WM 2002: In Unterzahl ins Achtelfinale

Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

11. Juni 2002 in Shizuoka - Vorrunde: Kamerun - Deutschland 0:2

Vor dem Spiel:

Nach dem Irland-Spiel hatte Teamchef Rudi Völler eine schlaflose Nacht, im Hotel sah er noch die Wiederholung der zweiten Halbzeit im japanischen Fernsehen. Völler gestand: "Ich habe sehr schlecht geschlafen. Mit anderen Worten: gar nicht." Dabei war die Lage unverändert günstig. Dank des besseren Torverhältnisses hätte ein Punkt gereicht, um das Achtelfinale und den Gruppensieg zu erreichen, sofern Irland kein zweistelliger Sieg über Saudi-Arabien glücken würde. Die vom Deutschen Winfried Schäfer trainierten Kameruner dagegen mussten gewinnen. Der Verlierer würde sicher ausscheiden. Für den Fall gab DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder schon Entwarnung: "Es wird dann keine Diskussion über die Trainer geben. Die Leute haben unser Vertrauen." Im deutschen Lager wurde in den Tagen vor diesem Spiel an die Playoffduelle mit der Ukraine erinnert und wie gut es sei, eine solche Drucksituation schon überstanden zu haben.

Auch im dritten Vorrundenspiel ließ Völler dieselbe Elf auflaufen, obwohl er zunächst angekündigt hatte: "Die Karten werden neu gemischt." Das weckte bei Reservisten wie Oliver Bierhoff, Jörg Böhme und Jens Jeremies Hoffnungen, die aber enttäuscht wurden. Das Grummeln auf den hinteren Plätzen wurde etwas lauter, und sei es nur durch Schweigen. Jeremies. "Ich sage lieber nichts, denn ich will nichts Falsches sagen." 

Miroslav Kloses Knochenhautentzündung war zum Glück fast verheilt. Größere Sorgen machten sich Mediziner in der Heimat um seine Achillessehne. Ein von der Bild befragter Orthopäde warnte dringend vor weiteren Salti nach Kloses Toren, sei doch der Druck auf die Achillessehne beim Absprung besonders groß. Und Günter Netzer hatte Angst, "dass er sich bei der Landung verletzt." Christian Ziege war wirklich verletzt, aber nur seelisch. Die Kritik an seiner Irokesenfrisur in den Nationalfarben hatte ihm zugesetzt, nun trug er Glatze: "Offenbar bringen viele in Deutschland weder Humor noch Toleranz auf", grollte er.

Das also waren die Sorgen der Deutschen. Afrikameister Kamerun hatte größere, das 1:0 gegen Saudi-Arabien offenbarte mehr Schwächen als Stärken und wirkte gegenüber dem 8:0 der Deutschen gegen diesen Gegner äußerst mickrig. Da aber Fußball keine Mathematik ist, blieben die Afrikaner zuversichtlich. Kapitän Rigobert Song, damals in Diensten des 1. FC Köln, glaubte: "Wir sind physisch stärker und müssen uns durchsetzen." Trainer Winfried Schäfer, der mit seinen "Löwen" sein Heimatland aus dem Turnier kegeln musste, beteuerte: "Ich bin ein Löwe. Wir wollen Afrika gut vertreten." Der Fokus der deutschen Abwehr lag auf dem 21 Jahre alten Samuel Eto'o, der schon 30 Länderspiele und das Zeug zum Weltstar hatte. Gegen Kamerun hatte Deutschland noch nie gespielt.



Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

11. Juni 2002 in Shizuoka - Vorrunde: Kamerun - Deutschland 0:2

Vor dem Spiel:

Nach dem Irland-Spiel hatte Teamchef Rudi Völler eine schlaflose Nacht, im Hotel sah er noch die Wiederholung der zweiten Halbzeit im japanischen Fernsehen. Völler gestand: "Ich habe sehr schlecht geschlafen. Mit anderen Worten: gar nicht." Dabei war die Lage unverändert günstig. Dank des besseren Torverhältnisses hätte ein Punkt gereicht, um das Achtelfinale und den Gruppensieg zu erreichen, sofern Irland kein zweistelliger Sieg über Saudi-Arabien glücken würde. Die vom Deutschen Winfried Schäfer trainierten Kameruner dagegen mussten gewinnen. Der Verlierer würde sicher ausscheiden. Für den Fall gab DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder schon Entwarnung: "Es wird dann keine Diskussion über die Trainer geben. Die Leute haben unser Vertrauen." Im deutschen Lager wurde in den Tagen vor diesem Spiel an die Playoffduelle mit der Ukraine erinnert und wie gut es sei, eine solche Drucksituation schon überstanden zu haben.

Auch im dritten Vorrundenspiel ließ Völler dieselbe Elf auflaufen, obwohl er zunächst angekündigt hatte: "Die Karten werden neu gemischt." Das weckte bei Reservisten wie Oliver Bierhoff, Jörg Böhme und Jens Jeremies Hoffnungen, die aber enttäuscht wurden. Das Grummeln auf den hinteren Plätzen wurde etwas lauter, und sei es nur durch Schweigen. Jeremies. "Ich sage lieber nichts, denn ich will nichts Falsches sagen." 

Miroslav Kloses Knochenhautentzündung war zum Glück fast verheilt. Größere Sorgen machten sich Mediziner in der Heimat um seine Achillessehne. Ein von der Bild befragter Orthopäde warnte dringend vor weiteren Salti nach Kloses Toren, sei doch der Druck auf die Achillessehne beim Absprung besonders groß. Und Günter Netzer hatte Angst, "dass er sich bei der Landung verletzt." Christian Ziege war wirklich verletzt, aber nur seelisch. Die Kritik an seiner Irokesenfrisur in den Nationalfarben hatte ihm zugesetzt, nun trug er Glatze: "Offenbar bringen viele in Deutschland weder Humor noch Toleranz auf", grollte er.

Das also waren die Sorgen der Deutschen. Afrikameister Kamerun hatte größere, das 1:0 gegen Saudi-Arabien offenbarte mehr Schwächen als Stärken und wirkte gegenüber dem 8:0 der Deutschen gegen diesen Gegner äußerst mickrig. Da aber Fußball keine Mathematik ist, blieben die Afrikaner zuversichtlich. Kapitän Rigobert Song, damals in Diensten des 1. FC Köln, glaubte: "Wir sind physisch stärker und müssen uns durchsetzen." Trainer Winfried Schäfer, der mit seinen "Löwen" sein Heimatland aus dem Turnier kegeln musste, beteuerte: "Ich bin ein Löwe. Wir wollen Afrika gut vertreten." Der Fokus der deutschen Abwehr lag auf dem 21 Jahre alten Samuel Eto'o, der schon 30 Länderspiele und das Zeug zum Weltstar hatte. Gegen Kamerun hatte Deutschland noch nie gespielt.

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Rot für Ramelow, aber Bode und Klose treffen zum Sieg

Spielbericht:

In Shizuoka bricht die Nacht allmählich an, in Europa ist es hellichter Tag. Den Anpfiff um 20.30 Uhr Ortszeit sind die deutschen Spieler schon gewöhnt, der deutsche Fan tut sich mit den Mittagsspielen unter der Woche etwas schwerer. Es ist ein Dienstag, an dem die Entscheidung über das Weiterkommen fallen soll und es ist Regenzeit in Japan, die Einheimischen erkennen sofort die Vorboten eines Taifuns. Tief hängende Wolken, ein heftiger Wind und alle zehn Minuten ein kleiner Schauer. "Das ist ja wie in einer Waschküche hier", stellt Oliver Kahn nach der Ankunft am Spielort fest. Im Stadion herrscht eine Luftfeuchtigkeit von 93 Prozent, "alle schwitzten schon vor dem Anpfiff", meldet die Bild. Fußballspielen aber ist möglich, und so spielen sie. Das ZDF (Reporter: Johannes B. Kerner) und Premiere (Marcel Reif) übertragen das nächste Schicksalsspiel der Völler-Ära.

Miroslav Klose setzt den ersten Offensivakzent, tanzt Gegenspieler Marc-Vivien Foé aus und bedient Michael Ballack, der aus 14 Metern verzieht. Schon in der neunten Minute zückt Schiedsrichter Antonio Lopez Nieto aus Spanien die erste Gelbe, für Kameruns Song. Das ist der Anfang einer nie gesehenen Kartenorgie bei einer WM, am Ende werden es 16 Karten sein. Die Bild- Zeitung tauft den Referee in "Senor Tomato" um. In der zwölften Minute ein Riesenschreckmoment: Nach einem Fehler von Thomas Linke läuft Salomon Olembe allein auf Kahn zu, der aber bleibt so lange stehen, bis der Kameruner die Nerven verliert und ihn anschießt. Bernd Schneider schießt tatsächlich von der Mittellinie, der Ball geht übers Tor. Dann muss Kahn einen Freistoß von Patrick Womé parieren, der Abpraller landet an Christoph Metzelders Brust und fast im Tor. Auch bei Songs Kopfball aus sechs Metern braucht Kahn Glück.

Kamerun ist die gefährlichere Mannschaft, man merkt, wer nur gewinnen will und wer gewinnen muss. Nach 36 Minuten wird Boukar Alioum im Tor der Kameruner erstmals geprüft, er lenkt Zieges Freistoß über die Latte. Es folgt ein schwerer Schlag für die Deutschen: Abwehrchef Carsten Ramelow, bereits verwarnt, kann den wieselflinken Eto'o nur mit einem Foul bremsen und wird vom Platz gestellt - als sechster WM-Spieler in der DFB-Historie. 50 Minuten in Unterzahl gegen einen bis dahin überlegenen Gegner. Selten ist die Halbzeitpause so willkommen, sich neu zu ordnen.

Und Völler ordnet. Aus der Dreierkette wird eine Viererkette - nun mit den zurückbeorderten Thorsten Frings und Christian Ziege -, im Mittelfeld wird eine zweite gespannt und vorne bleibt nur Miroslav Klose. Carsten Jancker muss seinen Platz für Marco Bode räumen. Besser hätte man es kaum machen können. Die bis dahin schwach und konzeptlos spielenden Deutschen reißen sich in Unterzahl zusammen, wie es sich in der Kabine geschworen haben, stehen sicher und warten auf Fehler des Gegners. Und die kommen. Raymond Kalla verspringt der Ball am Mittelkreis, Klose geht dynamisch dazwischen, zieht vier Mann auf sich und spielt einen genialen Linkspass in den Lauf von Joker Bode. ZDF-Kommentator Johannes B. Kerner attestiert Klose verzückt "einen Panoramablick für den startenden Bode". Der Bremer schiebt eiskalt flach ein - vier Minuten und 20 Sekunden ist er auf dem Feld und schon der Held.

Kamerun ist geschockt. Es dauert über 20 Minuten, ehe die Afrikaner noch mal gefährlich werden. Dann aber richtig: Lauren Etamé köpft nach einer Freistoßflanke an den Pfosten, Patrick Mboumas Nachschuss krallt sich Kahn. Dann sorgt Patrick Suffo für Waffengleichheit, auch er muss - nach einem Foul an Ballack - vom Platz. In der 79. Minute die endgültige Entscheidung, das Muster ist schon bekannt. Flanke Ballack, Kopfball Klose, Tor. Es ist der Endstand, es ist der Sieg, es ist das Achtelfinale - auch ohne Salto (Klose: "Daran habe ich bei all dem Jubel diesmal gar nicht gedacht"). Winfried Schäfer gratuliert Rudi Völler, fällt dann Oliver Kahn in die Arme, er war sein Trainer in Karlsruhe. In der deutschen Kabine spielen sich Jubelszenen ab, nur Oliver Kahn macht nicht mit: "Nur der Titel zählt."

Aufstellung: Kahn – Linke, Ramelow, Metzelder – Frings, Hamann, Ziege – Schneider (80. Jeremies), Ballack – Klose (84. Neuville), Jancker (46. Bode).

Platzverweise: Ramelow (40.) – Suffo (77.).

Tore: 1:0 Bode (50.), 2:0 Klose (79.).

Zuschauer: 47.085 in Shizuoka.

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"Klose wird hier richtig zum Star"

Stimmen zum Spiel:

Rudi Völler: "Ich habe an der Seitenlinie einige Kilo abgenommen. Man hat gemerkt, dass man unter brutalem Druck steht, in der Vorrunde auszuscheiden. Zum Glück hatte Oliver Kahn einen tollen Tag. In der zweiten Halbzeit haben wir dann Fußball gespielt. Die Spieler haben sich genau in dem Moment gesteigert, als sie gefordert waren. So werden große Mannschaften geboren."

Carsten Ramelow: "Die Rote Karte muss man so hinnehmen. Allerdings hat sich mein Gegenspieler den Ball sehr weit vorgelegt und sich dann fallen lassen. Wenn wir wieder so auftreten wie heute, können wir auch ins Viertelfinale kommen."

Marco Bode: "Dieses Tor rangiert in meiner Hitliste ziemlich weit oben. Es war wichtig für die Mannschaft und schön für mich."

Oliver Kahn: "Der Platzverweis hat bedeutet, dass wir noch enger zusammengerückt sind. Der größte Fehler wäre aber jetzt, wenn wir die Spannung fallen lassen. Wir haben noch gar nichts erreicht, die WM geht jetzt erst richtig los."

Winfried Schäfer (Trainer Kameruns): "Entscheidend waren zwei Szenen. Olembe hätte die Riesenchance zum 1:0 nutzen müssen. Und ganz ehrlich - mir wäre es lieber gewesen, wenn Eto'o durchgekommen und Carsten Ramelow nicht vom Platz geflogen wäre. Für mich hat Oliver Kahn 40 Prozent am Erfolg der Mannschaft. Wenn sie weiter so zusammenrücken, ist ihnen bei dieser WM noch ganz viel zuzutrauen."

Etamé Lauren (Kamerun): "Wir haben auch gegen die Deutschen nicht zu unserem Spiel gefunden. Das war nicht vergleichbar mit unseren Leistungen beim Afrika-Cup."

Paul Breitner (Weltmeister 1974): "Die Gelb-Rote Karte gegen Ramelow hat uns richtig gut getan. Sie förderte das Miteinander, plötzlich hatten wir zehn Kämpfer auf dem Platz."

Otto Schily (Innenminister): "Was die Mannschaft an Kampfgeist und Moral gezeigt hat, war vorbildlich. Klose wird hier richtig zum Star."

"Ohne Konzept, ohne Mut, aber doch erfolgreich." (kicker)

"Ja, wir stehen im Achtelfinale. Ungeschlagen in drei Spielen, 11:1 Tore. Ja, wir sind die wahren Löwen." (Bild)

"Deutschland ist wie so oft auferstanden." (AS/Spanien)

"Die Deutschen wissen immer noch, wann man den entscheidenden Schlag ansetzen muss." (Berlingske Tidense/Dänemark)