WM-Halbfinale 1982: Thriller von Sevilla

23 Partien stehen in der Länderspiel-Chronik zwischen der DFB-Auswahl und Frankreich. Nur dreimal ging es um mehr als ums Prestige, bei den WM-Endrunden 1958, 1982 und 1986. Eins dieser Spiele hat den Stempel des Unvergesslichen: Das Halbfinale von Sevilla am 8. Juli 1982 war ein Spiel für die Ewigkeit. Der Historiker Udo Muras erinnert an ein Fußball-Drama, das die Beteiligten bis heute bewegt.

Deutschland oder Frankreich – wer erreicht das Finale von Madrid? Es gab keinen Favoriten an jenem schwül-warmen Abend in Sevilla, als im Stadion Ramón Sanchéz Pizjuán noch zur Anstoßzeit um 21 Uhr 33 Grad Celsius gemessen wurden. Eine leichte Brise ging vor dem Spiel, das einen Sturm entfachen sollte. Der Begeisterung und der Enttäuschung. Denn es war ein Abend der ganz großen Gefühle.

Ein solches Spektakel war bei aller Spannung nicht zu erwarten. Während sich die Franzosen von Spiel zu Spiel gesteigert hatten und alle Welt vom Zauber-Trio Platini/Giresse/Tigana schwärmte, hatte Europameister Deutschland bei dieser WM noch nicht unbedingt geglänzt. Auch nach dem 2:1 über Gastgeber Spanien blieben die Sorgen Stammgast im deutschen Lager. Verteidiger Hans-Peter Briegel ging angeschlagen ins Spiel, er war beim Duschen ausgerutscht. Und auf Weltklasse-Stürmer Karl-Heinz Rummenigge musste Bundestrainer Jupp Derwall zunächst verzichten, der Münchner saß mit lädiertem Oberschenkel auf der Bank. Derwall versprach ihm: "Wenn wir hintenliegen, kommst Du rein." Er würde sein Wort halten müssen.

Littbarskis Führung leitete das Drama ein

Vorerst liefen nur zwei Stürmer auf, dafür erhielt Felix Magath im Mittelfeld eine neue Chance. Zunächst lief es gut für die Deutschen: Pierre Littbarski traf nach fünfzehn Minuten die Latte und kurz danach sorgte er für die Führung (18.). Nach Klaus Fischers Vorarbeit war er zur Stelle. Doch dann verursachte Bernd Förster einen Foulelfmeter an Dominique Rocheteau, den Platini verwandelte (27.). Das Drama nahm einen langen Anlauf.

Kein Mensch würde heute wohl mehr über den sportlichen Unterhaltungswert des Halbfinales reden, wenn Manuel Amoros in der 90. Minute den Ball nur ein paar Zentimeter niedriger geschossen hätte. Aber er traf nur die Latte des deutschen Tores, das seit der 57. Spielminute der Buhmann des Abends hütete: Harald "Toni" Schumacher aus Köln. Schumacher hatte den eingewechselten Franzosen Patrick Battiston in höchster Not heftig gerammt und damit ein Tor verhindert. Battiston war zeitweise bewusstlos, die Empörung groß. Eine Woche später versöhnten sich die beiden in Metz.

Mitterand: "Mon Dieu, Rümmenisch"

Und trotz dieses Ereignisses wurde es ein glücklicher Abend für Deutschland, obwohl die Mannschaft fortan gegen das Publikum spielte. In der regulären Spielzeit waren die Franzosen, technisch brillant kombinierend, dem Sieg näher gewesen. Aber dem stand der schon mythische deutsche Kampfgeist entgegen, der diese Mannschaft auszeichnete. Von hinten trieb Ulli Stielike die Mannschaft an, und Paul Breitner stand ihm in seinem besten WM-Spiel in nichts nach. Doch fehlte ihm sein kongenialer Partner Rummenigge. Der kühlte seinen gezerrten Oberschenkel mit Eiswürfeln, die er in den Handschuh von Ersatztorwart Eike Immel gepackt hatte. Dann endlich wurde er gebraucht. Drei Minuten waren in der Verlängerung gespielt, als Frankreichs Libero Tresor nach einem Freistoß unbedrängt ein Traumtor erzielte. Das Signal für Rummenigge. Als er aufsprang von der Bank, stöhnte auf der Tribüne Frankreichs Staatspräsident François Mitterand auf: "Mon Dieu, Rümmenisch."

Der Respekt vor "Europas Fußballer des Jahres" war groß, trotz Verletzung hatte er auch in Spanien vier Tore geschossen. Kaum für Briegel auf dem Platz, fiel das 1:3 durch Giresse. Der kleine Mann mit Schuhgröße 38 schoss die Equipe Tricolore in den siebten Fußballhimmel. Fast 30 Jahre später sagte er dem Magazin "11 Freunde", was in ihm vorging: "Ich dachte: Wir kommen ins Finale, wir fahren da wirklich hin. Das ist ein ganz schöner Lärm, der da im Kopf entsteht, das scheppert richtig im Schädel und übertönt alles andere." Doch im Erfolg macht man die größten Fehler. Giresse gestand: "Uns fehlte das Berechnende, das man braucht, um ein Ergebnis zu halten. Das ist alles, was man uns vorwerfen kann." Die Deutschen hingegen packten ihre Tugenden aus, die sie wohl für alle Zeit zu einer Turniermannschaft stempeln.

Chaos im deutschen Team - kaum einer hält seine Position

Ein 1:3-Rückstand 20 Minuten vor Ablauf der Verlängerung, bei noch immer 30 Grad. "Normalerweise ist man da geneigt zu sagen, da ist nichts mehr drin. Aber wir sollten dennoch die Daumen drücken", ermutigte Rolf Kramer die TV-Zuschauer, und als Fischer schon im Gegenzug ein Abseitstor gelang, sah man, dass die Moral intakt war. Die Kraft ohnehin. Für das, was nun kommen sollte, fand Derwall spät in der Nacht diese blumigen Worte: "Dass sich meine Mannschaft noch so steigerte, als alles schon verloren schien, war eine typisch deutsche Fähigkeit: eine Mentalität des Herzens, nie aufzustecken, nie die Dinge verloren zu geben." Darin wetteiferten sie geradezu.

Kaum einer hielt noch seine Position. Libero Ulli Stielike stürmte ohne Unterlass. Sein Pass auf Littbarski leitete die Wende ein, denn Rummenigge sprang artistisch in die Flugbahn des Balles – und dieser vom Pfosten ins Netz. Zehn Minuten war Rummenigge erst auf dem Platz, und schon hatte er Mitterands Befürchtungen bestätigt. Die Franzosen standen nun sichtlich unter Schock und nutzten die Pause in der Verlängerung voll aus, während die Deutschen schon am Anstoßkreis warteten. Drei Minuten später lagen sie sich in den Armen. Klaus Fischer hatte per Fallrückzieher ausgeglichen, das vielleicht schönste Tor der WM war auch sein wichtigstes. Frankreich, im Vorgefühl des sicheren Sieges, taumelte regelrecht ins erste Elfmeterschießen der WM-Geschichte.

Elfmeterschießen: Aber wer soll es machen?"

Derwall suchte händeringend Schützen: Kaltz, Breitner und Rummenigge waren gesetzt, der junge Littbarski unbekümmert genug. Nur Ulli Stielike musste überredet werden, doch er zauderte: "Ich wollte nicht schießen, das ist nicht meine Stärke." Seine Ahnung trog den Libero nicht. Nachdem fünf Schützen getroffen hatten, scheiterte er als Erster. Wie ein Häufchen Elend kauerte er am Boden, da hauchte ihm Toni Schumacher zu: "Den nächsten halte ich." Er hatte von Reservist Hansi Müller noch einen Tipp bekommen, wohin Didier Six schießen würde, man kannte sich ja vom VfB Stuttgart. Und Schumacher hielt Ball und Wort.

Selbst nach dem zehnten Schuss von Rummenigge, der leichenblass zum Punkt ging und bei sich dachte, "Mir schwimmt jeden Moment das Herz weg", stand kein Sieger fest. Neue Schützen mussten bestimmt werden. Die Franzosen nominierten Maxime Bossis. Der Verteidiger war schon auf Freizeit eingestellt und schoss mit heruntergerollten Stutzen. Und er schoss schlecht, Schumacher hielt fast mühelos. Nun kam Horst Hrubesch an die Reihe. Der Hamburger ließ als einziger Spieler den Ball auf dem Punkt liegen, alle anderen hatten ihn sich zurechtgerückt. Er hatte so etwas wie Gottvertrauen in diesem Moment. Vor dem Spiel fand sich ausgerechnet in seinem Spind ein aufgeklebtes Jesus-Bild, und er ahnte: "Ich glaube, jetzt kann nichts mehr schiefgehen."

Spannung pur: Bundeskanzler Schmidt muss wegschauen

So traf er zum 8:7-Endstand. Punkt 23.40 Uhr stand Deutschland im Finale gegen Italien (1:3) in Madrid, zu dem Bundeskanzler Helmut Schmidt eigens anreiste. Der hatte die Spannung nicht ertragen und beim Elfmeter schießen das Zimmer verlassen. "Gucken Sie für mich weiter", befahl er Regierungssprecher Rühl. Es war kein Spiel für schwache Nerven.

Während in der deutschen Kabine Lieder gesungen wurden, vergossen die Franzosen viele Tränen. "Aber nicht, weil wir verloren hatten. Sondern weil die Spannung abfiel und weil wir so überwältigt waren von unseren Gefühlen. Ich habe nie mehr so viele Männer zugleich weinen sehen", gestand Platini, der noch Jahrzehnte später bilanzierte: "Von Hass bis Freude, von Verzweiflung bis Glück. Alle Gefühlszustände, die es gibt, wechselten sich ab. Leider haben wir verloren. Aber ich glaube, das war nicht das Wichtigste angesichts dessen, was wir erleben durften." Ihm geht es wie allen Franzosen, die in Sevilla auf dem Feld standen: Die Aufzeichnung können sie sich nur bis zum 3:1 anschauen. Das, was dann kam, haben sie nie verdaut. Giresse sagt: "Man kann nicht etwas auf diese Art und Weise verlieren und dann seinen Frieden damit machen. Man lebt damit, aber es ist so, als würde man einen Angehörigen verlieren und sagen 'Ich habe ihn vergessen.' Das ist unmöglich.“

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23 Partien stehen in der Länderspiel-Chronik zwischen der DFB-Auswahl und Frankreich. Nur dreimal ging es um mehr als ums Prestige, bei den WM-Endrunden 1958, 1982 und 1986. Eins dieser Spiele hat den Stempel des Unvergesslichen: Das Halbfinale von Sevilla am 8. Juli 1982 war ein Spiel für die Ewigkeit. Der Historiker Udo Muras erinnert an ein Fußball-Drama, das die Beteiligten bis heute bewegt.

Deutschland oder Frankreich – wer erreicht das Finale von Madrid? Es gab keinen Favoriten an jenem schwül-warmen Abend in Sevilla, als im Stadion Ramón Sanchéz Pizjuán noch zur Anstoßzeit um 21 Uhr 33 Grad Celsius gemessen wurden. Eine leichte Brise ging vor dem Spiel, das einen Sturm entfachen sollte. Der Begeisterung und der Enttäuschung. Denn es war ein Abend der ganz großen Gefühle.

Ein solches Spektakel war bei aller Spannung nicht zu erwarten. Während sich die Franzosen von Spiel zu Spiel gesteigert hatten und alle Welt vom Zauber-Trio Platini/Giresse/Tigana schwärmte, hatte Europameister Deutschland bei dieser WM noch nicht unbedingt geglänzt. Auch nach dem 2:1 über Gastgeber Spanien blieben die Sorgen Stammgast im deutschen Lager. Verteidiger Hans-Peter Briegel ging angeschlagen ins Spiel, er war beim Duschen ausgerutscht. Und auf Weltklasse-Stürmer Karl-Heinz Rummenigge musste Bundestrainer Jupp Derwall zunächst verzichten, der Münchner saß mit lädiertem Oberschenkel auf der Bank. Derwall versprach ihm: "Wenn wir hintenliegen, kommst Du rein." Er würde sein Wort halten müssen.

Littbarskis Führung leitete das Drama ein

Vorerst liefen nur zwei Stürmer auf, dafür erhielt Felix Magath im Mittelfeld eine neue Chance. Zunächst lief es gut für die Deutschen: Pierre Littbarski traf nach fünfzehn Minuten die Latte und kurz danach sorgte er für die Führung (18.). Nach Klaus Fischers Vorarbeit war er zur Stelle. Doch dann verursachte Bernd Förster einen Foulelfmeter an Dominique Rocheteau, den Platini verwandelte (27.). Das Drama nahm einen langen Anlauf.

Kein Mensch würde heute wohl mehr über den sportlichen Unterhaltungswert des Halbfinales reden, wenn Manuel Amoros in der 90. Minute den Ball nur ein paar Zentimeter niedriger geschossen hätte. Aber er traf nur die Latte des deutschen Tores, das seit der 57. Spielminute der Buhmann des Abends hütete: Harald "Toni" Schumacher aus Köln. Schumacher hatte den eingewechselten Franzosen Patrick Battiston in höchster Not heftig gerammt und damit ein Tor verhindert. Battiston war zeitweise bewusstlos, die Empörung groß. Eine Woche später versöhnten sich die beiden in Metz.

Mitterand: "Mon Dieu, Rümmenisch"

Und trotz dieses Ereignisses wurde es ein glücklicher Abend für Deutschland, obwohl die Mannschaft fortan gegen das Publikum spielte. In der regulären Spielzeit waren die Franzosen, technisch brillant kombinierend, dem Sieg näher gewesen. Aber dem stand der schon mythische deutsche Kampfgeist entgegen, der diese Mannschaft auszeichnete. Von hinten trieb Ulli Stielike die Mannschaft an, und Paul Breitner stand ihm in seinem besten WM-Spiel in nichts nach. Doch fehlte ihm sein kongenialer Partner Rummenigge. Der kühlte seinen gezerrten Oberschenkel mit Eiswürfeln, die er in den Handschuh von Ersatztorwart Eike Immel gepackt hatte. Dann endlich wurde er gebraucht. Drei Minuten waren in der Verlängerung gespielt, als Frankreichs Libero Tresor nach einem Freistoß unbedrängt ein Traumtor erzielte. Das Signal für Rummenigge. Als er aufsprang von der Bank, stöhnte auf der Tribüne Frankreichs Staatspräsident François Mitterand auf: "Mon Dieu, Rümmenisch."

Der Respekt vor "Europas Fußballer des Jahres" war groß, trotz Verletzung hatte er auch in Spanien vier Tore geschossen. Kaum für Briegel auf dem Platz, fiel das 1:3 durch Giresse. Der kleine Mann mit Schuhgröße 38 schoss die Equipe Tricolore in den siebten Fußballhimmel. Fast 30 Jahre später sagte er dem Magazin "11 Freunde", was in ihm vorging: "Ich dachte: Wir kommen ins Finale, wir fahren da wirklich hin. Das ist ein ganz schöner Lärm, der da im Kopf entsteht, das scheppert richtig im Schädel und übertönt alles andere." Doch im Erfolg macht man die größten Fehler. Giresse gestand: "Uns fehlte das Berechnende, das man braucht, um ein Ergebnis zu halten. Das ist alles, was man uns vorwerfen kann." Die Deutschen hingegen packten ihre Tugenden aus, die sie wohl für alle Zeit zu einer Turniermannschaft stempeln.

Chaos im deutschen Team - kaum einer hält seine Position

Ein 1:3-Rückstand 20 Minuten vor Ablauf der Verlängerung, bei noch immer 30 Grad. "Normalerweise ist man da geneigt zu sagen, da ist nichts mehr drin. Aber wir sollten dennoch die Daumen drücken", ermutigte Rolf Kramer die TV-Zuschauer, und als Fischer schon im Gegenzug ein Abseitstor gelang, sah man, dass die Moral intakt war. Die Kraft ohnehin. Für das, was nun kommen sollte, fand Derwall spät in der Nacht diese blumigen Worte: "Dass sich meine Mannschaft noch so steigerte, als alles schon verloren schien, war eine typisch deutsche Fähigkeit: eine Mentalität des Herzens, nie aufzustecken, nie die Dinge verloren zu geben." Darin wetteiferten sie geradezu.

Kaum einer hielt noch seine Position. Libero Ulli Stielike stürmte ohne Unterlass. Sein Pass auf Littbarski leitete die Wende ein, denn Rummenigge sprang artistisch in die Flugbahn des Balles – und dieser vom Pfosten ins Netz. Zehn Minuten war Rummenigge erst auf dem Platz, und schon hatte er Mitterands Befürchtungen bestätigt. Die Franzosen standen nun sichtlich unter Schock und nutzten die Pause in der Verlängerung voll aus, während die Deutschen schon am Anstoßkreis warteten. Drei Minuten später lagen sie sich in den Armen. Klaus Fischer hatte per Fallrückzieher ausgeglichen, das vielleicht schönste Tor der WM war auch sein wichtigstes. Frankreich, im Vorgefühl des sicheren Sieges, taumelte regelrecht ins erste Elfmeterschießen der WM-Geschichte.

Elfmeterschießen: Aber wer soll es machen?"

Derwall suchte händeringend Schützen: Kaltz, Breitner und Rummenigge waren gesetzt, der junge Littbarski unbekümmert genug. Nur Ulli Stielike musste überredet werden, doch er zauderte: "Ich wollte nicht schießen, das ist nicht meine Stärke." Seine Ahnung trog den Libero nicht. Nachdem fünf Schützen getroffen hatten, scheiterte er als Erster. Wie ein Häufchen Elend kauerte er am Boden, da hauchte ihm Toni Schumacher zu: "Den nächsten halte ich." Er hatte von Reservist Hansi Müller noch einen Tipp bekommen, wohin Didier Six schießen würde, man kannte sich ja vom VfB Stuttgart. Und Schumacher hielt Ball und Wort.

Selbst nach dem zehnten Schuss von Rummenigge, der leichenblass zum Punkt ging und bei sich dachte, "Mir schwimmt jeden Moment das Herz weg", stand kein Sieger fest. Neue Schützen mussten bestimmt werden. Die Franzosen nominierten Maxime Bossis. Der Verteidiger war schon auf Freizeit eingestellt und schoss mit heruntergerollten Stutzen. Und er schoss schlecht, Schumacher hielt fast mühelos. Nun kam Horst Hrubesch an die Reihe. Der Hamburger ließ als einziger Spieler den Ball auf dem Punkt liegen, alle anderen hatten ihn sich zurechtgerückt. Er hatte so etwas wie Gottvertrauen in diesem Moment. Vor dem Spiel fand sich ausgerechnet in seinem Spind ein aufgeklebtes Jesus-Bild, und er ahnte: "Ich glaube, jetzt kann nichts mehr schiefgehen."

Spannung pur: Bundeskanzler Schmidt muss wegschauen

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So traf er zum 8:7-Endstand. Punkt 23.40 Uhr stand Deutschland im Finale gegen Italien (1:3) in Madrid, zu dem Bundeskanzler Helmut Schmidt eigens anreiste. Der hatte die Spannung nicht ertragen und beim Elfmeter schießen das Zimmer verlassen. "Gucken Sie für mich weiter", befahl er Regierungssprecher Rühl. Es war kein Spiel für schwache Nerven.

Während in der deutschen Kabine Lieder gesungen wurden, vergossen die Franzosen viele Tränen. "Aber nicht, weil wir verloren hatten. Sondern weil die Spannung abfiel und weil wir so überwältigt waren von unseren Gefühlen. Ich habe nie mehr so viele Männer zugleich weinen sehen", gestand Platini, der noch Jahrzehnte später bilanzierte: "Von Hass bis Freude, von Verzweiflung bis Glück. Alle Gefühlszustände, die es gibt, wechselten sich ab. Leider haben wir verloren. Aber ich glaube, das war nicht das Wichtigste angesichts dessen, was wir erleben durften." Ihm geht es wie allen Franzosen, die in Sevilla auf dem Feld standen: Die Aufzeichnung können sie sich nur bis zum 3:1 anschauen. Das, was dann kam, haben sie nie verdaut. Giresse sagt: "Man kann nicht etwas auf diese Art und Weise verlieren und dann seinen Frieden damit machen. Man lebt damit, aber es ist so, als würde man einen Angehörigen verlieren und sagen 'Ich habe ihn vergessen.' Das ist unmöglich.“