WM 1994: "Deutschland ist Klinsmann"

Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

21. Juni 1994 in Chicago - Gruppenspiel: Deutschland - Spanien 1:1

Vor dem Spiel:

Bundestrainer Berti Vogts änderte nach dem Auftaktsieg nur eine Position, für Karl-Heinz Riedle kam der defensivere Thomas Strunz, der sich in der Vorbereitung einen Stammplatz im rechten Mittelfeld erkämpft hatte. Häßler und Möller sollten die einzige Spitze Klinsmann unterstützen. "Noch nie hat es ein besseres Mittelfeld gegeben", schwärmte Vogts. Da die Spanier gegen Südkorea trotz 2:0-Führung nicht gewonnen hatten (2:2), schien Vogts ein Punkt zu reichen. Die Weltmeister Guido Buchwald und Rudi Völler blieben auf der Bank und äußerten ersten Unmut.

Ärger gab es auch wieder mit den Familien. Als Martina Effenberg entgegen der Absprache ihre beiden Kinder zum Abendessen der Mannschaft mitbrachte, war der Teufel los. Sie hatte keinen Babysitter gefunden, Vogts war das herzlich egal. Wieder gab es eine Teamsitzung, die nichts mit Fußball zu tun hatte. Rudi Völler platzte der Kragen: "Ich bin doch nicht hier, um mit dem Bundestrainer zu diskutieren, ob Kinder einiger Spieler mit zum Bankett gehen dürfen. Ich habe das Gefühl, das ist im Moment das Wichtigste, was im Spielerquartier abgeht." Prompt rief Bild am Spieltag den "Lagerkoller" aus.

Spanien hatte sich erst im letzten Moment qualifiziert, doch Trainer Javier Clemente verlangte "mindestens das Viertelfinale" von seiner Mannschaft. Wie zu fast allen Zeiten bildeten Spieler aus Barcelona und Madrid das Gerüst, nur Verteidiger Abelardo Fernandez spielte für Sporting Gijon. Weltstars hatten sie nicht. Im zentralen Mittelfeld spielte ein gewisser Pep Guardiola. „Er ist der Denker und Lenker im Mittelfeld des FC Barcelona, sein Blick für die Situation ist genial. Er schaut nach links und spielt nach rechts“, warnte der in Spanien als Trainer tätige Jupp Heynckes. Bisher hatte es zwei WM-Duelle mit Deutschland gegeben, beide hatten die Spanier 1:2 verloren (1966 und 1982). Clemente gab zu: "Ich mache mir nichts vor, das wird ein harter Brocken."



Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

21. Juni 1994 in Chicago - Gruppenspiel: Deutschland - Spanien 1:1

Vor dem Spiel:

Bundestrainer Berti Vogts änderte nach dem Auftaktsieg nur eine Position, für Karl-Heinz Riedle kam der defensivere Thomas Strunz, der sich in der Vorbereitung einen Stammplatz im rechten Mittelfeld erkämpft hatte. Häßler und Möller sollten die einzige Spitze Klinsmann unterstützen. "Noch nie hat es ein besseres Mittelfeld gegeben", schwärmte Vogts. Da die Spanier gegen Südkorea trotz 2:0-Führung nicht gewonnen hatten (2:2), schien Vogts ein Punkt zu reichen. Die Weltmeister Guido Buchwald und Rudi Völler blieben auf der Bank und äußerten ersten Unmut.

Ärger gab es auch wieder mit den Familien. Als Martina Effenberg entgegen der Absprache ihre beiden Kinder zum Abendessen der Mannschaft mitbrachte, war der Teufel los. Sie hatte keinen Babysitter gefunden, Vogts war das herzlich egal. Wieder gab es eine Teamsitzung, die nichts mit Fußball zu tun hatte. Rudi Völler platzte der Kragen: "Ich bin doch nicht hier, um mit dem Bundestrainer zu diskutieren, ob Kinder einiger Spieler mit zum Bankett gehen dürfen. Ich habe das Gefühl, das ist im Moment das Wichtigste, was im Spielerquartier abgeht." Prompt rief Bild am Spieltag den "Lagerkoller" aus.

Spanien hatte sich erst im letzten Moment qualifiziert, doch Trainer Javier Clemente verlangte "mindestens das Viertelfinale" von seiner Mannschaft. Wie zu fast allen Zeiten bildeten Spieler aus Barcelona und Madrid das Gerüst, nur Verteidiger Abelardo Fernandez spielte für Sporting Gijon. Weltstars hatten sie nicht. Im zentralen Mittelfeld spielte ein gewisser Pep Guardiola. „Er ist der Denker und Lenker im Mittelfeld des FC Barcelona, sein Blick für die Situation ist genial. Er schaut nach links und spielt nach rechts“, warnte der in Spanien als Trainer tätige Jupp Heynckes. Bisher hatte es zwei WM-Duelle mit Deutschland gegeben, beide hatten die Spanier 1:2 verloren (1966 und 1982). Clemente gab zu: "Ich mache mir nichts vor, das wird ein harter Brocken."

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Ein kurioses Gegentor

Der Spielbericht:

An diesem Dienstag wird um 15 Uhr angepfiffen. In Deutschland ist der Tag fast zuende (22 Uhr), Marcel Reif kommentiert für das ZDF und für 19,64 Millionen. Wie 1990 fegt über das zweite deutsche Turnierspiel ein heftiges Gewitter, das die Temperaturen auf fast schon milde 27 Grad absenkt. Die Luftfeuchtigkeit beträgt 41 Prozent, die beiden europäischen Teams fühlen sich beinahe schon heimisch. Die deutschen Zuschauer sind in der Überzahl und geben den Ton an. Auf dem Platz ist es erst mal anders herum. Sergio kommt aus zwölf Metern zum Schuss, Guardiola aus 25 Metern – jedesmal ist Illgner auf dem Posten. Nach 14 Minuten kann man das nicht unbedingt sagen, wenn auch viel Pech dabei ist. Oder Glück – je nach Perspektive. Als Spaniens Rechtsaußen Andoni Goicoechea fünf Meter vor der Außenlinie und nahe der Eckfahne ungestört eine krumme Flanke schlägt, mutiert diese zum Torschuss. Von Absicht kann jedenfalls keine Rede sein. Der Ball schlägt hinter Illgner am langen Pfosten ein – erstmals nach acht WM-Spielen schießt der deutsche Gegner das erste Tor. Illgner lässt die Zuschauer später an seinen Gedanken in diesem Moment teilhaben: "Mein Gott, von 10.000 solchen Dingen geht einer einmal ins Tor. Warum ausgerechnet heute und nicht gestern beim Training? Aber den haben wir jetzt weg, solch ein Ball kommt bei der WM nicht wieder." Vogts beordert Manndecker Berthold, bis dahin ohne Gegenspieler, auf die linke Seite, um Brehme zu unterstützen. So ein Tor darf nie mehr fallen. Brehme gibt dafür übrigens Sammer die Schuld, "er sollte auf halblinks zumachen".

Der Weltmeister ist schlagartig wach. Schon eine Minute später hat Möller nach Matthäus-Flanke den Ausgleich auf dem Kopf, zielt drüber. Dann wird Strunz im Strafraum gelegt, bekommt aber keinen Elfmeter. Die im ersten Spiel noch schlecht ausgeführten Standards bringen weiter Gefahr. Auch nach einem Häßler-Freistoß brennt es im spanischen Strafraum, der an diesem Tag überzeugende Stefan Effenberg köpft ebenfalls knapp drüber. Aber Spanien hat jetzt Räume und kontert gelegentlich sehr geschickt. Als Luis Enrique Strunz tunnelt und vors Tor flankt, klärt Thomas Berthold gerade noch vor Torschütze Goicoechea. Halbzeit. Vogts holt eine Kreidetafel hervor und erklärt die neue Raumaufteilung, fordert auch energischer "an die Männer ranzugehen". Nicht nur ihm fällt auf, dass im Mittelfeld viele Zweikämpfe verloren gehen. Matthäus wird sagen: "Ich denke, dass wir im Mittelfeld noch nicht wie die Weltmeister spielen." Contra gab im Nachspiel Stefan Effenberg: "Insgesamt hatten wir keine Probleme im Mittelfeld."

Kaum auf dem Feld zurück, führt ein energischer Einsatz zum Ausgleich. Wieder bringt ein Freistoß von Häßler Gefahr, im Fünfmeterraum setzt sich Klinsmann gegen zwei Mann durch und köpft per Aufsetzer das 1:1 – zweites Spiel, zweites Tor für den Schwabenpfeil im deutschen Sturm. Das muntert ihn auf. Zehn Minuten später setzt er einen Hechtkopfball ins Eck, Andoni Zubizaretta kommt da gerade noch ran. Plötzlich eine Schrecksekunde, als Abwehrchef Fernando Hierro aus kurzer Distanz Illgner tunnelt, der Ball aber parallel zur Torlinie kullert und das Netz nicht findet. "Deutschlands Bester ist zu diesem Zeitpunkt eine Frau. Glücksgöttin Fortuna.", schreibt die Hamburger Morgenpost in ihrem Spielprotokoll. Nun kommt Völler. "Ruuuudi"- Rufe auf den Rängen, der Mann des Volkes debütiert bei seiner dritten WM. Zwei Minuten auf dem Platz, setzt er sich im Getümmel durch und bedient Klinsmann, seinen Sturmpartner von Rom, aber der verzieht aus 15 Metern. Hierro kann auch aus weiteren Entfernungen schießen, Illgner besteht die Probe aus 30 Metern. Der Fernschuss ist auch ein Zeichen erlahmender Kräfte, die Mannschaften einigen sich quasi wortlos auf ein Remis. Nur Klinsmann macht nicht mit, dringt nach einem Effenberg-Pass in den Strafraum ein und schlenzt mit dem Außenrist um wenige Zentimeter vorbei (87.). Es wäre der Sieg gewesen, aber den hat keiner verdient. Zwei Mannschaften auf Augenhöhe bekommen eben manchmal ein Unentschieden, über das sich keiner beschweren kann.

Aufstellung: Illgner – Berthold, Matthäus, Kohler – Strunz, Effenberg, Sammer, Brehme – Häßler, Möller (61. Völler) – Klinsmann.

Tore: 0:1 Goicoetchea (14.), 1:1 Klinsmann (48.).

Zuschauer: 63.113

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"Ich habe noch nie eine so katastrophale Abwehr gesehen"

Stimmen zum Spiel

Berti Vogts: "Wichtig war, dass wir nach dem 0:1 anfingen, mit Power zu spielen. Man kann es auch bei hohen Temperaturen. Nach 25 Minuten hatten wir alles im Griff. Bodo Illgner hat hervorragend gehalten, ich mache ihm keinen Vorwurf."

Egidius Braun (DFB-Präsident): "Wir sind auf einem allmählichen Weg Richtung WM-Titel."

Bodo Illgner: "Ich denke, es kommt eine Flanke. Bei so einem frechen Kunstschuss dreht sich der Ball normalerweise vom Tor weg. Ich habe nur diese Erklärung, dass der Wind den Ball wieder leicht reingedrängt hat. Das sah wohl ziemlich übel aus."

Jürgen Klinsmann: "Ich ärgere mich, dass ich kein zweites Tor geschossen habe. Rudi Völler hat mir den Ball super aufgelegt – instinktiv."

Thomas Berthold: "Es bringt doch nichts, wenn sich der Bundestrainer nach jedem Spiel hinstellt und behauptet, wir hätten gut gespielt. Die ganze Welt hat gesehen, dass es nicht so war."

Gerd Müller (Weltmeister 1974): "Vor der Pause haben uns die Spanier ziemlich zu schaffen gemacht. Ihre Führung war verdient. Klinsmanns Tor hat für mehr Sicherheit gesorgt. Überhaupt war Klinsi sehr stark. Das Achtelfinale ist jetzt so gut wie sicher."

Rudi Gutendorf (Trainer-Weltenbummler): "Ich habe noch nie eine so katastrophale Abwehr einer deutschen Nationalelf gesehen wie in der ersten Halbzeit. Die haben ja kaum einen Zweikampf gewonnen."

Javier Clemente (Trainer Spaniens): "Einen Punkt gegen Südkorea musste ich als Verlust werten, einen Punkt gegen den Weltmeister als Gewinn. Alle Spieler haben sehr gute Arbeit geleistet."

Pep Guardiola (Spanien): "Das Wichtigste an diesem Spiel war, dass das spanische Team sein Image verbessert hat."

"Wieder gezittert! Berti, für den Titel reicht das nicht…Wenn wir wieder Weltmeister werden wollen, muß sich unsere Mannschaft noch mächtig steigern." (Bild)

"Oh Berti! Uns kam vieles spanisch vor. …Tief durchatmen, schnell vergessen! Mit Ach und Krach rettet Deutschland ein arg schmeichelhaftes 1:1 gegen Spanien." (Hamburger Morgenpost)

"Daß es seine Spieler nicht schafften, sich neu zu organisieren, wenn ein Gegner wie die Spanier plötzlich in Überzahl angreift, muß den Bundestrainer nachdenklich stimmen. Ein harmonisches Team regelt so etwas von selbst." (Die Welt)

"Deutschland spielte mit der Gemütsbewegung einer Registrierkasse." (El Pais/Spanien)

"Wir haben einen halben Krieg gewonnen. Der Weltmeister hatte Ladehemmung."(El Mundo/Barcelona)

"Deutschland ist Klinsmann. Der Weltmeister zitterte, aber dann kam der Stürmer und rettete den Champion." (Gazetta dello Sport/Mailand)

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