Voss-Tecklenburg: "Unser Potenzial ist längst nicht ausgeschöpft"

Das Länderspieljahr der deutschen Frauen-Nationalmannschaft endete, wie es im März begann: mit einem souveränen Sieg. Nach dem 3:1 in Dublin gegen Irland war die perfekte EM-Qualifikation ohne Punktverlust bei nur einem Gegentor realisiert. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg (52) spricht im DFB.de-Interview über ein besonderes Jahr, eine inspirierende Mannschaft und die Ziele der nächsten Monate.

DFB.de: Glückwunsch zu einer tollen EM-Qualifikation! Wie bewerten Sie den Abschluss des Länderspieljahres?

Martina Voss-Tecklenburg: Wir haben uns souverän für England 2022 qualifiziert. Zwar haben wir in Dublin unser erstes Gegentor des Wettbewerbs hinnehmen müssen, in der zweiten Halbzeit die Präzision und auch die Spielruhe etwas vermissen lassen. Aber insgesamt können wir zufrieden mit dem Verlauf der Qualifikation sein. Es spricht aber für die Mannschaft, dass sie in Dublin auch selbstkritisch war und nach dem Irland-Spiel sagt: Das können wir besser.

DFB.de: Ann-Katrin Berger hat ihr Debüt im Tor gefeiert. Wie schätzen Sie ihre Entwicklung ein, auch vor dem Hintergrund ihres schwierigen Lebenswegs mit einer überstandenen Krebserkrankung?

Voss-Tecklenburg: Für sie war es wichtig, dass sie ihr erstes Länderspiel für Deutschland macht. Ich erlebe sie als einen spannenden, in sich ruhenden Typ. Sie strahlt immer eine gewisse Ruhe aus und hat eine gute Physis. Sie setzt um, was in England beim FC Chelsea von ihr gefordert wird - das Spiel von hinten heraus zu machen und auch mutige Entscheidungen zu treffen. Das wiederum spiegelt ihren Lebensweg wider. Aus sportlicher und privater Sicht hat sie bereits mutige Entscheidungen getroffen und einige Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Das hat ihre Persönlichkeit enorm geprägt. Diese Stärke bei uns einzubringen, erwarten wir jetzt auch. Nun, nach ihrem ersten Länderspiel, ist sie in der Mannschaft angekommen und kann sich noch mehr als Persönlichkeit einbringen.

DFB.de: Merle Frohms, Laura Benkarth, Ann-Katrin Berger und Almuth Schult nach ihrer Pause ante portas: Wie ist der Kampf um die Torhüterinposition für die Europameisterschaft 2022 einzuschätzen?

Voss-Tecklenburg: Der Kampf um die Plätze wird auf allen Positionen immer forciert. Im Torhüterinnenbereich ist es aktuell sehr spannend. Wenn Almuth Schult es schafft, im kommenden Jahr zurückzukommen, haben wir vier Torhüterinnen mit einer großen Qualität. Alle bieten einen großen Mehrwert für die Mannschaft. Aktuell ist es so, dass Merle Frohms unsere Nummer eins ist - und das weiß auch die Mannschaft. Sowohl für uns als auch für die anderen Torhüterinnen wird es eine Herausforderung.

DFB.de: Wie fällt Ihr Gesamtfazit für das Jahr 2020 aus?

Voss-Tecklenburg: Sportlich gesehen war es ein schwieriges Jahr, weil wir nicht so viele Spiele machen konnten, wie wir uns das gewünscht hätten. Beim Algarve Cup haben wir es in zwei Spielen mit zwei sehr unterschiedlichen Aufstellungen sehr gut gemacht. Dann ist das dritte Spiel weggebrochen, es kam die Corona-Unterbrechung. In der EM-Qualifikation haben wir sehr früh unser Ziel erreicht und uns dann auf das Spiel gegen England gefreut, das wiederum nicht stattfinden konnte. Solche Spielausfälle lösen natürlich auch etwas im Teamprozess aus. Man freut sich auf die Partien, bereitet sich gut vor, ist gut drauf - und kann es dann nicht auf den Platz bringen.

DFB.de: Und doch konnte die Mannschaft ihre guten Leistungen bestätigen.

Voss-Tecklenburg: Deshalb ist es so wichtig zu zeigen, dass wir da sind und das Tempo hochhalten wollen. Wir haben in allen Spielen tolle Laufleistungen gebracht und die Werte kontinuierlich verbessert. Für uns als Trainerteam ist es sehr wichtig, die individuellen Entwicklungen der einzelnen Spielerinnen zu erleben, sowohl in den Klubs als auch bei uns. Wir haben schon richtig gute Schritte gesehen, freuen uns auf das neue Jahr und wollen diese positiven Erlebnisse und unsere Erfolge beibehalten. Deshalb ist 2020 sportlich gesehen auch kein verlorenes Jahr. Es war auf vielen Ebenen, besonders auf der mentalen, eine Herausforderung. Wir wissen, dass es für uns ein absolutes Privileg ist, unseren Beruf weiter ausüben zu dürfen. Da sind wir wirklich dankbar und demütig. Wir haben Spielerinnen, die sehr nachdenklich sind und in dieser Situation auch an die anderen Menschen denken. Das spiegelt den Charakter dieser Mannschaft wider.

DFB.de: Wenn man die Spielerinnen und Sie beim Training auf dem Platz sieht, erkennt man immer eine starke positive Energie, viel Lachen und Freude. Ist diese Beobachtung richtig?

Voss-Tecklenburg: Ich glaube, ohne diese Freude kann man keine gute Leistung bringen. Wir haben einige Änderungen im Trainerteam vorgenommen, haben die Rollen besser verteilt. Das klappt sehr gut. Mir ist es total wichtig, dass auf dem Platz Spaß herrscht, gelacht wird und man sich in manchen Situationen nicht zu ernst nimmt. Das bedeutet nicht, dass die Spielerinnen nicht die gleiche Seriosität, den Willen und den Fokus haben, Leistung zu bringen. Das eine schließt das andere überhaupt nicht aus. Die Mannschaft beherrscht es sehr gut, im richtigen Moment die nötige Ernsthaftigkeit zu haben. Ich würde mir eher Gedanken machen, wenn wir Spielerinnen hätten, die nicht lächeln. Jede Spielerin muss aus Freude und Überzeugung auf dem Platz stehen - das tun sie auch alle. Wäre das nicht der Fall, liefe etwas verkehrt.

DFB.de: Klingt, als wenn Ihnen Ihr Team unheimlich viel Spaß bereitet.

Voss-Tecklenburg: Diese Mannschaft hat ganz tolle Charaktere und Persönlichkeiten sowie eine gute Balance zwischen dieser jugendlichen Unbekümmertheit, der Frechheit, die wir auch brauchen, und der Seriosität der älteren Spielerinnen. Wir haben unser Leistungspotenzial noch längst nicht ausgeschöpft. Unser großer Vorteil ist, dass wir uns gegenseitig mitnehmen: Wir nehmen das Team mit, aber das Team nimmt auch uns mit. Die Spielerinnen kommen und fordern bei uns auch gewisse Dinge ein - gut so! Ich bin optimistisch, dass wir nicht nur die Freude beibehalten, sondern uns auch in der Qualität weiter verbessern können. Wir sind auf dem richtigen Weg.

DFB.de: Wir blicken Sie dem Jahr 2021 entgegen?

Voss-Tecklenburg: Es ist das erste oder - wenn man so will - auch das letzte Jahr vor der Europameisterschaft. Wir haben ganz klare Ziele, wie wir spielen wollen. Wir planen Begegnungen mit starken Gegnern und wollen unsere Leistungen aus diesem Jahr bestätigen. Wir wollen sehen, wie gut wir gegen Topgegner auftreten. In der zweiten Jahreshälfte werden wir dann in die WM-Qualifikation gehen. Da bleibt abzuwarten, welche Gegner in unsere Gruppe gelost werden. Wir werden das Team mit hochklassigen Länderspielen fordern, um dann in den Festigungsprozess zu gehen, wenn die EM näher rückt. Darauf freue ich mich sehr.

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Das Länderspieljahr der deutschen Frauen-Nationalmannschaft endete, wie es im März begann: mit einem souveränen Sieg. Nach dem 3:1 in Dublin gegen Irland war die perfekte EM-Qualifikation ohne Punktverlust bei nur einem Gegentor realisiert. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg (52) spricht im DFB.de-Interview über ein besonderes Jahr, eine inspirierende Mannschaft und die Ziele der nächsten Monate.

DFB.de: Glückwunsch zu einer tollen EM-Qualifikation! Wie bewerten Sie den Abschluss des Länderspieljahres?

Martina Voss-Tecklenburg: Wir haben uns souverän für England 2022 qualifiziert. Zwar haben wir in Dublin unser erstes Gegentor des Wettbewerbs hinnehmen müssen, in der zweiten Halbzeit die Präzision und auch die Spielruhe etwas vermissen lassen. Aber insgesamt können wir zufrieden mit dem Verlauf der Qualifikation sein. Es spricht aber für die Mannschaft, dass sie in Dublin auch selbstkritisch war und nach dem Irland-Spiel sagt: Das können wir besser.

DFB.de: Ann-Katrin Berger hat ihr Debüt im Tor gefeiert. Wie schätzen Sie ihre Entwicklung ein, auch vor dem Hintergrund ihres schwierigen Lebenswegs mit einer überstandenen Krebserkrankung?

Voss-Tecklenburg: Für sie war es wichtig, dass sie ihr erstes Länderspiel für Deutschland macht. Ich erlebe sie als einen spannenden, in sich ruhenden Typ. Sie strahlt immer eine gewisse Ruhe aus und hat eine gute Physis. Sie setzt um, was in England beim FC Chelsea von ihr gefordert wird - das Spiel von hinten heraus zu machen und auch mutige Entscheidungen zu treffen. Das wiederum spiegelt ihren Lebensweg wider. Aus sportlicher und privater Sicht hat sie bereits mutige Entscheidungen getroffen und einige Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Das hat ihre Persönlichkeit enorm geprägt. Diese Stärke bei uns einzubringen, erwarten wir jetzt auch. Nun, nach ihrem ersten Länderspiel, ist sie in der Mannschaft angekommen und kann sich noch mehr als Persönlichkeit einbringen.

DFB.de: Merle Frohms, Laura Benkarth, Ann-Katrin Berger und Almuth Schult nach ihrer Pause ante portas: Wie ist der Kampf um die Torhüterinposition für die Europameisterschaft 2022 einzuschätzen?

Voss-Tecklenburg: Der Kampf um die Plätze wird auf allen Positionen immer forciert. Im Torhüterinnenbereich ist es aktuell sehr spannend. Wenn Almuth Schult es schafft, im kommenden Jahr zurückzukommen, haben wir vier Torhüterinnen mit einer großen Qualität. Alle bieten einen großen Mehrwert für die Mannschaft. Aktuell ist es so, dass Merle Frohms unsere Nummer eins ist - und das weiß auch die Mannschaft. Sowohl für uns als auch für die anderen Torhüterinnen wird es eine Herausforderung.

DFB.de: Wie fällt Ihr Gesamtfazit für das Jahr 2020 aus?

Voss-Tecklenburg: Sportlich gesehen war es ein schwieriges Jahr, weil wir nicht so viele Spiele machen konnten, wie wir uns das gewünscht hätten. Beim Algarve Cup haben wir es in zwei Spielen mit zwei sehr unterschiedlichen Aufstellungen sehr gut gemacht. Dann ist das dritte Spiel weggebrochen, es kam die Corona-Unterbrechung. In der EM-Qualifikation haben wir sehr früh unser Ziel erreicht und uns dann auf das Spiel gegen England gefreut, das wiederum nicht stattfinden konnte. Solche Spielausfälle lösen natürlich auch etwas im Teamprozess aus. Man freut sich auf die Partien, bereitet sich gut vor, ist gut drauf - und kann es dann nicht auf den Platz bringen.

DFB.de: Und doch konnte die Mannschaft ihre guten Leistungen bestätigen.

Voss-Tecklenburg: Deshalb ist es so wichtig zu zeigen, dass wir da sind und das Tempo hochhalten wollen. Wir haben in allen Spielen tolle Laufleistungen gebracht und die Werte kontinuierlich verbessert. Für uns als Trainerteam ist es sehr wichtig, die individuellen Entwicklungen der einzelnen Spielerinnen zu erleben, sowohl in den Klubs als auch bei uns. Wir haben schon richtig gute Schritte gesehen, freuen uns auf das neue Jahr und wollen diese positiven Erlebnisse und unsere Erfolge beibehalten. Deshalb ist 2020 sportlich gesehen auch kein verlorenes Jahr. Es war auf vielen Ebenen, besonders auf der mentalen, eine Herausforderung. Wir wissen, dass es für uns ein absolutes Privileg ist, unseren Beruf weiter ausüben zu dürfen. Da sind wir wirklich dankbar und demütig. Wir haben Spielerinnen, die sehr nachdenklich sind und in dieser Situation auch an die anderen Menschen denken. Das spiegelt den Charakter dieser Mannschaft wider.

DFB.de: Wenn man die Spielerinnen und Sie beim Training auf dem Platz sieht, erkennt man immer eine starke positive Energie, viel Lachen und Freude. Ist diese Beobachtung richtig?

Voss-Tecklenburg: Ich glaube, ohne diese Freude kann man keine gute Leistung bringen. Wir haben einige Änderungen im Trainerteam vorgenommen, haben die Rollen besser verteilt. Das klappt sehr gut. Mir ist es total wichtig, dass auf dem Platz Spaß herrscht, gelacht wird und man sich in manchen Situationen nicht zu ernst nimmt. Das bedeutet nicht, dass die Spielerinnen nicht die gleiche Seriosität, den Willen und den Fokus haben, Leistung zu bringen. Das eine schließt das andere überhaupt nicht aus. Die Mannschaft beherrscht es sehr gut, im richtigen Moment die nötige Ernsthaftigkeit zu haben. Ich würde mir eher Gedanken machen, wenn wir Spielerinnen hätten, die nicht lächeln. Jede Spielerin muss aus Freude und Überzeugung auf dem Platz stehen - das tun sie auch alle. Wäre das nicht der Fall, liefe etwas verkehrt.

DFB.de: Klingt, als wenn Ihnen Ihr Team unheimlich viel Spaß bereitet.

Voss-Tecklenburg: Diese Mannschaft hat ganz tolle Charaktere und Persönlichkeiten sowie eine gute Balance zwischen dieser jugendlichen Unbekümmertheit, der Frechheit, die wir auch brauchen, und der Seriosität der älteren Spielerinnen. Wir haben unser Leistungspotenzial noch längst nicht ausgeschöpft. Unser großer Vorteil ist, dass wir uns gegenseitig mitnehmen: Wir nehmen das Team mit, aber das Team nimmt auch uns mit. Die Spielerinnen kommen und fordern bei uns auch gewisse Dinge ein - gut so! Ich bin optimistisch, dass wir nicht nur die Freude beibehalten, sondern uns auch in der Qualität weiter verbessern können. Wir sind auf dem richtigen Weg.

DFB.de: Wir blicken Sie dem Jahr 2021 entgegen?

Voss-Tecklenburg: Es ist das erste oder - wenn man so will - auch das letzte Jahr vor der Europameisterschaft. Wir haben ganz klare Ziele, wie wir spielen wollen. Wir planen Begegnungen mit starken Gegnern und wollen unsere Leistungen aus diesem Jahr bestätigen. Wir wollen sehen, wie gut wir gegen Topgegner auftreten. In der zweiten Jahreshälfte werden wir dann in die WM-Qualifikation gehen. Da bleibt abzuwarten, welche Gegner in unsere Gruppe gelost werden. Wir werden das Team mit hochklassigen Länderspielen fordern, um dann in den Festigungsprozess zu gehen, wenn die EM näher rückt. Darauf freue ich mich sehr.

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