WM 1958: Uwe Seeler betritt die Weltbühne

Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

8. Juni in Malmö - erstes WM-Gruppenspiel in Schweden: Argentinien - Deutschland 1:3

Vor dem Spiel:

Aus Kostengründen reiste der Titelverteidiger nur mit 18 Spielern an. Nach Schweden ging es am 2. Juni ab Hamburg mit dem Zug und fünfmaligen Umsteigen auf Fähren und in Busse; sieben Weltmeister von 1954 waren noch an Bord, aber nur vier Stammspieler: Fritz Walter, den Herberger nach einjähriger Pause zur Rückkehr überreden konnte, Horst Eckel, Helmut Rahn und Hans Schäfer. Im Sturm ruhten die Hoffnungen auf dem 21-jährigen Hamburger Uwe Seeler. Die Titelverteidigung war nur ein leise gehegter Wunsch, nicht aber das erklärte Ziel. Zu viele Niederlagen hatte es seit 1954 gegeben.

In Bjärred, 17 Kilometer entfernt vom ersten Spielort Malmö, bezog der DFB-Tross Quartier. Die Argentinier waren erstmals überhaupt Gegner der Deutschen, sie zählten zu den größten Favoriten auf den WM-Titel. Argentiniens Trainer Guillermo Stabile sagte der Presse: "Es hängt alles vom ersten Spiel ab. Es ist das schwerste, weil Deutschland mit der Leidenschaft des Titelverteidigers spielt." Herberger ließ die Gauchos beobachten und glaubte technische Schwächen in der Abwehr ausgemacht zu haben, weshalb er anordnete, alle Ecken flach und scharf zu schlagen.

Das Fernsehen war live dabei, über "Eurovision" wurde pro Spieltag eine Partie übertragen. Am Eröffnungstag gab es vier Partien zur selben Zeit, die Premiere des Weltmeisters erhielt den Vorzug, Rudi Michel kommentierte. Herberger löste die letzte offene Frage und zog Uwe Seeler dem frischgebackenen deutschen Meister Berni Klodt von Schalke 04 vor. Aus Deutschland waren rund 3000 Anhänger angereist.



Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

8. Juni in Malmö - erstes WM-Gruppenspiel in Schweden: Argentinien - Deutschland 1:3

Vor dem Spiel:

Aus Kostengründen reiste der Titelverteidiger nur mit 18 Spielern an. Nach Schweden ging es am 2. Juni ab Hamburg mit dem Zug und fünfmaligen Umsteigen auf Fähren und in Busse; sieben Weltmeister von 1954 waren noch an Bord, aber nur vier Stammspieler: Fritz Walter, den Herberger nach einjähriger Pause zur Rückkehr überreden konnte, Horst Eckel, Helmut Rahn und Hans Schäfer. Im Sturm ruhten die Hoffnungen auf dem 21-jährigen Hamburger Uwe Seeler. Die Titelverteidigung war nur ein leise gehegter Wunsch, nicht aber das erklärte Ziel. Zu viele Niederlagen hatte es seit 1954 gegeben.

In Bjärred, 17 Kilometer entfernt vom ersten Spielort Malmö, bezog der DFB-Tross Quartier. Die Argentinier waren erstmals überhaupt Gegner der Deutschen, sie zählten zu den größten Favoriten auf den WM-Titel. Argentiniens Trainer Guillermo Stabile sagte der Presse: "Es hängt alles vom ersten Spiel ab. Es ist das schwerste, weil Deutschland mit der Leidenschaft des Titelverteidigers spielt." Herberger ließ die Gauchos beobachten und glaubte technische Schwächen in der Abwehr ausgemacht zu haben, weshalb er anordnete, alle Ecken flach und scharf zu schlagen.

Das Fernsehen war live dabei, über "Eurovision" wurde pro Spieltag eine Partie übertragen. Am Eröffnungstag gab es vier Partien zur selben Zeit, die Premiere des Weltmeisters erhielt den Vorzug, Rudi Michel kommentierte. Herberger löste die letzte offene Frage und zog Uwe Seeler dem frischgebackenen deutschen Meister Berni Klodt von Schalke 04 vor. Aus Deutschland waren rund 3000 Anhänger angereist.

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Deutschland dreht das Spiel

Spielbericht:

Um 19 Uhr erfolgt der Anpfiff, wie bei jedem deutschen Vorrundenspiel. Die Zuschauer wundern sich über den Dress der Argentinier, die dem TV zuliebe statt ihrer blau-weißen Streifen das Gelb von Malmö FF tragen. Ein Kuriosum, das an die WM 1934 (gegen Österreich) erinnert. Ihre Verkleidung hält die Gauchos nicht von einem Traumstart ab. Schon in der zweiten Minute überwindet Oreste Corbotta den deutschen Keeper Fritz Herkenrath mit einem Schuss ins kurze Eck, Erich Juskowiak lässt ihn gewähren. Das erinnert an den WM-Start 1954.

Das Weitere auch - die Deutschen rappeln sich auf. "Die Mannschaft verlor nicht die Nerven, sie fing sich und wurde von Minute zu besser", heißt es im Buch Weltmeisterschaft im Fussball 1958 aus dem Burda-Verlag. Fritz Walter, "nicht Spielführer, aber klar erkennbar Dirigent" leitet die Aufholjagd ein. Sein Zuspiel donnert Zimmerpartner Rahn mit links aus 20 Metern hoch unter die Latte. Helmut Rahn: "Am Zittern in meinen Zehen spürte ich, welche Bombe ich da losgelassen hatte." Carrizo hat noch die Finger dran, aber vergebens - 1:1! Rund 20 Minuten wogt das Spiel hin und her, als suche es sich den Sieger sorgfältig aus. Nach halber Strecke spricht mehr für Deutschland, denn nach 41 Minuten steht es 2:1. Über Helmut Rahn und Hans Schäfer kommt der Ball zu "Aki" Schmidt, dessen Schuss zwar abprallt von einem Verteidigerbein, aber dadurch kommt unverhofft WM-Debütant Seeler zum Schuss. Der rutscht wie einst Max Morlock "im Spagatschritt" in die unfreiwillige Vorlage und trifft aus einem Meter ins leere Tor. "Uwe, Uwe" hallt es von den Rängen. Dann folgt der Pausenpfiff.

Herberger ermuntert seine Elf: "Macht nur weiter so! Ein Glück, dass ihr euch nach dem Schock so gut gefangen habt. Drückt aufs Tempo und lasst euch nicht unterkriegen.", heißt es in Fritz Walters WM-Buch So war es. Horst Eckel klagt über Kniebeschwerden, Masseur Erich Deuser nimmt sich seiner an. Weiter geht's. Es wird härter, Eckel muss wieder behandelt werden, Schäfer liegt nach einem Schlag gegen den Kehlkopf einige Minuten außerhalb. Argentinien drückt. Der Ausgleich liegt in der Luft, zumal Herkenrath seine Nervosität nicht verbergen kann. Nach einer Ecke kann er einen Kopfball nicht festhalten. Das Leder prallt an den Pfosten, wo zum Glück der 1,69 Meter kleine Georg Stollenwerk steht und rettet.

Dann nimmt Nestor Rossi Fritz Walter so hart ran, dass der nur noch humpelt. Er trifft ihn am linken Oberschenkel, "der Schmerz reißt mich von den Beinen". Walter verliert seine vornehme Zurückhaltung und nennt Rossi einen "Sauhund", ob er’s versteht oder nicht. Herberger stellt Walter für die letzten 20 Minuten auf Rechtsaußen, als Anspielstation taugt auch ein halber Fritz. Nur laufen kann er nicht mehr, Rahn tauscht mit ihm, ist nun rechter Läufer und muss gegen seine Natur auch Defensivaufgaben erfüllen. Beide Flügel sind lahmgelegt, da auch Schäfer angeschlagen ist.

Walter nimmt auf seine Weise Revanche, schickt in der 79. Minute wieder Rahn auf die Reise. Diesmal liegt der Ball auf seinem rechten Fuß, vor ihm noch ein Verteidiger und viel Gelände. Rund 30 Meter. Keiner rechnet aus dieser Position mit einem Schuss, auch Carrizo nicht. Rahn ist es recht. Es wird ein Flatterball, der sich um den Verteidiger schlängelt und dann als Aufsetzer im Tor landet. Rahn ist der Matchwinner; ein Tor mit links, ein Tor rechts, keins davon "normal" - aber beide zählen. Herkenrath hält noch einen Kopfball, dann ist es überstanden. Die ersten Punkte sind im Sack, und das gegen den vermeintlich stärksten Gegner. Hinterher zählen sie die Verletzten: Eckel (Schlag in die Nieren, Rückenprellung, Knie), Schmidt (Platzwunde am Auge, Tritt gegen den Knöchel), Fritz (Bluterguss im Knie), Schäfer (Kehlkopfprellung). Aber auch die Argentinier beklagen die deutsche Spielart, nie zuvor haben sie "sliding tacklings" gesehen. Bei einer WM lernen auch die Größten noch etwas.

Aufstellung: Herkenrath – Stollenwerk, Erhardt, Juskowiak – Eckel, Szymaniak – Fritz Walter, A. Schmidt – Rahn, Seeler, Schäfer.

Tore: 0:1 Garbatta (2.), 1:1 Rahn (32.), 2:1 Seeler (40.), 3:1 Rahn (79.).

Zuschauer: 31.156 in Malmö.

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"Nicht die Argentinier zauberten - nein wir!"

Stimmen zum Spiel:

Sepp Herberger (Bundestrainer): "Am stärksten beeindruckte mich, dass die Mannschaft nach der frühen 1:0-Führung der Argentinier nicht nervös wurde und ihre Bindung behielt. Der Schock wurde schnell überwunden. Jeder Spieler hielt sich an seine Anweisungen, das war das Entscheidende... Die Argentinier haben so gespielt, wie ich mir das vorgestellt hatte. Sie sind große Ballkünstler, aber es fehlt ihnen ein Schuss Zweckdienlichkeit. Uwe Seeler hat alle meine Erwartungen erfüllt. Er hat die Unbekümmertheit und das Draufgängertum der Jugend."

Guillermo Stabile (Trainer Argentinien): "Es gibt keinen besten deutschen Spieler. Die ganze Elf war überragend. Der deutsche Kampfgeist ist nicht zu überbieten. Wir hätten nur noch mit etwas Glück in der zweiten Halbzeit eine Wendung herbeiführen können. Mein Glückwunsch gilt Herberger, den ich, wie Sie ja wissen, immer außerordentlich geschätzt habe! Die Deutschen haben unser Spiel zerstört. Meine Mannschaft ist derartig gewalttätigen Fußball nicht gewöhnt."

Peco Bauwens (DFB-Präsident): "Die deutsche Mannschaft spielte mit allem Einsatz. Ein großartiger Sieg."

Hans Schäfer: "Hoffentlich wird unsere Mannschaft durch Verletzungen nicht allzu sehr geschwächt. Fritz Walter und Horst Eckel hat es offenbar schön erwischt. Ich erhielt einen Schlag mit der linken Hand gegen den Kehlkopf. Die Argentinier sind ganz schön rangegangen. Es war ein schwerer, aber ein verdienter Sieg."

Fritz Walter: "Ich will ganz ehrlich sein: Unentschieden - mehr hatte ich nicht erwartet. Doch der Sieg scheint mir verdient."

Helmut Rahn: "Ich sage nichts, aus mir bringt ihr nichts heraus." (aus Verärgerung über kritische Berichte)

Nestor Rossi (Argentinien): "Wir haben mit einem Tor zu hoch verloren, aber der deutsche Sieg ist verdient. Die Verletzung Fritz Walters war nicht von mir beabsichtigt, ich bedaure den Zusammenstoß."

Omar Orestes Corbatta (Argentinien): "Die deutsche Abwehr, besonders Stollenwerk, ist kaum auszuspielen."

"Die Deutschen demonstrierten eine Art des Fußballs, die sich Herberger patentieren lassen sollte, hätte er dafür einen Namen. Es haben in Malmö zwei Weltmeister gespielt. Der eine ist es noch, der zweite kann es werden." (Die Welt)

"Unsere Elf ist Weltklasse! Argentiniens Fußballkünstler niedergekämpft" (Bild)

"So können wir wieder Weltmeister werden! Nicht die Argentinier zauberten - nein wir!" (Kicker)

"Die Argentinier waren den extremen Anforderungen des Kampfes nicht gewachsen und mussten klar die größere Klasse der deutschen Mannschaft anerkennen." (La Prensa/Buenos Aires)

"Die deutsche Mannschaft, dezimiert und völlig auseinandergeraten nach ihrer Weltmeisterschaft 1954, hat sich wie durch ein Wunder wiedergefunden und auf imponierende Art und Weise vor Argentinien, einen der größten Favoriten der WM, gesetzt." (L'Equipe/Frankreich)

"Es war vielleicht das beste Spiel, das wir je in Malmö sahen." (Dagens Nyheter/Schweden)

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