"Wir müssen gesellschaftliche Orientierung geben"

Es war ein bewegtes und bewegendes Fußballjahr 2009. Ein Jahr der Triumphe, aber auch ein Jahr der tiefen Trauer. Was bleibt, sind vor allem vier Worte, die nachdenklich machen: "Fußball ist nicht alles." Gesagt hat sie Dr. Theo Zwanziger auf der Trauerfeier für Nationaltorhüter Robert Enke. Es war ein Satz des DFB-Präsidenten, der wie ein Leitsatz für den deutschen Fußball steht: Sportlicher Wettbewerb ist wichtig, aber der Mensch ist wichtiger. Deshalb betont Dr. Zwanziger im DFB.de-Gespräch der Woche mit Stephan Brause, auch in Zukunft der gesellschaftlichen Verantwortung des Fußballs einen hohen Stellenwert einzuräumen.

DFB.de: Herr Dr. Zwanziger, hätten wir dieses Interview vor zwei Monaten geführt, wäre Ihr Jahresfazit sicher ein anderes gewesen, oder?

Dr. Theo Zwanziger: Das stimmt wohl. Nachdem das zurückliegende Jahr für den Deutschen Fußball-Bund sportlich und gesellschaftspolitisch nahezu optimal gelaufen ist und wir zahlreiche Erfolge bejubeln konnten, hat uns alle der plötzliche und schreckliche Tod von Robert Enke besonders schwer getroffen. Und auch der vor wenigen Wochen bekannt gewordene Versuch, erneut Fußballspiele in Deutschland durch Sportwetten zu manipulieren, zeigt die Schattenseite unseres Sports und verändert dadurch natürlich mein Jahresfazit als DFB-Präsident.

DFB.de: Sie sprechen den Tod von Robert Enke an. Wie sehr hat Sie dieses Ereignis persönlich getroffen?

Zwanziger: Ich habe Robert Enke über die Nationalmannschaft sehr gut gekannt und in ihm immer einen großartigen Vorzeigeathleten gesehen, der bei den Fans unglaublich beliebt und stets positiv wirkend gewesen ist. Aus diesem Grund haben wir ihn ja auch als Paten für die integrative Arbeit des Verbandes gewinnen können. Umso mehr beschäftigt mich die Frage nach dem Warum bis heute. Ich muss zugeben, dass ich, trotz aller Erkenntnisse, die ich seit dem schrecklichen Tag bekommen habe, bislang über den Ansatz einer Antwort nicht hinausgekommen bin.

DFB.de: Glauben Sie, das ändert sich noch?

Zwanziger: Ich glaube kaum. Eine vollständige Antwort auf all die Fragen, die nicht nur mich bewegen, wird es wohl nie geben. Es wird einiges im Verborgenen bleiben.

DFB.de: Bei der Trauerfeier in Hannover haben Sie mehr Zivilcourage, ein Stück mehr Bekenntnis zur Würde des Menschen gefordert, damit sich so etwas nicht wiederholt. Wie kann der DFB dieses Vorhaben unterstützen?



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Es war ein bewegtes und bewegendes Fußballjahr 2009. Ein Jahr der Triumphe, aber auch ein Jahr der tiefen Trauer. Was bleibt, sind vor allem vier Worte, die nachdenklich machen: "Fußball ist nicht alles." Gesagt hat sie Dr. Theo Zwanziger auf der Trauerfeier für Nationaltorhüter Robert Enke. Es war ein Satz des DFB-Präsidenten, der wie ein Leitsatz für den deutschen Fußball steht: Sportlicher Wettbewerb ist wichtig, aber der Mensch ist wichtiger. Deshalb betont Dr. Zwanziger im DFB.de-Gespräch der Woche mit Stephan Brause, auch in Zukunft der gesellschaftlichen Verantwortung des Fußballs einen hohen Stellenwert einzuräumen.

DFB.de: Herr Dr. Zwanziger, hätten wir dieses Interview vor zwei Monaten geführt, wäre Ihr Jahresfazit sicher ein anderes gewesen, oder?

Dr. Theo Zwanziger: Das stimmt wohl. Nachdem das zurückliegende Jahr für den Deutschen Fußball-Bund sportlich und gesellschaftspolitisch nahezu optimal gelaufen ist und wir zahlreiche Erfolge bejubeln konnten, hat uns alle der plötzliche und schreckliche Tod von Robert Enke besonders schwer getroffen. Und auch der vor wenigen Wochen bekannt gewordene Versuch, erneut Fußballspiele in Deutschland durch Sportwetten zu manipulieren, zeigt die Schattenseite unseres Sports und verändert dadurch natürlich mein Jahresfazit als DFB-Präsident.

DFB.de: Sie sprechen den Tod von Robert Enke an. Wie sehr hat Sie dieses Ereignis persönlich getroffen?

Zwanziger: Ich habe Robert Enke über die Nationalmannschaft sehr gut gekannt und in ihm immer einen großartigen Vorzeigeathleten gesehen, der bei den Fans unglaublich beliebt und stets positiv wirkend gewesen ist. Aus diesem Grund haben wir ihn ja auch als Paten für die integrative Arbeit des Verbandes gewinnen können. Umso mehr beschäftigt mich die Frage nach dem Warum bis heute. Ich muss zugeben, dass ich, trotz aller Erkenntnisse, die ich seit dem schrecklichen Tag bekommen habe, bislang über den Ansatz einer Antwort nicht hinausgekommen bin.

DFB.de: Glauben Sie, das ändert sich noch?

Zwanziger: Ich glaube kaum. Eine vollständige Antwort auf all die Fragen, die nicht nur mich bewegen, wird es wohl nie geben. Es wird einiges im Verborgenen bleiben.

DFB.de: Bei der Trauerfeier in Hannover haben Sie mehr Zivilcourage, ein Stück mehr Bekenntnis zur Würde des Menschen gefordert, damit sich so etwas nicht wiederholt. Wie kann der DFB dieses Vorhaben unterstützen?

Zwanziger: Auch als Sportverband können wir sicher einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass Menschen mit einer ähnlichen Betroffenheit wie Robert Enke in unserer Gesellschaft künftig ein wenig mehr Orientierung, Hilfe und Unterstützung finden. Deshalb bin ich Teresa Enke auch sehr dankbar dafür, dass der DFB im Namen ihres Mannes eine Stiftung gründen darf. Dies werden wir jetzt sehr schnell umsetzen.

DFB.de: Mit welchem Ziel?

Zwanziger: Die Robert-Enke-Stiftung, die der DFB gemeinsam mit dem Ligaverband und Hannover 96 gründen wird, soll sich der Erforschung oder Behandlung von Kinder-Herzkrankheiten sowie der schwierigen Thematik Depression speziell im Sport, aber auch im „normalen“ Leben mit fachlicher Unterstützung stellen. Diese Unterstützung wurde uns übrigens auch bereits vom Bundesgesundheitsminister zugesichert.

DFB.de: Nach dem Tod des Nationaltorhüters bestimmte mit dem Wettskandal ein weiteres Thema die Schlagzeilen. Sie selbst machen seit dem Bekanntwerden der Verdachtsmomente im Gegensatz zum Hoyzer-Skandal 2005 einen relativ entspannten Eindruck. Woran liegt das?

Zwanziger: Es wird jeder verstehen, dass ich mich als DFB-Präsident über all diese Entwicklungen nicht sonderlich freue. Aber es stimmt, dass ich diese Dinge deutlich gelassener sehe als das, was vor fünf Jahren passiert ist.

DFB.de: Warum?

Zwanziger: Heute weiß ich, dass wir zum einen die Staatsanwaltschaft an unserer Seite haben, zum anderen haben wir als Verband nach dem Hoyzer-Skandal einige Dinge auf den Weg gebracht, so dass wir heute über ein Instrumentarium verfügen, welches eine wesentlich einfachere Abarbeitung der Vorgänge zulässt. Wir wissen jetzt, dass die Täter hohe Strafen erwarten und sollten tatsächlich Spiele manipuliert worden sein, so ist eine Wiederholung nur in der laufenden Saison möglich, da die früheren Spielzeiten rechtskräftig abgeschlossen und der DFB für diese Fälle somit auch nicht regresspflichtig ist. Durch Frühwarnsysteme und andere Einrichtungen, wie beispielsweise das Wettverbot für Trainer, haben wir uns auf solche Gefahren eingestellt.

DFB.de: Aber man kann doch immer mehr machen?

Zwanziger: Natürlich, deshalb werden wir uns, wenn das ganze Ausmaß der neuen Wett- und Spielmanipulationen endgültig bekannt ist, hinterfragen und prüfen, ob unsere nach dem Hoyzer-Skandal getroffenen Maßnahmen ausreichen und ob oder wie sie verbessert werden können. Aber das machen wir ohnehin permanent – auch ohne Wettskandal.

DFB.de: Aber einen „Rund-um-Schutz“ gegen Kriminalität von außen wird es für den Fußball wohl kaum geben können, oder?

Zwanziger: Kriminelle Energie ist in unserer heutigen Gesellschaft leider an allen Stellen vertreten. Es gibt Korruption in großen wie in kleinen Unternehmen und es gibt sie im staatlichen Bereich. Deshalb ist auch der Fußball nicht frei davon, aber diesen Anspruch haben wir auch nie erhoben. Entscheidend ist jedoch, wie man mit solchen Fällen umgeht: konsequent, aufarbeitend und bestrafend oder verschweigend und unter den Teppich kehrend? Und für den DFB gibt es, das möchte ich an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich sagen, unter meiner Leitung ausschließlich die erste Option.

DFB.de: Sie und andere Vertreter des DFB haben sich zuletzt immer wieder für eine Liberalisierung des deutschen Wettmarkts stark gemacht. Wieso?

Zwanziger: Es geht schlicht und einfach darum, dass es nicht sein kann, dass die Sportwetten in Deutschland, die ja nun mal vor allem vom Fußball gestaltet werden, im Ergebnis dazu führen, dass die Illegalen absahnen und sich aus den legal veranstalteten Wetten kaum noch Erträge für den Sport gewinnen lassen. Wie diese Situation schlussendlich gelöst wird, ist Sache der Länder, und wir werden deren Entscheidung auch respektieren, aber jeder muss sehen – und darauf wollen wir aufmerksam machen –, dass der derzeit herrschende Zustand inakzeptabel ist.

DFB.de: Kommen wir zu erfreulicheren Themen. Sportlich müssen Sie mit dem Jahr 2009 doch rundum zufrieden sein?

Zwanziger: Ohne Zweifel ja. Die vergangenen zwölf Monate waren wirklich etwas Besonderes. Die A-Mannschaft hat sich in einer schweren Gruppe souverän für die WM in Südafrika qualifiziert, die Frauen sind zum siebten Mal Europameister geworden und im Nachwuchsbereich waren wir sogar so erfolgreich, dass wir das erste Mal nach über 20 Jahren mit der Maurice-Burlaz-Trophäe der UEFA für unsere Jugendarbeit ausgezeichnet wurden. Eine besondere Ehrung, auf die der DFB sehr stolz sein kann.

DFB.de: Aber auch Ansporn, nicht nachzulassen.

Zwanziger: Genau. Natürlich dürfen wir uns über das Erreichte freuen, aber wir dürfen dabei nicht die Zukunft vergessen und uns auf den Lorbeeren ausruhen. So schön die jüngsten Erfolge auch sind: Stillstand heißt bekanntlich Rückschritt. Deshalb müssen Titel und Trophäen immer auch ein Ansporn sein, die Ausbildung in der Spitze durch unsere Eliteschulen des Fußballs und die Nachwuchsleistungszentren der Lizenzvereine weiter zu verbessern, ohne dabei die Basis zu vernachlässigen. Es wird auch wieder Jahre geben, in denen wir keine Titel gewinnen, aber wir werden stets versuchen, immer besser als alle anderen Verbände zu sein.

DFB.de: Was war denn Ihr ganz persönliches Highlight in diesem Jahr?

Zwanziger: Es gab so viele schöne Momente in diesem Jahr, die mich alle persönlich sehr stark involviert haben, da möchte ich eigentlich keine Rangliste aufstellen, weil jeder ganz besonders war.

DFB.de: Aber, Hand aufs Herz, die Verleihung des Leo-Baeck-Preises sticht schon ein wenig heraus, oder?

Zwanziger: Das war sicherlich ein ganz besonderer Moment, ja. Für mich ist es eine große Ehre, steht diese Auszeichnung doch stellvertretend für all diejenigen, die sich auf und neben den Fußballplätzen tagtäglich für ein tolerantes Zusammenspiel aller einsetzen. Die genau hinschauen, wo sich andere abwenden. Die anpacken, wo andere abwinken. Die aufstehen, wo andere sitzen bleiben. Kurzum: Es ist eine Würdigung für die verantwortungsvolle Rolle, die der Fußball mittlerweile in unserer Gesellschaft spielt und ein Ansporn nicht nachzulassen in dem Bestreben, den gegenseitigen Respekt und die Mitmenschlichkeit als verbindliche Spielregeln für alle weiter zu etablieren.

DFB.de: Blicken wir nach vorne. Das kommende Jahr steht vor allem im Zeichen der Weltmeisterschaft. Was erwarten Sie von der Nationalmannschaft?

Zwanziger: Die Vorfreude auf dieses Turnier ist bei mir bereits sehr groß und ich hoffe auf ein gutes Abschneiden unserer Mannschaft. Ich bin überzeugt, dass Deutschland zum vierten Mal Weltmeister werden kann, wenn unser Team in den entscheidenden Momenten die richtige Tagesform und das immer nötige Quäntchen Glück hat. Wir als Verband werden alles dafür tun, dass die Mannschaft optimale Voraussetzungen in der Vorbereitung und während des Turniers vorfindet, um das große Ziel auch tatsächlich zu erreichen.

DFB.de: Los geht es gegen Australien, Serbien und Ghana. Ihre Einschätzung zu dieser Auslosung?

Zwanziger: Ich denke, wir können zufrieden sein. Eine so genannte „Hammergruppe“ ist uns erspart geblieben, eine Garantie auf das Erreichen des Achtelfinales sind diese Gegner aber auch nicht. Alle haben vielleicht nicht den ganz großen Namen, sind aber unbequem zu spielen. Ich denke, dass es besonders wichtig ist, dass die Mannschaft gegen Australien einen konzentrierten und guten Start hinlegt.

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DFB.de: Unmittelbar nach dem Finale steht auch in Deutschland eine WM auf dem Programm, die der U 20-Frauen.

Zwanziger: Für den DFB ist dies eine ungemein wichtige Weltmeisterschaft. Schließlich ist sie im organisatorischen und logistischen Bereich so etwas wie der Testlauf für die Frauen-WM 2011. Außerdem hoffen wir natürlich, dass es unserer U 20 gelingt, durch gute Leistungen die Vorfreude in Deutschland auf die WM im darauf folgenden Jahr weiter zu steigern.

DFB.de: Im September 2010 endet dann auf dem Bundestag in Essen ihre erste Amtszeit als alleiniger DFB-Präsident. Haben Sie sich schon entschieden, ob Sie für eine weitere Periode kandidieren werden?

Zwanziger: Die Grundvoraussetzung dafür ist, dass ich gesund bleibe. Wenn mir dann trotz aller Aufgaben, die das Amt des DFB-Präsidenten mit sich bringt, noch genug Zeit für meine Familie bleibt, würde ich gerne erneut kandidieren. Die Arbeit an der Spitze des deutschen Fußballs, die ich schon 1998 als Büroleiter von Egidius Braun miterleben durfte, macht mir auch nach über zehn Jahren noch jeden Tag sehr viel Spaß.

DFB.de: Das heißt also ja?

Zwanziger: Es ist eine Ehre für mich, den DFB zu leiten und wenn es meine Freunde aus den Regional- und Landesverbänden sowie der Liga wünschen, werde ich dies gern weiterhin tun. Wichtig ist mir, dass der DFB den auf der gesellschaftlichen Ebene eingeschlagenen Weg fortsetzt und sich gleichzeitig klar zum Leistungssport bekennt.

DFB.de: Eine Frage darf zum Abschluss natürlich nicht fehlen. Was wünscht sich der DFB-Präsident ganz besonders für das neue Jahr?

Zwanziger: All das, was wir zuletzt auch 2009 wieder erleben mussten, hat gezeigt, dass Gesundheit und Zufriedenheit für jedermann am wichtigsten sind. Gesundheit ist ein Gut, an dem man zwar arbeiten, es aber nicht allein bestimmen kann. Zufriedenheit hingegen hängt ein Stück weit mit den Ansprüchen zusammen, die man stellt. Insoweit bin ich ein absolut zufriedener Mensch, weil ich gesund bin und zudem nicht nach etwas suche, was ich nicht habe, sondern mit dem zufrieden bin, was ich habe.

DFB.de: Und dem Verband?

Zwanziger: Dem DFB wünsche ich, dass er neben seinen vorrangigen sportlichen Zielen auf allen Ebenen, bis in den letzten Verein, seine gesellschaftliche Verantwortung nicht vergisst. Wir müssen auch 2010 sehen, dass wir als Sportverband über die große Möglichkeit verfügen, jungen Menschen nicht nur fußballerisches Können, sondern auch eine gesellschaftliche Orientierung zu geben.