WM 1970: Traumfußball nach Zitterperiode

Schön: "Man kann auch langsam Tempo spielen"

Stimmen zum Spiel:

Helmut Schön: "Es galt, den Ball laufen zu lassen, die Kräfte zu schonen und Tempo zu machen, wenn es nötig war. Man kann auch langsam Tempo spielen. All das ist uns gelungen. Ich hatte geplant, Libuda schon zur Halbzeit herauszunehmen, aber er hat zu gut gespielt. Ich möchte einem unserer Spieler besonders danken, es ist einer unserer älteren, Uwe Seeler. In Abwehr und Angriff hat er Großartiges geleistet."

Dr. Stefan Boskov (Trainer Bulgariens): "Die deutsche Mannschaft war gegenüber dem Spiel gegen Marokko heute nicht wiederzuerkennen. Sie spielte Traumfußball, an dem Sieg gibt es überhaupt nichts zu deuteln. Vor allem hat mir imponiert, dass sie trotz der großen Hitze am Schluss noch so viel Kraft hatten."

Sepp Maier: "Ich freue mich, aber ich ärgere mich auch. Vor allem über das erste Tor der Bulgaren, bei dem die Deckung nicht richtig stand. Allerdings war es auch ein fürchterlicher Hammer! Es ist schon ein verdammt schlechtes Gefühl, 0:1 hinten zu liegen. So klug wie diesmal hat unsere Mannschaft selten gespielt."

Uwe Seeler: "Was soll man da noch viel sagen? Uns hat das Spiel heute bestimmt genau so viel Freude gemacht wie den Zuschauern der Sieg."

Reinhard Libuda: "Ich hätte mich überschlagen können bei meinem ersten Tor, denn ich wusste, dass es sehr wichtig war. Jetzt geht es aufwärts mit uns. Ich glaube, es hat in meiner ganzen Laufbahn nur einmal so gut geklappt, vor drei Jahren in Dortmund, als wir gegen die Bayern aus einem 1:3 noch ein 6:3 gemacht haben."

Gerd Müller: "Das war ja unheimlich, wirklich unheimlich war das. In letzter Zeit war ich oft unzufrieden mit mir, aber diesmal lief es wie ganz selten. Ich kann nur nach allen Seiten Dankeschön sagen für die Vorlagen, bei denen man nur noch draufzuhalten brauchte."

Dinko Dermendjev (Bulgarien): "Gegen diese Mannschaft war überhaupt nichts zu machen. Zeitweise haben die Deutschen mit uns ja wie mit Schulkindern gespielt."

"So haben wir vor keinem Angst!... Als den Bulgaren überraschend das Führungstor gelang, gab es für wenige Minuten wieder eine Zitterperiode. Nach dem Ausgleich hatte die deutsche Mannschaft ihren Gegner ganz klar im Griff. Entscheidend war diesmal, daß sich unsere Mittelfeldspieler Beckenbauer und Overath das einmal errungene Kommando nicht mehr aus der Hand nehmen ließen. In der deutschen Mannschaft hat jetzt wohl jeder begriffen, daß hier keine Weltmeisterschaft im Kunstball veranstaltet wird." (Kicker)

"Die Wende trat ein, als die Deutschen mit Seeler und Libuda begannen, ihr Spiel immer mehr auf die rechte Angriffsseite zu verlagern…Als Fazit lässt sich sagen: die bessere Mannschaft hat sich durchgesetzt." (Naroden Sport/Sofia)

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Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

7. Juni in Leon - WM-Vorrunde: Deutschland - Bulgarien 5:2

Vor dem Spiel:

Im deutschen Lager war die Stimmung angespannt. Die mitgereisten Fans waren enttäuscht und sorgen für einige unschöne Szenen. Haller wurde sogar tätlich angegriffen und selbst Uwe Seeler musste sich beschimpfen lassen.

Helmut Schön reagierte auf die Kritik und brachte eine neue Flügelzange: Libuda (rechts) und Löhr (links) kamen für Haller und Held. Und Ausputzer Schulz musste Italien-Legionär Schnellinger weichen. Die Bulgaren standen schon mit dem Rücken zur Wand. Obwohl die Spieler täglich an die mitgebrachten Sauerstoffgeräte mussten, brachen sie gegen Peru nach 2:0-Führung noch ein und verloren 2:3. Für sie galt bereits: Verlieren verboten!

Entsprechend nervös waren sie. Keiner gab Interviews, beim Training durfte niemand zusehen und dem Bankett nach der Auftaktpartie blieben sie fern. Die Vertreter der sozialistischen Welt hatten den eisernen Vorhang mit nach Mexiko gebracht. Als er bei Anpfiff hoch ging, staunten die Experten: der Trainer präsentierte eine komplett neue Vierer-Abwehrkette.

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Libuda wirbelt, Müller trifft

Spielbericht:

Dieses Mal müssen die Teams ran, als die Sonne am höchsten steht. High Noon bei 35 Grad im Schatten - in Deutschland ist es 19 Uhr. Wobei der Schiedsrichter sogar drei Minuten zu früh anpfeift. Fußball zur Mittagessenszeit in einem kleinen und doch halbleeren Stadion, es ist eine triste Atmosphäre in Leon. WM fühlt sich anders an. Immerhin machen 2000 Deutsche etwas Stimmung auf den Rängen.

Der Start ist besser als gegen Marokko, Libuda, Müller, Beckenbauer kommen zu Chancen in den ersten zehn Minuten. Aber dann passiert es schon wieder - Deutschland gerät in Rückstand. Nikodimov drischt einen indirekt ausgeführten Freistoß mit links flach aus 18 Metern neben den Pfosten. Maier kommt nicht heran, weil Overath ihm die Sicht versperrt. Dabei hat Schön den Spielern noch eingetrichtert: "Wir müssen das erste Tor machen - und auf die Freistöße der Bulgaren aufpassen." Schon gegen Peru haben sie ein Freistoßtor erzielt.

Als der Ball einschlägt, will Overath "Gute Nacht, deutscher Fußball" gedacht haben. Aber ein Mann, der an diesem Tag sein bestes Länderspiel macht, vertreibt sogleich die düsteren Gedanken. Reinhard "Stan" Libuda glückt nach 19 Minuten der Ausgleich, aus unmöglichem Winkel - aber im Gegensatz zu den Geschossen von Helmut Rahn und Lothar Emmerich bei vorherigen WM-Turnieren ist es keine Absicht. Es ist eigentlich eine scharfe Flanke, die sich Bulgariens Torwart Simeonov selbst ins Tor schlägt, auch wenn keine Kamera beweist, dass der Ball die Linie überschritten hat.

Libuda ist nun wie aufgedreht, immer wieder droht dem bulgarischen Tor vom rechten Flügel Gefahr. Als er seinen Bewacher erneut austanzt und flankt, drückt Müller den Ball aus zwei Metern über die Linie. Dann wagt Libuda einen Distanzschuss, der knapp drüber geht, während Beckenbauer nach Doppelpass mit Müller an Simeonov scheitert. Bonev bietet sich Sekunden vor dem Pausenpfiff die Ausgleichschance, Maier hält mit Mühe.

Nach Wiederanpfiff fällt die Vorentscheidung früh. Libuda - wer sonst? - ist wieder beteiligt. Jetchev zieht ihm im Strafraum die Beine weg, Elfmeter! Gerd Müller schießt mit rechts nach links. Simeonov hat die Finger noch dran, aber der Ball schlägt im Winkel ein. 3:1! Anschließend umkurvt Beckenbauer "drei, vier Mann, als wären sie Standfiguren" (Kicker), scheitert erst am Torwart. Schön: "Das Solo war schon allein den Gang ins Stadion wert."

Grabowski kommt für Löhr, diesmal muss der Frankfurter links stürmen, denn der Rechtsaußen ist der beste Mann auf dem Platz und kein Wechselkandidat. Im Gegensatz zu dessen Gegenspieler Gaganelov, den sein Trainer nach einer Stunde erlöst. Nur mit dem 4:1 hat Libuda nichts zu tun, denn es fällt über links. Overath hat Müller geschickt und der flankt an den langen Pfosten, wohin sich Seeler frei geschlichen hat - ein weiterer Beweis, dass es mit Müller UND Seeler geht.

Beckenbauer ist angeschlagen, geht vorsichtshalber heraus (Beckenprellung), Weber kommt zu seinem Mexiko-Debüt. Seeler, Müller und Overath kommen gegen die resignierenden Bulgaren zu weiteren Chancen - und Müller dann zu seinem dritten Tor. Die Freistoßvorlage auf seinen Kopf kommt von Libuda - schon seine vierte Torbeteiligung. Das schönste Tor des Tages ist aber den Bulgaren vorbehalten: Kolev trifft aus rund 25 Metern in den Winkel. Es ändert nichts am bulgarischen WM-Aus - und am vorzeitigen deutschen Einzug ins Viertelfinale.

Aufstellung: Maier - Vogts, Schnellinger, Fichtel, Höttges - Seeler, Beckenbauer (72. Weber), Overath - Libuda, Müller, Löhr (59. Grabowski).

Tore: 0:1 Nikodimov (11.), 1:1 Libuda (19.), 2:1, 3:1 Müller (27., 52. Foulelfmeter), 4:1 Seeler (70.), 5:1 Müller (88.), 5:2 Kolev (89.).

Zuschauer: 12.170

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Schön: "Man kann auch langsam Tempo spielen"

Stimmen zum Spiel:

Helmut Schön: "Es galt, den Ball laufen zu lassen, die Kräfte zu schonen und Tempo zu machen, wenn es nötig war. Man kann auch langsam Tempo spielen. All das ist uns gelungen. Ich hatte geplant, Libuda schon zur Halbzeit herauszunehmen, aber er hat zu gut gespielt. Ich möchte einem unserer Spieler besonders danken, es ist einer unserer älteren, Uwe Seeler. In Abwehr und Angriff hat er Großartiges geleistet."

Dr. Stefan Boskov (Trainer Bulgariens): "Die deutsche Mannschaft war gegenüber dem Spiel gegen Marokko heute nicht wiederzuerkennen. Sie spielte Traumfußball, an dem Sieg gibt es überhaupt nichts zu deuteln. Vor allem hat mir imponiert, dass sie trotz der großen Hitze am Schluss noch so viel Kraft hatten."

Sepp Maier: "Ich freue mich, aber ich ärgere mich auch. Vor allem über das erste Tor der Bulgaren, bei dem die Deckung nicht richtig stand. Allerdings war es auch ein fürchterlicher Hammer! Es ist schon ein verdammt schlechtes Gefühl, 0:1 hinten zu liegen. So klug wie diesmal hat unsere Mannschaft selten gespielt."

Uwe Seeler: "Was soll man da noch viel sagen? Uns hat das Spiel heute bestimmt genau so viel Freude gemacht wie den Zuschauern der Sieg."

Reinhard Libuda: "Ich hätte mich überschlagen können bei meinem ersten Tor, denn ich wusste, dass es sehr wichtig war. Jetzt geht es aufwärts mit uns. Ich glaube, es hat in meiner ganzen Laufbahn nur einmal so gut geklappt, vor drei Jahren in Dortmund, als wir gegen die Bayern aus einem 1:3 noch ein 6:3 gemacht haben."

Gerd Müller: "Das war ja unheimlich, wirklich unheimlich war das. In letzter Zeit war ich oft unzufrieden mit mir, aber diesmal lief es wie ganz selten. Ich kann nur nach allen Seiten Dankeschön sagen für die Vorlagen, bei denen man nur noch draufzuhalten brauchte."

Dinko Dermendjev (Bulgarien): "Gegen diese Mannschaft war überhaupt nichts zu machen. Zeitweise haben die Deutschen mit uns ja wie mit Schulkindern gespielt."

"So haben wir vor keinem Angst!... Als den Bulgaren überraschend das Führungstor gelang, gab es für wenige Minuten wieder eine Zitterperiode. Nach dem Ausgleich hatte die deutsche Mannschaft ihren Gegner ganz klar im Griff. Entscheidend war diesmal, daß sich unsere Mittelfeldspieler Beckenbauer und Overath das einmal errungene Kommando nicht mehr aus der Hand nehmen ließen. In der deutschen Mannschaft hat jetzt wohl jeder begriffen, daß hier keine Weltmeisterschaft im Kunstball veranstaltet wird." (Kicker)

"Die Wende trat ein, als die Deutschen mit Seeler und Libuda begannen, ihr Spiel immer mehr auf die rechte Angriffsseite zu verlagern…Als Fazit lässt sich sagen: die bessere Mannschaft hat sich durchgesetzt." (Naroden Sport/Sofia)

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