Weltumsegler Boris Herrmann: "War in meiner eigenen Bubble"

Boris Herrmann sorgt seit Tagen weltweit für Schlagzeilen. Vor einer Woche ist der 39-Jährige von seiner spektakulären 80-tägigen Solo-Weltumsegelung zurückgekehrt und hat beim Vendée Globe einen hervorragenden fünften Rang belegt. Ein Crash kurz vor dem Ziel hatte einen möglichen Sieg verhindert. Am heutigen Sonntag loste Herrmann das Viertelfinale im DFB-Pokal aus. Im Interview auf DFB.de sprach er vor der Ziehung über sein größtes Abenteuer, sein Leben auf den Weltmeeren und sein neu gewonnenes Interesse am Fußball. 

DFB.de: Herr Herrmann, heute losen Sie das DFB-Pokalviertelfinale aus. Wissen Sie eigentlich, welche Mannschaften noch im Wettbewerb sind?

Boris Herrmann: Nein, ich hatte noch überhaupt keine Zeit, mich zu informieren. Welche Mannschaften sind noch dabei?

DFB.de: Rot-Weiss Essen, Holstein Kiel, Borussia Dortmund, RB Leipzig, Jahn Regensburg, Borussia Mönchengladbach, der VfL Wolfsburg und Werder Bremen.

Herrmann: Und der Erstgezogene hat immer Heimrecht, richtig?

DFB.de: Richtig. Außer bei Rot-Weiss Essen. Der Verein hat als Viertligist sicher Heimrecht.

Herrmann: OK, ich bin selbst gespannt auf die Paarungen, die ich ziehen werde. Groß vorbereiten kann ich mich nicht. Mal sehen, was passiert.

DFB.de: Gibt es einen Verein, den Sie besonders mögen?

Herrmann: Während meines Studiums habe ich in Bremen direkt in der Nähe des Weserstadions gewohnt. Wenn Werder ein Tor erzielt hat, konnte ich den Jubel der Fans hören. Deshalb habe ich einen Bezug zu Werder. Ich hatte zu dieser Zeit mal eine Knieverletzung. Und da konnte ich das orthopädische Fitnessstudio des Vereins im Stadion nutzen. Das war super. Da haben damals echt gute Leute gearbeitet, die mir während meiner Reha sehr geholfen haben. Deshalb ist mir Werder sympathisch. Vielleicht gelingt es mir ja, Bremen ein Heimspiel zuzulosen. (lacht) 

DFB.de: Sind Sie am Fußball interessiert?

Herrmann: Ich verfolge das Geschehen seit der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Vorher war das nicht der Fall. Aber nicht wirklich intensiv. Das hat allerdings nichts mit mangelndem Interesse zu tun. Es ist vielmehr der Tatsache geschuldet, dass ich einfach extrem wenig Zeit für solche Sachen haben. Ich bin auf die Themen fokussiert, die mich direkt betreffen.

DFB.de: Haben Sie selbst mal Fußball gespielt?

Herrmann: Nein, ich kann mit dem Ball am Fuß nichts anfangen. Dafür fehlt mir das Talent. Wenn in der Schule Mannschaften gewählt wurden, war ich immer einer der Letzten. Ich habe andere Stärken.

DFB.de: Bekommt man auf den Weltmeeren etwas vom Fußballgeschehen mit?

Herrmann: Ich habe teilweise die Nachrichten hören können. Das Weltgeschehen konnte ich so ganz gut im Blick halten. Ich meine, mich erinnern zu können, dass dort zwischendurch auch über das Fußballgeschehen berichtet wurde. Im Detail habe ich das allerdings nicht verfolgt. Ich war dort in meiner eigenen Bubble. 

DFB.de: Sie waren 80 Tage lang alleine auf den Weltmeeren unterwegs. Profifußballer bestreiten ihre Spiele normalerweise vor Tausenden Zuschauern in einer Mannschaft. Fehlt Ihnen dieser Teamgedanke manchmal?

Herrmann: Das Meiste, was ich in meinem Sport mache, ist auch innerhalb einer Mannschaft. Oder zumindest zu zweit. Die Solorennen kommen deutlich seltener vor. Wenn ich in vier Jahren zehn Rennen habe, dann sind zwei davon alleine, die übrigen finden in der Mannschaft oder mit einem weiteren Partner statt.

DFB.de: Seit ein paar Tagen haben Sie nach Ihrer Weltumsegelung wieder festen Boden unter den Füßen. Wie geht es Ihnen?

Herrmann: Mir geht es gut. Ich war ein paar Tage in Quarantäne und freue mich darüber, dass ich jetzt wieder raus kann. Ich habe zum Glück keine Probleme auf einem schaukelnden Schiff. Für mich macht es in diesem Punkt kein Unterschied, ob ich festen Boden unter den Füßen habe oder ob mein Boot im Wind schwankt. Schlimmer ist die Erschöpfung. Bis die aus meinem Körper ist, wird es noch etwas brauchen.

DFB.de: Hat sich Ihr Körper schon wieder auf "normales" Leben umgestellt?

Herrmann: Mein Leben ist ziemlich anders als vor meiner Abreise. Ich stehe derzeit extrem im Fokus der Öffentlichkeit. Aber das ist in Ordnung für mich. Es mag sich komisch anhören, aber im Moment genieße ich trotzdem die Ruhe. Auf dem Meer ist es immer laut. Der Sturm, die Wellen, dort ist es eigentlich niemals leise. Das ist an Land anders. Sogar in einer Großstadt wie Hamburg.

DFB.de: Wie schwer fällt es Ihnen, fast drei Monate auf Ihre Familie verzichten zu müssen?

Herrmann: Das ist natürlich eine der größten Herausforderungen, die ich zu bewältigen habe. Zum Glück ist das nur alle vier Jahre der Fall und es gibt inzwischen tolle technische Möglichkeiten, um trotzdem in Kontakt zu bleiben.

DFB.de: Bei Ihrem Start war Ihre Tochter Marie-Louise vier Monate alt. Jetzt ist sie bereits sieben Monate. Erkennen Sie sie noch wieder?

Herrmann: Sie ist groß geworden. Aber davon bin ich nicht überrascht worden. Auch während meiner Tour stand ich mit meiner Familie per Videotelefonie regelmäßig in Kontakt. Als ich losfuhr, war Malou noch nicht sehr aktiv. Jetzt kann man schon mit ihr toben und Späße machen. Dann freut sie sich und lacht. Sie hat mich wiedererkannt und nach ein paar Tagen sind wir auch schon wieder ganz vertraut. Aber bei ihr hat das länger gedauert als bei meinem Hund.

DFB.de: Sie waren 80 Tage lang völlig alleine auf den Weltmeeren unterwegs. Wie gehen Sie mit diesem Dauerstress um?

Herrmann: Ich komme jetzt langsam wieder zur Ruhe. Man weiß es plötzlich ganz anders zu schätzen, mal in Ruhe einen Film zu schauen oder einen Kaffee zu trinken. In den ersten Tagen nach meiner Rückkehr habe ich mir erstmal eine Pizza mit doppelt Käse gegönnt. Ich spüre, dass der Druck abfällt. Ich kann wieder ganz gut schlafen – bis meine sieben Monate alte Tochter mir mit ihren kleinen Füßen in den Rücken tritt. (lacht)

DFB.de: Gibt es auf dem Boot überhaupt mal die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen? Was ist mit schlafen?

Herrmann: Das ist schwierig. Man ist dauerhaft in einer Art Alarmzustand, weil wirklich in jedem Moment etwas Unvorhergesehenes passieren kann. Auf dem Schiff habe ich eigentlich nie länger als eine Stunde am Stück geschlafen. Ich habe immer ein Ohr am Boot. Deshalb kann ich nie ganz abschalten. 

DFB.de: Was ist mit anderen alltäglichen Sachen? Zum Beispiel dem Duschen?

Herrmann: Das ist eine Gewohnheitssache. In wärmeren Gegenden habe ich mich mit Salzwasser gewaschen. Das habe ich mir mit Eimern aus dem Meer geholt.

DFB.de: Wie haben Sie sich ernährt?

Herrmann: Ich habe in den 80 Tagen weder ab- noch zugenommen. Bei meiner Rückkehr hatte ich das gleiche Gewicht wie bei meiner Abfahrt. Wir hatten natürlich vorher sehr genau geplant, welche Verpflegung ich benötigen werde. Ich hatte genug Essen und Trinken an Bord. Ich nehme dort gefriergetrocknetes Essen zu mir, so wie beispielsweise auch Bergsteiger. Pro Tag waren es bei mir ungefähr 4000 Kalorien.

DFB.de: Wissen Sie, wo Sie Weihnachten und Neujahr gefeiert haben?

Herrmann: Ja, das weiß ich, weil das zwei der wenigen Tagen waren, an denen ich gutes Wetter hatte. Das war gut, weil ich da mal etwas durchatmen konnte. An Weihnachten war ich an einem der entlegensten Gebiete unseres Planeten: im Südpazifik irgendwo zwischen Neuseeland und Chile. Skipper nennen diesen Ort "Punkt Nemo". Dort ist man fast 2700 Kilometer vom nächstgelegenen Festland entfernt. An Heiligabend habe ich etwas gefeiert. Ich habe eine kleine Lichterkette angemacht und sie um die Fotos meiner Familie gelegt. Außerdem hatte ich ein paar Geschenke dabei, die ich ausgepackt habe. Ich habe einen französischen Eintopf gegessen und einen Wein getrunken. Besonders schön war, dass ich per WhatsApp mit meiner Frau und meiner Tochter sprechen konnte. Ich habe viele Sprachnachrichten von allen möglichen Freunden bekommen.

DFB.de: Sie mussten schlimme Stürme durchqueren. Haben Sie in solchen Momenten nicht Angst um Ihr Leben?

Herrmann: Nein, nicht um das Leben. Aber ich hatte die ganze Zeit Angst, dass an meinem Schiff etwas kaputt gehen könnte. Das ist ein Balanceakt zwischen möglichst schnell zu segeln und nichts kaputt zu machen. Das Material wird über einen langen Zeitraum stark belastet. Deshalb ist es schwer einzuschätzen, wo die Belastungsgrenze ist.

DFB.de: Welche Rolle hat Corona während ihrer Tour gespielt?

Herrmann: Auf dem Meer existiert Corona nicht. Dort draußen sind im Grunde keine Viren und Bakterien. Das ist einerseits gut, aber andererseits auch schlecht. Meine Abwehrkräfte sind kaum noch vorhanden, weil sie nicht gebraucht wurden. Ich muss zusehen, dass ich mein Immunsystem jetzt wieder stärke. Deshalb bin ich im Moment auch noch besonders vorsichtig. Vor dem Start musste ich zehn Tage in Quarantäne. Wäre ich positiv getestet worden, wäre ich ausgeschlossen worden.

DFB.de: Kurz vor dem Ziel kam es dann zu einem Crash mit einem riesigen Fischerboot. Wie denken Sie heute darüber?

Herrmann: Gar nicht. Ich versuche, das zu ignorieren. Man kann es drehen und wenden, wie man will. Es ist passiert und nicht mehr zu ändern. Deshalb spielt es für mich auch keine Rolle mehr.

DFB.de: Spitzensportler wie Novak Djokovic, Alexander Zverev oder Nico Rosberg haben gratuliert. Was bedeutet Ihnen die Aufmerksamkeit?

Herrmann: Das ist Klasse. Nico Rosberg kannte ich schon vorher. Wir haben früher schon privat Zeit zusammen verbracht. Ich freue mich über jede Anerkennung.

DFB.de: Hat sich Greta Thunberg schon gemeldet, die Sie im August 2019 auf einer Yacht über den Atlantik von Plymouth nach New York gebracht hatten, damit sie dort am UN-Klimagipfel teilnehmen konnte?

Herrmann: Ja, wir haben ein bisschen gesprochen. Sie hat auch ein Posting zu meiner Zielankunft gemacht. Ich bin zudem mit ihrem Vater befreundet. Wir haben uns länger unterhalten.

DFB.de: Was sind jetzt Ihre nächsten Ziele?

Herrmann: Erstmal habe ich unglaubliche viele Termine. Ich hätte nie gedacht, dass so viele Menschen etwas von mir wollen. Ich brauche aber auch etwas Zeit für mich und meine Familie. Im Herbst soll ein Buch über meine Tour erscheinen. Ich hätte Lust, mal wieder Kitesurfen zu gehen. Und dann wartet schon bald das nächste Abenteuer auf mich. Mal sehen, was da kommt. Segeln ist ein mechanischer Sport, so wie Autorennen. Das Team und die Technik nehmen total viel Raum ein. Wenn eine neue Autogeneration entwickelt wird, dauert es auch ewig und man ist sich nie ganz sicher, ob es in der nächsten Saison wirklich gut fährt und sie müssen es testen. Genauso ist es bei uns auch. Wenn alles klappt bei uns, könnte es für mich im Mai mit einem Rennen rund um Europa weitergehen. Aber ich bin noch etwas abwartend. Mal sehen, wie sich auch die Situation mit Corona entwickelt.

DFB.de: Ihr WhatsApp-Slogan lautet "A race we must win!". Ein neuer Angriff beim Vendée Globe also in vier Jahren?

Herrmann: Auf jeden Fall!

[sw]

Boris Herrmann sorgt seit Tagen weltweit für Schlagzeilen. Vor einer Woche ist der 39-Jährige von seiner spektakulären 80-tägigen Solo-Weltumsegelung zurückgekehrt und hat beim Vendée Globe einen hervorragenden fünften Rang belegt. Ein Crash kurz vor dem Ziel hatte einen möglichen Sieg verhindert. Am heutigen Sonntag loste Herrmann das Viertelfinale im DFB-Pokal aus. Im Interview auf DFB.de sprach er vor der Ziehung über sein größtes Abenteuer, sein Leben auf den Weltmeeren und sein neu gewonnenes Interesse am Fußball. 

DFB.de: Herr Herrmann, heute losen Sie das DFB-Pokalviertelfinale aus. Wissen Sie eigentlich, welche Mannschaften noch im Wettbewerb sind?

Boris Herrmann: Nein, ich hatte noch überhaupt keine Zeit, mich zu informieren. Welche Mannschaften sind noch dabei?

DFB.de: Rot-Weiss Essen, Holstein Kiel, Borussia Dortmund, RB Leipzig, Jahn Regensburg, Borussia Mönchengladbach, der VfL Wolfsburg und Werder Bremen.

Herrmann: Und der Erstgezogene hat immer Heimrecht, richtig?

DFB.de: Richtig. Außer bei Rot-Weiss Essen. Der Verein hat als Viertligist sicher Heimrecht.

Herrmann: OK, ich bin selbst gespannt auf die Paarungen, die ich ziehen werde. Groß vorbereiten kann ich mich nicht. Mal sehen, was passiert.

DFB.de: Gibt es einen Verein, den Sie besonders mögen?

Herrmann: Während meines Studiums habe ich in Bremen direkt in der Nähe des Weserstadions gewohnt. Wenn Werder ein Tor erzielt hat, konnte ich den Jubel der Fans hören. Deshalb habe ich einen Bezug zu Werder. Ich hatte zu dieser Zeit mal eine Knieverletzung. Und da konnte ich das orthopädische Fitnessstudio des Vereins im Stadion nutzen. Das war super. Da haben damals echt gute Leute gearbeitet, die mir während meiner Reha sehr geholfen haben. Deshalb ist mir Werder sympathisch. Vielleicht gelingt es mir ja, Bremen ein Heimspiel zuzulosen. (lacht) 

DFB.de: Sind Sie am Fußball interessiert?

Herrmann: Ich verfolge das Geschehen seit der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Vorher war das nicht der Fall. Aber nicht wirklich intensiv. Das hat allerdings nichts mit mangelndem Interesse zu tun. Es ist vielmehr der Tatsache geschuldet, dass ich einfach extrem wenig Zeit für solche Sachen haben. Ich bin auf die Themen fokussiert, die mich direkt betreffen.

DFB.de: Haben Sie selbst mal Fußball gespielt?

Herrmann: Nein, ich kann mit dem Ball am Fuß nichts anfangen. Dafür fehlt mir das Talent. Wenn in der Schule Mannschaften gewählt wurden, war ich immer einer der Letzten. Ich habe andere Stärken.

DFB.de: Bekommt man auf den Weltmeeren etwas vom Fußballgeschehen mit?

Herrmann: Ich habe teilweise die Nachrichten hören können. Das Weltgeschehen konnte ich so ganz gut im Blick halten. Ich meine, mich erinnern zu können, dass dort zwischendurch auch über das Fußballgeschehen berichtet wurde. Im Detail habe ich das allerdings nicht verfolgt. Ich war dort in meiner eigenen Bubble. 

DFB.de: Sie waren 80 Tage lang alleine auf den Weltmeeren unterwegs. Profifußballer bestreiten ihre Spiele normalerweise vor Tausenden Zuschauern in einer Mannschaft. Fehlt Ihnen dieser Teamgedanke manchmal?

Herrmann: Das Meiste, was ich in meinem Sport mache, ist auch innerhalb einer Mannschaft. Oder zumindest zu zweit. Die Solorennen kommen deutlich seltener vor. Wenn ich in vier Jahren zehn Rennen habe, dann sind zwei davon alleine, die übrigen finden in der Mannschaft oder mit einem weiteren Partner statt.

DFB.de: Seit ein paar Tagen haben Sie nach Ihrer Weltumsegelung wieder festen Boden unter den Füßen. Wie geht es Ihnen?

Herrmann: Mir geht es gut. Ich war ein paar Tage in Quarantäne und freue mich darüber, dass ich jetzt wieder raus kann. Ich habe zum Glück keine Probleme auf einem schaukelnden Schiff. Für mich macht es in diesem Punkt kein Unterschied, ob ich festen Boden unter den Füßen habe oder ob mein Boot im Wind schwankt. Schlimmer ist die Erschöpfung. Bis die aus meinem Körper ist, wird es noch etwas brauchen.

DFB.de: Hat sich Ihr Körper schon wieder auf "normales" Leben umgestellt?

Herrmann: Mein Leben ist ziemlich anders als vor meiner Abreise. Ich stehe derzeit extrem im Fokus der Öffentlichkeit. Aber das ist in Ordnung für mich. Es mag sich komisch anhören, aber im Moment genieße ich trotzdem die Ruhe. Auf dem Meer ist es immer laut. Der Sturm, die Wellen, dort ist es eigentlich niemals leise. Das ist an Land anders. Sogar in einer Großstadt wie Hamburg.

DFB.de: Wie schwer fällt es Ihnen, fast drei Monate auf Ihre Familie verzichten zu müssen?

Herrmann: Das ist natürlich eine der größten Herausforderungen, die ich zu bewältigen habe. Zum Glück ist das nur alle vier Jahre der Fall und es gibt inzwischen tolle technische Möglichkeiten, um trotzdem in Kontakt zu bleiben.

DFB.de: Bei Ihrem Start war Ihre Tochter Marie-Louise vier Monate alt. Jetzt ist sie bereits sieben Monate. Erkennen Sie sie noch wieder?

Herrmann: Sie ist groß geworden. Aber davon bin ich nicht überrascht worden. Auch während meiner Tour stand ich mit meiner Familie per Videotelefonie regelmäßig in Kontakt. Als ich losfuhr, war Malou noch nicht sehr aktiv. Jetzt kann man schon mit ihr toben und Späße machen. Dann freut sie sich und lacht. Sie hat mich wiedererkannt und nach ein paar Tagen sind wir auch schon wieder ganz vertraut. Aber bei ihr hat das länger gedauert als bei meinem Hund.

DFB.de: Sie waren 80 Tage lang völlig alleine auf den Weltmeeren unterwegs. Wie gehen Sie mit diesem Dauerstress um?

Herrmann: Ich komme jetzt langsam wieder zur Ruhe. Man weiß es plötzlich ganz anders zu schätzen, mal in Ruhe einen Film zu schauen oder einen Kaffee zu trinken. In den ersten Tagen nach meiner Rückkehr habe ich mir erstmal eine Pizza mit doppelt Käse gegönnt. Ich spüre, dass der Druck abfällt. Ich kann wieder ganz gut schlafen – bis meine sieben Monate alte Tochter mir mit ihren kleinen Füßen in den Rücken tritt. (lacht)

DFB.de: Gibt es auf dem Boot überhaupt mal die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen? Was ist mit schlafen?

Herrmann: Das ist schwierig. Man ist dauerhaft in einer Art Alarmzustand, weil wirklich in jedem Moment etwas Unvorhergesehenes passieren kann. Auf dem Schiff habe ich eigentlich nie länger als eine Stunde am Stück geschlafen. Ich habe immer ein Ohr am Boot. Deshalb kann ich nie ganz abschalten. 

DFB.de: Was ist mit anderen alltäglichen Sachen? Zum Beispiel dem Duschen?

Herrmann: Das ist eine Gewohnheitssache. In wärmeren Gegenden habe ich mich mit Salzwasser gewaschen. Das habe ich mir mit Eimern aus dem Meer geholt.

DFB.de: Wie haben Sie sich ernährt?

Herrmann: Ich habe in den 80 Tagen weder ab- noch zugenommen. Bei meiner Rückkehr hatte ich das gleiche Gewicht wie bei meiner Abfahrt. Wir hatten natürlich vorher sehr genau geplant, welche Verpflegung ich benötigen werde. Ich hatte genug Essen und Trinken an Bord. Ich nehme dort gefriergetrocknetes Essen zu mir, so wie beispielsweise auch Bergsteiger. Pro Tag waren es bei mir ungefähr 4000 Kalorien.

DFB.de: Wissen Sie, wo Sie Weihnachten und Neujahr gefeiert haben?

Herrmann: Ja, das weiß ich, weil das zwei der wenigen Tagen waren, an denen ich gutes Wetter hatte. Das war gut, weil ich da mal etwas durchatmen konnte. An Weihnachten war ich an einem der entlegensten Gebiete unseres Planeten: im Südpazifik irgendwo zwischen Neuseeland und Chile. Skipper nennen diesen Ort "Punkt Nemo". Dort ist man fast 2700 Kilometer vom nächstgelegenen Festland entfernt. An Heiligabend habe ich etwas gefeiert. Ich habe eine kleine Lichterkette angemacht und sie um die Fotos meiner Familie gelegt. Außerdem hatte ich ein paar Geschenke dabei, die ich ausgepackt habe. Ich habe einen französischen Eintopf gegessen und einen Wein getrunken. Besonders schön war, dass ich per WhatsApp mit meiner Frau und meiner Tochter sprechen konnte. Ich habe viele Sprachnachrichten von allen möglichen Freunden bekommen.

DFB.de: Sie mussten schlimme Stürme durchqueren. Haben Sie in solchen Momenten nicht Angst um Ihr Leben?

Herrmann: Nein, nicht um das Leben. Aber ich hatte die ganze Zeit Angst, dass an meinem Schiff etwas kaputt gehen könnte. Das ist ein Balanceakt zwischen möglichst schnell zu segeln und nichts kaputt zu machen. Das Material wird über einen langen Zeitraum stark belastet. Deshalb ist es schwer einzuschätzen, wo die Belastungsgrenze ist.

DFB.de: Welche Rolle hat Corona während ihrer Tour gespielt?

Herrmann: Auf dem Meer existiert Corona nicht. Dort draußen sind im Grunde keine Viren und Bakterien. Das ist einerseits gut, aber andererseits auch schlecht. Meine Abwehrkräfte sind kaum noch vorhanden, weil sie nicht gebraucht wurden. Ich muss zusehen, dass ich mein Immunsystem jetzt wieder stärke. Deshalb bin ich im Moment auch noch besonders vorsichtig. Vor dem Start musste ich zehn Tage in Quarantäne. Wäre ich positiv getestet worden, wäre ich ausgeschlossen worden.

DFB.de: Kurz vor dem Ziel kam es dann zu einem Crash mit einem riesigen Fischerboot. Wie denken Sie heute darüber?

Herrmann: Gar nicht. Ich versuche, das zu ignorieren. Man kann es drehen und wenden, wie man will. Es ist passiert und nicht mehr zu ändern. Deshalb spielt es für mich auch keine Rolle mehr.

DFB.de: Spitzensportler wie Novak Djokovic, Alexander Zverev oder Nico Rosberg haben gratuliert. Was bedeutet Ihnen die Aufmerksamkeit?

Herrmann: Das ist Klasse. Nico Rosberg kannte ich schon vorher. Wir haben früher schon privat Zeit zusammen verbracht. Ich freue mich über jede Anerkennung.

DFB.de: Hat sich Greta Thunberg schon gemeldet, die Sie im August 2019 auf einer Yacht über den Atlantik von Plymouth nach New York gebracht hatten, damit sie dort am UN-Klimagipfel teilnehmen konnte?

Herrmann: Ja, wir haben ein bisschen gesprochen. Sie hat auch ein Posting zu meiner Zielankunft gemacht. Ich bin zudem mit ihrem Vater befreundet. Wir haben uns länger unterhalten.

DFB.de: Was sind jetzt Ihre nächsten Ziele?

Herrmann: Erstmal habe ich unglaubliche viele Termine. Ich hätte nie gedacht, dass so viele Menschen etwas von mir wollen. Ich brauche aber auch etwas Zeit für mich und meine Familie. Im Herbst soll ein Buch über meine Tour erscheinen. Ich hätte Lust, mal wieder Kitesurfen zu gehen. Und dann wartet schon bald das nächste Abenteuer auf mich. Mal sehen, was da kommt. Segeln ist ein mechanischer Sport, so wie Autorennen. Das Team und die Technik nehmen total viel Raum ein. Wenn eine neue Autogeneration entwickelt wird, dauert es auch ewig und man ist sich nie ganz sicher, ob es in der nächsten Saison wirklich gut fährt und sie müssen es testen. Genauso ist es bei uns auch. Wenn alles klappt bei uns, könnte es für mich im Mai mit einem Rennen rund um Europa weitergehen. Aber ich bin noch etwas abwartend. Mal sehen, wie sich auch die Situation mit Corona entwickelt.

DFB.de: Ihr WhatsApp-Slogan lautet "A race we must win!". Ein neuer Angriff beim Vendée Globe also in vier Jahren?

Herrmann: Auf jeden Fall!

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