Vor 40 Jahren: Als "Katsche" einen Tag lang "Kaiser" war

In unregelmäßiger Reihenfolge erinnert DFB.de an große Ereignisse im deutschen Fußball, an Meilensteine und Zäsuren, an große und kleine Helden und auch an tragische Momente. Heute: Als der Katsche einen Tag lang Kaiser war.

Sein ganzes Fußballerleben stand er im Schatten des "Kaisers" und fühlte sich wohl dabei. Hans-Georg Schwarzenbecks Karriere wäre ohne Franz Beckenbauer wohl nicht denkbar gewesen, nicht bei den Bayern und schon gar nicht in der Nationalmannschaft. Die große Bayern-Ära der Siebziger ging einher mit der der DFB-Auswahl, die 1972 Europameister und 1974 Weltmeister wurde. Nicht zu vergessen der zweite Platz bei der EM 1976. Und der "Katsche", wie sie Schwarzenbeck alle riefen, war immer dabei – als "Putzer des Kaisers".

43 Länderspiele zwischen 1971 und 1976

Torwart Maier, Libero Beckenbauer, Vorstopper Schwarzenbeck – wenn dieses Trio auflief, waren Trainer und Mitspieler beruhigt. Menschlich waren sie grundverschieden. Hier Spaßvogel Sepp Maier, dort Weltmann Franz Beckenbauer, dem alles zu gelingen schien, und dort der brave Soldat Katsche, der nichts mehr fürchtete als das Rampenlicht.

Er wurde immer etwas belächelt ob seines eckigen Laufstils, auch war der Ball nicht sein bester Freund. Aber er war stets zuverlässig, laufstark und hatte einen Mordsschuss – mit beiden Füßen. Kopfballstark war er sowieso. Er war der geborene Vorstopper und als solcher machte er von Februar 1971 bis November 1976 stolze 43 Länderspiele von 54 möglichen.

"Rückzug" des Kaisers am 23. Februar 1977

Dann war plötzlich Schluss. Nach der geglückten Revanche für das verlorene EM-Finale 1976 gegen die Tschechen (2:0 in Hannover) – kamen einige Faktoren zusammen. Zum einen die Krise der Bayern, die plötzlich mehr Tore denn je kassierten, dann das Nachrücken neuer Talente wie Rüssmann oder Nogly, die Bundestrainer Helmut Schön vor der WM 1978 testen wollte, Katsches Verletzungspech, das ihn die Südamerika-Reise 1977 kostete und – vor allem – der Abgang des Kaisers. Beckenbauer spielte letztmals am 23. Februar 1977 in Paris im DFB-Dress, dann zog es ihn nach New York. Es war kein Rücktritt, aber doch ein Rückzug. Denn damals lehnte es der DFB ab, wegen der oft mühsamen Freigabeverhandlungen Legionäre für Länderspiele zu nominieren. Das Erfolgsgespann war gesprengt, für Katsche schien Beckenbauers Ende auch das seine zu sein. 16 Monate machte er kein Länderspiel, zuweilen saß er noch auf der Bank.

Dann kam der Tag heute vor 40 Jahren, als in seiner Stadt München ein WM-Test gegen die Engländer angesetzt war. Der kicker schrieb im Vorfeld: "Mit dem ja selbst in seinen allerbesten Tagen nicht unumstrittenen Münchner will Helmut Schön wohl gegen die Engländer eine Libero-Variante ausprobieren, wobei vielleicht wohl mehr an einen 'Ausputzer' gedacht ist, der aus taktischen Erwägungen heraus in einem WM-Turnier möglicherweise auch einmal gebraucht wird."

"Ich weiß, dass ich eckig wirke"

Unüberhörbare Skepsis. Schwarzenbeck plötzlich der neue Beckenbauer? Der Katsche wehrte sich: "Ich habe ja eigentlich schon in vielen Länderspielen praktisch so eine Art heimlicher Libero gespielt. Jedesmal, wenn Beckenbauer nach vorne stürmte, sicherte ich in der Abwehr ab." Die Debatte ärgerte ihn spürbar, als er den Reportern einschärfte: "Ich weiß ja, dass ich eckig wirke, aber das ist eben mein Stil. Wo ist er denn, der elegante Vorstopper? Ich habe noch keinen gesehen. Ich ärgere mich, dass sich zahllose Kommentare über mich so anhören, als sei ich die ganzen Jahre über nur mit durchgeschleppt worden, weil in der Nationalelf per Zufall der elfte Mann."

Entsprechend geladen ging er in sein erstes Länderspiel als Libero und sein 44. überhaupt. Er ging es in dem Wissen, dass die gute alte Zeit im Schatten des Kaisers nun endgültig vorbei war, denn am Nachmittag des Spiels beschloss der DFB-Vorstand, auf Beckenbauer bei der WM 1978 zu verzichten. "Ein Comeback Beckenbauers wäre nur sinnvoll, wenn er alle Vorbereitungsspiele hätte mitmachen können. Doch das ließ Cosmos New York nicht zu", teilte der Verband mit.

Prestigesieg gegen England mit Katsche als Libero

Umso wichtiger war es nun, einen neuen Libero zu finden. Der Katsche gab sein Bestes, der Spielbericht verzeichnet einige mutige Vorstöße und zwei Torschüsse. Da war er plötzlich ganz der Kaiser. Insgesamt war es kein gutes Spiel, der kicker bemängelte: "Von Spielfluß konnte keine Rede sein." Die bei der WM fehlenden Engländer gingen nach 41 Minuten durch Pearson per Kopf in Führung, die 78.000 Zuschauer murrten zur Pause. "Das Tor der Briten war eindeutig fehlende Aufmerksamkeit der Abwehr", knurrte Co-Trainer Jupp Derwall beim Gang in die Kabinen.

Es nahm dann doch noch ein gutes Ende. Der eingewechselte Duisburger Ronald Worm brauchte nur vier Minuten für den Ausgleich (79.) und dann schmetterte Rainer Bonhof wieder mal einen Freistoß durch (!) die englische Mauer (86.). Das Prestigespiel war gewonnen und Schwarzenbeck war zurück im Kreis der Nationalspieler. In der Süddeutschen Zeitung durfte er übe sich lesen: "Nach anfänglichen Pannen arbeitete der Handwerker Schwarzenbeck solide."

Die Nürnberger Nachrichten lobten: "Die Überraschung war das Comeback von Schwarzenbeck, der einen schnörkellosen und zuverlässigen Libero spielte." Aber es gab auch andere Meinungen. "Schwarzenbeck sollte zum ersten und zum letzten Mal den Liberoposten bekleidet haben", schrieb der Sport-Informations-Dienst (SID). Und so sollte es kommen. Der Katsche fuhr zwar mit zur WM, drückte dort aber nur die Bank (dreimal) oder das harte Holz der Tribüne (auch dreimal). Und doch: Heute vor 40 Jahren war er Kaiser für einen Tag.

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In unregelmäßiger Reihenfolge erinnert DFB.de an große Ereignisse im deutschen Fußball, an Meilensteine und Zäsuren, an große und kleine Helden und auch an tragische Momente. Heute: Als der Katsche einen Tag lang Kaiser war.

Sein ganzes Fußballerleben stand er im Schatten des "Kaisers" und fühlte sich wohl dabei. Hans-Georg Schwarzenbecks Karriere wäre ohne Franz Beckenbauer wohl nicht denkbar gewesen, nicht bei den Bayern und schon gar nicht in der Nationalmannschaft. Die große Bayern-Ära der Siebziger ging einher mit der der DFB-Auswahl, die 1972 Europameister und 1974 Weltmeister wurde. Nicht zu vergessen der zweite Platz bei der EM 1976. Und der "Katsche", wie sie Schwarzenbeck alle riefen, war immer dabei – als "Putzer des Kaisers".

43 Länderspiele zwischen 1971 und 1976

Torwart Maier, Libero Beckenbauer, Vorstopper Schwarzenbeck – wenn dieses Trio auflief, waren Trainer und Mitspieler beruhigt. Menschlich waren sie grundverschieden. Hier Spaßvogel Sepp Maier, dort Weltmann Franz Beckenbauer, dem alles zu gelingen schien, und dort der brave Soldat Katsche, der nichts mehr fürchtete als das Rampenlicht.

Er wurde immer etwas belächelt ob seines eckigen Laufstils, auch war der Ball nicht sein bester Freund. Aber er war stets zuverlässig, laufstark und hatte einen Mordsschuss – mit beiden Füßen. Kopfballstark war er sowieso. Er war der geborene Vorstopper und als solcher machte er von Februar 1971 bis November 1976 stolze 43 Länderspiele von 54 möglichen.

"Rückzug" des Kaisers am 23. Februar 1977

Dann war plötzlich Schluss. Nach der geglückten Revanche für das verlorene EM-Finale 1976 gegen die Tschechen (2:0 in Hannover) – kamen einige Faktoren zusammen. Zum einen die Krise der Bayern, die plötzlich mehr Tore denn je kassierten, dann das Nachrücken neuer Talente wie Rüssmann oder Nogly, die Bundestrainer Helmut Schön vor der WM 1978 testen wollte, Katsches Verletzungspech, das ihn die Südamerika-Reise 1977 kostete und – vor allem – der Abgang des Kaisers. Beckenbauer spielte letztmals am 23. Februar 1977 in Paris im DFB-Dress, dann zog es ihn nach New York. Es war kein Rücktritt, aber doch ein Rückzug. Denn damals lehnte es der DFB ab, wegen der oft mühsamen Freigabeverhandlungen Legionäre für Länderspiele zu nominieren. Das Erfolgsgespann war gesprengt, für Katsche schien Beckenbauers Ende auch das seine zu sein. 16 Monate machte er kein Länderspiel, zuweilen saß er noch auf der Bank.

Dann kam der Tag heute vor 40 Jahren, als in seiner Stadt München ein WM-Test gegen die Engländer angesetzt war. Der kicker schrieb im Vorfeld: "Mit dem ja selbst in seinen allerbesten Tagen nicht unumstrittenen Münchner will Helmut Schön wohl gegen die Engländer eine Libero-Variante ausprobieren, wobei vielleicht wohl mehr an einen 'Ausputzer' gedacht ist, der aus taktischen Erwägungen heraus in einem WM-Turnier möglicherweise auch einmal gebraucht wird."

"Ich weiß, dass ich eckig wirke"

Unüberhörbare Skepsis. Schwarzenbeck plötzlich der neue Beckenbauer? Der Katsche wehrte sich: "Ich habe ja eigentlich schon in vielen Länderspielen praktisch so eine Art heimlicher Libero gespielt. Jedesmal, wenn Beckenbauer nach vorne stürmte, sicherte ich in der Abwehr ab." Die Debatte ärgerte ihn spürbar, als er den Reportern einschärfte: "Ich weiß ja, dass ich eckig wirke, aber das ist eben mein Stil. Wo ist er denn, der elegante Vorstopper? Ich habe noch keinen gesehen. Ich ärgere mich, dass sich zahllose Kommentare über mich so anhören, als sei ich die ganzen Jahre über nur mit durchgeschleppt worden, weil in der Nationalelf per Zufall der elfte Mann."

Entsprechend geladen ging er in sein erstes Länderspiel als Libero und sein 44. überhaupt. Er ging es in dem Wissen, dass die gute alte Zeit im Schatten des Kaisers nun endgültig vorbei war, denn am Nachmittag des Spiels beschloss der DFB-Vorstand, auf Beckenbauer bei der WM 1978 zu verzichten. "Ein Comeback Beckenbauers wäre nur sinnvoll, wenn er alle Vorbereitungsspiele hätte mitmachen können. Doch das ließ Cosmos New York nicht zu", teilte der Verband mit.

Prestigesieg gegen England mit Katsche als Libero

Umso wichtiger war es nun, einen neuen Libero zu finden. Der Katsche gab sein Bestes, der Spielbericht verzeichnet einige mutige Vorstöße und zwei Torschüsse. Da war er plötzlich ganz der Kaiser. Insgesamt war es kein gutes Spiel, der kicker bemängelte: "Von Spielfluß konnte keine Rede sein." Die bei der WM fehlenden Engländer gingen nach 41 Minuten durch Pearson per Kopf in Führung, die 78.000 Zuschauer murrten zur Pause. "Das Tor der Briten war eindeutig fehlende Aufmerksamkeit der Abwehr", knurrte Co-Trainer Jupp Derwall beim Gang in die Kabinen.

Es nahm dann doch noch ein gutes Ende. Der eingewechselte Duisburger Ronald Worm brauchte nur vier Minuten für den Ausgleich (79.) und dann schmetterte Rainer Bonhof wieder mal einen Freistoß durch (!) die englische Mauer (86.). Das Prestigespiel war gewonnen und Schwarzenbeck war zurück im Kreis der Nationalspieler. In der Süddeutschen Zeitung durfte er übe sich lesen: "Nach anfänglichen Pannen arbeitete der Handwerker Schwarzenbeck solide."

Die Nürnberger Nachrichten lobten: "Die Überraschung war das Comeback von Schwarzenbeck, der einen schnörkellosen und zuverlässigen Libero spielte." Aber es gab auch andere Meinungen. "Schwarzenbeck sollte zum ersten und zum letzten Mal den Liberoposten bekleidet haben", schrieb der Sport-Informations-Dienst (SID). Und so sollte es kommen. Der Katsche fuhr zwar mit zur WM, drückte dort aber nur die Bank (dreimal) oder das harte Holz der Tribüne (auch dreimal). Und doch: Heute vor 40 Jahren war er Kaiser für einen Tag.

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