WM-Sieg 2003: "Es gab kein Halten mehr"

Gemeinsam haben sie vor 20 Jahren die Weltmeisterschaft gewonnen – Bettina Wiegmann (51) als Kapitänin und Tina Theune (69) als Trainerin. Der Erfolg war ein Meilenstein, es war der erste WM-Titel für Deutschlands Frauen. Zum Interview haben sich diese beiden besonderen Persönlichkeiten nun in einem Café in der Nähe von Köln getroffen, um auf den außergewöhnlichen Triumph vor zwei Jahrzehnten in den USA zurückzuschauen – und natürlich auch, um einen Blick auf die WM in diesem Sommer in Australien und Neuseeland zu werfen.

DFB.de: Frau Theune, Frau Wiegmann, ich habe eine Zusammenfassung des 2:1-Siegs im WM-Finale 2003 gegen Schweden mitgebracht. Wollen wir uns das gemeinsam nochmal ansehen?

Tina Theune: Ja, gerne. Aber warum starten wir mit dem Finale? Aus meiner Sicht war das Halbfinale gegen die USA viel prägender für unseren Erfolg.

Bettina Wiegmann: Tina, sei doch nicht so ungeduldig. Darüber sprechen wir sicher auch noch. Heute zäumen wir mal das Pferd von hinten auf.

Theune: Gut, also starten wir mit dem Endspiel. Die erste Chance in dieser Zusammenfassung wird nach 25 Minuten gezeigt.

DFB.de: Passt das zum Spielverlauf, wie Sie ihn damals wahrgenommen haben?

Wiegmann: Die Partie wurde in der Anfangsphase vor allem von der Spannung getragen. Wir mussten ständig auf der Hut sein, weil die Schwedinnen vor allem bei Kontern sehr gefährlich waren. Die Partie war zunächst von der Taktik geprägt, große Chancen gab es deshalb in der Anfangsphase kaum.

Theune: In der Szene, die wir uns gerade angeschaut haben, kam Birgit Prinz leider einen Schritt zu spät und konnte den Ball nicht mehr aufs Tor bringen. Die Vorarbeit von Maren Meinert über die rechte Seite war super.

Wiegmann: Ich korrigiere dich natürlich ungerne, Tina. Aber ich habe den Ball auf Birgit Prinz gepasst.

Theune: Können wir uns die Szene noch einmal anschauen? Bis ganz nach vorne rechts hast Du Dich durchgespielt? Hatten wir nicht vorher besprochen, dass Du die Defensive zusammenhältst? (lacht) Aber es stimmt, eine starke Aktion von Dir.

DFB.de: Wie wichtig war für Sie als Trainerin die Kapitänin Bettina Wiegmann?

Theune: Bettina hatte zu diesem Zeitpunkt schon die Pro-Lizenz. Sie hat auf dem Rasen wie eine echte Kapitänin und gleichzeitig wie eine Trainerin mitgedacht. Gegen Schweden war sie überragend, sie wurde völlig zu Recht als beste Spielerin des Finals ausgezeichnet. Sie hat mit ihrer enormen Vorstellungskraft den Rhythmus des Spiels bestimmt. Sie hat das Tempo im perfekten Moment forciert und die Schnelligkeit des Balles bestimmt, das konnte niemand besser als sie.

Wiegmann: Es tut gut, diese Aussagen 20 Jahre danach von meiner Trainerin zu hören. Mach gerne weiter, Tina (lacht). Nein, im Ernst: Ich habe während des Endspiels gemerkt, dass unsere linke Seite viel zu offen war, weil die eine oder andere nicht mehr genug nach hinten gearbeitet hat. Alle waren müde und erschöpft. Wir haben dann untereinander auf dem Platz geklärt, wie wir die Löcher dort stopfen können. Es war mein letztes Spiel in der Nationalmannschaft. Und ich hatte wirklich nur ein Ziel: Ich wollte diese Partie gewinnen und den Weltmeisterpokal in den Händen halten. Um das zu erreichen, habe ich mich auf die linke Seite gestellt und diese zugemacht. Das Zentrum war trotzdem noch gut besetzt. Für den Erfolg der Mannschaft stehen persönliche Interessen hinten an.

Theune: Dieses Beispiel, das Bettina eben gegeben hat, zeigt, wie klug die Spielerinnen ihre Rolle interpretiert und mitgedacht haben. Silvia Neid und ich als Trainerinnenteam und die Mannschaft – wir konnten uns zu 100 Prozent aufeinander verlassen. Wir waren eine Einheit. Das war mindestens genauso wichtig wie die individuelle Klasse, die wir zweifellos im Kader hatten.

Wiegmann: Wir haben die Vorrunde gebraucht, um uns zu finden. Aber dann haben wir wirklich alle an einem Strang gezogen.

Theune: Auch die Spielerinnen, die selten gespielt haben, haben das Team immer gepusht. Bestes Beispiel war für mich Sandra Smisek. Während des Turniers hat sie, obwohl sie kaum Einsatzzeiten hatte, mit ihrem Leitspruch für Klarheit gesorgt: "Selbstbewusstsein, Aggressivität, Leidenschaft!“ Auch die anderen Mitspielerinnen haben unglaublich viel Kraft von der Bank auf den Rasen gegeben. Das war ein ganz wichtiger Faktor.

DFB.de: Zurück ins Finale: Deutschland ist in der ersten Halbzeit klar überlegen und kann mehrfach in Führung gehen. Aber plötzlich macht Hanna Ljungberg für die Schwedinnen das 1:0 …

Wiegmann: Dieser Rückstand war ein kleiner Schock. Zumal der Zeitpunkt so kurz vor der Pause auch wirklich ungünstig war.

DFB.de: Wie haben Sie in der Pause reagiert, Frau Theune?

Theune: Ich bin ganz ruhig geblieben. Wir hatten uns einige klare Chancen erspielt. Und ich war mir sicher, dass wir die Tore machen werden, wenn wir nicht in Hektik verfallen. Kannst Du Dich noch an die Halbzeitansprache erinnern, Bettina?

Wiegmann: Ja, natürlich. Tina hat die Situation sehr sachlich analysiert und die Herangehensweise an die zweite Halbzeit auf den Punkt gebracht. Alle waren davon überzeugt, dass wir irgendwann das Tor machen werden.

DFB.de: Der Start in die zweite Halbzeit war dann perfekt …

Wiegmann: Unglaublich, dass Maren Meinert nach 43 Sekunden das 1:1 gelingt. Man sieht hier im Video nochmal sehr gut, wie groß die Erleichterung bei uns war. Wie sagt man so schön? Zum psychologisch perfekten Zeitpunkt. Uns allen ist ein Stein vom Herzen gefallen, weil wir nicht mehr einem Rückstand hinterherlaufen mussten.

DFB.de: Nach 90 Minuten stand es immer noch 1:1.

Theune: Nach dem Ausgleich gab es Chancen auf beiden Seiten. Die Schwedinnen waren weiterhin sehr gefährlich. Ich hatte den Eindruck, dass sich einige unserer Spielerinnen total verausgabt hatten und wir deshalb die Räume nach Ballverlust nicht mehr direkt zu machen konnten. Bettina hat das vorhin aus ihrer Sicht als Spielerin gut dargestellt. Wir haben deshalb mit Martina Müller eine weitere Stürmerin ins Spiel gebracht, um die Schwedinnen in der Defensive stärker zu beschäftigen. Als die reguläre Spielzeit vorbei war, konnten wir noch einmal durchatmen.

DFB.de: Was ist Ihnen in der Pause vor der Verlängerung durch den Kopf gegangen?

Wiegmann: Eigentlich nicht viel. Ich war froh, etwas trinken zu können. Die Wochen in den USA waren sehr intensiv und kräftezehrend. Es war ein sehr heißer Tag. Wir haben nochmals alle Kräfte mobilisiert und sind fokussiert die Verlängerung angegangen.

DFB.de: Frau Theune, Sie sind hier im Bild im Gespräch mit einigen Spielerinnen zu sehen. Welchen Einfluss kann man als Trainerin in einer solchen Situation noch nehmen?

Theune: In den ein, zwei Minuten, die mir in der Pause bis zur Verlängerung zur Verfügung standen, wollte ich in aller Kürze unsere taktische Herangehensweise unterstreichen. Jede Spielerin sollte außerdem mit Überzeugung an ihre Grenzen gehen. Ich war mir sicher, dass unser Moment kommen würde.

DFB.de: Nun startet die Verlängerung. Der Kommentator sagt gerade "Das erste Tor entscheidet dieses WM-Finale“ …

Wiegmann: … Freistoß Renate Lingor, Kopfball Nia Künzer, Jubel!

Theune: Es war ein Tor mit Ansage. Renate Lingor lief an und rief "Nia!“ Besser konnte der Freistoß nicht ausgeführt werden. Auch das Timing beim kraftvollen Absprung und Kopfball von Nia Künzer hat perfekt gepasst.

DFB.de: Von einer Sekunde auf die andere ist es vorbei. Mit einem weltmeisterlichen Golden Goal.

Wiegmann: Bei mir war es so, dass ich erstmal Maren Meinert angeschaut habe – und sie mich. Ist es vorbei? Erst da ist uns klar geworden, dass wir es tatsächlich geschafft hatten. Es ist schwer, ein Golden Goal sofort zu begreifen, weil man gedanklich noch voll im Spiel ist. Bis ich registriert hatte, was geschehen war, waren die anderen schon längst auf dem Rasen.

Theune: Wir sind sofort losgerannt. Die Crew, die Bank, es gab kein Halten mehr.

Wiegmann: Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Es war mein Abschied aus der Nationalmannschaft. Und dann durfte ich bei der Siegerehrung als Erste den Pokal in den Himmel halten. Einfach Wahnsinn! Besser kann man nicht abdanken.

DFB.de: Welche Erinnerungen an die ersten Momente und Empfindungen als Weltmeisterin haben Sie, Frau Theune?

Theune: Für Silvia Neid und mich war es zum Ritual geworden, dass wir nach einem Titelgewinn im leeren Stadion noch einmal auf die Trainerbank zurückkehrten, um den Moment zu genießen. Auf einem Koffer direkt vor unseren Augen, sozusagen griffbereit, stand eine große Flasche Jägermeister. Die haben wir unbemerkt unter der Trainingsjacke verschwinden lassen, uns auf dem Absatz gedreht und sind wieder raus auf den Platz. Einerseits um dem Zwangsbad durch die Spielerinnen im Kabinenpool zu entgehen, andererseits wollten wir verhindern, dass sich die Spielerinnen schon um 13 Uhr mittags ein oder zwei Plastikbecher voller Champagner mit einem kräftigen Schuss Jägermeister zusammenmixen. Denn die offizielle Party startete ja erst abends im Hotel. Von der Trainerbank aus haben Silvia und ich dann zugeschaut, wie die Ordner die goldenen Schnipsel vom Rasen gesaugt haben, bis kein Schnipsel mehr zu sehen war. Einen kleinen Schluck vom Jägermeister haben wir zwischendurch bestimmt mal probiert (lacht).

Wiegmann: Das war tatsächlich eine merkwürdige Konstellation. Wir hatten sogar Zeit, um im Hotel die Koffer zu packen. Aber wir haben es alle zur Party geschafft. Die letzten haben die Feierlichkeiten erst am nächsten Morgen beendet, als der Bus bereitstand, um uns zum Flughafen in Los Angeles zu bringen. Aber am nächsten Tag ging es dann in Deutschland schon weiter, als wir von den Fans empfangen wurden.

Theune: Es gibt ein wunderbares Bild von uns beiden. Darauf ist zu sehen, wie wir in Frankfurt aus dem Flugzeug steigen. Bettina, Du als erste mit dem WM-Pokal in der Hand, ich direkt hinter dir. Im Flugzeug musste ich Dich erst noch überreden, dass Du als Kapitänin vorgehst …

DFB.de: Sie haben es vorhin gesagt: Das Turnier besteht nicht nur aus dem Finale. Welche Erinnerungen haben Sie an die WM 2003 insgesamt?

Theune: Voller Respekt blicke ich auf eine wunderbare, gemeinsame Zeit zurück. Die Mannschaft war überragend – vom ersten Spiel bis zum Finale. Wir haben 25 Tore in sechs Begegnungen geschossen. Das ist ein bis heute unübertroffener Wert. Dass es so kommen konnte, lag auch daran, dass wir 90 Tage Zeit hatten, um uns auf das Turnier vorzubereiten. Wir haben als Team völlig neue Ideen umgesetzt, unsere Vorstellung vom erfolgreichen Spiel vermittelt, das Spielniveau permanent angepasst und so die Weltspitze erobert.

DFB.de: Können Sie anhand von Beispielen beschreiben, wie dieser Weg verlaufen ist?

Theune: Unser erstes Testspiel während der Vorbereitung war eine Begegnung in der Sportschule in Bitburg gegen eine männliche U15-Stützpunkt-Auswahl aus Aachen. Wir haben 0:5 verloren. Das war der Startpunkt zu harter Arbeit, immer am Limit.

Wiegmann: Dieses Spiel ist rückblickend vielleicht ein Schlüsselmoment, weil es uns die Augen geöffnet hat. Wir haben schnell die Dinge erkannt, die wir unbedingt besser machen müssen. Und wir waren ja lernfähig und haben uns kontinuierlich gesteigert.

Theune: Und zwar bis zum Halbfinale gegen die USA, das für viele bis heute eines der besten Frauenfußballspiele in der Geschichte ist.

DFB.de: Dann lassen Sie uns jetzt über diese Begegnung sprechen. Die USA waren als Gastgeber und Titelverteidiger der Topfavorit. Trotzdem hat Deutschland 3:0 gewonnen.

Theune: Es war dramatisch und hoch spannend. Bis zur 90. Minute stand es durch den frühen Treffer von Kerstin Garefrekes nach einem Eckball 1:0. Das Spiel hätte jederzeit kippen können. Das US-Team war gespickt mit Top-Stars wie Mia Hamm, Kristine Lilly, Julie Foudy, Abby Wambach oder Shannon Boxx. Unsere Torhüterin Silke Rottenberg hatte einen überragenden Tag – ich hatte das Gefühl, dass sie Saugnäpfe an den Handschuhen hatte, sie hat alles rausgeholt. Ab Mitte der zweiten Halbzeit hatten wir das Spiel dann fest in unserer Hand. Mia Hamms Kommentar war bezeichnend: "Ich hatte das Gefühl, als hätte Deutschland eine zwölfte Spielerin auf dem Platz. Einmal habe ich sogar die gegnerischen Spielerinnen durchgezählt“, gab sie zu. Wir haben bis in die Nachspielzeit weiter druckvoll gespielt und wollten die Entscheidung.

DFB.de: Andere Mannschaften wären mit dem Ball zur eigenen Eckfahne gelaufen, um die Zeit zu überbrücken.

Wiegmann: Das war für uns keine Option. Dieses Verhalten hasse ich bis heute. Das war auch damals nicht unsere Art, Fußball zu spielen. Wir haben gespürt, dass wir Räume zum Kontern bekommen würden. Und diese haben wir dann eiskalt ausgenutzt. Maren Meinert und Birgit Prinz haben mit ihren Treffern für Klarheit gesorgt. Es war ein großartiges Gefühl, mit einem Sieg über die Gastgeberinnen und Titelverteidigerinnen ins Endspiel einzuziehen.

Theune: Kannst Du Dich noch an den Moment erinnern, als ihr vor dem Duell zum Warmmachen auf den Platz gekommen seid? Ich hatte über unseren amerikanischen Sicherheitsmann dafür gesorgt, dass die Stadionregie die englische Version von Nenas 80er-Jahre-Hit "Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann“ über die Lautsprecher eingespielt hat.

Wiegmann: Ja, ich habe das damals überrascht wahrgenommen. Der Song lief immer wieder. Tina hat es geschafft, dass unsere Musik im gegnerischen Stadion abgespielt wurde.

Theune: Ich wollte damit erreichen, dass sich diese Begegnung ein wenig wie ein Heimspiel anfühlt. Meine Erfahrung zeigt mir immer wieder, dass kleine Dinge im Fußball eine große Wirkung haben können. Vieles wird im Kopf entschieden. Die USA galten zu dieser Zeit eigentlich als unschlagbar. Aber nach der WM waren wir die Nummer eins der Weltrangliste.

DFB.de: Wie waren die Reaktionen nach dem Turnier?

Theune: "Deutschland liegt den (Fußball-)Frauen zu Füßen!“. So titelte es eine Zeitung. 13,58 Millionen Menschen hatten unseren Triumph im Fernsehen gesehen. Das war TV-Rekord. Plötzlich waren wir bekannt. Das war für uns vorher undenkbar. Ich erinnere mich auch sehr gerne an die vielen kleinen Begegnungen im Alltag, die mir Freude bereitet haben.

Wiegmann: Ich bin in den Wochen danach auch häufig angesprochen worden. Aber ich bin ein "Dorfkind“, dort war sowieso bekannt, dass ich Fußballerin war und dass wir die Weltmeisterschaft gewonnen hatten. Das war dort natürlich eine Zeit lang das Gesprächsthema Nummer eins.

Theune: Viel wichtiger war aus meiner Sicht, dass der Frauenfußball in Deutschland davon sehr profitiert hat. Plötzlich hatten wir Sponsoren und haben größere Spots gedreht, die jeden Tag im Fernsehen zu sehen waren. Wir hatten nach dem Turnier beim ersten Länderspiel der Frauen-Nationalmannschaft auf einmal 800 Fans, die beim Training vor Ort waren. Die ARD hat das Spiel in der "Prime Zeit“ übertragen. Das Stadion in Reutlingen war natürlich ausverkauft.

DFB.de: War es für Sie schwer, in diesem Moment, als der Frauenfußball einen Boom erfuhr, Schluss zu machen, Frau Wiegmann?

Wiegmann: Ja und nein. Es war ja alles lange geplant. Aber natürlich fühlt es sich komisch an, wenn man bei seinem Heimatverein auf der Tribüne sitzt und 1.500 Zuschauerinnen und Zuschauer da sind. Vorher waren es vielleicht 200 Fans, wenn es gut lief. Ich habe mich noch fit gefühlt. Aber ich hatte für mich die Entscheidung getroffen, Schluss zu machen. Und daran gab es auch nichts mehr zu ändern.

DFB.de: Warum dieser Entschluss?

Wiegmann: Ich wollte nicht hören, dass irgendwann jemand fragt, wann denn die Oma vom Platz kommt. Außerdem traten immer wieder gesundheitliche Probleme auf. Zudem war ich schon als Verbandstrainerin aktiv, so dass es einfach nicht mehr gepasst hat. Im Rückblick war es der beste Zeitpunkt, um Schluss zu machen.

DFB.de: 20 Jahre sind seitdem nun vergangenen. In wenigen Tagen beginnt die Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland. Mit welchen Chancen für die DFB-Auswahl?

Wiegmann: Wir zählen zum Kreis der Favoritinnen.

Theune: Alles ist möglich! Wiegmann: Im vergangenen Jahr haben wir eine richtig gute EM gespielt und erst im Finale knapp gegen England verloren. Warum sollte es nun bei der WM nicht möglich sein, um den Titel mitzuspielen? Es wird viele enge Begegnungen geben. Die Konkurrenten sind stark, aber ich traue der Mannschaft wirklich alles zu. Ich wünsche es ihr sehr. Wir werden sicher auch etwas Glück brauchen.

DFB.de: Wie bewerten Sie die Entwicklung rund um die FrauenNationalmannschaft grundsätzlich?

Theune: In der aktuellen Mannschaft geht es inzwischen weit über die reinen sportlichen Leistungen hinaus. Martina VossTecklenburg, Kapitänin Alexandra Popp und die übrigen Spielerinnen haben in den vergangenen Monaten ihre Rolle als Führungspersönlichkeiten immer neu definiert. Sie sind in der öffentlichen Wahrnehmung seit dem grandiosen EM-Finale sehr präsent und haben die Bühne genutzt, um viel Sympathien zu gewinnen.

Wiegmann: Heute ist in dieser Hinsicht einfach viel mehr möglich, als es früher der Fall war. Social Media macht auch vor den Nationalspielerinnen nicht Halt, und viele verstehen dies sinnvoll einzusetzen und sich erfolgreich zu vermarkten.

Theune: Aber auch sportlich hat die aktuelle Generation neue Maßstäbe gesetzt. Deshalb freue ich mich sehr auf das Turnier in Australien und Neuseeland. Den Spielplan bin ich neulich mal mit Silvia Neid durchgegangen. Wir könnten ab dem Achtelfinale auf Brasilien, Frankreich oder ab dem Viertelfinale auf Europameister England treffen. Die USA oder auch Spanien warten vermutlich erst im Finale auf uns. Die Leistungsdichte ist inzwischen so ausgeglichen, dass es kaum noch möglich ist, eine seriöse Prognose abzugeben. Klar ist, dass ich mit der deutschen Mannschaft mitfiebern werde. Sie hat riesiges Potenzial.

[sw]

Gemeinsam haben sie vor 20 Jahren die Weltmeisterschaft gewonnen – Bettina Wiegmann (51) als Kapitänin und Tina Theune (69) als Trainerin. Der Erfolg war ein Meilenstein, es war der erste WM-Titel für Deutschlands Frauen. Zum Interview haben sich diese beiden besonderen Persönlichkeiten nun in einem Café in der Nähe von Köln getroffen, um auf den außergewöhnlichen Triumph vor zwei Jahrzehnten in den USA zurückzuschauen – und natürlich auch, um einen Blick auf die WM in diesem Sommer in Australien und Neuseeland zu werfen.

DFB.de: Frau Theune, Frau Wiegmann, ich habe eine Zusammenfassung des 2:1-Siegs im WM-Finale 2003 gegen Schweden mitgebracht. Wollen wir uns das gemeinsam nochmal ansehen?

Tina Theune: Ja, gerne. Aber warum starten wir mit dem Finale? Aus meiner Sicht war das Halbfinale gegen die USA viel prägender für unseren Erfolg.

Bettina Wiegmann: Tina, sei doch nicht so ungeduldig. Darüber sprechen wir sicher auch noch. Heute zäumen wir mal das Pferd von hinten auf.

Theune: Gut, also starten wir mit dem Endspiel. Die erste Chance in dieser Zusammenfassung wird nach 25 Minuten gezeigt.

DFB.de: Passt das zum Spielverlauf, wie Sie ihn damals wahrgenommen haben?

Wiegmann: Die Partie wurde in der Anfangsphase vor allem von der Spannung getragen. Wir mussten ständig auf der Hut sein, weil die Schwedinnen vor allem bei Kontern sehr gefährlich waren. Die Partie war zunächst von der Taktik geprägt, große Chancen gab es deshalb in der Anfangsphase kaum.

Theune: In der Szene, die wir uns gerade angeschaut haben, kam Birgit Prinz leider einen Schritt zu spät und konnte den Ball nicht mehr aufs Tor bringen. Die Vorarbeit von Maren Meinert über die rechte Seite war super.

Wiegmann: Ich korrigiere dich natürlich ungerne, Tina. Aber ich habe den Ball auf Birgit Prinz gepasst.

Theune: Können wir uns die Szene noch einmal anschauen? Bis ganz nach vorne rechts hast Du Dich durchgespielt? Hatten wir nicht vorher besprochen, dass Du die Defensive zusammenhältst? (lacht) Aber es stimmt, eine starke Aktion von Dir.

DFB.de: Wie wichtig war für Sie als Trainerin die Kapitänin Bettina Wiegmann?

Theune: Bettina hatte zu diesem Zeitpunkt schon die Pro-Lizenz. Sie hat auf dem Rasen wie eine echte Kapitänin und gleichzeitig wie eine Trainerin mitgedacht. Gegen Schweden war sie überragend, sie wurde völlig zu Recht als beste Spielerin des Finals ausgezeichnet. Sie hat mit ihrer enormen Vorstellungskraft den Rhythmus des Spiels bestimmt. Sie hat das Tempo im perfekten Moment forciert und die Schnelligkeit des Balles bestimmt, das konnte niemand besser als sie.

Wiegmann: Es tut gut, diese Aussagen 20 Jahre danach von meiner Trainerin zu hören. Mach gerne weiter, Tina (lacht). Nein, im Ernst: Ich habe während des Endspiels gemerkt, dass unsere linke Seite viel zu offen war, weil die eine oder andere nicht mehr genug nach hinten gearbeitet hat. Alle waren müde und erschöpft. Wir haben dann untereinander auf dem Platz geklärt, wie wir die Löcher dort stopfen können. Es war mein letztes Spiel in der Nationalmannschaft. Und ich hatte wirklich nur ein Ziel: Ich wollte diese Partie gewinnen und den Weltmeisterpokal in den Händen halten. Um das zu erreichen, habe ich mich auf die linke Seite gestellt und diese zugemacht. Das Zentrum war trotzdem noch gut besetzt. Für den Erfolg der Mannschaft stehen persönliche Interessen hinten an.

Theune: Dieses Beispiel, das Bettina eben gegeben hat, zeigt, wie klug die Spielerinnen ihre Rolle interpretiert und mitgedacht haben. Silvia Neid und ich als Trainerinnenteam und die Mannschaft – wir konnten uns zu 100 Prozent aufeinander verlassen. Wir waren eine Einheit. Das war mindestens genauso wichtig wie die individuelle Klasse, die wir zweifellos im Kader hatten.

Wiegmann: Wir haben die Vorrunde gebraucht, um uns zu finden. Aber dann haben wir wirklich alle an einem Strang gezogen.

Theune: Auch die Spielerinnen, die selten gespielt haben, haben das Team immer gepusht. Bestes Beispiel war für mich Sandra Smisek. Während des Turniers hat sie, obwohl sie kaum Einsatzzeiten hatte, mit ihrem Leitspruch für Klarheit gesorgt: "Selbstbewusstsein, Aggressivität, Leidenschaft!“ Auch die anderen Mitspielerinnen haben unglaublich viel Kraft von der Bank auf den Rasen gegeben. Das war ein ganz wichtiger Faktor.

DFB.de: Zurück ins Finale: Deutschland ist in der ersten Halbzeit klar überlegen und kann mehrfach in Führung gehen. Aber plötzlich macht Hanna Ljungberg für die Schwedinnen das 1:0 …

Wiegmann: Dieser Rückstand war ein kleiner Schock. Zumal der Zeitpunkt so kurz vor der Pause auch wirklich ungünstig war.

DFB.de: Wie haben Sie in der Pause reagiert, Frau Theune?

Theune: Ich bin ganz ruhig geblieben. Wir hatten uns einige klare Chancen erspielt. Und ich war mir sicher, dass wir die Tore machen werden, wenn wir nicht in Hektik verfallen. Kannst Du Dich noch an die Halbzeitansprache erinnern, Bettina?

Wiegmann: Ja, natürlich. Tina hat die Situation sehr sachlich analysiert und die Herangehensweise an die zweite Halbzeit auf den Punkt gebracht. Alle waren davon überzeugt, dass wir irgendwann das Tor machen werden.

DFB.de: Der Start in die zweite Halbzeit war dann perfekt …

Wiegmann: Unglaublich, dass Maren Meinert nach 43 Sekunden das 1:1 gelingt. Man sieht hier im Video nochmal sehr gut, wie groß die Erleichterung bei uns war. Wie sagt man so schön? Zum psychologisch perfekten Zeitpunkt. Uns allen ist ein Stein vom Herzen gefallen, weil wir nicht mehr einem Rückstand hinterherlaufen mussten.

DFB.de: Nach 90 Minuten stand es immer noch 1:1.

Theune: Nach dem Ausgleich gab es Chancen auf beiden Seiten. Die Schwedinnen waren weiterhin sehr gefährlich. Ich hatte den Eindruck, dass sich einige unserer Spielerinnen total verausgabt hatten und wir deshalb die Räume nach Ballverlust nicht mehr direkt zu machen konnten. Bettina hat das vorhin aus ihrer Sicht als Spielerin gut dargestellt. Wir haben deshalb mit Martina Müller eine weitere Stürmerin ins Spiel gebracht, um die Schwedinnen in der Defensive stärker zu beschäftigen. Als die reguläre Spielzeit vorbei war, konnten wir noch einmal durchatmen.

DFB.de: Was ist Ihnen in der Pause vor der Verlängerung durch den Kopf gegangen?

Wiegmann: Eigentlich nicht viel. Ich war froh, etwas trinken zu können. Die Wochen in den USA waren sehr intensiv und kräftezehrend. Es war ein sehr heißer Tag. Wir haben nochmals alle Kräfte mobilisiert und sind fokussiert die Verlängerung angegangen.

DFB.de: Frau Theune, Sie sind hier im Bild im Gespräch mit einigen Spielerinnen zu sehen. Welchen Einfluss kann man als Trainerin in einer solchen Situation noch nehmen?

Theune: In den ein, zwei Minuten, die mir in der Pause bis zur Verlängerung zur Verfügung standen, wollte ich in aller Kürze unsere taktische Herangehensweise unterstreichen. Jede Spielerin sollte außerdem mit Überzeugung an ihre Grenzen gehen. Ich war mir sicher, dass unser Moment kommen würde.

DFB.de: Nun startet die Verlängerung. Der Kommentator sagt gerade "Das erste Tor entscheidet dieses WM-Finale“ …

Wiegmann: … Freistoß Renate Lingor, Kopfball Nia Künzer, Jubel!

Theune: Es war ein Tor mit Ansage. Renate Lingor lief an und rief "Nia!“ Besser konnte der Freistoß nicht ausgeführt werden. Auch das Timing beim kraftvollen Absprung und Kopfball von Nia Künzer hat perfekt gepasst.

DFB.de: Von einer Sekunde auf die andere ist es vorbei. Mit einem weltmeisterlichen Golden Goal.

Wiegmann: Bei mir war es so, dass ich erstmal Maren Meinert angeschaut habe – und sie mich. Ist es vorbei? Erst da ist uns klar geworden, dass wir es tatsächlich geschafft hatten. Es ist schwer, ein Golden Goal sofort zu begreifen, weil man gedanklich noch voll im Spiel ist. Bis ich registriert hatte, was geschehen war, waren die anderen schon längst auf dem Rasen.

Theune: Wir sind sofort losgerannt. Die Crew, die Bank, es gab kein Halten mehr.

Wiegmann: Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Es war mein Abschied aus der Nationalmannschaft. Und dann durfte ich bei der Siegerehrung als Erste den Pokal in den Himmel halten. Einfach Wahnsinn! Besser kann man nicht abdanken.

DFB.de: Welche Erinnerungen an die ersten Momente und Empfindungen als Weltmeisterin haben Sie, Frau Theune?

Theune: Für Silvia Neid und mich war es zum Ritual geworden, dass wir nach einem Titelgewinn im leeren Stadion noch einmal auf die Trainerbank zurückkehrten, um den Moment zu genießen. Auf einem Koffer direkt vor unseren Augen, sozusagen griffbereit, stand eine große Flasche Jägermeister. Die haben wir unbemerkt unter der Trainingsjacke verschwinden lassen, uns auf dem Absatz gedreht und sind wieder raus auf den Platz. Einerseits um dem Zwangsbad durch die Spielerinnen im Kabinenpool zu entgehen, andererseits wollten wir verhindern, dass sich die Spielerinnen schon um 13 Uhr mittags ein oder zwei Plastikbecher voller Champagner mit einem kräftigen Schuss Jägermeister zusammenmixen. Denn die offizielle Party startete ja erst abends im Hotel. Von der Trainerbank aus haben Silvia und ich dann zugeschaut, wie die Ordner die goldenen Schnipsel vom Rasen gesaugt haben, bis kein Schnipsel mehr zu sehen war. Einen kleinen Schluck vom Jägermeister haben wir zwischendurch bestimmt mal probiert (lacht).

Wiegmann: Das war tatsächlich eine merkwürdige Konstellation. Wir hatten sogar Zeit, um im Hotel die Koffer zu packen. Aber wir haben es alle zur Party geschafft. Die letzten haben die Feierlichkeiten erst am nächsten Morgen beendet, als der Bus bereitstand, um uns zum Flughafen in Los Angeles zu bringen. Aber am nächsten Tag ging es dann in Deutschland schon weiter, als wir von den Fans empfangen wurden.

Theune: Es gibt ein wunderbares Bild von uns beiden. Darauf ist zu sehen, wie wir in Frankfurt aus dem Flugzeug steigen. Bettina, Du als erste mit dem WM-Pokal in der Hand, ich direkt hinter dir. Im Flugzeug musste ich Dich erst noch überreden, dass Du als Kapitänin vorgehst …

DFB.de: Sie haben es vorhin gesagt: Das Turnier besteht nicht nur aus dem Finale. Welche Erinnerungen haben Sie an die WM 2003 insgesamt?

Theune: Voller Respekt blicke ich auf eine wunderbare, gemeinsame Zeit zurück. Die Mannschaft war überragend – vom ersten Spiel bis zum Finale. Wir haben 25 Tore in sechs Begegnungen geschossen. Das ist ein bis heute unübertroffener Wert. Dass es so kommen konnte, lag auch daran, dass wir 90 Tage Zeit hatten, um uns auf das Turnier vorzubereiten. Wir haben als Team völlig neue Ideen umgesetzt, unsere Vorstellung vom erfolgreichen Spiel vermittelt, das Spielniveau permanent angepasst und so die Weltspitze erobert.

DFB.de: Können Sie anhand von Beispielen beschreiben, wie dieser Weg verlaufen ist?

Theune: Unser erstes Testspiel während der Vorbereitung war eine Begegnung in der Sportschule in Bitburg gegen eine männliche U15-Stützpunkt-Auswahl aus Aachen. Wir haben 0:5 verloren. Das war der Startpunkt zu harter Arbeit, immer am Limit.

Wiegmann: Dieses Spiel ist rückblickend vielleicht ein Schlüsselmoment, weil es uns die Augen geöffnet hat. Wir haben schnell die Dinge erkannt, die wir unbedingt besser machen müssen. Und wir waren ja lernfähig und haben uns kontinuierlich gesteigert.

Theune: Und zwar bis zum Halbfinale gegen die USA, das für viele bis heute eines der besten Frauenfußballspiele in der Geschichte ist.

DFB.de: Dann lassen Sie uns jetzt über diese Begegnung sprechen. Die USA waren als Gastgeber und Titelverteidiger der Topfavorit. Trotzdem hat Deutschland 3:0 gewonnen.

Theune: Es war dramatisch und hoch spannend. Bis zur 90. Minute stand es durch den frühen Treffer von Kerstin Garefrekes nach einem Eckball 1:0. Das Spiel hätte jederzeit kippen können. Das US-Team war gespickt mit Top-Stars wie Mia Hamm, Kristine Lilly, Julie Foudy, Abby Wambach oder Shannon Boxx. Unsere Torhüterin Silke Rottenberg hatte einen überragenden Tag – ich hatte das Gefühl, dass sie Saugnäpfe an den Handschuhen hatte, sie hat alles rausgeholt. Ab Mitte der zweiten Halbzeit hatten wir das Spiel dann fest in unserer Hand. Mia Hamms Kommentar war bezeichnend: "Ich hatte das Gefühl, als hätte Deutschland eine zwölfte Spielerin auf dem Platz. Einmal habe ich sogar die gegnerischen Spielerinnen durchgezählt“, gab sie zu. Wir haben bis in die Nachspielzeit weiter druckvoll gespielt und wollten die Entscheidung.

DFB.de: Andere Mannschaften wären mit dem Ball zur eigenen Eckfahne gelaufen, um die Zeit zu überbrücken.

Wiegmann: Das war für uns keine Option. Dieses Verhalten hasse ich bis heute. Das war auch damals nicht unsere Art, Fußball zu spielen. Wir haben gespürt, dass wir Räume zum Kontern bekommen würden. Und diese haben wir dann eiskalt ausgenutzt. Maren Meinert und Birgit Prinz haben mit ihren Treffern für Klarheit gesorgt. Es war ein großartiges Gefühl, mit einem Sieg über die Gastgeberinnen und Titelverteidigerinnen ins Endspiel einzuziehen.

Theune: Kannst Du Dich noch an den Moment erinnern, als ihr vor dem Duell zum Warmmachen auf den Platz gekommen seid? Ich hatte über unseren amerikanischen Sicherheitsmann dafür gesorgt, dass die Stadionregie die englische Version von Nenas 80er-Jahre-Hit "Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann“ über die Lautsprecher eingespielt hat.

Wiegmann: Ja, ich habe das damals überrascht wahrgenommen. Der Song lief immer wieder. Tina hat es geschafft, dass unsere Musik im gegnerischen Stadion abgespielt wurde.

Theune: Ich wollte damit erreichen, dass sich diese Begegnung ein wenig wie ein Heimspiel anfühlt. Meine Erfahrung zeigt mir immer wieder, dass kleine Dinge im Fußball eine große Wirkung haben können. Vieles wird im Kopf entschieden. Die USA galten zu dieser Zeit eigentlich als unschlagbar. Aber nach der WM waren wir die Nummer eins der Weltrangliste.

DFB.de: Wie waren die Reaktionen nach dem Turnier?

Theune: "Deutschland liegt den (Fußball-)Frauen zu Füßen!“. So titelte es eine Zeitung. 13,58 Millionen Menschen hatten unseren Triumph im Fernsehen gesehen. Das war TV-Rekord. Plötzlich waren wir bekannt. Das war für uns vorher undenkbar. Ich erinnere mich auch sehr gerne an die vielen kleinen Begegnungen im Alltag, die mir Freude bereitet haben.

Wiegmann: Ich bin in den Wochen danach auch häufig angesprochen worden. Aber ich bin ein "Dorfkind“, dort war sowieso bekannt, dass ich Fußballerin war und dass wir die Weltmeisterschaft gewonnen hatten. Das war dort natürlich eine Zeit lang das Gesprächsthema Nummer eins.

Theune: Viel wichtiger war aus meiner Sicht, dass der Frauenfußball in Deutschland davon sehr profitiert hat. Plötzlich hatten wir Sponsoren und haben größere Spots gedreht, die jeden Tag im Fernsehen zu sehen waren. Wir hatten nach dem Turnier beim ersten Länderspiel der Frauen-Nationalmannschaft auf einmal 800 Fans, die beim Training vor Ort waren. Die ARD hat das Spiel in der "Prime Zeit“ übertragen. Das Stadion in Reutlingen war natürlich ausverkauft.

DFB.de: War es für Sie schwer, in diesem Moment, als der Frauenfußball einen Boom erfuhr, Schluss zu machen, Frau Wiegmann?

Wiegmann: Ja und nein. Es war ja alles lange geplant. Aber natürlich fühlt es sich komisch an, wenn man bei seinem Heimatverein auf der Tribüne sitzt und 1.500 Zuschauerinnen und Zuschauer da sind. Vorher waren es vielleicht 200 Fans, wenn es gut lief. Ich habe mich noch fit gefühlt. Aber ich hatte für mich die Entscheidung getroffen, Schluss zu machen. Und daran gab es auch nichts mehr zu ändern.

DFB.de: Warum dieser Entschluss?

Wiegmann: Ich wollte nicht hören, dass irgendwann jemand fragt, wann denn die Oma vom Platz kommt. Außerdem traten immer wieder gesundheitliche Probleme auf. Zudem war ich schon als Verbandstrainerin aktiv, so dass es einfach nicht mehr gepasst hat. Im Rückblick war es der beste Zeitpunkt, um Schluss zu machen.

DFB.de: 20 Jahre sind seitdem nun vergangenen. In wenigen Tagen beginnt die Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland. Mit welchen Chancen für die DFB-Auswahl?

Wiegmann: Wir zählen zum Kreis der Favoritinnen.

Theune: Alles ist möglich! Wiegmann: Im vergangenen Jahr haben wir eine richtig gute EM gespielt und erst im Finale knapp gegen England verloren. Warum sollte es nun bei der WM nicht möglich sein, um den Titel mitzuspielen? Es wird viele enge Begegnungen geben. Die Konkurrenten sind stark, aber ich traue der Mannschaft wirklich alles zu. Ich wünsche es ihr sehr. Wir werden sicher auch etwas Glück brauchen.

DFB.de: Wie bewerten Sie die Entwicklung rund um die FrauenNationalmannschaft grundsätzlich?

Theune: In der aktuellen Mannschaft geht es inzwischen weit über die reinen sportlichen Leistungen hinaus. Martina VossTecklenburg, Kapitänin Alexandra Popp und die übrigen Spielerinnen haben in den vergangenen Monaten ihre Rolle als Führungspersönlichkeiten immer neu definiert. Sie sind in der öffentlichen Wahrnehmung seit dem grandiosen EM-Finale sehr präsent und haben die Bühne genutzt, um viel Sympathien zu gewinnen.

Wiegmann: Heute ist in dieser Hinsicht einfach viel mehr möglich, als es früher der Fall war. Social Media macht auch vor den Nationalspielerinnen nicht Halt, und viele verstehen dies sinnvoll einzusetzen und sich erfolgreich zu vermarkten.

Theune: Aber auch sportlich hat die aktuelle Generation neue Maßstäbe gesetzt. Deshalb freue ich mich sehr auf das Turnier in Australien und Neuseeland. Den Spielplan bin ich neulich mal mit Silvia Neid durchgegangen. Wir könnten ab dem Achtelfinale auf Brasilien, Frankreich oder ab dem Viertelfinale auf Europameister England treffen. Die USA oder auch Spanien warten vermutlich erst im Finale auf uns. Die Leistungsdichte ist inzwischen so ausgeglichen, dass es kaum noch möglich ist, eine seriöse Prognose abzugeben. Klar ist, dass ich mit der deutschen Mannschaft mitfiebern werde. Sie hat riesiges Potenzial.

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