WM 2010: Puyols Tor zerstört Titeltraum

Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

7. Juli 2010 in Durban - Halbfinale: Deutschland - Spanien 0:1

Vor dem Spiel:

Auch das dritte Spiel in Folge stand im Zeichen einer Revanche. Gegen England sprach man hinterher wieder von 1966 wegen der Neuauflage des Wembley-Tors, gegen Argentinien vorher von 2006 und gegen Spanien drehte sich viel um 2008. Das erste Turnier der Löw-Ära endete im Finale der EM mit einem 0:1 gegen die Mannschaft, die erst am Anfang einer Erfolgsära stand. Aus dem ernüchternden Finale von Wien, das die Spanier deutlicher beherrschten, als es das Resultat aussagte, wollten die Deutschen gelernt haben. Auf die Frage, ob am Mittwoch ein ähnlicher Verlauf drohe, antwortete Bundestrainer Joachim Löw: "Nein. Die Voraussetzungen sind diesmal andere, weil wir inzwischen technisch in der Lage sind, gegen die Spanier besser zu bestehen als vor zwei Jahren." In Deutschland grassiert die Euphorie, laut einer Kicker-Umfrage glaubten 75,5 Prozent der Teilnehmer an den WM-Titel, Spanien vereinigte noch 10,7 Prozent der Stimmen auf sich. Oliver Kahn, Vizeweltmeister von 2002, forderte: "Das Ziel muss jetzt der WM-Titel sein."

Eine Personalie trübte die Freude. Ausgerechnet der bis dahin so großartig auftrumpfende Thomas Müller musste ersetzt werden, er handelte sich gegen Argentinien die zweite Verwarnung ein. Für ihn stand erstmals Piotr Trochowski in der Startelf. Ansonsten stand die Mannschaft unverändert und erfreute sich internationaler Sympathien. Sogar in den USA. "Deutschland spielt so elegant wie Löw aussieht", hieß es auf dem Sportsender ESPN.

Der Europameister, der mit einer Niederlage gegen die Schweiz gestartet war, hatte die folgenden vier Spiele gewonnen, aber nie mehr als zwei Tore geschossen. Was reichte, wenn der Gegner weniger schoss, was stets der Fall war. Denn er kam kaum an den Ball, es war die hohe Zeit des Tiki-Taka, dem manchmal einschläfernden Ballbesitzfußball aus der Schule des FC Barcelona. Mit einem Spektakel war nicht wirklich zu rechnen. Auf die jungen Wilden wartete eine äußerst abgezockte Mannschaft. Die Startelf der Spanier kam auf 705 Länderspiele, die deutsche auf 548, zu denen Routinier Miroslav Klose (100) fast ein Fünftel beitrug. Was nichts am Respekt vor den Deutschen änderte. Spaniens Torwart Iker Casillas: "Deutschland ist das beste Team der WM!" Und was prophezeit die Krake Paul, der tierische Wahrsager aus dem Oberhausener Zoo? Sieg für Spanien.



Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

7. Juli 2010 in Durban - Halbfinale: Deutschland - Spanien 0:1

Vor dem Spiel:

Auch das dritte Spiel in Folge stand im Zeichen einer Revanche. Gegen England sprach man hinterher wieder von 1966 wegen der Neuauflage des Wembley-Tors, gegen Argentinien vorher von 2006 und gegen Spanien drehte sich viel um 2008. Das erste Turnier der Löw-Ära endete im Finale der EM mit einem 0:1 gegen die Mannschaft, die erst am Anfang einer Erfolgsära stand. Aus dem ernüchternden Finale von Wien, das die Spanier deutlicher beherrschten, als es das Resultat aussagte, wollten die Deutschen gelernt haben. Auf die Frage, ob am Mittwoch ein ähnlicher Verlauf drohe, antwortete Bundestrainer Joachim Löw: "Nein. Die Voraussetzungen sind diesmal andere, weil wir inzwischen technisch in der Lage sind, gegen die Spanier besser zu bestehen als vor zwei Jahren." In Deutschland grassiert die Euphorie, laut einer Kicker-Umfrage glaubten 75,5 Prozent der Teilnehmer an den WM-Titel, Spanien vereinigte noch 10,7 Prozent der Stimmen auf sich. Oliver Kahn, Vizeweltmeister von 2002, forderte: "Das Ziel muss jetzt der WM-Titel sein."

Eine Personalie trübte die Freude. Ausgerechnet der bis dahin so großartig auftrumpfende Thomas Müller musste ersetzt werden, er handelte sich gegen Argentinien die zweite Verwarnung ein. Für ihn stand erstmals Piotr Trochowski in der Startelf. Ansonsten stand die Mannschaft unverändert und erfreute sich internationaler Sympathien. Sogar in den USA. "Deutschland spielt so elegant wie Löw aussieht", hieß es auf dem Sportsender ESPN.

Der Europameister, der mit einer Niederlage gegen die Schweiz gestartet war, hatte die folgenden vier Spiele gewonnen, aber nie mehr als zwei Tore geschossen. Was reichte, wenn der Gegner weniger schoss, was stets der Fall war. Denn er kam kaum an den Ball, es war die hohe Zeit des Tiki-Taka, dem manchmal einschläfernden Ballbesitzfußball aus der Schule des FC Barcelona. Mit einem Spektakel war nicht wirklich zu rechnen. Auf die jungen Wilden wartete eine äußerst abgezockte Mannschaft. Die Startelf der Spanier kam auf 705 Länderspiele, die deutsche auf 548, zu denen Routinier Miroslav Klose (100) fast ein Fünftel beitrug. Was nichts am Respekt vor den Deutschen änderte. Spaniens Torwart Iker Casillas: "Deutschland ist das beste Team der WM!" Und was prophezeit die Krake Paul, der tierische Wahrsager aus dem Oberhausener Zoo? Sieg für Spanien.

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Spanische Dominanz

Spielbericht:

Zum Besuch des Halbfinales an einem Mittwochabend (Anpfiff: 20.30 Uhr) findet die Kanzlerin keine Zeit, dafür ist Daniela Löw, die Frau des Bundestrainers, erstmals in Südafrika dabei. Michael Ballack ist nicht mehr da, seine verfrühte Abreise setzt mancher in Zusammenhang mit der Erklärung von Philipp Lahm, seine Kapitänsbinde gern behalten zu wollen. Ein Machtkampf zur Unzeit. Die ARD überträgt, 31,1 Millionen Menschen verfolgen im Durchschnitt das Spiel und den Kommentar von Tom Bartels.

Es ist gar nicht so kalt wie zuvor, alle deutschen Spieler tragen kurzärmelige Trikots – im Gegensatz zu den meisten Spaniern. Nach vier Minuten die erste Aufregung, als Ordner einen Flitzer mit roter Vuvuzuela, dem Blasinstrument, das bei dieser WM den Ton angibt, einfangen müssen. Dann geben die Spanier den Ton an, wie befürchtet lassen sie den Deutschen nur selten den Ball. Schnell ahnt man: es kommt wieder so wie vor zwei Jahren. In der 7. Minute fährt Torjäger David Villa sein Bein aus und rutscht in eine Steilvorlage, Manuel Neuer wirft sich in den Schuss und hält. Es folgt eine Kombination der Spanier, bei denen sieben Spieler des FC Barcelona aufgelaufen sind, die sich blind verstehen. Als Andres Iniesta von rechts flankt, muss er gar nicht hinschauen, er ahnt schon wohin Verteidiger Carlos Puyol den Ball haben will. Er köpft jedoch drüber – diesmal noch…

Es vergehen 32 Minuten bis zum ersten ernst zu nehmenden deutschen Torschuss. Der neu ins Team gekommene Trochowski fasst sich aus 20 Metern ein Herz, Casillas lenkt gerade noch zur Ecke. Sekunden vor der Pause will ganz Deutschland einen Elfmeter haben, als Sergio Ramos Mesut Özil mit Hand und Fuß ins Stolpern bringt. Auch die Zeitlupen liefern keinen schlüssigen Beweis, deshalb ist Viktor Kassais Entscheidung, keinen Elfmeter zu geben, akzeptabel. 0:0 steht es zur Halbzeit und als sie wieder raus kommen, sagt Löws Assistent Hans-Dieter Flick vor der ARD-Kamera: "Wir haben der Mannschaft gesagt, dass das zu ängstlich war, jetzt müssen mehr mutige Offensivaktionen kommen."

Zunächst aber kommt ein Verteidiger für einen anderen: von Marcell Jansen erwartet sich Löw mehr Flankenläufe als von Jerome Boateng, der auch defensiv einen schwachen Tag erwischt. Aufs Tor aber schießen weiterhin mehr Spanier als Deutsche: Xabi Alonso und Villa haben bloß kein Glück und die Deutschen haben Neuer. Das Torschussverhältnis nach 90 Minuten lautet 5:13, nach Ballbesitz heißt es 44:56 (in Prozent) – da stellt sich die Frage nach einem verdienten Sieger nicht. Zum Glück für die Deutschen haben die Spanier ihre Schwäche vor dem Tor auch an diesem Tag nicht abgelegt, als Andres Iniesta am fünf Meterraum quer passen kann auf den freien Villa, spielt er den Ball zu scharf. Lange geht das nicht mehr gut. Löw bringt das große Bayern-Talent Toni Kroos, damals gerade an Leverkusen verliehen.

Sieben Minuten ist der auf dem Platz, da hat er plötzlich die Chance des Spiels: Lukas Podolski löffelt eine Linksflanke vors spanische Tor, niemand ist bei Kroos, der steht sieben Meter vor dem Kasten. Doch der feine Techniker nimmt die Innenseite. Statt Casillas samt Ball ins Tor zu schießen, trifft er nicht voll und der Torhüter kann abwehren. "Die hätte ich einfach machen können und dann geht das Spiel vielleicht in eine andere Richtung", sagte er hinterher. Dieser Chance trauern sie schon vier Minuten später nach. Als Xavi eine Ecke von links an den Fünfmeterraum zwirbelt, muss Sami Khedira gleich gegen zwei Spanier in den Luftkampf – Puyol springt am höchsten, sein Kopfball ist ein Geschoss, dem auch Neuer nur hinterher schauen kann. Es ist 21.59 Uhr, als in Deutschland die Uhren stehen zu scheinen bleiben. Nun können die Spanier ihr Konterspiel aufziehen, Joker Pedro hat das 2:0 auf dem Fuß, verhaspelt sich aber und Kroos klaut ihm den Ball. Der gesperrte Thomas Müller kommt von der Tribüne herunter, feuert die Mannschaft hinter einer Werbebande stehend, an. Mario Gomez verstärkt noch den Sturm, aber es soll nicht sein an diesem Tag, als die Zukunft des deutschen Fußballs noch eine Lehrstunde erhält, ehe sie ihren Meister machen wird. Die Bild-Zeitung trifft die Stimmung im Volk: "Kopf hoch, Jungs! Dann holen wir uns den Pott eben in 4 Jahren…" Sie würde Recht bekommen. Paul, die Krake, hatte schon an diesem Tag Recht.

Aufstellung: Neuer – Lahm, Friedrich, Mertesacker, Boateng (52. Jansen) – Khedira (81. Gomez), Schweinsteiger – Trochowski (62. Kroos), Özil, Podolski – Klose.

Tore: 0:1 Puyol (73.).

Zuschauer: 60.960 in Durban

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Lahm: "Die Enttäuschung ist sehr groß"

Stimmen zum Spiel:

Joachim Löw: "Kompliment an die Spanier, die letzten zwei, drei Jahre sind sie die besten gewesen und ich denke, dass sie das Turnier gewinnen. Sie sind spielerisch einfach so gut, dass sie uns heute an die Grenzen unserer Möglichkeiten gebracht haben. Wir konnten manche Hemmungen nie so richtig abbauen. Die Spanier lassen den Ball so laufen, dass man häufig hinterher läuft. Wir kamen nicht zu diesen Ballgewinnen, um dann schnell umzuschalten. Die junge Mannschaft hat insgesamt ein klasse Turnier gespielt, heute hat es nicht so geklappt, wie wir uns das vorgestellt haben. Das ist schade und traurig und wir sind alle enttäuscht, aber letztendlich hat Spanien auch toll gespielt."

Günter Netzer (ARD-Experte): "Spanien hat das Spiel zu jedem Zeitpunkt beherrscht. Ich tue mich schwer, mit dieser Niederlage zu leben. Aber die Erfahrung, die die Mannschaft jetzt mitnimmt, bringt sie enorm weiter."

Philipp Lahm: "Es ist bitter, wenn man im Halbfinale ausscheidet. Die Enttäuschung ist sehr groß. Wir hatten uns heute sehr viel vorgenommen, aber es ist uns nicht gelungen. Wir haben vor allem in der ersten Halbzeit nicht gut und nicht mutig genug nach vorn gespielt. Spanien ist eine sehr starke Mannschaft. Man hat nur alle vier Jahre die Chance, in einem WM-Halbfinale zu stehen."

Manuel Neuer: "In diesem Moment ist die Enttäuschung sehr groß. Wir wissen aber, dass wir ein gutes Turnier gespielt haben. Wir haben zu wenig nach vorne gemacht, uns zu wenige Chancen erarbeitet. Uns hat vielleicht ein bisschen der Mut gefehlt. Wir haben in fast jedem Spiel in der ersten Halbzeit Tore gemacht, dadurch stieg unser Selbstbewusstsein. Das war heute anders. Dann hat Spanien das Heft in die Hand genommen und viel mehr Chancen herausgespielt."

Bastian Schweinsteiger: "Wir haben nicht zu 100 Prozent das gezeigt, was wir gegen England und Argentinien geschafft haben. Wir hatten zwar einige Chancen, und die muss man machen, wenn man weiterkommen will. Letztendlich haben wir ein ordentliches Turnier gespielt und darauf können wir stolz sein."

Vicente del Bosque (Spaniens Trainer): "Wir haben sehr gut gespielt, sie haben in jeder Hinsicht großartig gekämpft. Einige Spieler waren herausragend."

David Villa: "Wir sind sehr zufrieden. Die Mannschaft hat ihr bisher bestes Spiel gezeigt. In großen Momenten wächst sie noch mehr. Es war unser komplettestes Spiel, auch wenn wir mehr Tore verdient hätten."

"Uns fehlte diesmal der Mut und die Cleverness. Nichts war zu sehen vom Fußball made in Germany, der die ganze Welt begeistert hat. War es der Respekt vor den großen Namen? Oder lähmten die hohen Erwartungen unsere Helden? Es beschlich einen das Gefühl, die Spanier hätten einen Mann mehr auf dem Rasen." (Bild)

"Der tolle Fußball war letztlich wertlos, ein nicht so toller Abend reichte, und alles war vorbei…Was bleibt ist die Hoffnung auf eine große Zukunft." (Kicker)

"Der vierte Stern bleibt ein Traum" (Die Welt)

"Ein Traum ist zu Ende, der Weg noch nicht" (Neue Osnabrücker Zeitung)

"Das war ein Meisterwerk, ein Tor für die Geschichte. Der perfekte Kopfball hat die riesigen Deutschen fertiggemacht." (Marca/ Madrid)

"Das beste Spanien zieht in sein erstes WM-Endspiel ein. Es gibt nichts zu kritisieren. Ein neues Spanien ist geboren." (El Pais/Spanien)

"Spanien sorgt für eine neue Weltordnung. Der Sieg gegen Deutschland bedeutet, dass jemand zum ersten Mal Weltmeister wird." (The Times/England)

"Die Spanier erwiesen sich viel zu stark für Deutschland, konnten den Kraftunterschied aber erst in der zweiten Halbzeit umsetzen." (De Telegraaf/Holland)

"Bei dieser WM läuft alles verkehrt. Die Deutschen werden den besten Eindruck hinterlassen, sie werden aber weder Gold noch Silber gewinnen." (Gazeta Wyborcza/Polen)

"Deutschland war wie eine Gazelle, die gerade genug tut, um der Gefahr auszuweichen." (Daily Star/Südafrika)

"Deutschland fand keine Lücken für sein Spiel. Die Stimme des Kraken ist die Stimme Gottes. Paul lag erneut richtig." (Lance/Brasilien)

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