WM 1990: Elfmeter. Brehme. Weltmeister.

"Haben spielerische Maßstäbe gesetzt"

Stimmen zum Spiel:

Franz Beckenbauer: "Ich habe niemals einen verdienteren Weltmeister gesehen. Es war mir schon vorher klar, dass wir den Titel gewinnen. Wir waren die konditionell bessere Mannschaft und ich habe während der gesamten WM kein Team gesehen, das uns das Wasser reichen konnte. Wir haben heute mit sehr viel Geduld gespielt, das war entscheidend. Wir hätten irgendwann ein Tor gemacht, das hat sich ausgezahlt. Wir haben 90 Minuten lang die Argentinier in die eigene Abwehr zurückgedrängt. Argentinien hat leider nicht mitgespielt, sondern war nur auf Zerstören aus. Deshalb kann man nicht von einem großen Finale sprechen."

Bundeskanzler Helmut Kohl: "Wir sind stolz auf euch. Auf dem Platz und auch außerhalb habt ihr euer Land hervorragend vertreten."

Andreas Brehme: "Das Spiel hat enorm viel Kraft gekostet. Am Ende waren auch wir müde."

Rudi Völler: "Es war ein schwerer Kampf. Die Argentinier hatten keine Chance gegen uns."

Lothar Matthäus: "Wir haben 90 Minuten auf ein Tor gespielt und sind somit verdient Weltmeister geworden. Das Erfolgsgeheimnis heißt erstmal Franz Beckenbauer, der den deutschen Fußball wieder dahin gebracht hat, wo er hingehört, nämlich an die Weltspitze. Wir haben spielerische Maßstäbe gesetzt und ich glaube, wir können den erfolgreichen Weg weitergehen."

Dr. Carlos Bilardo (Trainer Argentiniens): "An diesem Abend ist vieles gegen uns gelaufen. Die Verletzungen von Basualdo und Burruchaga, der Ausschluss von Monzon, der Elfmeter, der keiner war. Keine Mannschaft kann unter diesen Umständen spielen. Ab heute werde ich nicht mehr Nationaltrainer sein. Es war eine phantastische Erfahrung und ich bin sehr stolz auf meine Mannschaft."

Sergio Goicoechea (Argentinien): "Für mich war es kein Elfmeter. Wir sind traurig, aber wir können nichts machen. Der Schiedsrichter hat so entschieden."

Diego Maradona (Argentinien): "Ich hätte lieber 0:4 verloren als durch so einen Elfmeter. Der Schiedsrichter hat alles getan, um die Italiener, seinen Chef, die Fifa und jedermann glücklich zu machen. Etwas war faul. Er hat alles ruiniert, was wir aufgebaut haben."

Carlos Menem (Argentiniens Staatspräsident): "Wir sind die moralischen Sieger, der Elfmeter war ein Skandal. Schade, dass ein schwacher Schiedsrichter die WM entscheidet. Wer weiß, was in der Verlängerung passiert wäre."

"1:0 im großen Finale von Rom. Das Beckenbauer-Team war haushoch überlegen und gewann verdient." (Kicker)

"Es bedurfte eines ungerechten Elfmeters, um den gerechten Lohn einzutreiben. Der Perfekteste unter der Sonne bleibt Maradona, nur verfügte er über ein Amateurballett, das seinen Rhythmus nicht tanzen konnte." (Süddeutsche Zeitung)

"Der Schiedsrichter erfand einen Elfmeter. Die Wunden der Italiener bluten immer noch, denn sie haben unsere Hymne niedergepfiffen (Cronica/Buenos Aires)

"Nur Deutschland hat den Titel verdient. Von Anfang bis Ende dieser WM haben die Deutschen einen phantastischen Eindruck von Stärke hinterlassen. Das Finale hat, auch wenn es kein außergewöhnliches Niveau hatte, den Besten zum Sieg verholfen." (France Soir/Paris)

"Das deutsche Jahr. Für Deutschland wird 1990 wirklich das Jahr bleiben, in dem alles hold war." (Liberation/Frankreich)

"Ein verdienter Sieg – aber mit schalem Beigeschmack. Das einseitigste Finale in der Geschichte der WM und deshalb auch eines der unbefriedigsten." (Neue Kronenzeitung/Österreich)

"Die beste Mannschaft hat die Mondiale 1990 gewonnen, aber das Finale gegen Argentinien hat das Ansehen eines enttäuschenden Wettkampfes nicht wieder angehoben. Maradona hätte die Trophäe wirklich nicht verdient." (L’Equipe/Frankreich)

"Deutschland zelebrierte, aber der Triumph, der so verdient war, wurde getrübt durch die Elfmeter-Entscheidung." (Daily Mail/England)

"Brehme besteigt den Thron. Die Eroberung des WM-Titels durch eine Mannschaft, die ihn verdient, ist der einzige positive Aspekt." (La Gazzetta dello Sport/Italien)

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Im Sommer nahm Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

8. Juli 1990 in Rom - Finale: Deutschland - Argentinien 1:0

Vor dem Spiel:

In der Frankfurter DFB-Zentrale klingelten die Telefone am Morgen nach dem Halbfinale schon ab fünf Uhr. Alle wollten Karten, selbst für die regulär günstigsten (47 DM) wurden bis zu 4000 DM geboten. Doch vergebens, das Spiel war ausverkauft, wenn auch viele Italiener Karten in der Hoffnung erworben hatten, ihr Team zu sehen. Und so ging nur noch auf dem Schwarzmarkt etwas. Erstmals gab es die Neuauflage eines WM-Finales, und das auch noch bei nächster Gelegenheit. Die Revanche von 1986 machten aus dem DFB-Team noch fünf Spieler mit. Lothar Matthäus, der genesene Rudi Völler, Thomas Berthold – sowie Pierre Littbarski und Klaus Augenthaler, die damals auf der Bank saßen. Diesmal rückte Littbarski in die Elf, in der Thomas Häßler blieb. Teamchef Franz Beckenbauer wählte das Kölner Duo auch aus Verbundenheit. Häßler hatte die Elf erst nach Italien geschossen und Littbarski wollte er nicht noch mal auf der Bank lassen bei einem WM-Finale. Leicht fiel es ihm nicht, Olaf Thon aus der Startelf zu lassen.

Co-Trainer Berti Vogts erzählte 2016 der Sport Bild, was im deutschen Hotel in Rom am Abend vor dem Finale geschah. "Franz zündete sich eine Zigarette an, sagte: 'Wir sind schon Weltmeister. Die Argentinier haben Verletzte, Gesperrte, unsere Aufstellung steht. Wir spielen über die Flügel.' 'Mit wem?', fragte ich. 'Mit Olaf Thon', sagte er. Thon hatte er im Halbfinale gegen England für Pierre Littbarski aufgestellt, ihm nach dem Sieg versprochen, dass er drinbleibt. 'Geht nicht', sagte ich. 'Du hast Littbarski vor dem Halbfinale versprochen, dass er im Finale wieder spielt. Weil wir Argentinien mit ihm und Häßler über die Flügel aufreißen müssen.' Franz sprang auf, ging wütend auf sein Zimmer. Frühmorgens schrieb er elf Spieler auf die Tafel – mit Häßler und Littbarski. Er sagte: 'Diese Elf wird heute Weltmeister. Ohne Wenn und Aber.'" Mittags um zwölf erfuhren es die Spieler, Thon soll die Sitzung wütend verlassen haben. Auch Uwe Bein war enttäuscht, aber es konnten eben nur elf spielen. Die Frage, wer sich um Weltstar Diego Maradona kümmern sollte, beantwortete Beckenbauer diesmal anders als 1986. Nicht Matthäus, dessen Offensivkraft er nicht opfern wollte, sondern Guido Buchwald gab den Wachhund. Beckenbauer: "Den wichtigsten Mann stellt man nicht für eine Sonderaufgabe ab." Der Stellenwert von Matthäus war binnen vier Jahren noch mal deutlich gestiegen.

Der in Italien kaum überzeugende Weltmeister hatte indes große Personalsorgen. So sehr er den Triumph über Italien im Elfmeterschießen – schon dem zweiten in Folge – feierte, erwies er sich doch bei näherer Betrachtung als Pyrrhus-Sieg. Mit Claudio Cannigia, Julio Olarticoechea, Sergio Batista (alle zwei Gelbe Karten) und Rotsünder Ricardo Giusti waren gleich vier Spieler fürs Finale gesperrt. Schon seit dem zweiten Spiel fehlte Torwart Nery Pumpido. Weltmeistertrainer Carlos Bilardo, immer noch im Amt, musste improvisieren. Caniggia-Vertreter Gustavo Dezotti gab sein Startelfdebüt, Roberto Sensini hatte nur in der Auftaktpartie gespielt. Beckenbauer, der intern anders redete, sah keinen Vorteil darin: "Die, die neu in die Mannschaft kommen – und das im Endspiel – werden sich zerreißen." Für den Kaiser schloss sich ein Kreis. Argentinien war sein erster Gegner als Teamchef und würde nun sein letzter werden. Am Anfang stand ein 1:3 in Düsseldorf in einem Testspiel, in einer anderen Zeit, mit einer anderen Mannschaft. Jetzt, mit der angeblich besten, die er je bei einer WM gesehen hatte, sollte es die Kaiserkrönung geben.

Am Samstag feiern die Deutschen einen ersten Sieg gegen die "Gauchos". Im Olympiastadion kommen sie eine halbe Stunde früher als von der Fifa vorgeschrieben zum Training und verjagen die Argentinier, die sich in eine Hälfte zurückziehen. "Ihr habt sie heute verdrängt und so werdet ihr es auch morgen machen", nutzt Beckenbauer diesen Vorgang psychologisch. Wer kann, kommt natürlich nach Rom. Bundeskanzler Helmut Kohl hatte sich selbstverständlich angesagt. Weil er 1986 kein Glück gebracht hatte, witzelte Beckenbauer: "Vielleicht überlegt er es sich noch einmal." Das tat er nicht, er brachte sogar den Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und zehn Minister mit. Argentiniens Präsident Carlos Menem war da etwas rücksichtsvoller. Da er beim 0:1 gegen Kamerun zum Auftakt Pech brachte, blieb er lieber zuhause. Er verkündete aus der Heimat, er sei "absolut sicher", dass sein Land den Titel verteidigen werde. Die Experten hoben indes die Deutschen auf den Favoritenschild. Auch Fritz Walter, Zeit Lebens immer etwas pessimistisch, glaubte zu wissen: "Franz gewinnt den Pokal!"

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Alles andere als ein Zufall

Spielbericht:

Am Sonntag sind rund 40.000 Deutsche in Rom. Nicht alle haben Tickets, wollen aber in der Nähe der Mannschaft und des Großereignisses sein. In jedem Fall dominieren deutsche Fahnen auf den Rängen, der Favorit hat auch die meisten Sympathien, zumal die Italiener auch auf deutscher Seite sind. Argentinien hat ihre Mannschaft eliminiert und Deutschland spielt mit zwei "Römern" – Berthold und Völler. Als die Hymnen gespielt werden, gibt es für die der Argentinier laute Pfiffe. Maradona reagiert darauf mit einem Schimpfwort, wie Lippenleser Rummenigge erkannt haben will. Der Anpfiff erfolgt um 20 Uhr. Die ganze Welt schaut auf dieses Spiel, 1,5 Milliarden TV-Zuschauer wird man zählen. Die ARD-Übertagung sehen bei Anpfiff 27,93 Millionen, bei Abpfiff sind es gar 29,71 – Einschaltquotenrekord für das deutsche Fernsehen. Am Mikrofon sitzt Gerd Rubenbauer, der den internen Kampf gegen Heribert Faßbender gewonnen hat. Co-Kommentator ist wie bisher bei ARD-Spielen Karl-Heinz Rummenigge, 1982 und 1986 noch selbst auf dem Platz.

Argentinien hat Anstoß, Rubenbauer gesteht: "Auch wir hier oben haben feuchte Hände." Es entwickelt sich ein Spiel auf ein Tor, das der Argentinier. In der 3. Minute setzt Völler einen Volleyschuss nach Brehme-Flanke übers Tor. Es folgen Distanzschüsse, die nahezu alle geblockt werden oder übers Tor fliegen. Die Mannschaft strotzt vor Selbstbewusstsein, ist "immer einen Schritt schneller als der Gegner" (Rummenigge), der sein Heil in der Defensive sucht. Das findet Rummenigge "völlig untypisch südamerikanisch". Buchwald gefällt mit mehreren Tempoläufen, auch über die Flügel, so dass Rubenbauer ihn zum "besten Rechtsaußen Deutschlands" erklärt und fragt: "Wer ist denn hier der Offensive? Maradona oder Buchwald?" Diego Maradona kommt vor der Pause nur einmal zum Abschluss. In der 38. Minute darf ihn auch Buchwald nicht hindern, da gibt es einen Freistoß aus 17 Metern. Maradona schießt über das Tor von Bodo Illgner, das durch einen Brehme-Rückpass am stärksten gefährdet wird – aber Illgner ist auf der Hut. Das Pausenfazit von Rubenbauer: "Deutschland spielt besser, aber wir haben nichts davon." Carlos Bilardo wechselt in der Halbzeit, bringt Pedro Monzon für Oscar Ruggeri, Verteidiger für Verteidiger. Während die deutschen Stürmer kaum Chancen haben, setzen Mittelfeld und Abwehr offensive Akzente. Littbarski spielt wie aufgedreht, sein Schlenzer zischt knapp vorbei. Dann hechtet Rechtsverteidiger Thomas Berthold mit dem Kopf voraus in einen Brehme-Freistoß – drüber. Auch Klaus Augenthaler hält es in seinem letzten Länderspiel nicht mehr hinten. In der 58. Minute bietet sich ihm die Chance zu seinem ersten Tor im deutschen Dress, im Fünfmeterraum versucht er Torwart Sergio Goicoechea auszutanzen und wird von diesem gelegt. In der folgenden Konfusion fabriziert Pedro Troglio fast ein Eigentor, doch Monzon rettet auf der Linie. Der Elfmeter bleibt aus, da kann Rummenigge noch so zetern: "Das war ein ganz klarer Pfiff." Rubenbauer sagt den denkwürdigen Satz: "Ich wage den kessen Spruch: Deutschland wird auch ohne Elfmeter Weltmeister!"

Der deutsche Druck nimmt weiter zu. Littbarski flankt einen Freistoß auf Brehme, der aus 18 Metern volley abzieht – der Torwart ist zur Stelle. In der 64. Minute neigt sich die Waage noch mehr auf die deutsche Seite. Monzon, erst 19 Minuten im Spiel, rennt Klinsmann mit den Beinen voraus über den Haufen. Klinsmann krümmt sich vor Schmerz, Monzon hat schon Feierabend – Rot! Wie gegen die Tschechen ist die Überzahl ein Hemmschuh für die Deutschen. Die Konzentration scheint zu schwinden, es gibt einen Bruch im Spiel und selbst die deutschen Anhänger lassen nach: es wird ruhig im Olympiastadion. 20 Minuten lang gibt es keine Chancen. Schließlich schickt Matthäus Völler auf die Reise. Völler: "Wir hatten das trainiert. Ich stehe in der Mitte und Lothar paßt auf halbrechts." Tausend Mal trainiert, nun hat es sich rentiert. Der Römer dringt in den Strafraum ein, wird von Sensini gecheckt. Den Ball trifft der Argentinier dagegen nicht. Man muss in dieser Szene wohl nicht unbedingt fallen, Völler aber fällt. "Da hat der Rudi ein bisschen geholfen", wird Beckenbauer hinterhersagen. Auf der Pressetribüne sind sie sich einig –ein Konzessionselfmeter. "Den an Augenthaler hätte ich zehn Mal eher gegeben", sagt Rubenbauer. Halb Argentinien stürmt auf den Mexikaner Edgardo Codesal Mendez ein, Maradona holt sich noch eine Verwarnung ab. Ein Argentinier schießt den Ball, den sich Brehme schon auf den Punkt gelegt hat, weg. Kein Drama, nur ein Ablenkungsversuch. Brehme wird hinterher sagen, es habe sieben, acht Minuten gedauert zwischen Pfiff und Ausführung. Es sind nur 1:57 Minuten. Aber ist es ein Wunder, dass es ihm so viel länger vorgekommen ist? Du darfst Sportgeschichte schreiben und man lässt Dich nicht, Sekunden werden zur Ewigkeit. Übrigens darf er nur schießen, weil Matthäus in der Pause den rechten Schuh nach einem Stollenbruch gewechselt hat und sich mit dem neuen nicht sicher fühlt. Brehme fühlt sich sicher. "Ich habe nicht daran gedacht, was dieser Elfmeter für eine Bedeutung hat. Ich habe gar nichts gedacht." Zur Sicherheit ruft ihm Völler zu: "Andy, wenn Du den reinmachst, sind wir Weltmeister."

Sein Gegenüber Goicoechea hat bei dieser WM schon vier Elfmeter gehalten, an ihm sind die Jugoslawen und die Italiener verzweifelt. Die Deutschen? Die nicht. Brehme schießt sehr präzise mit rechts nach links unten – wie gegen England. Goicoechea hat die Ecke, macht sich noch länger als er ist, aber der Ball zischt zwischen seiner rechten Hand und dem Pfosten ins Netz. Der Rest ist Schaulaufen, unterbrochen nur noch von einem weiteren argentinischen Platzverweis gegen Dezotti, der Kohler am Hals packt und umreißt. Frustreaktionen einer hoffnungslos unterlegenen Mannschaft, die in Bestbesetzung gewiss ein anderer Gegner gewesen wäre als an diesem Abend, wo Statistiker 23:1 Torschüsse zählen. Nach 47:50 Minuten der zweiten Hälfte pfeift Senor Mendez ab und Deutschland ist zum dritten Mal Weltmeister, es ist 21.50 Uhr. Franz Beckenbauer läuft nach der Siegerehrung einsam über den Platz, während seine Spieler eine Ehrenrunde versuchen, was angesichts der Fotografenmeute nicht leicht ist. Das Bild vom einsamen, selbst versunkenen Kaiser geht um die Welt und wird Teil seiner Aura. Er ist seit diesem 8. Juli 1990 erst der Zweite nach dem Brasilianer Mario Zagalo, der als Spieler und Trainer diesen Titel holt. Darauf weist ihn Fieldreporter Jörg Wontorra gleich in der Einstiegsfrage hin und der Kaiser antwortet lächelnd: "Zufälle gibt’s!"

Widerspruch! Der Sieg von Rom ist alles andere als ein Zufall. In der Heimat brechen spontane Straßenfeste aus. Ein glückliches Land ist noch etwas glücklicher seit jenem 8. Juli. 1990 ist das Jahr der Deutschen. Im Überschwang der Gefühle sagt Beckenbauer auf der Pressekonferenz, als man ihn auf die Möglichkeiten, die sich durch die Wiedervereinigung ergeben könnten: "Es tut mir leid für den Rest der Welt, aber wir werden auf Jahre hinaus nicht zu besiegen sein." Niemand will in diesem Moment widersprechen. 50.000 feiern die Mannschaft am nächsten Tag, dem eine sehr kurze Nacht vorausgegangen ist, auf dem Frankfurter Römer – da wo sie schon im Mittelalter die Kaiser gekrönt haben.

Aufstellung: Illgner – Berthold (74. Reuter), Augenthaler, Kohler, Brehme – Littbarski, Matthäus, Buchwald, Häßler – Völler, Klinsmann.

Tore: 1:0 Brehme (85., Foulelfmeter).

Zuschauer: 73.603

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"Haben spielerische Maßstäbe gesetzt"

Stimmen zum Spiel:

Franz Beckenbauer: "Ich habe niemals einen verdienteren Weltmeister gesehen. Es war mir schon vorher klar, dass wir den Titel gewinnen. Wir waren die konditionell bessere Mannschaft und ich habe während der gesamten WM kein Team gesehen, das uns das Wasser reichen konnte. Wir haben heute mit sehr viel Geduld gespielt, das war entscheidend. Wir hätten irgendwann ein Tor gemacht, das hat sich ausgezahlt. Wir haben 90 Minuten lang die Argentinier in die eigene Abwehr zurückgedrängt. Argentinien hat leider nicht mitgespielt, sondern war nur auf Zerstören aus. Deshalb kann man nicht von einem großen Finale sprechen."

Bundeskanzler Helmut Kohl: "Wir sind stolz auf euch. Auf dem Platz und auch außerhalb habt ihr euer Land hervorragend vertreten."

Andreas Brehme: "Das Spiel hat enorm viel Kraft gekostet. Am Ende waren auch wir müde."

Rudi Völler: "Es war ein schwerer Kampf. Die Argentinier hatten keine Chance gegen uns."

Lothar Matthäus: "Wir haben 90 Minuten auf ein Tor gespielt und sind somit verdient Weltmeister geworden. Das Erfolgsgeheimnis heißt erstmal Franz Beckenbauer, der den deutschen Fußball wieder dahin gebracht hat, wo er hingehört, nämlich an die Weltspitze. Wir haben spielerische Maßstäbe gesetzt und ich glaube, wir können den erfolgreichen Weg weitergehen."

Dr. Carlos Bilardo (Trainer Argentiniens): "An diesem Abend ist vieles gegen uns gelaufen. Die Verletzungen von Basualdo und Burruchaga, der Ausschluss von Monzon, der Elfmeter, der keiner war. Keine Mannschaft kann unter diesen Umständen spielen. Ab heute werde ich nicht mehr Nationaltrainer sein. Es war eine phantastische Erfahrung und ich bin sehr stolz auf meine Mannschaft."

Sergio Goicoechea (Argentinien): "Für mich war es kein Elfmeter. Wir sind traurig, aber wir können nichts machen. Der Schiedsrichter hat so entschieden."

Diego Maradona (Argentinien): "Ich hätte lieber 0:4 verloren als durch so einen Elfmeter. Der Schiedsrichter hat alles getan, um die Italiener, seinen Chef, die Fifa und jedermann glücklich zu machen. Etwas war faul. Er hat alles ruiniert, was wir aufgebaut haben."

Carlos Menem (Argentiniens Staatspräsident): "Wir sind die moralischen Sieger, der Elfmeter war ein Skandal. Schade, dass ein schwacher Schiedsrichter die WM entscheidet. Wer weiß, was in der Verlängerung passiert wäre."

"1:0 im großen Finale von Rom. Das Beckenbauer-Team war haushoch überlegen und gewann verdient." (Kicker)

"Es bedurfte eines ungerechten Elfmeters, um den gerechten Lohn einzutreiben. Der Perfekteste unter der Sonne bleibt Maradona, nur verfügte er über ein Amateurballett, das seinen Rhythmus nicht tanzen konnte." (Süddeutsche Zeitung)

"Der Schiedsrichter erfand einen Elfmeter. Die Wunden der Italiener bluten immer noch, denn sie haben unsere Hymne niedergepfiffen (Cronica/Buenos Aires)

"Nur Deutschland hat den Titel verdient. Von Anfang bis Ende dieser WM haben die Deutschen einen phantastischen Eindruck von Stärke hinterlassen. Das Finale hat, auch wenn es kein außergewöhnliches Niveau hatte, den Besten zum Sieg verholfen." (France Soir/Paris)

"Das deutsche Jahr. Für Deutschland wird 1990 wirklich das Jahr bleiben, in dem alles hold war." (Liberation/Frankreich)

"Ein verdienter Sieg – aber mit schalem Beigeschmack. Das einseitigste Finale in der Geschichte der WM und deshalb auch eines der unbefriedigsten." (Neue Kronenzeitung/Österreich)

"Die beste Mannschaft hat die Mondiale 1990 gewonnen, aber das Finale gegen Argentinien hat das Ansehen eines enttäuschenden Wettkampfes nicht wieder angehoben. Maradona hätte die Trophäe wirklich nicht verdient." (L’Equipe/Frankreich)

"Deutschland zelebrierte, aber der Triumph, der so verdient war, wurde getrübt durch die Elfmeter-Entscheidung." (Daily Mail/England)

"Brehme besteigt den Thron. Die Eroberung des WM-Titels durch eine Mannschaft, die ihn verdient, ist der einzige positive Aspekt." (La Gazzetta dello Sport/Italien)

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