Yanar und Zarrella: "Wir sind inzwischen eine große Gemeinschaft"

Türkei gegen Italien - so beginnt heute (ab 21 Uhr, live in der ARD) in Rom die paneuropäische EURO 2020. DFB.de hat Giovanni Zarrella und Kaya Yanar gefragt, wie es ausgeht. Und mit dem italienischen Entertainer, der ab Herbst die große ZDF-Samstagabendshow moderiert sowie dem Comedian mit türkischen Wurzeln, der sich unbändig darauf freut, im Herbst endlich wieder auf Tournee zu gehen, über den italienischen und türkischen Fußball gesprochen.

DFB.de: Herr Zarrella, Sie spielten einst in der Jugend des AS Rom. Wie sehr hat Ihnen der Fußball während des Lockdowns gefehlt?

Giovanni Zarrella: Sehr. Ich spiele bis heute bei den Alten Herren eines Kölner Vereins. Am Montag haben wir erstmals wieder trainiert. Ich sage nicht, es war wie neu Laufen lernen, aber nah dran. Der Fußball hat mir enorm gefehlt.

DFB.de: Wie gut waren Sie damals als Talent beim AS Rom?

Zarrella: Ich war nicht der Star in der Mannschaft, nicht das Aushängeschild, aber ich habe meistens gespielt. Die linke Außenbahn war mein Zuhause.

DFB.de: Werden Sie beim Eröffnungsspiel vor dem Fernseher sitzen?

Zarrella: Auf jeden Fall. Ich bin dieser Tage in Österreich bei einer großen TV-Produktion, am Freitagabend ist Generalprobe. Aber wir haben exakt geplant. Zum Anpfiff sitzen wir wieder im Hotel vor dem Fernseher. Lieber noch hätte ich es zuhause mit meinem Sohn und meinem Papa geschaut. Das machen wir dann beim zweiten Gruppenspiel der Italiener gegen die Schweiz.

DFB.de: Herr Yanar, wie ist es bei Ihnen? Werden Sie auch vor dem Fernseher sitzen? Oder - verzeihen Sie die Plattheit - anders gefragt: Was guckst du?

Kaya Yanar: Ja, klar sitze ich vor dem Fernseher. Bei WM und EM immer. Vor allem auch, wenn es die Türkei mal wieder geschafft hat, sich zu qualifizieren. War das nicht 2008, als wir zum letzten Mal bei einem großen Turnier dabei waren? Als Philipp Lahm uns im Halbfinale rausgeschossen hat. Okay, stimmt nicht, 2016 in Frankreich waren wir auch am Start, sind aber in der Gruppe ausgeschieden. Ich freue mich auf jeden Fall sehr auf dieses EM-Auftaktspiel.

DFB.de: Fußball und die türkische Mentalität, bitte erzählen Sie.

Yanar: Bei allen Unterschieden zwischen deutscher und türkischer Kultur gibt es doch ein paar Überschneidungen. Die Liebe zum Auto und die Liebe zum Fußball gehören definitiv auf eine Liste deutsch-türkischer Gemeinsamkeiten. Nur fallen die Erwartungen an das Leistungsvermögen der eigenen Mannschaft in der Türkei etwas bescheidener aus. In Deutschland ist ja alles unter Weltmeister oder Europameister eine Enttäuschung. (lacht) Aber die meisten Türken und Deutsch-Türken in Deutschland fiebern dem Turnier entgegen.

DFB.de: Herr Zarrella, seit Trainer Roberto Mancini die Nationalmannschaft übernommen hat, läuft es sehr gut. Wie sehen Sie den Mister, und welche Chancen geben Sie der Squadra Azzurra?

Zarrella: Nach Gian Piero Ventura mit dem Nicht-Erreichen der WM waren wir alle glücklich über einen neuen Anfang. Mancini setzte auf viele junge Spieler. Er lässt sich nicht reinreden, was mir auch sehr gut gefällt. Für mich ist Italien einer der Topfavoriten des Turniers. Wir haben eine eingeschworene Truppe, ohne einen Weltklassespieler, aber alle sind klasse. Italien kommt ins Halbfinale.

DFB.de: Abseits vom Fußball ist die Paarung Türkei gegen Italien auch in Deutschland ein ganz besonderes Spiel. Die Bundeskanzlerin lädt jedes Jahr zum Integrationsgipfel. Und heute findet auch einer statt. Das wird gerade in Deutschland ein Abend, bei dem viele Menschen unterschiedlicher familiärer Herkunft ein Ereignis gemeinsam erleben.

Zarrella: Das ist ja das Schönste an Deutschland. Das wir diesen tollen Kulturmix haben. Meine Eltern kamen Anfang der 70er-Jahre hierher und haben die Chance auf ein besseres Leben bekommen. Und die haben sie genutzt. Wie auch die Menschen, die aus der Türkei, Griechenland oder vom Balkan nach Deutschland kamen. Für mich stellt sich nach nun 60 Jahren Einwanderung nach Deutschland nicht mehr die Frage, wer woher kommt. Wir sind inzwischen eine große Gemeinschaft. Ich selbst bin ein Italo-Deutscher. Ich liebe beide Länder, und so erziehe ich auch meine Kinder. Auf meinen beiden letzten Alben singe ich große deutsche Hits auf Italienisch. Gehört für mich zusammen. Das ist ein wenig wie Spätzle à la Bolognese.

DFB.de: Herr Yanar, Sie wurden vor nun bald 50 Jahren in Frankfurt am Main geboren. Ihre Eltern waren aus der Südtürkei nach Deutschland gekommen. Wie verteilen sich bei Ihnen die deutschen und die türkischen Identitätsbausteine?

Yanar: Die verteilen sich auf rund 100 Therapiestunden. (lacht) Das ist tatsächlich ein komplexes Thema, das mich schon ein Leben lang begleitet, also über die von Ihnen leider verratenen fast 50 Jahre. Zum Beispiel bin ich ein sehr deutscher Autofahrer. Also flott und mit einer gesunden Grundaggression hinter dem Steuer. Ich bin mit dieser deutschen Fahrmentalität aufgewachsen, die sich von der türkischen und - wie man ahnt - von der schweizerischen sehr unterscheidet. Strafzettel heißen in der Schweiz "Bußen", und die kassiere ich regelmäßig. Tempolimit dort ist 120 km/h. So parken wir rückwärts ein in Deutschland. Wenn ich dann in Istanbul unterwegs bin, ist mir das viel zu chaotisch. Wie plötzlich aus zwei Fahrspuren drei oder vier werden, und das einzige Ordnungsprinzip ist das Recht des Stärkeren. Mein Familienverständnis dagegen ist sehr türkisch. Die eigene Familie muss zusammenhalten, aber auch die meines Bruders und so weiter. Ich bin kein Wanderer, ich bin ein Springer zwischen den Kulturen.

DFB.de: Das Familiäre und der bedingungslose Zusammenhalt scheint heute auch in Deutschland größer zu sein als etwa in den 70er-Jahren. Ein Einfluss der Einwanderung nach Deutschland?

Yanar: Sicher, wir beeinflussen uns alle gegenseitig. Die Jugendsprache benutzt heute so viele turkoarabische Begriffe. Vallah, so eine Art "Ich schwöre!" Das haben doch früher nur die türkischen oder arabischen Kids gesagt. Oder Mashallah, was etwas Positives ausdrückt, wie ein Kompliment. Das sagen heute alle Jugendlichen, mit und ohne Migrationshintergrund. Das war zu meiner Jugendzeit noch nicht so. Das ist ja das Faszinierende an Kulturen: die Spannungen, manchmal Reibereien, die Wechselwirkungen.

DFB.de: Was denkt man in der Türkei über Italien und die Italiener?

Yanar: Da muss ich passen. Ich bin schon ein paar Jahre nicht mehr in die Türkei gefahren, weil ich nicht weiß, ob ich da wieder rauskomme.

DFB.de: Haben Sie wie Ihr Kollege Jan Böhmermann schon Erdogan-Witze gemacht?

Yanar: Ehrlich gesagt, nicht wirklich. Aber es wurden schon Leute wegen eines Tweets festgesetzt. Ich bin da ein wenig vorsichtig. 2020 kam Corona, und dann war sowieso Schicht im Schacht, ich bin also schon ein paar Jahre nicht mehr dort gewesen. Religionsgeschichtlich und kulturhistorisch verbindet Türken und Italiener die Tatsache, dass das römische Weltreich von Rom aus und später von Konstantinopel aus regiert wurde. Und beide kloppen sich, soweit ich weiß, immer noch um die Gebeine des heiligen Nikolaus, so jedenfalls mein letzter Stand. (lacht)

DFB.de: Wollen Sie beide fürs EM-Eröffnungsspiel einen Tipp wagen?

Yanar: Ich glaube, mir wird kein Türke böse sein, wenn ich sage, dass Italien Favorit in der Gruppe ist. Die Türkei wird mit der Schweiz um Platz zwei kämpfen. Burak Yilmaz ist ein Weltklassestürmer, defensiv und beim Keeper haben wir Probleme. Ich tippe 2:1 für Italien. Oder 3:1?

Zarrella: Ganz enge Kiste. Ohnehin ist die Gruppe viel schwerer, als sie scheint. Und die Türkei kommt mit breiter Brust. Ich meine, die haben in der gesamten Qualifikation die wenigsten Gegentore kassiert. 1:0 für Italien. Aber so eins mit Schweißperlen auf der Stirn.

[th]

Türkei gegen Italien - so beginnt heute (ab 21 Uhr, live in der ARD) in Rom die paneuropäische EURO 2020. DFB.de hat Giovanni Zarrella und Kaya Yanar gefragt, wie es ausgeht. Und mit dem italienischen Entertainer, der ab Herbst die große ZDF-Samstagabendshow moderiert sowie dem Comedian mit türkischen Wurzeln, der sich unbändig darauf freut, im Herbst endlich wieder auf Tournee zu gehen, über den italienischen und türkischen Fußball gesprochen.

DFB.de: Herr Zarrella, Sie spielten einst in der Jugend des AS Rom. Wie sehr hat Ihnen der Fußball während des Lockdowns gefehlt?

Giovanni Zarrella: Sehr. Ich spiele bis heute bei den Alten Herren eines Kölner Vereins. Am Montag haben wir erstmals wieder trainiert. Ich sage nicht, es war wie neu Laufen lernen, aber nah dran. Der Fußball hat mir enorm gefehlt.

DFB.de: Wie gut waren Sie damals als Talent beim AS Rom?

Zarrella: Ich war nicht der Star in der Mannschaft, nicht das Aushängeschild, aber ich habe meistens gespielt. Die linke Außenbahn war mein Zuhause.

DFB.de: Werden Sie beim Eröffnungsspiel vor dem Fernseher sitzen?

Zarrella: Auf jeden Fall. Ich bin dieser Tage in Österreich bei einer großen TV-Produktion, am Freitagabend ist Generalprobe. Aber wir haben exakt geplant. Zum Anpfiff sitzen wir wieder im Hotel vor dem Fernseher. Lieber noch hätte ich es zuhause mit meinem Sohn und meinem Papa geschaut. Das machen wir dann beim zweiten Gruppenspiel der Italiener gegen die Schweiz.

DFB.de: Herr Yanar, wie ist es bei Ihnen? Werden Sie auch vor dem Fernseher sitzen? Oder - verzeihen Sie die Plattheit - anders gefragt: Was guckst du?

Kaya Yanar: Ja, klar sitze ich vor dem Fernseher. Bei WM und EM immer. Vor allem auch, wenn es die Türkei mal wieder geschafft hat, sich zu qualifizieren. War das nicht 2008, als wir zum letzten Mal bei einem großen Turnier dabei waren? Als Philipp Lahm uns im Halbfinale rausgeschossen hat. Okay, stimmt nicht, 2016 in Frankreich waren wir auch am Start, sind aber in der Gruppe ausgeschieden. Ich freue mich auf jeden Fall sehr auf dieses EM-Auftaktspiel.

DFB.de: Fußball und die türkische Mentalität, bitte erzählen Sie.

Yanar: Bei allen Unterschieden zwischen deutscher und türkischer Kultur gibt es doch ein paar Überschneidungen. Die Liebe zum Auto und die Liebe zum Fußball gehören definitiv auf eine Liste deutsch-türkischer Gemeinsamkeiten. Nur fallen die Erwartungen an das Leistungsvermögen der eigenen Mannschaft in der Türkei etwas bescheidener aus. In Deutschland ist ja alles unter Weltmeister oder Europameister eine Enttäuschung. (lacht) Aber die meisten Türken und Deutsch-Türken in Deutschland fiebern dem Turnier entgegen.

DFB.de: Herr Zarrella, seit Trainer Roberto Mancini die Nationalmannschaft übernommen hat, läuft es sehr gut. Wie sehen Sie den Mister, und welche Chancen geben Sie der Squadra Azzurra?

Zarrella: Nach Gian Piero Ventura mit dem Nicht-Erreichen der WM waren wir alle glücklich über einen neuen Anfang. Mancini setzte auf viele junge Spieler. Er lässt sich nicht reinreden, was mir auch sehr gut gefällt. Für mich ist Italien einer der Topfavoriten des Turniers. Wir haben eine eingeschworene Truppe, ohne einen Weltklassespieler, aber alle sind klasse. Italien kommt ins Halbfinale.

DFB.de: Abseits vom Fußball ist die Paarung Türkei gegen Italien auch in Deutschland ein ganz besonderes Spiel. Die Bundeskanzlerin lädt jedes Jahr zum Integrationsgipfel. Und heute findet auch einer statt. Das wird gerade in Deutschland ein Abend, bei dem viele Menschen unterschiedlicher familiärer Herkunft ein Ereignis gemeinsam erleben.

Zarrella: Das ist ja das Schönste an Deutschland. Das wir diesen tollen Kulturmix haben. Meine Eltern kamen Anfang der 70er-Jahre hierher und haben die Chance auf ein besseres Leben bekommen. Und die haben sie genutzt. Wie auch die Menschen, die aus der Türkei, Griechenland oder vom Balkan nach Deutschland kamen. Für mich stellt sich nach nun 60 Jahren Einwanderung nach Deutschland nicht mehr die Frage, wer woher kommt. Wir sind inzwischen eine große Gemeinschaft. Ich selbst bin ein Italo-Deutscher. Ich liebe beide Länder, und so erziehe ich auch meine Kinder. Auf meinen beiden letzten Alben singe ich große deutsche Hits auf Italienisch. Gehört für mich zusammen. Das ist ein wenig wie Spätzle à la Bolognese.

DFB.de: Herr Yanar, Sie wurden vor nun bald 50 Jahren in Frankfurt am Main geboren. Ihre Eltern waren aus der Südtürkei nach Deutschland gekommen. Wie verteilen sich bei Ihnen die deutschen und die türkischen Identitätsbausteine?

Yanar: Die verteilen sich auf rund 100 Therapiestunden. (lacht) Das ist tatsächlich ein komplexes Thema, das mich schon ein Leben lang begleitet, also über die von Ihnen leider verratenen fast 50 Jahre. Zum Beispiel bin ich ein sehr deutscher Autofahrer. Also flott und mit einer gesunden Grundaggression hinter dem Steuer. Ich bin mit dieser deutschen Fahrmentalität aufgewachsen, die sich von der türkischen und - wie man ahnt - von der schweizerischen sehr unterscheidet. Strafzettel heißen in der Schweiz "Bußen", und die kassiere ich regelmäßig. Tempolimit dort ist 120 km/h. So parken wir rückwärts ein in Deutschland. Wenn ich dann in Istanbul unterwegs bin, ist mir das viel zu chaotisch. Wie plötzlich aus zwei Fahrspuren drei oder vier werden, und das einzige Ordnungsprinzip ist das Recht des Stärkeren. Mein Familienverständnis dagegen ist sehr türkisch. Die eigene Familie muss zusammenhalten, aber auch die meines Bruders und so weiter. Ich bin kein Wanderer, ich bin ein Springer zwischen den Kulturen.

DFB.de: Das Familiäre und der bedingungslose Zusammenhalt scheint heute auch in Deutschland größer zu sein als etwa in den 70er-Jahren. Ein Einfluss der Einwanderung nach Deutschland?

Yanar: Sicher, wir beeinflussen uns alle gegenseitig. Die Jugendsprache benutzt heute so viele turkoarabische Begriffe. Vallah, so eine Art "Ich schwöre!" Das haben doch früher nur die türkischen oder arabischen Kids gesagt. Oder Mashallah, was etwas Positives ausdrückt, wie ein Kompliment. Das sagen heute alle Jugendlichen, mit und ohne Migrationshintergrund. Das war zu meiner Jugendzeit noch nicht so. Das ist ja das Faszinierende an Kulturen: die Spannungen, manchmal Reibereien, die Wechselwirkungen.

DFB.de: Was denkt man in der Türkei über Italien und die Italiener?

Yanar: Da muss ich passen. Ich bin schon ein paar Jahre nicht mehr in die Türkei gefahren, weil ich nicht weiß, ob ich da wieder rauskomme.

DFB.de: Haben Sie wie Ihr Kollege Jan Böhmermann schon Erdogan-Witze gemacht?

Yanar: Ehrlich gesagt, nicht wirklich. Aber es wurden schon Leute wegen eines Tweets festgesetzt. Ich bin da ein wenig vorsichtig. 2020 kam Corona, und dann war sowieso Schicht im Schacht, ich bin also schon ein paar Jahre nicht mehr dort gewesen. Religionsgeschichtlich und kulturhistorisch verbindet Türken und Italiener die Tatsache, dass das römische Weltreich von Rom aus und später von Konstantinopel aus regiert wurde. Und beide kloppen sich, soweit ich weiß, immer noch um die Gebeine des heiligen Nikolaus, so jedenfalls mein letzter Stand. (lacht)

DFB.de: Wollen Sie beide fürs EM-Eröffnungsspiel einen Tipp wagen?

Yanar: Ich glaube, mir wird kein Türke böse sein, wenn ich sage, dass Italien Favorit in der Gruppe ist. Die Türkei wird mit der Schweiz um Platz zwei kämpfen. Burak Yilmaz ist ein Weltklassestürmer, defensiv und beim Keeper haben wir Probleme. Ich tippe 2:1 für Italien. Oder 3:1?

Zarrella: Ganz enge Kiste. Ohnehin ist die Gruppe viel schwerer, als sie scheint. Und die Türkei kommt mit breiter Brust. Ich meine, die haben in der gesamten Qualifikation die wenigsten Gegentore kassiert. 1:0 für Italien. Aber so eins mit Schweißperlen auf der Stirn.

###more###