WM 1982: Als Algerien das deutsche Nationalteam schockte

Nur gegen drei seiner 86 Länderspiel-Partner hat die DFB-Auswahl keinen Punkt geholt: Ägypten, die 1990 erloschene DDR und Algerien. Waren es gegen Ägypten und die DDR noch "Eintagsfliegen", so verlor Deutschland gegen seinen Achtelfinalgegner gar zwei Mal. Dem 0:2 an Neujahr 1964 folgte ein 1:2 bei der WM 1982. Historiker Udo Muras erinnert für DFB.de an die Niederlage von Gijon.

Als die Nationalelf an Neujahr 1964 den Algeriern unterlegen war, lobte sie Bundestrainer Sepp Herberger noch: "Algerien verfügt über eine sehr starke Mannschaft, die nicht nur kämpfte, sondern auch ausgezeichnet spielte."

Beim Wiedersehen 18 Jahre später, nun bei einer WM, sprach der Bundestrainer anders. Aber es war ja auch ein anderer. Mittlerweile saß Jupp Derwall auf der deutschen Bank und der DFB hatte einen WM- und zwei EM-Titel mehr auf dem Briefkopf. Algerien hingegen war erstmals bei einer WM und für alle Experten das Kanonenfutter in der deutschen Vorrunden-Gruppe. Jupp Posipal, einer der Helden von Bern, etwa sagte: "Die beiden Gegner neben Österreich sind so harmlos, dass wir morgens gegen Chile und abends gegen Algerien spielen können." Und so dachten auch die Verantwortlichen.

Algerien im ersten WM-Spiel top motiviert

Sollte seine Elf gegen die Algerier verlieren, "fahre ich mit dem Zug nach Hause", sagte Derwall und erläuterte: "Meine Spieler würden mich doch für doof erklären, wenn ich ihnen was über die algerische Mannschaft erzählen wollte." Torwart Harald "Toni" Schumacher wurde so zitiert: "Wir schießen gegen Algerien zwischen vier und acht Toren. Um in Schwung zu kommen, müssen wir die nun mal wegputzen."

Die Algerier stachelte das nur an, außerdem war es für sie eine Premiere; am 16. Juni 1982 bestritten sie in Gijon ihr allererstes WM-Spiel. An ein Weiterkommen dachten sie selbst nicht, für den Fall hatten sie kein Hotel gebucht und hofften, "dass uns die FIFA dann hilft", wie Trainer Khalef demütig mitteilte.

Toni Schumacher schenkte seinem Kollegen Cerbah gönnerhaft einen Satz Handschuhe und eine Torwart-Kappe und erntete dessen aufrichtigen Dank, denn "wir haben in Algerien bei der Materialbeschaffung immer große Probleme". All das ließ nur einen Schluss zu: hier trafen David und Goliath aufeinander. Und wie im Alten Testament siegte David; nun im Stadion El Molinon, in dem sich 25.000 Zuschauer eingefunden hatten.

Deutsche Mannschaft nicht im Spiel

Von den Rängen grüßte ein Transparent den "Weltmeister Deutschland", der mit acht Europameistern von 1980 auflief. Herz der Mannschaft war das Bayern-Duo Breitner/Rummenigge, die Abwehr um Libero Ulli Stielike war seit zwei Jahren eingespielt. Diese Formation hatte alle WM-Qualifikationsspiele gewonnen und war ein Titelfavorit. Aber gegen Algerien, das schon nach sieben Minuten zwei Chancen hatte, reichte es nicht.

Breitner konnte keine Impulse geben, "mit den Gedanken schien er neben dem Spiel zu liegen", schrieb der "Kicker". Felix Magath war kaum besser, der Hamburger wurde ausgewechselt. Mittelstürmer Horst Hrubesch traf freistehend vor dem Tor die Eckfahne, Unmut machte sich schon zur Halbzeit breit. Erst recht, als ein algerischer Konter erstmals zu einem Tor führte. Rabah Madjer staubte nach Schumachers Parade zum 0:1 ab (52.), eine Sensation lag in der Luft.

Rummenigges Ausgleich ohne Effekt

Als Karl-Heinz Rummenigge eine Magath-Flanke zum 1:1 über die Linie drückte (68.), hatte das mehr Nach- als Vorteile. Der Kapitän zerrte sich dabei den Oberschenkel, was ihn das ganze Turnier lähmte – und das 1:1 währte nur ein paar Sekunden. Nach Wiederanpfiff schlug Algerien zurück, Kapitän Lakhdar Belloumi traf freistehend (69.). Außer einem Abseitstor von Joker Klaus Fischer (82.) und einem Lattentreffer von Rummenigge (88.) brachte der deutsche Angriff nichts mehr zustande. Fertig war die bis heute die einzige WM-Auftaktpleite einer DFB-Elf. Auch dafür steht Algerien, 19 andere Gegner haben das nicht geschafft.

In der Heimat war die Bestürzung groß, die Hamburger Morgenpost schrieb: "Weltmeister nur im Sprücheklopfen". Der "Kicker" suchte Derwall eine günstige Zugverbindung nach Frankfurt raus – mit vier Mal Umsteigen – und auch die Sieger leisteten sich maßvollen Spott. "Algerien hat den Deutschen eine Lektion erteilt. Auf taktischem Gebiet war Khalef weit besser als der geniale Derwall mit seiner Rechnerei", schrieb die Zeitung "El Moudjahid".

"Die Deutschen hatten keinen Respekt vor uns"

Trainer Khalef gab offen zu: "Die Deutschen hatten keinen Respekt vor uns und das hat uns geärgert und allein deshalb tut uns allen der Sieg gut." Den sie dann mit Cola feierten. Torwart Cerbah bat die deutschen Reporter dagegen schon beinahe fürsorglich: "Ihr dürft das jetzt in Deutschland nicht dramatisieren. Jetzt sind ihre Augen geöffnet und sie wissen, dass ein WM-Turnier etwas anderes ist als ein Freundschaftsspiel. Ihr dürft den Stab nicht über sie brechen, sie haben doch oft genug gezeigt was sie können."

Die Deutschen aber lernten ihre Lektion und kamen 1982 noch bis ins Finale, Algerien schied nach der Vorrunde aus. Auch in Gijon und unter Umständen, die vor dem USA-Spiel hinreichend thematisiert wurden. Doch dem heftig kritisierten Ballgeschiebe beim 1:0 gegen Österreich war bereits neun Tage zuvor eine fast vergessene Blamage von Gijon vorausgegangen. In Porto Alegre bietet sich die Gelegenheit, sie nach 32 Jahren auszumerzen.

Die Formationen von Gijon:

Deutschland: Schumacher – Kaltz, Stielike, Förster, Briegel – Dremmler, Breitner, Magath (82. Fischer) – Rummenigge, Hrubesch, Littbarski.
Algerien: Cerbah –Mansouri, Guendouz, Kourichi, Merzekane – Fergani, Dahleb, Belloumi, Zidane (64. Bensaoula) – Madjer (88. Larbes), Assad.
Tore: 0:1 Madjer (52.), 1:1 Rummenigge (68.), 1:2 Belloumi (69.).
Gelbe Karte: Hrubesch
Zuschauer: 25.000

[um]

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Nur gegen drei seiner 86 Länderspiel-Partner hat die DFB-Auswahl keinen Punkt geholt: Ägypten, die 1990 erloschene DDR und Algerien. Waren es gegen Ägypten und die DDR noch "Eintagsfliegen", so verlor Deutschland gegen seinen Achtelfinalgegner gar zwei Mal. Dem 0:2 an Neujahr 1964 folgte ein 1:2 bei der WM 1982. Historiker Udo Muras erinnert für DFB.de an die Niederlage von Gijon.

Als die Nationalelf an Neujahr 1964 den Algeriern unterlegen war, lobte sie Bundestrainer Sepp Herberger noch: "Algerien verfügt über eine sehr starke Mannschaft, die nicht nur kämpfte, sondern auch ausgezeichnet spielte."

Beim Wiedersehen 18 Jahre später, nun bei einer WM, sprach der Bundestrainer anders. Aber es war ja auch ein anderer. Mittlerweile saß Jupp Derwall auf der deutschen Bank und der DFB hatte einen WM- und zwei EM-Titel mehr auf dem Briefkopf. Algerien hingegen war erstmals bei einer WM und für alle Experten das Kanonenfutter in der deutschen Vorrunden-Gruppe. Jupp Posipal, einer der Helden von Bern, etwa sagte: "Die beiden Gegner neben Österreich sind so harmlos, dass wir morgens gegen Chile und abends gegen Algerien spielen können." Und so dachten auch die Verantwortlichen.

Algerien im ersten WM-Spiel top motiviert

Sollte seine Elf gegen die Algerier verlieren, "fahre ich mit dem Zug nach Hause", sagte Derwall und erläuterte: "Meine Spieler würden mich doch für doof erklären, wenn ich ihnen was über die algerische Mannschaft erzählen wollte." Torwart Harald "Toni" Schumacher wurde so zitiert: "Wir schießen gegen Algerien zwischen vier und acht Toren. Um in Schwung zu kommen, müssen wir die nun mal wegputzen."

Die Algerier stachelte das nur an, außerdem war es für sie eine Premiere; am 16. Juni 1982 bestritten sie in Gijon ihr allererstes WM-Spiel. An ein Weiterkommen dachten sie selbst nicht, für den Fall hatten sie kein Hotel gebucht und hofften, "dass uns die FIFA dann hilft", wie Trainer Khalef demütig mitteilte.

Toni Schumacher schenkte seinem Kollegen Cerbah gönnerhaft einen Satz Handschuhe und eine Torwart-Kappe und erntete dessen aufrichtigen Dank, denn "wir haben in Algerien bei der Materialbeschaffung immer große Probleme". All das ließ nur einen Schluss zu: hier trafen David und Goliath aufeinander. Und wie im Alten Testament siegte David; nun im Stadion El Molinon, in dem sich 25.000 Zuschauer eingefunden hatten.

Deutsche Mannschaft nicht im Spiel

Von den Rängen grüßte ein Transparent den "Weltmeister Deutschland", der mit acht Europameistern von 1980 auflief. Herz der Mannschaft war das Bayern-Duo Breitner/Rummenigge, die Abwehr um Libero Ulli Stielike war seit zwei Jahren eingespielt. Diese Formation hatte alle WM-Qualifikationsspiele gewonnen und war ein Titelfavorit. Aber gegen Algerien, das schon nach sieben Minuten zwei Chancen hatte, reichte es nicht.

Breitner konnte keine Impulse geben, "mit den Gedanken schien er neben dem Spiel zu liegen", schrieb der "Kicker". Felix Magath war kaum besser, der Hamburger wurde ausgewechselt. Mittelstürmer Horst Hrubesch traf freistehend vor dem Tor die Eckfahne, Unmut machte sich schon zur Halbzeit breit. Erst recht, als ein algerischer Konter erstmals zu einem Tor führte. Rabah Madjer staubte nach Schumachers Parade zum 0:1 ab (52.), eine Sensation lag in der Luft.

Rummenigges Ausgleich ohne Effekt

Als Karl-Heinz Rummenigge eine Magath-Flanke zum 1:1 über die Linie drückte (68.), hatte das mehr Nach- als Vorteile. Der Kapitän zerrte sich dabei den Oberschenkel, was ihn das ganze Turnier lähmte – und das 1:1 währte nur ein paar Sekunden. Nach Wiederanpfiff schlug Algerien zurück, Kapitän Lakhdar Belloumi traf freistehend (69.). Außer einem Abseitstor von Joker Klaus Fischer (82.) und einem Lattentreffer von Rummenigge (88.) brachte der deutsche Angriff nichts mehr zustande. Fertig war die bis heute die einzige WM-Auftaktpleite einer DFB-Elf. Auch dafür steht Algerien, 19 andere Gegner haben das nicht geschafft.

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In der Heimat war die Bestürzung groß, die Hamburger Morgenpost schrieb: "Weltmeister nur im Sprücheklopfen". Der "Kicker" suchte Derwall eine günstige Zugverbindung nach Frankfurt raus – mit vier Mal Umsteigen – und auch die Sieger leisteten sich maßvollen Spott. "Algerien hat den Deutschen eine Lektion erteilt. Auf taktischem Gebiet war Khalef weit besser als der geniale Derwall mit seiner Rechnerei", schrieb die Zeitung "El Moudjahid".

"Die Deutschen hatten keinen Respekt vor uns"

Trainer Khalef gab offen zu: "Die Deutschen hatten keinen Respekt vor uns und das hat uns geärgert und allein deshalb tut uns allen der Sieg gut." Den sie dann mit Cola feierten. Torwart Cerbah bat die deutschen Reporter dagegen schon beinahe fürsorglich: "Ihr dürft das jetzt in Deutschland nicht dramatisieren. Jetzt sind ihre Augen geöffnet und sie wissen, dass ein WM-Turnier etwas anderes ist als ein Freundschaftsspiel. Ihr dürft den Stab nicht über sie brechen, sie haben doch oft genug gezeigt was sie können."

Die Deutschen aber lernten ihre Lektion und kamen 1982 noch bis ins Finale, Algerien schied nach der Vorrunde aus. Auch in Gijon und unter Umständen, die vor dem USA-Spiel hinreichend thematisiert wurden. Doch dem heftig kritisierten Ballgeschiebe beim 1:0 gegen Österreich war bereits neun Tage zuvor eine fast vergessene Blamage von Gijon vorausgegangen. In Porto Alegre bietet sich die Gelegenheit, sie nach 32 Jahren auszumerzen.

Die Formationen von Gijon:

Deutschland: Schumacher – Kaltz, Stielike, Förster, Briegel – Dremmler, Breitner, Magath (82. Fischer) – Rummenigge, Hrubesch, Littbarski.
Algerien: Cerbah –Mansouri, Guendouz, Kourichi, Merzekane – Fergani, Dahleb, Belloumi, Zidane (64. Bensaoula) – Madjer (88. Larbes), Assad.
Tore: 0:1 Madjer (52.), 1:1 Rummenigge (68.), 1:2 Belloumi (69.).
Gelbe Karte: Hrubesch
Zuschauer: 25.000