WM 1982: "Rummenigge und zehn Roboter"

Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

20. Juni 1982 in Gijón - zweites Gruppenspiel: Deutschland - Chile 4:1

Vor dem Spiel:

Beide Teams hatten ihr erstes Spiel verloren, keiner durfte sich eine weitere Pleite leisten. Den Ernst der Lage umriss Kapitän Rummenigge deutlich: "Noch nie befand sich eine deutsche Nationalelf in einer so verfahrenen Lage wie wir im Moment. Viele sind recht wortkarg geworden in den letzten Tagen." Er selbst bereitete Trainer und Anhängern ein zusätzliches Problem und bangte um seinen Einsatz, da er sich bei seinem Tor den Oberschenkel gezerrt hatte. Derwall war froh, ihn aufstellen zu können und änderte auch sonst nichts, obwohl er sich mit dem Gedanken trug, Fischer für Hrubesch zu bringen. Nach einer Aussprache mit Trainerstab und Kapitän beschloss er jedoch, den Verlierern eine Chance zur Rehabilitierung zu geben. "Das ist nach wie vor die Mannschaft, die mein Vertrauen genießt und sie muss diese schwere Situation nun eben durchstehen."

Schützend stellte er sich besonders vor den gegen Algerien völlig versagenden Breitner: "Wenn ich Breitner oder Magath und Briegel auswechsle, muss ich auch die Alternativen sehen. Und gerade diese Spieler reißen sich immer wieder zusammen." Die Folge: Statt personeller Konsequenzen gebe es nur "personelle Anpassungen an den kommenden Gegner". Den sah sich Derwall vorher noch an, gemeinsam mit Hansi Müller, Uli Stielike, Klaus Fischer und Winfried Hannes sah er die Chilenen in Oviedo gegen Österreich 0:1 verlieren. Zum Mittagessen kam Franz Beckenbauer vorbei, nun als Bild-Kolumnist im Einsatz, munterte die Spieler auf. Die Historie machte Mut, die bisherigen WM-Duelle mit Chile (1962 und 1974) gewann Deutschland. Das wollten die Südamerikaner ändern. Abwehrchef Elias Figueroa: "Unsere Devise kann nur Sieg heißen."



Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

20. Juni 1982 in Gijón - zweites Gruppenspiel: Deutschland - Chile 4:1

Vor dem Spiel:

Beide Teams hatten ihr erstes Spiel verloren, keiner durfte sich eine weitere Pleite leisten. Den Ernst der Lage umriss Kapitän Rummenigge deutlich: "Noch nie befand sich eine deutsche Nationalelf in einer so verfahrenen Lage wie wir im Moment. Viele sind recht wortkarg geworden in den letzten Tagen." Er selbst bereitete Trainer und Anhängern ein zusätzliches Problem und bangte um seinen Einsatz, da er sich bei seinem Tor den Oberschenkel gezerrt hatte. Derwall war froh, ihn aufstellen zu können und änderte auch sonst nichts, obwohl er sich mit dem Gedanken trug, Fischer für Hrubesch zu bringen. Nach einer Aussprache mit Trainerstab und Kapitän beschloss er jedoch, den Verlierern eine Chance zur Rehabilitierung zu geben. "Das ist nach wie vor die Mannschaft, die mein Vertrauen genießt und sie muss diese schwere Situation nun eben durchstehen."

Schützend stellte er sich besonders vor den gegen Algerien völlig versagenden Breitner: "Wenn ich Breitner oder Magath und Briegel auswechsle, muss ich auch die Alternativen sehen. Und gerade diese Spieler reißen sich immer wieder zusammen." Die Folge: Statt personeller Konsequenzen gebe es nur "personelle Anpassungen an den kommenden Gegner". Den sah sich Derwall vorher noch an, gemeinsam mit Hansi Müller, Uli Stielike, Klaus Fischer und Winfried Hannes sah er die Chilenen in Oviedo gegen Österreich 0:1 verlieren. Zum Mittagessen kam Franz Beckenbauer vorbei, nun als Bild-Kolumnist im Einsatz, munterte die Spieler auf. Die Historie machte Mut, die bisherigen WM-Duelle mit Chile (1962 und 1974) gewann Deutschland. Das wollten die Südamerikaner ändern. Abwehrchef Elias Figueroa: "Unsere Devise kann nur Sieg heißen."

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Rummenigge stellt Weichen auf Sieg

Spielbericht:

Wieder wird um 17.15 Uhr angepfiffen, das Stadion ist ausverkauft. Rolf Kramer kommentiert für das ZDF. An diesem Sonntag wird früh deutlich, dass die Deutschen einen Verbündeten auf der Gegenseite haben. Torwart Osben wird seiner Nervosität kaum Herr und lässt einen Hrubesch-Schuss nach vorne abprallen, bloß ist kein Deutscher zur Stelle. Schon nach neun Minuten patzt er wieder und nun ist es fataler: Rummenigge schießt aus 18 Metern mit der Innenseite, kein Hammer, auch kein tückischer Aufsetzer, aber Osben lässt ihn unter dem Bauch durchrutschen. 1:0! Der Einsatz des Kapitäns, der schon eine halbe Stunde vor den anderen ins Stadion gefahren ist und unter ärztlicher Aufsicht Sprintübungen gemacht hat, hat sich schon jetzt gelohnt. "Ein kleines bisschen tut mir der Torwart leid", gesteht Kramer. Das Spiel geht nur in eine Richtung, Kaltz flankt wie beim HSV auf Hrubesch, aber der verfehlt – wie eigentlich sonst nie – den Ball. Littbarski bedient den wie aufgedreht spielenden Rummenigge, der trifft das Außennetz.

Nach einer halben Stunde kann es schon 3:0 stehen. Die Chilenen führen nur nach Gelben Karten, der Schweizer Bruno Galler verwarnt Dubo und Gamboa. Dann feuert Magath aus der zweiten Reihe, Osben lenkt zur Ecke, eine Magath-Flanke köpft Rummenigge knapp drüber, Dremmler verzieht um Zentimeter. Der Pausenstand von 1:0 ist ein schlechter Witz und gibt mehr Anlass zur Besorgnis als die Leistung. Fans entrollen ein Transparent und grüßen "den Weltmeister Deutschland", da stöhnt DFB-Präsident Hermann Neuberger auf: "Mensch, packt doch das Ding wieder ein." Noch sind ja nicht mal die ersten Punkte sicher, geschweige denn das Weiterkommen. Aber dafür tun sie etwas. Engagiert drängen sie auf das zweite Tor, Hrubesch hat es Sekunden nach Wiederanpfiff auf dem Kopf, aber auch wieder Pech.

Dann endlich eine gute Szene von Breitner, der den zur Pause eingewechselten Letelier am Torschuss hindert – sich dabei aber prompt verletzt. Letelier fordert noch ein Opfer, trifft bei seiner nächsten Chance Schumacher mit den Füßen am Kopf, doch der "Toni" hat einen Dickschädel, was in dieser Szene mal von Vorteil ist. Es geht weiter für ihn. Im Gegensatz zu Breitner, der mit Prellungen am Brustbein für WM-Debütant Matthäus weichen muss. Aber da steht es schon 2:0 – und wieder hat Rummenigge getroffen. Nach Rechtsflanke von Dribbelkünstler Littbarski steht der Kapitän hoch in der Luft und köpft Pechvogel Osben an. Von dessen Knie prallt der Ball an den Innenpfosten und ins Tor. Rummenigge: "Das Gefühl 'jetzt packen wir’s, jetzt gewinnen wir wirklich', das kam erst nach meinem Kopfball zum 2:0." Er selbst beseitigt die letzten Zweifel. Mit jeder Minute steigt das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten und manches gelingt, was vorher gar nicht erst versucht wurde. Wie der herrliche Doppelpass zwischen Rummenigge und Magath, der den Ball mit der Hacke wieder in den Lauf des Kapitäns legt. Rummenigge schlenzt mit dem Außenrist von der Strafraumgrenze neben den Pfosten und dieses Tor ist ausnahmsweise unhaltbar – 3:0.

Nun klappt auch die gefürchtete HSV-Variante Banane Kaltz, Kopfball Hrubesch, fast zumindest – denn Osben pariert glänzend. Im Anschluss trifft Rummenigge die Latte, dann übernimmt ein anderer das Toreschießen. Zehn Minuten dauert die WM-Premiere des Bremers Uwe Reinders, schon nach zwei hat er auch getroffen. Bei seinem satten Linksschuss aus 20 Metern sieht Osben wieder nicht sehr gut aus. Dann sticht wieder Rummenigges Oberschenkel, die letzten zehn Minuten spielt er im Mittelfeld "schon halb im Schongang". Es folgt fast mit Abpfiff noch ein kleiner Schönheitsfehler: Moscoso glückt, nachdem er Kaltz ("Kraft und Konzentration waren da schon weg") getunnelt hat, das erste chilenische Tor bei dieser WM. Es ändert nichts am vorzeitigen Aus der Südamerikaner, wohl aber am Torverhältnis der Deutschen. Dass es darauf ankommen werden wird, ist eigentlich allen klar. Aber der klare Sieg lässt in der Heimat schon wieder Titelträume blühen, nach dem Algerien-Spiel glaubten nur noch 30 Prozent daran dass Deutschland Weltmeister wird, nun sind es 37%, wie das Wickert-Institut ermittelt.

Aufstellung: Schumacher – Kaltz, Stielike, Kh. Förster, Briegel – Dremmler, Breitner (62. Matthäus), Magath, Rummenigge – Hrubesch, Littbarski (80. Reinders).

Tore: 1:0. 2:0, 3:0 Rummenigge (9., 57., 67.), 4:0 Reinders (83.), 4:1 Moscoso (90.).

Zuschauer: 42.000

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"Diese Tore geben Selbstvertrauen!"

Stimmen zum Spiel:

Bundestrainer Jupp Derwall: "Es ist beruhigend zu wissen, dass die Mannschaft fähig ist, sich dermaßen zu steigern. Mit dieser Einstellung aller Spieler können wir auch am Freitag gegen Österreich gewinnen. Ich bin vor allen Dingen Rummenigge und Stielike dankbar, dass sie trotz ihrer Zerrungen 90 Minuten durchgestanden haben. Dennoch ist der klare 4:1-Sieg nur ein kleiner Schritt nach vorne."

Luis Santebanez (Trainer Chiles): "Nur in der zweiten Halbzeit waren wir etwa gleichstark. Nach dem ersten Tor durch Rummenigge hat die deutsche Mannschaft zu ihrem sachlichen und nüchternen Spiel gefunden."

Hermann Neuberger: "Wir sind wieder auf den Beinen, das war eine Auferstehung. Aber der große Glanz kommt hoffentlich noch."

Karl-Heinz Rummenigge: "Ein ungeheuer wichtiger Sieg für uns heute, der für mich seinen Anfang in unserem schnellen ersten Tor genommen hat. Wäre das nicht gefallen, wäre das Zittern weitergegangen."

Paul Breitner: "Wichtig war nur, dass wir die Chilenen in den ersten 60 Minuten niederzwangen. Alles andere interessiert mich nicht."

Karlheinz Förster: "Endlich waren wir eine gefestigte Mannschaft, in der keiner ausgefallen ist. Jeder hat optimal gekämpft. Wohl alle haben aufsteigende Form gezeigt, die wir sicher noch steigern können."

Carlos Caszely (Chile): "Ein halbes Jahr lang haben wir uns auf die Weltmeisterschaft vorbereitet und jetzt sind alle Träume schon nach 180 Minuten geplatzt."

Lizardo Garrido (Chile): "Das 0:1 war riesiges Pech. Schade, dass unser Torwart heute einen schwarzen Tag hatte, normalerweise gehört er zu den besten Spielern unserer Mannschaft. Die Deutschen haben gut gespielt, vor allem Rummenigge, Briegel, Stielike und Schumacher."

Pelé (3x Weltmeister mit Brasilien): "Die deutsche Mannschaft – das sind Rummenigge und zehn Roboter."

"Zur Euphorie ist also kein Anlaß. So wichtig dieses 4:1 gegen Chile war, so wenig darf man es überbewerten. Eine leichte Verbesserung war zwar unverkennbar, besonders was die Einstellung der meisten Spieler betrifft, aber eine entscheidende Leistungssteigerung fand trotz einiger Lichtblicke nicht statt." (Süddeutsche Zeitung)

"Diese Tore geben Selbstvertrauen! Die deutsche Mannschaft hat aus den Fehlern gelernt. Rummenigge nutzte seine Chancen eiskalt…Gerade nach der deprimierenden Niederlage gegen Algerien muß man zufrieden sein, daß sich die Mannschaft so weit wieder gefangen hat. Schlimm wäre es freilich, aus dem zahlenmäßig klaren 4:1 nun gleich einen zu Euphorie führenden ‚Supersieg‘ zu machen." (Kicker)

"War es besser starr am Verteidigungssystem festzuhalten und mit Anstand zu verlieren, oder fast selbstmörderisch ein gutes Ergebnis zu suchen gegenüber einem Gegner, der sehr viel mehr Möglichkeiten hatte? Die Chilenen suchten den zweiten Weg und starben einen geräuschlosen Tod." (El Mercurio/Santiago de Chile)

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