Vor 60 Jahren: Abenteuer im Morgenland

Vor 60 Jahren verließ die deutsche Nationalmannschaft zum ersten Mal für ein Länderspiel Europa. Das Spiel in Ägypten kurz nach Weihnachten war unter vielen Aspekten ein besonderes – nicht nur wegen des ungewöhnlichsten Mannschaftsfotos der DFB-Geschichte.

Der Wecker klingelte morgens um drei, und das am zweiten Weihnachtsfeiertag. Wer so früh aufsteht, wenn alle anderen selig schlummern, der muss Großes vorhaben. Max Morlock, Weltmeister von 1954, hatte Großes vor. Die letzte Länderspielreise seiner Karriere führte den Nürnberger nach Ägypten – und sie war zugleich die erste einer deutschen Nationalmannschaft, mit der sie die Grenzen Europas verließ. Vor 60 Jahren startete das Abenteuer, das den Gebrauch der Floskel von der "Reise ins Ungewisse" rechtfertigte. Diese Reise war für alle ein echtes Abenteuer.

Stunde des "zweiten Anzugs" schlägt

Auch sportlich war einiges im Unklaren. Wenig bis nichts wusste man über den Gegner aus dem Morgenland. Zudem war nicht einmal geregelt, ob die beiden Partien mit den Ägyptern als offizielle Länderspiele zählen würden. Die Gastgeber, die dem DFB eine offizielle Einladung geschickt hatten, wollten es gerne, aber die deutsche Seite hatte so ihre Bedenken. Man wollte sich ja nicht blamieren und die Gefahr bestand durchaus zu einem derart ungewöhnlichen Termin, der bei vielen Spielern aus nachvollziehbaren Gründen nicht sonderlich beliebt war.

Nach Ägypten ging es ohne Uwe Seeler, Horst Szymaniak, Helmut Haller, Rolf Geiger und "Aki" Schmidt, um nur einige zu nennen – da schlug die Stunde des zweiten Anzugs. An Bord des Flugs waren an jenem 26. Dezember 1958 nicht weniger als neun Neulinge, die natürlich alle schon in Herbergers Notizbuch gestanden hatten. Ihre Namen kannten damals aber nur Experten: Torwart Fritz Ewert (1. FC Köln), die Verteidiger Walter Zastrau (Rot-Weiss Essen) und Willi Giesemann (VfL Wolfsburg), die Mittelfeldspieler Alfred Pyka (Westfalia Herne) und Heinz Kördell (Schalke 04) und die Stürmer Helmut Faeder (Hertha BSC), Theo Klöckner (Schwarz-Weiß Essen), Carl Ringel (Borussia Neunkirchen) und Otto Keller (vom drittklassigen Bochumer Stadtteilverein Märkischer BV Linden).

Im Gepäck: ein Tannenbaum

Ein besonderer Spaß war der Flug, den auch ein zusammenklappbarer Tannenbaum mitmachte, ohnehin nicht. Über Florenz fiel einer von vier Motoren aus, weshalb man später als geplant zur zweiten Zwischenlandung (nach Genf) in Athen landete. Da die Reparatur dort nicht glückte, musste die Maschine gewechselt werden. Kaum gestartet, musste der Abflug wegen des Ausfalls einer Lichtmaschine gestoppt werden. Nach drei weiteren Stunden des Wartens auf dem Flughafen Athen ging es endlich los und am Samstagmorgen, einen Tag vor dem Spiel, landeten die Deutschen im frühlingshaften Kairo, wo das Thermometer 22 Grad zeigte.

An Training war nicht mehr zu denken, die völlig übermüdeten Helden wollten erst mal ins Bett, ehe nachmittags ein Stadtbummel anstand. Noch am Spieltag folgten sie dann der Einladung des Regierungschefs in den Palast des Ex-Königs Faruk, alle trugen sich ins Goldene Buch ein. Dann erst stand fest, dass sich diejenigen, die spielten, auch in den Länderspielchroniken verewigen würden. Herberger hatte einem Kompromiss zugestimmt: Die erste der beiden Partien wurde als offizielles Länderspiel gewertet.

Der Chef schickte mit Zastrau, Pyka, Faeder und Klöckner gleich vier Debütanten aufs Feld und da Auswechslungen zumindest in Tests erlaubt waren, kamen nach der Pause auch Kördell und Ringel zu Länderspielehren. Ringel hatte zuvor schon zweimal für das bis 1957 autarke Saarland gespielt. Mit Helmut Rahn, Karl Mai und Max Morlock standen immerhin drei Weltmeister auf dem Platz, die einzigen mit einer zweistelligen Länderspielzahl. Diese Mannschaft, die nie zusammen trainiert geschweige denn gespielt hatte, konnte nicht harmonieren und an diesem Tag auch nicht gewinnen. 30.000 Fans sahen einen Sieg der Gastgeber. Das 0:1 durch einen Elfmeter (25.) glich Morlock (36.) in seinem 26. und letzten Länderspiel noch aus, aber auf das 2:1 (50.) hatten die DFB-Vertreter keine Antwort mehr.

Kamelfigur aus Leder

Die Deutschen ließen sich den Aufenthalt nicht verderben und genossen die Attraktionen des Landes. Auf einem Basar handelte Hans Tilkowski den Preis für eine Kamelfigur aus Leder von 80 auf zwölf Piaster herunter. Vor den Pyramiden von Gizeh entstand am 29. Dezember 1958 das wohl ungewöhnlichste Mannschaftsfoto der DFB-Historie. Die hintere Reihe war eine halbe Körperlänge "größer", denn sie saß auf Kamelen, unter ihnen natürlich "Boss" Rahn, Morlock, Torwart Tilkowski, aber auch Herberger und die Debütanten Kördell und Zastrau.

Für sechs Spieler blieb es der einzige Ausflug mit der Nationalmannschaft. Klöckner kam noch zu einem zweiten Länderspiel und Willi Giesemann machte nach seinem Wechsel zum HSV Karriere, fuhr zur WM 1962 nach Chile und absolvierte 14 Länderspiele. Nur Keller und Ersatzkeeper Ewert, der 1959 gegen die Niederlande debütierte und es auf vier Spiele brachte, kamen in Kairo nicht zum Einsatz. Auch nicht am Neujahrstag, in Spiel Nummer zwei, im Phantomspiel. Die Partie wurde 2:1 gewonnen – aber weder die Aufstellung noch die Torschützen Ringel (19.) und Morlock (69.) wurden je offiziell registriert.

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Vor 60 Jahren verließ die deutsche Nationalmannschaft zum ersten Mal für ein Länderspiel Europa. Das Spiel in Ägypten kurz nach Weihnachten war unter vielen Aspekten ein besonderes – nicht nur wegen des ungewöhnlichsten Mannschaftsfotos der DFB-Geschichte.

Der Wecker klingelte morgens um drei, und das am zweiten Weihnachtsfeiertag. Wer so früh aufsteht, wenn alle anderen selig schlummern, der muss Großes vorhaben. Max Morlock, Weltmeister von 1954, hatte Großes vor. Die letzte Länderspielreise seiner Karriere führte den Nürnberger nach Ägypten – und sie war zugleich die erste einer deutschen Nationalmannschaft, mit der sie die Grenzen Europas verließ. Vor 60 Jahren startete das Abenteuer, das den Gebrauch der Floskel von der "Reise ins Ungewisse" rechtfertigte. Diese Reise war für alle ein echtes Abenteuer.

Stunde des "zweiten Anzugs" schlägt

Auch sportlich war einiges im Unklaren. Wenig bis nichts wusste man über den Gegner aus dem Morgenland. Zudem war nicht einmal geregelt, ob die beiden Partien mit den Ägyptern als offizielle Länderspiele zählen würden. Die Gastgeber, die dem DFB eine offizielle Einladung geschickt hatten, wollten es gerne, aber die deutsche Seite hatte so ihre Bedenken. Man wollte sich ja nicht blamieren und die Gefahr bestand durchaus zu einem derart ungewöhnlichen Termin, der bei vielen Spielern aus nachvollziehbaren Gründen nicht sonderlich beliebt war.

Nach Ägypten ging es ohne Uwe Seeler, Horst Szymaniak, Helmut Haller, Rolf Geiger und "Aki" Schmidt, um nur einige zu nennen – da schlug die Stunde des zweiten Anzugs. An Bord des Flugs waren an jenem 26. Dezember 1958 nicht weniger als neun Neulinge, die natürlich alle schon in Herbergers Notizbuch gestanden hatten. Ihre Namen kannten damals aber nur Experten: Torwart Fritz Ewert (1. FC Köln), die Verteidiger Walter Zastrau (Rot-Weiss Essen) und Willi Giesemann (VfL Wolfsburg), die Mittelfeldspieler Alfred Pyka (Westfalia Herne) und Heinz Kördell (Schalke 04) und die Stürmer Helmut Faeder (Hertha BSC), Theo Klöckner (Schwarz-Weiß Essen), Carl Ringel (Borussia Neunkirchen) und Otto Keller (vom drittklassigen Bochumer Stadtteilverein Märkischer BV Linden).

Im Gepäck: ein Tannenbaum

Ein besonderer Spaß war der Flug, den auch ein zusammenklappbarer Tannenbaum mitmachte, ohnehin nicht. Über Florenz fiel einer von vier Motoren aus, weshalb man später als geplant zur zweiten Zwischenlandung (nach Genf) in Athen landete. Da die Reparatur dort nicht glückte, musste die Maschine gewechselt werden. Kaum gestartet, musste der Abflug wegen des Ausfalls einer Lichtmaschine gestoppt werden. Nach drei weiteren Stunden des Wartens auf dem Flughafen Athen ging es endlich los und am Samstagmorgen, einen Tag vor dem Spiel, landeten die Deutschen im frühlingshaften Kairo, wo das Thermometer 22 Grad zeigte.

An Training war nicht mehr zu denken, die völlig übermüdeten Helden wollten erst mal ins Bett, ehe nachmittags ein Stadtbummel anstand. Noch am Spieltag folgten sie dann der Einladung des Regierungschefs in den Palast des Ex-Königs Faruk, alle trugen sich ins Goldene Buch ein. Dann erst stand fest, dass sich diejenigen, die spielten, auch in den Länderspielchroniken verewigen würden. Herberger hatte einem Kompromiss zugestimmt: Die erste der beiden Partien wurde als offizielles Länderspiel gewertet.

Der Chef schickte mit Zastrau, Pyka, Faeder und Klöckner gleich vier Debütanten aufs Feld und da Auswechslungen zumindest in Tests erlaubt waren, kamen nach der Pause auch Kördell und Ringel zu Länderspielehren. Ringel hatte zuvor schon zweimal für das bis 1957 autarke Saarland gespielt. Mit Helmut Rahn, Karl Mai und Max Morlock standen immerhin drei Weltmeister auf dem Platz, die einzigen mit einer zweistelligen Länderspielzahl. Diese Mannschaft, die nie zusammen trainiert geschweige denn gespielt hatte, konnte nicht harmonieren und an diesem Tag auch nicht gewinnen. 30.000 Fans sahen einen Sieg der Gastgeber. Das 0:1 durch einen Elfmeter (25.) glich Morlock (36.) in seinem 26. und letzten Länderspiel noch aus, aber auf das 2:1 (50.) hatten die DFB-Vertreter keine Antwort mehr.

Kamelfigur aus Leder

Die Deutschen ließen sich den Aufenthalt nicht verderben und genossen die Attraktionen des Landes. Auf einem Basar handelte Hans Tilkowski den Preis für eine Kamelfigur aus Leder von 80 auf zwölf Piaster herunter. Vor den Pyramiden von Gizeh entstand am 29. Dezember 1958 das wohl ungewöhnlichste Mannschaftsfoto der DFB-Historie. Die hintere Reihe war eine halbe Körperlänge "größer", denn sie saß auf Kamelen, unter ihnen natürlich "Boss" Rahn, Morlock, Torwart Tilkowski, aber auch Herberger und die Debütanten Kördell und Zastrau.

Für sechs Spieler blieb es der einzige Ausflug mit der Nationalmannschaft. Klöckner kam noch zu einem zweiten Länderspiel und Willi Giesemann machte nach seinem Wechsel zum HSV Karriere, fuhr zur WM 1962 nach Chile und absolvierte 14 Länderspiele. Nur Keller und Ersatzkeeper Ewert, der 1959 gegen die Niederlande debütierte und es auf vier Spiele brachte, kamen in Kairo nicht zum Einsatz. Auch nicht am Neujahrstag, in Spiel Nummer zwei, im Phantomspiel. Die Partie wurde 2:1 gewonnen – aber weder die Aufstellung noch die Torschützen Ringel (19.) und Morlock (69.) wurden je offiziell registriert.

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