Unbekanntes Brasilien? Nicht für den 48-jährigen Thüringer Axel Brümmer. Seit über zwei Jahrzehnten durchstreift er gemeinsam mit seinem Co-Weltenbummler Peter Glöckner das fünftgrößte Land der Erde. Auf dem Fahrrad, im Faltboot, auf einer Dschunke und zu Fuß.
Schreckensszenarien, dass in Brasilien irgendwo irgendwann die W-LAN-Verbindung wackeln könnte, lösen bei Brümmer nicht unbedingt Panikattacken aus. Er behält Ruhepuls, auch wenn mitten im Dschungel mal eine Giftschlange seinen Weg kreuzt oder sich ein Spinnennetz groß wie fünf Parkplätze über seinem Haupt spannt. Im DFB.de-Interview mit Redakteur Thomas Hackbarth plaudert Axel Brümmer über die Lust am Leben, Freeclimbing am Zuckerhut und den souveränen Umgang mit Widrigkeiten - gerade im WM-Land Brasilien.
DFB.de: Herr Brümmer, Sie sind kein Freund des Euro. Besonders schmerzlich vermissen Sie das alte Fünfmarkstück. Warum eigentlich?
Axel Brümmer: Weil die Rückseite dieser Münze ein schöner, sehr offiziell aussehender Adler zierte. Rundes Motiv, ohne irgendwelchen Text, also perfekt. Wenn man die Münze in rote Tinte taucht, kann man sich an vielen Plätzen auf der Welt Eintritt verschaffen. Auf unserer ersten Fahrradtour in den neunziger Jahren quer durch China führte unsere Route durch Regionen, die für Touristen nicht gestattet waren. Später sind wir mit einer Dschunke auf Marco Polos Spuren von China zurück nach Italien gesegelt. Auch da hatten wir behördliche Probleme.
DFB.de: Und der Trick mit dem Fünfmarkstück hat immer geklappt?
Brümmer: Bis heute immer.
DFB.de: Seit 25 Jahren reisen Sie zusammen mit Peter Glöckner um die Welt. Wo waren sie beide eigentlich noch nicht?
Brümmer: Ich war früher Sportlehrer in der DDR und hatte ein paar Monate zu früh ein paar Demos organisiert. Irgendwann saß ich dann im Stasiknast. Nach dem Mauerfall sind Peter und ich direkt aufgebrochen, weil wir dachten, das muss jetzt in unseren Leben eine größere Bedeutung haben als die Tatsache, dass wir im Mediamarkt eine Mikrowelle kaufen dürfen. Wir wollten mit dem Fahrrad nach China fahren. Daraus wurden fünf Jahre und eine Weltreise. Bis heute haben wir 160 Länder mit dem Fahrrad durchstreift, 170.000 Kilometer auf dem Drahtesel. Mit unserer Dschunke haben wir zweimal die Welt umsegelt. Wir haben auf 40 Flüssen in Amazonien gepaddelt. Ich organisiere alles, Peter, der Schlosser gelernt hat, repariert vieles und verdient oft unterwegs das Geld.
DFB.de: Peter Glöckner schwärmt, Sie könnten jeden Zöllner oder Polizisten weltweit schwindlig quatschen. Eine überlebenswichtige Fähigkeit für einen Weltenbummler, oder?
Brümmer: Mit dem Einbaum sind wir einmal die Forschungsreisen von Alexander von Humboldt nachgereist, durchs Länderdreieck Kolumbien/Venezuela/Brasilien. Da muss man schon redegewandt sein, um sich überall durchzumogeln. Oder ein Fünfmarkstück in der Tasche haben. Bei der Begegnung mit Naturvölkern dagegen kommt es nicht so sehr darauf an, pausenlos zu reden, sondern eher auf Geduld und das richtige Gespür für die Situation.
DFB.de: Welche Sprachen decken Sie gemeinsam ab?
Brümmer: Mit Schulrussisch sind wir damals los gefahren. Auf der Straße haben wir dann Englisch, Spanisch und Portugiesisch gelernt. Ein paar Brocken Guarani, das besonders im südwestlichen Brasilien gesprochen wird, haben wir auch gelernt.
DFB.de: Besonders gerne sind Sie beide im Amazonasgebiet unterwegs. Was gefällt Ihnen im dicksten Dschungel denn so gut?
Brümmer: Dir begegnet dort eine wahnsinnig schöne Natur, der ganze zivilisatorische Lärm fehlt völlig, es ist ruhig. Mit einigen Indianerstämmen sind wir mittlerweile befreundet und haben deshalb einen guten Einblick, etwa in die Umweltprobleme. Immer wichtiger wird auch die Identitätsfindung dieser Völker, die natürlich immer mehr Kontakt mit der sogenannten Zivilisation haben.
DFB.de: Wer sich jetzt vorstellt, Axel Brümmer und Peter Glöckner werden von einem Outdoor-Unternehmen gesponsort, sind für alle Reiseeventualitäten perfekt ausgerüstet und funken in der Notlage den Helikopter an, liegt völlig daneben. Sie beiden mögen es spartanisch. Sie frieren, hungern und manchmal bluten Sie auch auf Ihren Reisen. Warum tun Sie sich so weh?
Brümmer: Als wir losfuhren damals nach dem Mauerfall, hatten wir nichts. Wir mussten uns durchschlagen, haben auf der Straße gelebt. Und lernten, dass diese Art des Reisens so viel schöner ist. Zwischenzeitlich wurden wir von einem Fotoapparat-Hersteller gesponsert. Der Vertrag ist ausgelaufen, ich erlebe das auch als Befreiung. Wir bestimmen wieder unseren Kurs. Wir wollen den Alltag sehen, nicht die Postkartenmotive. Wir haben noch nie die alte Inkafestung Machu Picchu besucht, obwohl es dort bestimmt sehr schön ist, dafür haben wir schon in einer Tortilla-Bäckerei in Mexico-City geschuftet und nachts mit der ganzen Familie im Backraum geschlafen. So wie wir reisen, ist man näher dran - an der Natur, an den Menschen, am Leben.
Axel Brümmer: Fußballfan und Weltenbummler
DFB.de: In Ihrem Buch "20 Jahre Abenteuer" beschreiben Sie, wie Sie und Glöckner mit dem Faltboot mitten durch das Gebiet der klapperlosen Klapperschlange paddelten - immerhin der weltweit zweitgrößten Giftschlange. Dann schreiben Sie fröhlich: "Ohne Serum, und natürlich hatten wir keines, brauchte man sich bei einem Biss zumindest keine Gedanken mehr um den Rentenanspruch machen". Sind Sie beide lebensmüde?
Brümmer: Quatsch, überhaupt nicht. Ich persönlich finde es in Deutschland auf der Autobahn auch nicht ungefährlich. Wir kennen uns aus, wir wissen, wo unsere Grenzen liegen. Wir sind keine außergewöhnlichen Menschen oder wahnsinnig durchtrainierte Extremsportler. Was wir machen, kann jeder, es braucht nur Geduld und die Bereitschaft, sich Zeit für sein Leben zu nehmen. Außerdem habe ich auf unseren Reisen gelernt: Jammern bringt nichts. Wenn der Berg zu steil wird, fluchen Peter und ich nicht, sondern steigen vom Fahrrad. Dann unterhalten wir uns und schieben das Rad langsam hoch. Wir haben vor Jahren die Wüstenregionen Australiens auf dem Fahrrad durchquert. Ein norwegischer Leistungssportler hat uns begleitet, der war jeden Abend völlig fertig. Wir nicht.
DFB.de: Hitze, Mittagsspiele, weite Flugreisen, Probleme mit Unterkünften oder kein W-LAN: Auch die Nationalmannschaft wird irgendwann auf Widrigkeiten in Brasilien stoßen. Haben Sie einen Tipp?
Brümmer: Für die deutsche Nationalmannschaft wird es ganz sicher eine klimatische Herausforderung werden. Auch die Sorgen wegen Bauverzögerungen bei den Stadien oder der Sicherheit sind nicht völlig unbegründet. Eine unvergessliche WM wird es dennoch werden. Diese Lebensfreude der Brasilianer wird alle verzaubern und mitreißen, die Fans aus aller Welt wie auch die Mannschaften.
DFB.de: Heute erreichen wir Sie in Salvador de Bahia, wo die deutsche Mannschaft am 7. Juni mit ihrem Flug aus Frankfurt landen wird. Ihre Frau betreibt in einer Favela von Salvador eine Schule. Dienstagnacht begannen Unruhen, die deutschen Medien berichten von vielen Toten.
Brümmer: Die Polizei streikt, das ist nicht gut, gestern wurden in der Favela vier Menschen erschossen. Ein Bekannter von uns arbeitet in einer Spezialeinheit, die ausrückt, wenn Polizisten unter Feuer und in Lebensgefahr geraten. Das passiert viermal pro Schicht. Ich habe großes Verständnis für die Proteste im Land. Bei den angeschobenen sozialen Projekten scheint mir doch vieles reine Kosmetik zu sein. Gleichzeitig ist es eben ein riesiges Land mit vielen Problemen. Langfristig bin ich trotz allem für Brasilien zuversichtlich.
DFB.de: Wie oft sind Sie noch in Deutschland?
Brümmer: Etwa für drei Monate im Jahr. Dann halten wir unsere Vorträge. Bei Kerner und Jauch haben wir schon von unseren Reisen erzählt.
DFB.de: In welcher Talkshow hat es Ihnen besser gefallen?
Brümmer: Bei Günther Jauch. Bei Johannes B. Kerner wurde es gerade lustig, wir haben erzählt, wie wir im Hilton von Kairo Klopapier geklaut haben, doch Kerner kehrte wieder auf seinen Spickzettel zurück und hakte die Fragen nacheinander ab. Schade.
DFB.de: Konzeptsendung! So machen wir das hier auch, also zurück zu unserem Thema. Bundestrainer Joachim Löw hat schon vor Monaten gewarnt: "Wer lamentiert, verliert". Dem können Sie nur zustimmen, oder?
Brümmer: Die brasilianische Kultur unterscheidet sich total von der deutschen. Man darf das nicht bekämpfen, man muss sich darauf einlassen können. Meine Großmutter hat, wenn sich Besuch anmeldete, nicht immer gleich hektisch aufgeräumt, sondern manchmal einfach ein Tuch drübergelegt. Genauso wird es in Brasilien während der WM sein. Es wird ein Tuch drübergelegt. Fans gebe ich den Tipp, etwa an der Copacabana oder anderen Touristenpunkten, besonders aufzupassen.
DFB.de: Peter Glöckner stieg auch schon mal auf den Zuckerhut. Bitte erzählen Sie uns von diesem Abenteuer!
Brümmer: Stundenlanges Anstehen an der Seilbahn ist einfach nicht unser Ding, also ist der Peter an der Rückseite und ohne jede Absicherung den Zuckerhut hochgeklettert. Ist nicht erwünscht, aber auch nicht verboten. Zwischen Copacabana und Zuckerhut liegt ein Militärcamp, dort kann man an die Küste laufen, von dort sieht man bereits den Einstieg.
DFB.de: Was fällt Ihnen ein zum Jojo-Effekt?
Brümmer: (lacht) In den zwei Monaten in Deutschland kommen schnell mal 15 Kilo drauf, aber das ist nicht schlimm. Wenn wir wieder im Busch sind, leben wir meistens nur von geröstetem Maniokmehl, dann geht das schnell wieder runter.
DFB.de: Wie oft waren Sie an Malaria erkrankt?
Brümmer: Zehnmal. Malaria gibt es in verschiedenen Ausprägungen, die Tropica ist wirklich schlimm, die tertiäre Malaria dagegen verkraftbar. Dass pro Jahr weltweit etwa zwei Millionen Menschen an Malaria sterben, liegt einfach daran, dass viele Arme sich die Medizin nicht leisten können. Während der Zeit der WM besteht kaum Ansteckungsrisiko, höchstens in Manaus. Dengue-Fieber ist ein Thema, einen Schutz durch Prophylaxen gibt es meines Wissens nach nicht. Ich hatte schon viermal Dengue. Kriegt man wieder los, aber zwei Wochen liegt man flach. Abends lieber keine Sandalen, sondern festes Schuhwerk tragen und alles kräftig einsprühen, das ist mein Tipp.
DFB.de: Wurden Sie schon mal von einer Schlange gebissen?
Brümmer: Einmal. Wir laufen oft tagelang mit der Machete durch dichten Dschungel, weil wir versuchen, den Oberlauf eines Flusses zu erreichen. Ich war so zerkratzt und zerstochen, dass ich den Biss nicht mal registriert hatte. Abends habe ich die Bisswunden entdeckt, die dann auch gleich anfingen zu eitern. Zehn Prozent der Schlangen sind giftig, nur ein Bruchteil davon tödlich giftig. Kein Fan muss Angst in Brasilien vor Tieren haben.
DFB.de: Seit einem Vierteljahrhundert sind Sie unterwegs. Sie haben mehr unverfälschte Natur gesehen als die meisten Menschen auf der Welt, kassieren später aber wahrscheinlich auch eine niedrigere Rente als die meisten Deutschen. War es das wert?
Brümmer: Definitiv. Wir standen mal vor der Entscheidung, über die Golan-Höhen zu wandern, als dort scharf geschossen wurde. Haben wir dann auch gemacht. Wir wollen einfach ran, wir wollen mit den Leuten reden, und mit 25 Jahren haben wir eine Menge Erfahrung. Wir reisen immer, um zu lernen. Unser Leben wird reicher durch Erlebnisse. Jeder muss herausfinden, was er im Leben haben möchte - ein Haus, ein teures Auto. Das alles hat auch seinen Reiz, aber ich möchte mit niemanden tauschen. Ich beschäftige mich seit einiger Zeit sehr intensiv mit brasilianischem Voodoo. Mir eröffnet sich dadurch eine andere Welt, die uns Europäern eigentlich mental und spirituell komplett verschlossen ist.
DFB.de: Lohnsteuerjahresausgleich, 40-Stunden-Woche, dienstags wird der Plastikmüll abgeholt - können Sie sich überhaupt noch vorstellen, ins bürgerliche Leben nach Deutschland zurückzukehren?
Brümmer: Nein. Ich liebe Deutschland. Die Menschen sind sehr offen, das Land hat weniger Bürokratie als viele andere Länder. Deutschland ist sehr sozial, die Deutschen sind auch politisch interessiert. Peter und ich engagieren uns für ein Projekt mit Straßenkindern in Bolivien, und viele Spenden kommen aus Deutschland. Deutschland ist meine Heimat und mir dennoch zu eng. Und für meine Vorstellung von Leben nicht spannend genug.
DFB.de: Rund 50 Tage vor dem WM-Eröffnungsspiel, spüren Sie die Vorfreude in Brasilien?
Brümmer: Ja, es wird bereits wahnsinnig viel diskutiert. Einige Brasilianer laufen hier durch die Favela mit Deutschland-Käppchen. Die WM wird eine wunderschöne Zeit werden.
DFB.de: Sie sind ja eher Radsportler als Fußballer. Werden Sie sich am 13. Juli dennoch das WM-Finale anschauen?
Brümmer: Da sind wir auf einer Reise von den Galapagos-Inseln bis runter an die Südspitze des Kontinents. Wahrscheinlich werden wir irgendwo im Busch bei einem Indianerstamm sitzen, den Generator anwerfen und dann hoffentlich brasilianisches Fernsehen schauen können.
Die beiden Weltenbummler und Journalisten Axel Brümmer und Peter Glöckner haben mehrere Bücher über ihre Reisen veröffentlicht. Wer vor der WM mehr über das Gastgeberland erfahren will, dem sei "Brasilianische Streifzüge", erschienen im Weltsichten-Verlag, empfohlen.
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Unbekanntes Brasilien? Nicht für den 48-jährigen Thüringer Axel Brümmer. Seit über zwei Jahrzehnten durchstreift er gemeinsam mit seinem Co-Weltenbummler Peter Glöckner das fünftgrößte Land der Erde. Auf dem Fahrrad, im Faltboot, auf einer Dschunke und zu Fuß.
Schreckensszenarien, dass in Brasilien irgendwo irgendwann die W-LAN-Verbindung wackeln könnte, lösen bei Brümmer nicht unbedingt Panikattacken aus. Er behält Ruhepuls, auch wenn mitten im Dschungel mal eine Giftschlange seinen Weg kreuzt oder sich ein Spinnennetz groß wie fünf Parkplätze über seinem Haupt spannt. Im DFB.de-Interview mit Redakteur Thomas Hackbarth plaudert Axel Brümmer über die Lust am Leben, Freeclimbing am Zuckerhut und den souveränen Umgang mit Widrigkeiten - gerade im WM-Land Brasilien.
DFB.de: Herr Brümmer, Sie sind kein Freund des Euro. Besonders schmerzlich vermissen Sie das alte Fünfmarkstück. Warum eigentlich?
Axel Brümmer: Weil die Rückseite dieser Münze ein schöner, sehr offiziell aussehender Adler zierte. Rundes Motiv, ohne irgendwelchen Text, also perfekt. Wenn man die Münze in rote Tinte taucht, kann man sich an vielen Plätzen auf der Welt Eintritt verschaffen. Auf unserer ersten Fahrradtour in den neunziger Jahren quer durch China führte unsere Route durch Regionen, die für Touristen nicht gestattet waren. Später sind wir mit einer Dschunke auf Marco Polos Spuren von China zurück nach Italien gesegelt. Auch da hatten wir behördliche Probleme.
DFB.de: Und der Trick mit dem Fünfmarkstück hat immer geklappt?
Brümmer: Bis heute immer.
DFB.de: Seit 25 Jahren reisen Sie zusammen mit Peter Glöckner um die Welt. Wo waren sie beide eigentlich noch nicht?
Brümmer: Ich war früher Sportlehrer in der DDR und hatte ein paar Monate zu früh ein paar Demos organisiert. Irgendwann saß ich dann im Stasiknast. Nach dem Mauerfall sind Peter und ich direkt aufgebrochen, weil wir dachten, das muss jetzt in unseren Leben eine größere Bedeutung haben als die Tatsache, dass wir im Mediamarkt eine Mikrowelle kaufen dürfen. Wir wollten mit dem Fahrrad nach China fahren. Daraus wurden fünf Jahre und eine Weltreise. Bis heute haben wir 160 Länder mit dem Fahrrad durchstreift, 170.000 Kilometer auf dem Drahtesel. Mit unserer Dschunke haben wir zweimal die Welt umsegelt. Wir haben auf 40 Flüssen in Amazonien gepaddelt. Ich organisiere alles, Peter, der Schlosser gelernt hat, repariert vieles und verdient oft unterwegs das Geld.
DFB.de: Peter Glöckner schwärmt, Sie könnten jeden Zöllner oder Polizisten weltweit schwindlig quatschen. Eine überlebenswichtige Fähigkeit für einen Weltenbummler, oder?
Brümmer: Mit dem Einbaum sind wir einmal die Forschungsreisen von Alexander von Humboldt nachgereist, durchs Länderdreieck Kolumbien/Venezuela/Brasilien. Da muss man schon redegewandt sein, um sich überall durchzumogeln. Oder ein Fünfmarkstück in der Tasche haben. Bei der Begegnung mit Naturvölkern dagegen kommt es nicht so sehr darauf an, pausenlos zu reden, sondern eher auf Geduld und das richtige Gespür für die Situation.
DFB.de: Welche Sprachen decken Sie gemeinsam ab?
Brümmer: Mit Schulrussisch sind wir damals los gefahren. Auf der Straße haben wir dann Englisch, Spanisch und Portugiesisch gelernt. Ein paar Brocken Guarani, das besonders im südwestlichen Brasilien gesprochen wird, haben wir auch gelernt.
DFB.de: Besonders gerne sind Sie beide im Amazonasgebiet unterwegs. Was gefällt Ihnen im dicksten Dschungel denn so gut?
Brümmer: Dir begegnet dort eine wahnsinnig schöne Natur, der ganze zivilisatorische Lärm fehlt völlig, es ist ruhig. Mit einigen Indianerstämmen sind wir mittlerweile befreundet und haben deshalb einen guten Einblick, etwa in die Umweltprobleme. Immer wichtiger wird auch die Identitätsfindung dieser Völker, die natürlich immer mehr Kontakt mit der sogenannten Zivilisation haben.
DFB.de: Wer sich jetzt vorstellt, Axel Brümmer und Peter Glöckner werden von einem Outdoor-Unternehmen gesponsort, sind für alle Reiseeventualitäten perfekt ausgerüstet und funken in der Notlage den Helikopter an, liegt völlig daneben. Sie beiden mögen es spartanisch. Sie frieren, hungern und manchmal bluten Sie auch auf Ihren Reisen. Warum tun Sie sich so weh?
Brümmer: Als wir losfuhren damals nach dem Mauerfall, hatten wir nichts. Wir mussten uns durchschlagen, haben auf der Straße gelebt. Und lernten, dass diese Art des Reisens so viel schöner ist. Zwischenzeitlich wurden wir von einem Fotoapparat-Hersteller gesponsert. Der Vertrag ist ausgelaufen, ich erlebe das auch als Befreiung. Wir bestimmen wieder unseren Kurs. Wir wollen den Alltag sehen, nicht die Postkartenmotive. Wir haben noch nie die alte Inkafestung Machu Picchu besucht, obwohl es dort bestimmt sehr schön ist, dafür haben wir schon in einer Tortilla-Bäckerei in Mexico-City geschuftet und nachts mit der ganzen Familie im Backraum geschlafen. So wie wir reisen, ist man näher dran - an der Natur, an den Menschen, am Leben.
Axel Brümmer: Fußballfan und Weltenbummler
DFB.de: In Ihrem Buch "20 Jahre Abenteuer" beschreiben Sie, wie Sie und Glöckner mit dem Faltboot mitten durch das Gebiet der klapperlosen Klapperschlange paddelten - immerhin der weltweit zweitgrößten Giftschlange. Dann schreiben Sie fröhlich: "Ohne Serum, und natürlich hatten wir keines, brauchte man sich bei einem Biss zumindest keine Gedanken mehr um den Rentenanspruch machen". Sind Sie beide lebensmüde?
Brümmer: Quatsch, überhaupt nicht. Ich persönlich finde es in Deutschland auf der Autobahn auch nicht ungefährlich. Wir kennen uns aus, wir wissen, wo unsere Grenzen liegen. Wir sind keine außergewöhnlichen Menschen oder wahnsinnig durchtrainierte Extremsportler. Was wir machen, kann jeder, es braucht nur Geduld und die Bereitschaft, sich Zeit für sein Leben zu nehmen. Außerdem habe ich auf unseren Reisen gelernt: Jammern bringt nichts. Wenn der Berg zu steil wird, fluchen Peter und ich nicht, sondern steigen vom Fahrrad. Dann unterhalten wir uns und schieben das Rad langsam hoch. Wir haben vor Jahren die Wüstenregionen Australiens auf dem Fahrrad durchquert. Ein norwegischer Leistungssportler hat uns begleitet, der war jeden Abend völlig fertig. Wir nicht.
DFB.de: Hitze, Mittagsspiele, weite Flugreisen, Probleme mit Unterkünften oder kein W-LAN: Auch die Nationalmannschaft wird irgendwann auf Widrigkeiten in Brasilien stoßen. Haben Sie einen Tipp?
Brümmer: Für die deutsche Nationalmannschaft wird es ganz sicher eine klimatische Herausforderung werden. Auch die Sorgen wegen Bauverzögerungen bei den Stadien oder der Sicherheit sind nicht völlig unbegründet. Eine unvergessliche WM wird es dennoch werden. Diese Lebensfreude der Brasilianer wird alle verzaubern und mitreißen, die Fans aus aller Welt wie auch die Mannschaften.
DFB.de: Heute erreichen wir Sie in Salvador de Bahia, wo die deutsche Mannschaft am 7. Juni mit ihrem Flug aus Frankfurt landen wird. Ihre Frau betreibt in einer Favela von Salvador eine Schule. Dienstagnacht begannen Unruhen, die deutschen Medien berichten von vielen Toten.
Brümmer: Die Polizei streikt, das ist nicht gut, gestern wurden in der Favela vier Menschen erschossen. Ein Bekannter von uns arbeitet in einer Spezialeinheit, die ausrückt, wenn Polizisten unter Feuer und in Lebensgefahr geraten. Das passiert viermal pro Schicht. Ich habe großes Verständnis für die Proteste im Land. Bei den angeschobenen sozialen Projekten scheint mir doch vieles reine Kosmetik zu sein. Gleichzeitig ist es eben ein riesiges Land mit vielen Problemen. Langfristig bin ich trotz allem für Brasilien zuversichtlich.
DFB.de: Wie oft sind Sie noch in Deutschland?
Brümmer: Etwa für drei Monate im Jahr. Dann halten wir unsere Vorträge. Bei Kerner und Jauch haben wir schon von unseren Reisen erzählt.
DFB.de: In welcher Talkshow hat es Ihnen besser gefallen?
Brümmer: Bei Günther Jauch. Bei Johannes B. Kerner wurde es gerade lustig, wir haben erzählt, wie wir im Hilton von Kairo Klopapier geklaut haben, doch Kerner kehrte wieder auf seinen Spickzettel zurück und hakte die Fragen nacheinander ab. Schade.
DFB.de: Konzeptsendung! So machen wir das hier auch, also zurück zu unserem Thema. Bundestrainer Joachim Löw hat schon vor Monaten gewarnt: "Wer lamentiert, verliert". Dem können Sie nur zustimmen, oder?
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Brümmer: Die brasilianische Kultur unterscheidet sich total von der deutschen. Man darf das nicht bekämpfen, man muss sich darauf einlassen können. Meine Großmutter hat, wenn sich Besuch anmeldete, nicht immer gleich hektisch aufgeräumt, sondern manchmal einfach ein Tuch drübergelegt. Genauso wird es in Brasilien während der WM sein. Es wird ein Tuch drübergelegt. Fans gebe ich den Tipp, etwa an der Copacabana oder anderen Touristenpunkten, besonders aufzupassen.
DFB.de: Peter Glöckner stieg auch schon mal auf den Zuckerhut. Bitte erzählen Sie uns von diesem Abenteuer!
Brümmer: Stundenlanges Anstehen an der Seilbahn ist einfach nicht unser Ding, also ist der Peter an der Rückseite und ohne jede Absicherung den Zuckerhut hochgeklettert. Ist nicht erwünscht, aber auch nicht verboten. Zwischen Copacabana und Zuckerhut liegt ein Militärcamp, dort kann man an die Küste laufen, von dort sieht man bereits den Einstieg.
DFB.de: Was fällt Ihnen ein zum Jojo-Effekt?
Brümmer: (lacht) In den zwei Monaten in Deutschland kommen schnell mal 15 Kilo drauf, aber das ist nicht schlimm. Wenn wir wieder im Busch sind, leben wir meistens nur von geröstetem Maniokmehl, dann geht das schnell wieder runter.
DFB.de: Wie oft waren Sie an Malaria erkrankt?
Brümmer: Zehnmal. Malaria gibt es in verschiedenen Ausprägungen, die Tropica ist wirklich schlimm, die tertiäre Malaria dagegen verkraftbar. Dass pro Jahr weltweit etwa zwei Millionen Menschen an Malaria sterben, liegt einfach daran, dass viele Arme sich die Medizin nicht leisten können. Während der Zeit der WM besteht kaum Ansteckungsrisiko, höchstens in Manaus. Dengue-Fieber ist ein Thema, einen Schutz durch Prophylaxen gibt es meines Wissens nach nicht. Ich hatte schon viermal Dengue. Kriegt man wieder los, aber zwei Wochen liegt man flach. Abends lieber keine Sandalen, sondern festes Schuhwerk tragen und alles kräftig einsprühen, das ist mein Tipp.
DFB.de: Wurden Sie schon mal von einer Schlange gebissen?
Brümmer: Einmal. Wir laufen oft tagelang mit der Machete durch dichten Dschungel, weil wir versuchen, den Oberlauf eines Flusses zu erreichen. Ich war so zerkratzt und zerstochen, dass ich den Biss nicht mal registriert hatte. Abends habe ich die Bisswunden entdeckt, die dann auch gleich anfingen zu eitern. Zehn Prozent der Schlangen sind giftig, nur ein Bruchteil davon tödlich giftig. Kein Fan muss Angst in Brasilien vor Tieren haben.
DFB.de: Seit einem Vierteljahrhundert sind Sie unterwegs. Sie haben mehr unverfälschte Natur gesehen als die meisten Menschen auf der Welt, kassieren später aber wahrscheinlich auch eine niedrigere Rente als die meisten Deutschen. War es das wert?
Brümmer: Definitiv. Wir standen mal vor der Entscheidung, über die Golan-Höhen zu wandern, als dort scharf geschossen wurde. Haben wir dann auch gemacht. Wir wollen einfach ran, wir wollen mit den Leuten reden, und mit 25 Jahren haben wir eine Menge Erfahrung. Wir reisen immer, um zu lernen. Unser Leben wird reicher durch Erlebnisse. Jeder muss herausfinden, was er im Leben haben möchte - ein Haus, ein teures Auto. Das alles hat auch seinen Reiz, aber ich möchte mit niemanden tauschen. Ich beschäftige mich seit einiger Zeit sehr intensiv mit brasilianischem Voodoo. Mir eröffnet sich dadurch eine andere Welt, die uns Europäern eigentlich mental und spirituell komplett verschlossen ist.
DFB.de: Lohnsteuerjahresausgleich, 40-Stunden-Woche, dienstags wird der Plastikmüll abgeholt - können Sie sich überhaupt noch vorstellen, ins bürgerliche Leben nach Deutschland zurückzukehren?
Brümmer: Nein. Ich liebe Deutschland. Die Menschen sind sehr offen, das Land hat weniger Bürokratie als viele andere Länder. Deutschland ist sehr sozial, die Deutschen sind auch politisch interessiert. Peter und ich engagieren uns für ein Projekt mit Straßenkindern in Bolivien, und viele Spenden kommen aus Deutschland. Deutschland ist meine Heimat und mir dennoch zu eng. Und für meine Vorstellung von Leben nicht spannend genug.
DFB.de: Rund 50 Tage vor dem WM-Eröffnungsspiel, spüren Sie die Vorfreude in Brasilien?
Brümmer: Ja, es wird bereits wahnsinnig viel diskutiert. Einige Brasilianer laufen hier durch die Favela mit Deutschland-Käppchen. Die WM wird eine wunderschöne Zeit werden.
DFB.de: Sie sind ja eher Radsportler als Fußballer. Werden Sie sich am 13. Juli dennoch das WM-Finale anschauen?
Brümmer: Da sind wir auf einer Reise von den Galapagos-Inseln bis runter an die Südspitze des Kontinents. Wahrscheinlich werden wir irgendwo im Busch bei einem Indianerstamm sitzen, den Generator anwerfen und dann hoffentlich brasilianisches Fernsehen schauen können.
Die beiden Weltenbummler und Journalisten Axel Brümmer und Peter Glöckner haben mehrere Bücher über ihre Reisen veröffentlicht. Wer vor der WM mehr über das Gastgeberland erfahren will, dem sei "Brasilianische Streifzüge", erschienen im Weltsichten-Verlag, empfohlen.