WM 2010: Die Revanche für Wembley

Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

27. Juni 2010 in Blomfontein - Achtelfinale: Deutschland - England 4:1

Vor dem Spiel:

Schon im Achtelfinale kam es zu einem echten Klassiker, auf den sich die Fußballwelt freute. Wie immer kamen laute Töne aus dem englischen Lager. "Ich will Deutschland aus dem Turnier werfen", kündigte Torjäger Wayne Rooney an und Englands italienischer Trainer Fabio Capello glaubte zu wissen: "Deutschland hat Angst vor uns." Die WM gab dafür freilich wenig Anlass, die Briten hatten drei mühevolle Spiele hingelegt, weder gegen die USA (1:1) noch gegen Algerien (0:0) gewonnen und aus acht Chancen gegen Slowenien (1:0) nur einen Treffer erzielt. Das reichte für den zweiten Gruppenplatz. In den Medien war zudem von einem Putsch des abgesetzten Kapitäns John Terry gegen Capello die Rede, Terry habe nach dem 0:0 gegen Algerien im Bündnis mit fünf anderen Spielern das Kommando übernehmen wollen. "Terry greift nach der Rolle des Spielertrainers", titelte die Daily Mail und Capello gestand Probleme ein. "Die Angst stoppt ihre Beine, stoppt ihr Gehirn, stoppt einfach alles." Franz Beckenbauer mutmaßte aus der Ferne: "Ich vermute, das kann man unter Lagerkoller abhaken." Er prophezeite: "Das waren immer die größten und unvergesslichsten Spiele unserer Geschichte. Bestimmt wird es wieder eine Fußballschlacht."

Durch Miroslav Kloses Rückkehr nach seiner Rot-Sperre war die Wunschmannschaft von Bundestrainer Joachim Löw vor Turnierstart wieder komplett, einzig Holger Badstuber hatte seinen Platz an Jerome Boateng verloren. Klose-Vertreter Cacau musste zurück auf die Bank. Zum Ende der Wartezeit häuften sich die guten Nachrichten. Die medizinische Abteilung bekam die angeschlagenen Schweinsteiger und Boateng rechtzeitig hin, der seit Turnierstart unfehlbare Oktopus Paul aus dem Oberhausener Zoo prophezeite mit der Wahl des entsprechenden Futternapfs einen deutschen Sieg und England-Legionär Michael Ballack verriet in Bild am Sonntag über den Gegner: "Es gibt bei der WM keine andere Mannschaft, vor der sie mehr Angst haben."



Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

27. Juni 2010 in Blomfontein - Achtelfinale: Deutschland - England 4:1

Vor dem Spiel:

Schon im Achtelfinale kam es zu einem echten Klassiker, auf den sich die Fußballwelt freute. Wie immer kamen laute Töne aus dem englischen Lager. "Ich will Deutschland aus dem Turnier werfen", kündigte Torjäger Wayne Rooney an und Englands italienischer Trainer Fabio Capello glaubte zu wissen: "Deutschland hat Angst vor uns." Die WM gab dafür freilich wenig Anlass, die Briten hatten drei mühevolle Spiele hingelegt, weder gegen die USA (1:1) noch gegen Algerien (0:0) gewonnen und aus acht Chancen gegen Slowenien (1:0) nur einen Treffer erzielt. Das reichte für den zweiten Gruppenplatz. In den Medien war zudem von einem Putsch des abgesetzten Kapitäns John Terry gegen Capello die Rede, Terry habe nach dem 0:0 gegen Algerien im Bündnis mit fünf anderen Spielern das Kommando übernehmen wollen. "Terry greift nach der Rolle des Spielertrainers", titelte die Daily Mail und Capello gestand Probleme ein. "Die Angst stoppt ihre Beine, stoppt ihr Gehirn, stoppt einfach alles." Franz Beckenbauer mutmaßte aus der Ferne: "Ich vermute, das kann man unter Lagerkoller abhaken." Er prophezeite: "Das waren immer die größten und unvergesslichsten Spiele unserer Geschichte. Bestimmt wird es wieder eine Fußballschlacht."

Durch Miroslav Kloses Rückkehr nach seiner Rot-Sperre war die Wunschmannschaft von Bundestrainer Joachim Löw vor Turnierstart wieder komplett, einzig Holger Badstuber hatte seinen Platz an Jerome Boateng verloren. Klose-Vertreter Cacau musste zurück auf die Bank. Zum Ende der Wartezeit häuften sich die guten Nachrichten. Die medizinische Abteilung bekam die angeschlagenen Schweinsteiger und Boateng rechtzeitig hin, der seit Turnierstart unfehlbare Oktopus Paul aus dem Oberhausener Zoo prophezeite mit der Wahl des entsprechenden Futternapfs einen deutschen Sieg und England-Legionär Michael Ballack verriet in Bild am Sonntag über den Gegner: "Es gibt bei der WM keine andere Mannschaft, vor der sie mehr Angst haben."

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Deutschland wie entfesselt beim "Wembley-Tor reloaded"

Spielbericht:

Das große Spiel findet im bisher kleinsten Stadion statt, immerhin ist das Free-State-Stadion ausverkauft. Nach zwei Spielen an der Küste und einem im Norden spielen die Deutschen an diesem Sonntag in Südafrikas Mitte. Die Bild am Sonntag informiert etwas uncharmant: "Blomfontein gilt als die langweiligste Stadt des Landes." Auf das Spiel wird diese Einschätzung nicht abfärben. Es wird Geschichte schreiben. Die ARD überträgt an diesem Sonntag, Steffen Simon kommentiert. Anpfiff ist um 16 Uhr, ausgeführt durch einen Mann aus Uruguay – Jorge Larrionda. Die Welt wird ihn kennenlernen.

Erste Aufregung nach fünf Minuten, als zunächst Rooney in bester Schussposition zurückgepfiffen wird (ist es Abseits?) und Mesut Özil im Gegenzug Keeper David James anschießt. In der 20. Minute fällt ein Tor, das man auf diesem Niveau nur selten sieht. Manuel Neuer macht einen Abschlag von der Fünf-Meter-Linie. Der Ball fliegt 71 Meter weit bis in den englischen Strafraum, wo sich Klose gegen Matthew Upson durchsetzt und mit langem Ball an James vorbei ins Netz spitzelt – es ist sein 50. Länderspieltor und das erste nach einer Vorlage von Neuer. Man erfährt hinterher, dass Klose Neuers Abschläge im Training genau studiert habe. Zitat: "Ich weiß, dass man den Ball nicht so gut einschätzen kann. Der macht zwei, drei Kurven. Darauf habe ich spekuliert."

Das ungewöhnliche Tor ist der Brustlöser, befreit spielt die junge Elf auf, glänzt mit herrlichen Kombinationen. Nach einem Hackentrick von Thomas Müller muss Klose das 2:0 machen, aber James pariert. Lange müssen sie sich nicht ärgern. Schon in der nächsten Minute fällt es dann doch. Klose schlenzt den Ball per Außenrist in den Lauf von Müller, der Lukas Podolski bedient. Aus dem Winkel schießt nicht jeder, aber mit seinem starken Linken ist dem Kölner nichts zu schwer. Der Ball schlägt flach im langen Eck ein – Party in Deutschland. "Für einen Moment sieht es so aus, als hätten wir Flügel bekommen. Alles gelingt. Jeder Pass kommt an, und in der Luft liegt ein eigentümliches Kichern, als würde sich der Ball mit uns amüsieren", schreibt Kapitän Philipp Lahm in seiner Biographie. Doch noch ist es zu früh zum Feiern. Verteidiger Upson kommt mit nach vorne und mit seinem Kopf eher an einen Flankenball von Steven Gerrard als Neuer, der da nicht gut aussieht – 2:1. Schon eine Minute später die Szene des Spiels. Gegen die nun verunsicherten Deutschen kommen die Briten zur nächsten Chance – und zu einem Tor. Eigentlich…

Erstmals seit 1966 ist nach dem Spiel wieder von einem Wembley-Tor bei einer WM die Rede, denn dem Fußballgott – sofern es ihn gibt – hat es gefallen, Deutschland Genugtuung zu verschaffen für das Trauma des dritten Tores im Finale gegen die Engländer. Es läuft die 38. Minute, als Englands Kapitän Frank Lampard aus 17 Metern abzieht. Der Ball prallt – wie in Wembley – an die Unterkante der Latte und von dort dann – nicht wie in Wembley – rund 40 Zentimeter hinter die Linie und wieder an die Latte. Ein klares Tor, dazu bedarf es keiner Torlinientechnologie. Manuel Neuer wirft den aufspringenden Ball schnell nach vorne, "damit die Schiedsrichter nicht daran denken, dass der Ball drin war." Der Plan geht auf. Jorge Larrionda steht ungünstig, hat es nicht genau gesehen und bekommt auch keinerlei Hilfe von den Assistenten. Lahm: "Ich denke mir nur: Respekt, der Linienrichter traut sich was…" Man wird ermitteln, dass Senor Mauricio Espinosa 37 Meter entfernt steht und freie Sicht hat, aber kein Tor meldet. So entscheidet Larrionda im Zweifel für den (seit 1966) Geplagten: kein Tor. Ein Schock für die Engländer, ein Signal für die Deutschen. Es besagt: heute kann uns nichts passieren.

Noch aber ist England nicht verloren und Lampard will sein Tor zurück. Er versucht es sogar aus 34 Metern, der Freistoß knallt an die Latte. Den Deutschen bietet sich Raum zum Kontern und sie haben einen "Raumdeuter", wie er sich selber nennt, ihn zu nutzen: Thomas Müller. Der 21 Jahre alte Bayern-Stürmer leitet den Konter zum 3:1 selbst ein, bekommt den Ball von Teamkollege Schweinsteiger zurück und schießt flach ins kurze Eck. James ist dran, der Ball trotzdem drin. Drei Minuten später ist der Sack zu. Özil läuft links Gareth Barry davon und passt seelenruhig und zentimetergenau auf Müller, der sicher schon schwerere Tor erzielt hat als dieses 4:1 aus neun Metern. Anschließend darf er duschen gehen, Piotr Trochowski löst ihn ab, auch Mario Gomez und WM-Debütant Stefan Kießling erhalten von Löw noch ein paar Einsatzminuten. Gewonnen ist das Spiel längst.

Erwähnenswert ist nur noch ein weiterer Schuss von Gerrard, Neuer pariert. Dann ist es vorbei und der dritte Sieg im fünften WM-Duell mit England unter Dach und Fach. Zugleich ist es Englands höchste WM-Niederlage überhaupt. BBC-Kommentator Alan Hansen seufzt in sein Mikrofon: "Gespielt hat nur Deutschland, Deutschland, Deutschland." Seine deutschen Kollegen sind besserer Laune. "Selten habe ich so fassungslose, begeisterte Journalisten gesehen wie nach dem Spiel gegen England", wundert sich Philipp Lahm. Natürlich hat das Spiel ein tagelanges mediales Nachspiel. Die Engländer sind fair genug, den deutschen Sieg anzuerkennen, aber jeder stimmt Trainer Fabio Capello zu, als der sagte: "Es ist unglaublich, dass in dieser Zeit mit so vielen Schiedsrichtern dieses Tor nicht gegeben wird." FIFA-Chef Sepp Blatter entschuldigt sich am nächsten Tag öffentlich bei den Briten für das Versehen des Schiedsrichters und stellt die Weichen für eine Fußballrevolution. Dass es ab der WM 2014 eine Torlinien-Technologie gibt, hat seinen Ursprung in dem Bloemfontein-Tor. Dass die Wunde von Wembley allmählich vernarbt ist, auch. Die Bild schlagzeilt am nächsten Tag: "Thank you, Fußball-Gott!"

Aufstellung: Neuer – Lahm, Friedrich, Mertesacker, Boateng – Khedira, Schweinsteiger – Müller (72. Trochowski), Özil (83. Kießling), Podolski – Klose (72. Gomez).

Tore: 1:0 Klose (20.), 2:0 Podolski (32.), 2:1 Upson (37.), 3:1 Müller (67.), 4:1 Müller (67.).

Zuschauer: 40.510

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Beckenbauer: "Klar habe ich auch an 1966 gedacht"

Stimmen zum Spiel:

Joachim Löw: "Wir sind zufrieden. Wir haben grandios gegen erfahrene Engländer gespielt. Das hat schon Spaß gemacht, da zuzuschauen. Heute haben wir mit viel Überzeugung gespielt, mit viel Mut. Die ersten zwei Tore haben uns gut getan. In der Halbzeit haben wir gesagt, dass wir auf jeden Fall auf das dritte Tor spielen müssen. Wir wussten, dass die Engländer aufmachen müssen und wir unsere Chancen bekommen. In der zweiten Halbzeit haben wir eiskalt zurückgeschlagen."

Franz Beckenbauer: "Klar habe ich auch an 1966 gedacht. Ironie der Geschichte. Gott sei Dank sind noch zwei Tore gefallen, da wird die Diskussion etwas flacher."

Thomas Müller: "Jetzt steuern wir auf unser großes Ziel hin. Ich habe auf jeden Fall in meiner Vitrine noch einen Platz frei. Beim 3:1 habe ich Glück gehabt. Gott sei Dank habe ich mich für die richtige Ecke entschieden. Ich sage mir vorher immer, nicht hektisch werden. Man muss nicht mich loben, sondern das Team."

Bastian Schweinsteiger: "Heute hatten wir eine gute Taktik, jeder hat mitgemacht. Wir haben auch gut in der Deckung gestanden. Im Mittelfeld haben wir viele Bälle gewonnen und dann gute Chancen gehabt. Natürlich gibt uns das Selbstvertrauen für das nächste Spiel."

Miroslav Klose: "Heute waren wir von der ersten Minute im Spiel, waren bissig, waren am Mann dran und haben uns den Sieg verdient."

Lukas Podolski: "Die wichtigsten Spiele sind immer etwas Besonderes. Das sind die K.o.-Spiele, da sind die Deutschen immer da. Wir haben von hinten bis vorne eine gute Leistung gezeigt und auch in dieser Höhe verdient gewonnen. Nach diesem Spiel ist die breite Brust erstmal da. Wir wissen, was wir drauf haben und wollen noch drei Spiele da bleiben."

Fabio Capello (Englands Trainer): "Wir haben gut gespielt, Deutschland ist eine der größten Mannschaften hier. Wir haben einige Fehler gemacht, die haben sie mit Kontern ausgenutzt. Die kleinen Dinge entscheiden immer über die Ergebnisse. Nach dem dritten Gegentor waren wir etwas niedergeschlagen. Der Fehler war, nach eigenem Freistoß den Konter zum Tor zu bekommen."

Steven Gerrard (England): "Deutschland hat ein fantastisches Team und hat den Sieg verdient. Wir fahren nach Hause und müssen analysieren, was schief lief und warum wir nicht weiter gekommen sind. Als Team haben wir heute versagt und sind von einem guten Gegner bezwungen worden. Sie waren vor dem Tor abschlussstark und haben weniger Fehler gemacht als wir. Dafür sind wir bestraft worden."

James Milner (England): "Die Deutschen haben ein gutes Team mit viel Qualität. Sie haben eine gute Chance, die WM zu gewinnen."

"Diesen Tag werden wir nie vergessen! Deutschland gewinnt den großen Fußball-Klassiker gegen England 4:1. Für das Spiel vergibt BILD elfmal die Note 1." (Bild)

"Nach dem Sieg ist Löws Team vielleicht nicht Titelfavorit, gehört aber zum engeren Kreis…Egal, was nun noch kommt in Südafrika: Diese noch unverbrauchte Rasselbande, die in ihrer Ausstrahlung so wenig machomäßig rüberkommt wie eine Turnriege auf Sommerfreizeit, hat sich überaus beliebt gemacht. Außer in England." (Frankfurter Rundschau)

"Uruguays Schiedsrichter und seine Assistenten waren bei Lampard, der hinter der Linie war, blind. Über der Szene lag der Schatten von 1966." (The Sun/England)

"Für Englands goldene Generation ist jetzt alles zu Ende. Sollte Deutschland dieses Turnier gewinnen, vielleicht bauen sie Linienrichter Espinosa ja in Berlin ein Denkmal." (Guardian/England)

"Ein italienischer Coach hat das schlimmste englische Desaster in der Geschichte der WM zustande gebracht." (Repubblica/Italien)

"Capello und sein Team verlassen die Szene nach der Demütigung durch das jüngste und frechste Deutschland der Geschichte, eine Mannschaft aus frischen Talenten, die den schönsten Fußball dieser WM spielen." (Corriere della Sera/Italien)

"Deutschland nicht von dieser Welt. Deutschland ist die wahre Regenbogennation." (The Times/Südafrika)

"Wieder einmal ein legendäres Spiel zwischen Deutschland und England. Die Deutschen sind unwiderstehlich." (L’Equipe/Frankreich)

"Das bislang beste Spiel der WM. Mit vielen Toren und einer Polemik." (O Globo/Rio)

"Der Wembley-Treffer von Geoff Hurst bleibt weiter diskussionswürdig, aber hier war alles klar. Es ist einer der größten Skandale in der Geschichte der Fifa." (Sport Express/Moskau)

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