WM 1966: "Der fabelhafte Franz"

Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

12. Juli in Sheffield - erstes WM-Gruppenspiel in England: Deutschland - Schweiz 5:0

Vor dem Spiel:

Erstmals seit 1934 hieß der deutsche WM-Trainer nicht Sepp Herberger. Helmut Schön hatte den Stab 1964 übernommen und die Mannschaft ungeschlagen durch die Qualifikation gelotst. Er ließ auch wieder Legionäre zu, gleich drei "Italiener" standen im Aufgebot (Schnellinger, Haller und Brülls). Noch eine Premiere: Erstmals fuhren Bundesliga-Spieler zu einer WM, die Einführung der zentralen Spielklasse erfolgte 1963. Schöns Auswahl sorgte für Diskussionen, Meister 1860 München war nicht vertreten, dagegen Lokalrivale FC Bayern – durch Supertalent Franz Beckenbauer und Ersatztorwart Sepp Maier. Horst Szymaniak von Absteiger Tasmania Berlin absolvierte fast alle Qualispiele, wurde aber im letzte Moment mit dem Braunschweiger Lothar Ulsaß, die beide mit in Malente waren, gestrichen. An der Stammbesetzung gab es wenige Zweifel, abgesehen von der Linksaußenfrage – Dortmunds Held oder Kölns Hornig – herrschte Konsens bei Experten und Fans.

Nie lag mehr Zeit zwischen Saisonende und WM-Start (45 Tage). Die bisherigen Turniere waren am 12. Juli schon alle vorbei, als es in England erst los ging für die Deutschen. Schon vor dem ersten Anpfiff wurde gejubelt, denn die FIFA vergab auf einem Kongress die WM 1974 nach Deutschland.

Schön schickte eine Mannschaft aus acht Vereinen und fünf WM-Neulingen aufs Feld und ließ im 4-2-4 spielen, mit Beckenbauer und Haller im Mittelfeld. Bei den Schweizern wurden drei Nachtschwärmer aus disziplinarischen Gründen kurzfristig geopfert. Torjäger Köbi Kuhn, Innenverteidiger Werner Leimgruber und Ersatztorwart Leo Eichmann waren 57 Minuten nach dem Zapfenstreich – und auch noch in weiblicher Begleitung – ins Teamhotel zurückgekehrt. Das tolerierte Trainer Alfredo Foni nicht.

Schon bereuten die Schweizer, ihr Quartier mitten in Sheffield bezogen zu haben. Solche Eskapaden konnten bei den Deutschen eher nicht passieren, sie hausten im idyllisch-abgelegenen Anwesen "Peveril oft the Peak" in Thorpe. 50 Kilometer bis Sheffield, viel Wald, viel Gegend, allerlei Kühe und Schafe – da ging die Presse auf die Suche nach dem "Geist der Midlands".

Denn ohne Geist – wie einst in Spiez – kein Titel. Favorit waren sie nicht, die englischen Buchmacher führten sie an sechster Stelle (Quote 12:1). Die Schweizer (100:1) Halbprofis waren Außenseiter, auch im Auftaktspiel. Verteidiger Richard Dürr unkte: "Wir haben gegen Deutschland kaum eine Chance, die sind viel stärker als 1962."



Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

12. Juli in Sheffield - erstes WM-Gruppenspiel in England: Deutschland - Schweiz 5:0

Vor dem Spiel:

Erstmals seit 1934 hieß der deutsche WM-Trainer nicht Sepp Herberger. Helmut Schön hatte den Stab 1964 übernommen und die Mannschaft ungeschlagen durch die Qualifikation gelotst. Er ließ auch wieder Legionäre zu, gleich drei "Italiener" standen im Aufgebot (Schnellinger, Haller und Brülls). Noch eine Premiere: Erstmals fuhren Bundesliga-Spieler zu einer WM, die Einführung der zentralen Spielklasse erfolgte 1963. Schöns Auswahl sorgte für Diskussionen, Meister 1860 München war nicht vertreten, dagegen Lokalrivale FC Bayern – durch Supertalent Franz Beckenbauer und Ersatztorwart Sepp Maier. Horst Szymaniak von Absteiger Tasmania Berlin absolvierte fast alle Qualispiele, wurde aber im letzte Moment mit dem Braunschweiger Lothar Ulsaß, die beide mit in Malente waren, gestrichen. An der Stammbesetzung gab es wenige Zweifel, abgesehen von der Linksaußenfrage – Dortmunds Held oder Kölns Hornig – herrschte Konsens bei Experten und Fans.

Nie lag mehr Zeit zwischen Saisonende und WM-Start (45 Tage). Die bisherigen Turniere waren am 12. Juli schon alle vorbei, als es in England erst los ging für die Deutschen. Schon vor dem ersten Anpfiff wurde gejubelt, denn die FIFA vergab auf einem Kongress die WM 1974 nach Deutschland.

Schön schickte eine Mannschaft aus acht Vereinen und fünf WM-Neulingen aufs Feld und ließ im 4-2-4 spielen, mit Beckenbauer und Haller im Mittelfeld. Bei den Schweizern wurden drei Nachtschwärmer aus disziplinarischen Gründen kurzfristig geopfert. Torjäger Köbi Kuhn, Innenverteidiger Werner Leimgruber und Ersatztorwart Leo Eichmann waren 57 Minuten nach dem Zapfenstreich – und auch noch in weiblicher Begleitung – ins Teamhotel zurückgekehrt. Das tolerierte Trainer Alfredo Foni nicht.

Schon bereuten die Schweizer, ihr Quartier mitten in Sheffield bezogen zu haben. Solche Eskapaden konnten bei den Deutschen eher nicht passieren, sie hausten im idyllisch-abgelegenen Anwesen "Peveril oft the Peak" in Thorpe. 50 Kilometer bis Sheffield, viel Wald, viel Gegend, allerlei Kühe und Schafe – da ging die Presse auf die Suche nach dem "Geist der Midlands".

Denn ohne Geist – wie einst in Spiez – kein Titel. Favorit waren sie nicht, die englischen Buchmacher führten sie an sechster Stelle (Quote 12:1). Die Schweizer (100:1) Halbprofis waren Außenseiter, auch im Auftaktspiel. Verteidiger Richard Dürr unkte: "Wir haben gegen Deutschland kaum eine Chance, die sind viel stärker als 1962."

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"Das sind Kombinationen aus der Fußballfibel"

Spielbericht:

Die ARD überträgt an diesem Dienstagabend live, aber noch nicht in Farbe. Zwölf Millionen deutsche Haushalte haben nun ein Fernsehgerät. Kommentator ist wieder Rudi Michel. Anpfiff ist um 19.30 Uhr, und wie in Chile steht zum Auftaktspiel ein Geburtstagskind im deutschen Tor. Diesmal ist es Hans Tilkowski (wird 31), der nach Herbergers Rücktritt seinen eigenen widerrufen hat und endlich sein erstes WM-Spiel macht. Als frisch gekürter Europapokalsieger erlebt der Dortmunder den besten Sommer seiner Karriere. Kapitän Uwe Seeler gewinnt die Seitenwahl gegen Schneiter, die beiden kennen sich von der WM 1962. Die Schweiz verblüfft mit einem furiosen Start. Tilkowski rettet vor Künzli und wenig später gegen den durchgebrochenen Bäni.

Die erste deutsche Großchance hat Beckenbauer, aber Elsener wehrt seinen Rechtsschuss zur Ecke. Rudi Michel gefällt das Anfangstempo: "Wie Rennpferde sind sie aufeinander los gegangen." Nach 16 Minuten erster Torjubel bei rund 8000 Deutschen auf den Rängen des Hillsborough-Stadions. Siggi Held bricht links durch, legt für Seeler auf, der den Ball nicht richtig trifft und deshalb nur den Pfosten. Held setzt nach und staubt aus wenigen Zentimetern ab, vergeblich reklamieren die Schweizer auf Abseits. Europacupsieger Held wird immer selbstbewusster, zieht mit rechts ab und verfehlt nur knapp. Dann ein Glanzstück von Haller, der beim AC Bologna sein Geld verdient. Er läuft mit dem Ball übers halbe Feld, lässt am Strafraum einen Gegner aussteigen und schiebt flach an Elsener vorbei. Michel staunt: "Ein eiskalter Vogel ist das." Noch geben die Schweizer nicht auf, Hosp aus Lausanne prüft Tilkowski aus 20 Metern, der erhechtet den Ball. "Das war nicht so einfach!", findet der kicker.

Spielend einfach sieht die Entstehung des dritten deutschen Tores aus. Über Overath und Seeler kommt der Ball zu Beckenbauer, der in den Strafraum eindringt und im Fallen mit links abschließt. "Das sind Kombinationen aus der Fußballfibel. Es ist unglaublich, welche Spielerpersönlichkeiten wir doch haben! Von dieser Kombination wird man in Sheffield und auch anderswo noch lange sprechen", jauchzt Michel. Von den Rängen schallt "So ein Tag…", dann geht es in die Kabinen. Das Spiel ist schon entschieden, aber es hat noch eine zweite Hälfte. Held hat die erste Chance, mit einem Overath-Pass zieht er davon und kommt im Strafraum zu Fall. Aber warum? Michel fordert einen Elfmeter, auch für den kicker ist es "glasklar", aber bei britischen Schiedsrichtern sind die Maßstäbe schon mal etwas anders. Mister Philipps pfeift nicht. So muss das 4:0 noch acht Minuten warten, ehe der 20-jährige Beckenbauer sein WM-Debüt mit einem zweiten Treffer krönt. Auch ihn schickt Overath auf die Reise, zwei Verteidiger lässt er stehen und vor Elsener behält er die Nerven. Nun trifft er mit rechts. "Ein Teufelskerl, dieser Münchner!", preist der kicker den Doppelschützen.

Nur der hauptberufliche Torjäger Uwe Seeler schafft es nicht auf die Anzeigetafel, Elsener macht auch seinen nächsten Schuss zunichte. Overath, der zu den Besten in einer Elf ohne schwachen Punkt gehört, trifft die Lattenoberkante (59.)

Die Deutschen drosseln nun das Tempo, wichtiger als ein fünftes Tor ist die Null, die hinten steht. In England gilt letztmals bei einer WM das Divisionsverfahren, was bei Punktgleichheit angewendet werden müsste. Michel bittet die Heimat um Verständnis: "Seien Sie nicht enttäuscht. Es war klar, dass die Mannschaft einen Gang zurück schalten würde." Die Schweizer schalten einen hoch, für das Highlight der zweiten Hälfte sorgt Verteidiger Dürr, der aus rund 30 Metern das Lattenkreuz trifft (72.). Beckenbauer arbeitet an seinem dritten WM-Tor, seinen Volleyschuss lässt Elsener prallen, packt ihn sich aber vor dem heranstürzenden Seeler. Nach 77 Minuten holt Seeler einen Elfmeter heraus, Schneiter legt ihn, obwohl der Kapitän in ungünstiger Schussposition ist. Haller nimmt viel Anlauf, verwandelt mit rechts, obwohl Elsener die Ecke ahnt. Seeler hat nach seinem Sturz auf die Schulter derweil Schmerzen. Masseur Deuser hat einiges zu tun in der zweiten Hälfte: Nach Höttges brauchen auch Brülls und Overath seine Dienste. Letztere fallen minutenlang gleichzeitig aus, aber selbst mit neun gegen elf lassen die Deutschen kein Tor mehr zu. Auch dank Tilkowski, der noch zwei Chancen der wackeren Schweizer auf ein Ehrentor pariert. Bei Hosps Pfostenschuss hat er das Glück, das einem Geburtstagskind zusteht. Dann erfolgt der Schlusspfiff, nie ist Deutschland mit einem so hohen Sieg in eine WM gestartet. "Dieses Spiel wird das Urteil über den deutschen Fußball ändern", glaubt Rudi Michel, denn "sie spielen nicht Kraftfußball, sie spielen technisch gekonnt."

Aufstellung: Tilkowski – Höttges, Schulz, Weber, Schnellinger – Haller, Beckenbauer– Brülls, Seeler, Overath, Held.

Tore: 1:0 Held (15.), 2:0 Haller (21.), 3:0, 4:0 Beckenbauer (40., 52.), 5:0 Haller (77., Foulelfmeter).

Zuschauer: 36.127

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"Beckenbauer, der fabelhafte Franz"

Stimmen zum Spiel:

Helmut Schön: "Natürlich bin ich zufrieden bei einem 5:0-Sieg, aber ich wäre notfalls auch mit einem 1:0 zufrieden gewesen. Die Schweizer waren am Anfang stark, dann haben wir sie durch unser erstes Tor aus dem Rhythmus gebracht. Als der erste Treffer fiel, da wusste ich, dass wir gewinnen würden. Die Mannschaft hätte noch besser spielen können. Man muss allerdings auch verstehen, dass ein gewisser seelischer Druck auf den Spielern lag."

Sepp Herberger: "Das ist der erste Schritt zum Viertelfinale. Die Schweiz spielte mitunter sehr schön. Doch wer schön spielt, spielt nicht immer gut."

Karl-Heinz Schnellinger: "In Chile mussten wir uns mehr quälen. Heute waren wir eindeutig die bessere Mannschaft. Das erste Spiel kostet immer Nerven."

Hans Tilkowski: "Die Schweizer haben aus dem Hintergrund überraschend gut geschossen. Es ist immer für die eigene Mannschaft gefährlich, wenn die Feldüberlegenheit groß ist und ganz plötzlich die Vorstöße kommen. Ich freue mich, dass ich an meinem Geburtstag ohne Gegentor geblieben bin."

Jose Villalonga (Trainer Spaniens): "Je länger das Spiel dauerte, desto heller leuchtete der Stern Beckenbauers. Dieser junge Mann hat schon alles, was ein Fußballspieler überhaupt haben kann."

"Das war ein großartiger Start für Deutschlands Nationalelf: 5:0 gegen die Schweiz. Tore wie aus dem Lehrbuch, Szenen wie für einen Lehrfilm geschaffen… Die internationalen Beobachter ringsum auf unserer Tribüne waren sich einig, eine Demonstration modernsten Fußballs gesehen zu haben. Wir spielten auf Sieg, aber auch auf Sicherheit." (kicker)

"Dieses 5:0 warnt die Argentinier. Unsere Elf führte aus der Defensive ihre tödlichen Konterschläge" (Sport Magazin)

"Ja! Ja! Ja! 5:0 Jungs – das war Fußball" (Bild)

"Boshaft könnte man sagen, die Mannschaft habe sich in die Offensive geflüchtet, weil sie den Deutschen defensiv nicht gewachsen war. Aber – und das wird sich in den nächsten Spielen zeigen – gegen dieses deutsche Team werden noch ganz andere Mannschaften ins Wanken kommen…Was der junge Beckenbauer an diesem Abend zeigte, war großartig…Der Aufbauläufer aus München ist äußerst antrittsschnell und mit einer derart guten Spielübersicht ausgestattet, daß man ihm eine außerordentliche Karriere voraussagen kann." (Neue Zürcher Zeitung)

"Beckenbauer, der fabelhafte Franz, ist groß, dunkel, sieht gut aus, gerade 20 Jahre alt: er ist dazu bestimmt, ein großer Star dieser Weltmeisterschaft zu werden." (Daily Mirror/England)

"Nun wissen Deutschlands Gruppengegner, was ihnen bevorsteht. Die Deutschen hätten in diesem psychologisch wichtigen ersten Spiel kaum eine deutlichere Warnung abgeben können." (Daily Express/England)

"Man zeige uns eine bessere Mannschaft als die deutsche und man hat den Weltcup-Sieger." (Daily Sketch/England)

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