WM 1966: Der Sprung nach Wembley

Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

25. Juli in Liverpool - Halbfinale in England: Deutschland - Sowjetunion 2:1

Vor dem Spiel:

Gemessen an den Behandlungsstunden, die Masseur Deuser das Uruguay-Spiel einbrachte, war die Zahl der Ausfälle ein kleines Wunder. Es war nur einer! Für den verletzten Verteidiger Höttges (Achillessehnenreizung) sprang der Frankfurter Friedel Lutz in der Abwehr ein, es war sein WM-Debüt. Er ist erst der 14. Spieler, der zum Einsatz kommt, acht blieben auch nach fünf Spielen in der Zuschauerrolle. Helmut Schön hat den Gegner erst einmal sehen können, in einem Testspiel gegen die Schweiz. Seitdem schwärmte er von ihrer "unerhörten Kondition".

Die Russen hatten ihre Spieler schon sechs Monate vor der WM zusammengezogen und aus dem Ligabetrieb herausgenommen. Ihre Praxis erhielten sie ausschließlich durch Länderspiele. Es schien sich zu bewähren, alle ihre WM-Spiele hatten sie gewonnen, auch gegen Italien (1:0). Im Viertelfinale schalteten sie die Ungarn aus (2:1), ohne zu begeistern. Aber erstmals standen sie unter den letzten Vier bei einer WM, 1960 waren sie erster Europameister, 1964 EM-Zweiter. Ihr größter Name: Torwart-Legende Lew Jaschin (37).

Selbst waren sie auch nicht begeistert – über das kommende Spiel. Trainer Morosow: "Uruguay wäre uns lieber gewesen als Deutschland." Aber noch waren sie gegen die Deutschen unbesiegt. Ging es nach Stamley Rous, dem FIFA-Präsidenten, dann nicht mehr lange. Er tippte auf 3:1 für Deutschland.



Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

25. Juli in Liverpool - Halbfinale in England: Deutschland - Sowjetunion 2:1

Vor dem Spiel:

Gemessen an den Behandlungsstunden, die Masseur Deuser das Uruguay-Spiel einbrachte, war die Zahl der Ausfälle ein kleines Wunder. Es war nur einer! Für den verletzten Verteidiger Höttges (Achillessehnenreizung) sprang der Frankfurter Friedel Lutz in der Abwehr ein, es war sein WM-Debüt. Er ist erst der 14. Spieler, der zum Einsatz kommt, acht blieben auch nach fünf Spielen in der Zuschauerrolle. Helmut Schön hat den Gegner erst einmal sehen können, in einem Testspiel gegen die Schweiz. Seitdem schwärmte er von ihrer "unerhörten Kondition".

Die Russen hatten ihre Spieler schon sechs Monate vor der WM zusammengezogen und aus dem Ligabetrieb herausgenommen. Ihre Praxis erhielten sie ausschließlich durch Länderspiele. Es schien sich zu bewähren, alle ihre WM-Spiele hatten sie gewonnen, auch gegen Italien (1:0). Im Viertelfinale schalteten sie die Ungarn aus (2:1), ohne zu begeistern. Aber erstmals standen sie unter den letzten Vier bei einer WM, 1960 waren sie erster Europameister, 1964 EM-Zweiter. Ihr größter Name: Torwart-Legende Lew Jaschin (37).

Selbst waren sie auch nicht begeistert – über das kommende Spiel. Trainer Morosow: "Uruguay wäre uns lieber gewesen als Deutschland." Aber noch waren sie gegen die Deutschen unbesiegt. Ging es nach Stamley Rous, dem FIFA-Präsidenten, dann nicht mehr lange. Er tippte auf 3:1 für Deutschland.

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Haller und Beckenbauer bringen Deutschland nach Wembley

Spielbericht:

Der Goodison-Park, Heimstätte des FC Everton, ist nicht ausverkauft, aber fest in deutscher Hand an diesem Montagabend. Um 19.30 Uhr ist Anpfiff, das ZDF überträgt mit Sprecher Sammy Drechsel am Mikrofon. Uwe Seeler verliert die Seitenwahl, Deutschland stößt an. Emmerich zwingt mit einem scharf getretenen 30-Meter-Freistoß Jaschin zu einer ersten Glanzparade, im Gegenzug fordern die Russen Elfmeter, weil Weber Banischewski hart attackiert hat. Sie bekommen ihn nicht, der Italiener Lobello lässt viel durchgehen. "Kein Wunder, dass Härte Trumpf ist", bemängelt das Sport Magazin.

Weil dem so ist, wird das Spiel für drei Minuten unterbrochen. Emmerich, der im Strafraum gelegt wird, und Szabo müssen behandelt werden, beim ungarisch-stämmigen Russen bringt es wenig. Nach einer Kollision mit Beckenbauer, der ihn unabsichtlich trifft, wie Szabo später zugeben wird, ist der rechte Läufer nur noch ein humpelnder Statist. Ab Minute elf! Ein großer Vorteil für die Deutschen, die wiederum gegen einen dezimierten Gegner spielen dürfen, was sie ausnutzen.

Der Dominanz der ersten halben Stunde entspringen zahlreiche Chancen, vor allem Seeler beschäftigt Jaschin. Kollege Tilkowski muss erstmals in der 23. Minute eingreifen, besteht die Prüfung durch Banischowski. Als Schesternew kurz vor dem Strafraum Beckenbauer die Beine wegzieht, wird er verwarnt. Held, Seeler und Emmerich finden in Jaschin, der sein 70. Länderspiel bestreitet, ihren Meister. Dann fällt endlich das 1:0, wieder mal schlägt Haller zu. Der "Italiener" ereilt einen Schnellinger-Pass im Strafraum und schiebt im Fallen ein (43.).

Seeler vergibt noch vor der Pause das 2:0, aber fast genauso viel Wert ist der Platzverweis für Tschislenko, der Held rücksichtslos ummäht. Ein Tor Vorsprung und eineinhalb Spieler mehr, das Finale winkt. "Aber noch rollte die russische Dampfwalze, noch hißte sie nicht die weiße Flagge", lesen wir in Fischers WM-Buch. Wiederanpfiff. Wie zum Beweis tankt sich Malafejew rechts durch, trifft das Außennetz. Plötzlich Sorgen um Tilkowski, der sich bei dem Rettungsversuch an der Schulter verletzt. Helmut Schön steht von seiner Bank auf und stellt sich hinter das Tor, seinen Torwart aufmunternd. Es ist noch längst nicht die Zeit der Coaching-Zonen.

Dem neutralen Publikum gefällt das Spiel nicht, es feuert die englische Mannschaft an, die am nächsten Tag gegen Portugal um den Finaleinzug spielt. Das scheint die Akteure zu motivieren, das Spiel wird besser. Beckenbauer spaziert wieder durch die gegnerischen Reihen, sein Flachschuss zischt knapp vorbei. Overath prüft Jaschin, der weiterhin keine Schwächen zeigt. Aber als dann Franz Beckenbauer aus der zweiten Reihe mit links abzieht, ist auch Jaschin machtlos - 2:0 nach 68 Minuten. Wieder schießen die beiden Mittelfeldspieler die Tore, in der Summe (acht) haben sie weit mehr als die sechs eingesetzten Stürmer (5) erzielt.

Eine Vorentscheidung, die die Deutschen zum Leichtsinn verführt. In den Schlussminuten geben die dezimierten Russen den Ton an und zwei Minuten vor Schluss patzt der angeschlagene Tilkowski erstmals bei dieser WM. "Seit ich gleich nach dem Seitenwechsel eine Schulterverletzung erlitten habe, kann ich mich nur noch unter Schmerzen bewegen", hält er in seiner Biographie "Und ewig fällt das Wembley-Tor" fest. Einen in den Fünfmeterraum geköpften Ball lässt er unkonzentriert fallen, Porkujan staubt ab. Noch zwei Minuten Zittern, dann sind sie in Wembley, dem Sehnsuchtsort der Fußballwelt.

Zwei Spieler werden nach Abpfiff geröntgt: Tilkowski erfährt von seiner Schulterprellung, das ist nicht das WM-Aus, Szabo davon, dass er 75 Minuten mit gebrochenem Knöchel gespielt hat. Auf der Rückfahrt im Bus sagt Pressechef Dr. Gerhard zu Helmut Schön: "Was Du jetzt erreicht hast, hat keiner erwartet. Jetzt kann uns nichts mehr passieren."

Aufstellung: Tilkowski - Lutz, Schulz, Weber, Schnellinger - Haller, Beckenbauer, Overath - Held, Seeler, Emmerich.

Tore: 1:0 Haller (43.), 2:0 Beckenbauer (68.), 2:1 Porkujan (88.).

Platzverweis: Tschislenko (44.).

Zuschauer: 43.921

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Schön: "Ich hatte keine Sekunde Bedenken, dass etwas schief gehen könnte"

Stimmen zum Spiel:

Helmut Schön: "Wir waren gegen die Russen von der ersten Minute an da. Unser Spiel lief gut und flüssig. Ich hatte keine Sekunde Bedenken, dass etwas schief gehen könnte. Uns kann es keiner mehr nehmen, dass wir schon Vizemeister geworden sind. Im übrigen hatten wir auch die bessere Kondition."

DFB-Präsident Hermann Gößmann: "Das ist ein stolzer Tag für den deutschen Fußball, der Sieg war in jeder Hinsicht verdient. Ein 3:0 oder 4:1 wäre durchaus möglich gewesen."

Sepp Herberger: "Deutschland spielte einfach großartig! Schon nach zehn Minuten deutete es sich an, dass sich unsere Mannschaft durchsetzen würde. Wir waren durchweg besser. Was an diesem Erfolg am wertvollsten ist: die Überlegenheit wurde erspielt!"

Nikolai Morosow (Trainer der Sowjetunion): "Die siebte Minute wurde für uns spielentscheidend, als Szabo seine Verletzung erlitt. Wenn Deutschland Weltmeister werden will, dann muss sich die Mannschaft noch steigern."

"Das war insgesamt, auch wenn Engländer das nicht wahr haben wollten, eine aufregende Auseinandersetzung. Hier trafen sich zwei Mannschaften, die von der athletischen Ausbildung bis zum Rezept so gleichartig sind, daß dem Spiel der Pfeffer fehlen mußte, den das Aufeinandertreffen zweier grundverschiedener Partner immer hat." (FAZ)

"Es war erstaunlich, wie selbstbewußt die deutsche Mannschaft aufspielte. Es war kein ängstliches Anstürmen oder stures Decken. Unser Spiel atmete Sicherheit, es strahlte zahlreiche Ideen aus." (Sport Magazin)

"Sagen wir es direkt heraus: die Niederlage lässt sich nur schlecht ertragen…Bei der kleinsten Berührung fielen die Spieler der Bundesrepublik Deutschland theatralisch zu Boden und lösten ein Gegröle ihrer Fans aus…Wahre Wunder der Torwartkunst zeigte unser Jaschin…Schließlich dürfen wir nicht vergessen, dass wir auf eine unbestritten sehr starke, physisch gut vorbereitete Mannschaft trafen, die trotz allem guten Fußball zeigte." (Iswestija/Moskau)

"Das war das miserabelste Spiel des Turniers" (Times/London)

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