen war: "In der Tat empfanden wir den neuen Trainer Lattek mitunter wie jemanden, der zum technischen Personal gehörte. Er drängte sich nicht auf."

Keiner konnte eine Mannschaft besser motivieren

Sepp Maier sagte dem Kicker 2015: "Er war wie ein zwölfter Spieler, ich habe ihn nie als einen Trainer empfunden, eher als einen Kumpel." Mit ihm konnte man auch mal lachen. Lattek selbst gestand im Gespräch mit der WELT zu seinem 70. Geburtstag: "So trainieren wie ich es getan habe, das kann jeder. Eine Mannschaft körperlich fit zu machen, das haben wir alle auf der Sporthochschule gelernt. Die Kunst aber ist es zu sehen, welcher Spieler mal ein Lob braucht oder eher mal einen Tritt in den Hintern." Seine Art kam an bei den jungen, noch erfolgshungrigen Bayern. Er war das Kontrastprogramm zum mürrischen und unzugänglichen Vorgänger Branko Zebec. Spieler-Freund Lattek war so etwas wie der Klopp der Siebziger, in denen vorrangig Trainer mit großen Meriten als Spieler die Jobs bekamen. Lattek hatte es ja nur bis zum Oberliga-Stürmer geschafft, in die Bundesliga kam er nur mit der Trainer-Lizenz. Zu seinen Stärken gehörte die Rhetorik, seine Worte saßen, er war auch ein früher Daum - keiner konnte eine Mannschaft besser motivieren. Und sei es durch einen gemeinsamen Nachmittag im Biergarten anstelle eines Trainings.

Irgendwas musste ja dran sein an diesem Mann, der nur für große und populäre Klubs arbeitete. Nach Bayern kam Gladbach, obwohl er 1975 schon bei Rot-Weiß Essen unterschrieben hatte. "Was würden Sie machen, wenn Sie die Wahl hätten zwischen einem Fahrrad und einem Mercedes?", entgegnete er Reportern keck. Es folgten zwei Jahre in Dortmund, dann zog es ihn 1981 in Folge des tragischen Todes seines Sohnes Dirk (Leukämie) in eine andere Umgebung. Lattek sagte: "Wenn der Tod meines Sohnes nicht gewesen wäre, hätte ich die meiste Zeit auf der Sonnenseite des Lebens gestanden."

Immer Ärger mit Maradona

Beruflich stand er dort quasi immer. Beim FC Barcelona gewann er auf Anhieb den Europapokal, dann kam Diego Maradona. Mit der Diva aus Argentinien gab es immer mal Ärger, einmal ließ Lattek den Bus ohne ihn abfahren. Deswegen sei er im März 1983 gefeuert worden, erzählte er gerne. Es hatte etwas Gutes, der Weg zurück zu den Bayern war frei. Nach dem verlorenen Landesmeister-Finale 1987 gegen den FC Porto wollte er seine Karriere beenden und verließ München. Auch weil er sich zu gut mit einigen Spielern verstanden habe, die der Vorstand aussortiert wissen wollte. Da ging er lieber selbst.

Nach einem Intermezzo als Kolumnist bei der Sport Bild und als Technischer Direktor beim 1. FC Köln, wo sein Talisman, ein blauer Pullover, als Symbol einer Siegesserie Berühmtheit erlangte, fand er 1992 wieder auf den Rasen zurück.

Sein Vertrag mit Schalke 04 wurde handschriftlich fixiert. Er erhielt kein Gehalt, nur Prämien. Sonderbare Prämien: 1,5 Millionen D-Mark war es dem Präsidenten Günter Eichberg wert, wenn Schalke vor dem BVB landen würde. Latteks Ruf als cleverer Geschäftsmann tat das keinen Abbruch. Seine Schalker Vergangenheit hielt die Dortmunder im April 2000 nicht davon ab, ihn als Retter zu holen. Fünf Spiele hatte er Zeit, den Abstieg zu verhindern. Dafür erhielt der allzeit Geschäftstüchtige eine Million Mark. Er schaffte es in vier Spielen. Mit 65 ging er dann doch endlich in Rente. Aber als Kolumnist der Welt am Sonntag und als Fernseh-Experte verschaffte er sich weiterhin Gehör. 2005 antwortete er auf die Frage, wo es denn am schönsten war: "Eigentlich immer da, wo ich gerade war." Glücklich, wer das sagen kann.

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