Vor 40 Jahren: Als die Derwall-Ära begann

In unregelmäßiger Reihenfolge erinnert DFB.de an große Ereignisse im deutschen Fußball, an Meilensteine und Zäsuren, an große und kleine Helden und auch an tragische Momente. Heute: den Einstand von Bundestrainer Jupp Derwall am 11. Oktober 1978.

Nach der verkorksten WM in Argentinien, als Deutschland in der Zwischenrunde ausschied und nach dem denkwürdigen 2:3 gegen Österreich in Cordoba auch das Spiel um Platz drei verpasst hatte, standen die Zeichen auf Umbruch. Bundestrainer Helmut Schön übergab das Kommando an Jupp Derwall, seinen Assistenten. Das stand schon vor der WM fest. Die rheinische Frohnatur Derwall wusste, dass er den (noch immer) erfolgreichsten Bundestrainer ablöste. Schön war Welt- und Europameister geworden, stand in beiden großen Turnieren zudem einmal im Finale.

Die Hürde lag also hoch für Derwall, der es als Aktiver selbst zu drei Länderspielen gebracht hatte, aber für viele Deutsche ein Unbekannter geblieben war. Das änderte sich mit seinem Sprung ins Rampenlicht am 11. Oktober 1978, vor genau 40 Jahren. Vor seinem Debüt bei Europameister Tschechoslowakei in Prag schrieb kicker-Chefredakteur Karl-Heinz Heimann: "Er wird manches anders machen als Helmut Schön, so wie der auch eine andere Handschrift hatte als Sepp Herberger. Die Zügel wird er vielleicht straffer führen, vielleicht auch mal lauter und deutlicher den Spielern zu verstehen geben, wo es langgehen soll. Doch ein Mann, der alles auf den Kopf stellt, weil er meint, sich nur so profilieren zu können, ist Jupp Derwall nicht…Jupp Derwall tritt ein schweres Erbe an. Dass es bei ihm in guten Händen ist, will er beweisen. Zum ersten Mal am Mittwoch in Prag."

Kontrollierter Umbruch

Derwall stellte in der Tat nicht alles auf den Kopf, 13 Argentinien-Fahrer standen im 16er-Kader für Prag. Zehn von ihnen liefen auf, der einzige Neue war der 20 Jahre alte Stuttgarter Karl-Heinz Förster, zuvor nur einmal eingewechselt. Libero Gerd Zewe von Fortuna Düsseldorf gab zwar sein Debüt, war aber in Argentinien dabei gewesen. Mit Sepp Maier, Rainer Bonhof und Bernd Cullmann standen noch drei Weltmeister von 1974 auf dem Platz, es war ein kontrollierter Umbruch. Denn die Experten waren sich einig, dass es in Argentinien weniger an der Klasse der Spieler als an Form, Einstellung und mangelndem Teamgeist gelegen hatte. Wie es seiner Philosophie entsprach, trat Derwalls Elf mit drei Spitzen an. Zu den Schalkern Rüdiger Abramczik und Klaus Fischer stellte er auf links Stuttgarts Shootingstar Hansi Müller. Entgegen der Praxis der letzten drei Jahre war auch wieder ein Legionär dabei, auf den nach Valencia gewechselten Bonhof wollte Derwall im Mittelfeld nicht verzichten, Bernd Cullmann spielte im Zentrum, über rechts wirbelte der einzige Bayern-Feldspieler Karl-Heinz Rummenigge, der bei der WM die meisten Tore geschossen hatte. Den unerfahrenen Innenverteidigern stellte Derwall die Routiniers Manfred Kaltz und Bernard Dietz zur Seite und hinter ihnen hütete zum bereits 90. Mal Sepp Maier, nach dem Abschied von Berti Vogts erstmals Kapitän, das Tor. Es war eine mutige Mischung aus Jung und Alt.

Der Anpfiff der Derwall-Ära erfolgte um 17 Uhr. Spiel eins nach Cordoba war kein normales Testspiel, die Öffentlichkeit wollte Wiedergutmachung. Und das schienen die Akteure begriffen zu haben. Schon nach zehn Minuten stand es 2:0 für die Gäste durch einen Abramczik-Kopfball und einen Bonhof-Freistoß. Die Tschechen kamen alsbald zum Anschlusstor durch Stambachr (14.), aber der Torhunger der Derwall-Schützlinge war nicht gestillt und so zogen sie bis zur Pause auf 4:1 davon. Wieder führt ein Freistoß zum Tor, doch während die Tschechen einen Bonhof-Hammer mit rechts erwarteten, zirkelte Hansi Müller den Ball mit links durch die löchrige Mauer (35.). Zwei Minuten später war der überragende Rummenigge nur durch ein Foul im Strafraum zu bremsen, Bonhof exekutierte gewohnt souverän.

"Nicht so dramatisch gewünscht"

35.000 Zuschauer im Rosicky-Stadion bewunderten die Wiedergeburt der deutschen Nationalelf, die nach der Pause aber noch einmal zittern musste. Nach einem Zweikampf zwischen Förster und Nehoda gab der rumänische Unparteiische Daina einen umstrittenen Elfmeter, Masny schickte Maier in die falsche Ecke (52.). Es blieb auch unter Derwall dabei: Maier konnte alles, nur keine Elfmeter halten. Als Stambachr per Flugkopfball auf 3:4 verkürzte (61.), wurde es noch mal spannend. Derwall aber wollte den Sieg nicht ermauern, brachte mit Ronny Worm und Debütant Klaus Allofs noch zwei Stürmer, wobei allerdings Worm verletzt gegen Allofs wieder ausgewechselt werden musste. Dann endete die hochklassige Partie mit einem 4:3 für den Gast und Derwall war geglückt, was weder Helmut Schön noch Sepp Herberger bescheiden war – ein Sieg zum Auftakt. "Ich bin natürlich froh, daß wir beim Europameister gewonnen haben. Ich muss aber zugeben, dass ich mir meinen Einstand nicht so dramatisch gewünscht hätte." Kollege Josef Venglos erklärte, es sei "für uns keine Schande, gegen eine so starke Mannschaft knapp und auch ein wenig unglücklich verloren zu haben."

Derwalls Vorgänger Helmut Schön sah das Spiel zuhause in Wiesbaden am Bildschirm und sagte: "Ich wünschte, unsere Mannschaft hätte so in Argentinien gespielt, denn damals waren fast alle Spieler schon dabei." Keiner konnte ahnen, dass die neue Nationalelf, zu der alsbald noch Spieler wie Hans-Peter Briegel, Bernd Schuster, Ulli Stielike und Toni Schumacher stießen, über zwei Jahre unbesiegt bleiben (23 Spiele – bis heute DFB-Rekord), 1980 den EM-Titel und 1982 den zweiten Platz bei der WM in Spanien holen würde. In der Derwall-Ära, so unglücklich sie bei der EM 1984 auch für ihn selbst mit der Entlassung nach dem Vorrunden-Aus endete, fand der deutsche Fußball auf die Weltbühne zurück.

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In unregelmäßiger Reihenfolge erinnert DFB.de an große Ereignisse im deutschen Fußball, an Meilensteine und Zäsuren, an große und kleine Helden und auch an tragische Momente. Heute: den Einstand von Bundestrainer Jupp Derwall am 11. Oktober 1978.

Nach der verkorksten WM in Argentinien, als Deutschland in der Zwischenrunde ausschied und nach dem denkwürdigen 2:3 gegen Österreich in Cordoba auch das Spiel um Platz drei verpasst hatte, standen die Zeichen auf Umbruch. Bundestrainer Helmut Schön übergab das Kommando an Jupp Derwall, seinen Assistenten. Das stand schon vor der WM fest. Die rheinische Frohnatur Derwall wusste, dass er den (noch immer) erfolgreichsten Bundestrainer ablöste. Schön war Welt- und Europameister geworden, stand in beiden großen Turnieren zudem einmal im Finale.

Die Hürde lag also hoch für Derwall, der es als Aktiver selbst zu drei Länderspielen gebracht hatte, aber für viele Deutsche ein Unbekannter geblieben war. Das änderte sich mit seinem Sprung ins Rampenlicht am 11. Oktober 1978, vor genau 40 Jahren. Vor seinem Debüt bei Europameister Tschechoslowakei in Prag schrieb kicker-Chefredakteur Karl-Heinz Heimann: "Er wird manches anders machen als Helmut Schön, so wie der auch eine andere Handschrift hatte als Sepp Herberger. Die Zügel wird er vielleicht straffer führen, vielleicht auch mal lauter und deutlicher den Spielern zu verstehen geben, wo es langgehen soll. Doch ein Mann, der alles auf den Kopf stellt, weil er meint, sich nur so profilieren zu können, ist Jupp Derwall nicht…Jupp Derwall tritt ein schweres Erbe an. Dass es bei ihm in guten Händen ist, will er beweisen. Zum ersten Mal am Mittwoch in Prag."

Kontrollierter Umbruch

Derwall stellte in der Tat nicht alles auf den Kopf, 13 Argentinien-Fahrer standen im 16er-Kader für Prag. Zehn von ihnen liefen auf, der einzige Neue war der 20 Jahre alte Stuttgarter Karl-Heinz Förster, zuvor nur einmal eingewechselt. Libero Gerd Zewe von Fortuna Düsseldorf gab zwar sein Debüt, war aber in Argentinien dabei gewesen. Mit Sepp Maier, Rainer Bonhof und Bernd Cullmann standen noch drei Weltmeister von 1974 auf dem Platz, es war ein kontrollierter Umbruch. Denn die Experten waren sich einig, dass es in Argentinien weniger an der Klasse der Spieler als an Form, Einstellung und mangelndem Teamgeist gelegen hatte. Wie es seiner Philosophie entsprach, trat Derwalls Elf mit drei Spitzen an. Zu den Schalkern Rüdiger Abramczik und Klaus Fischer stellte er auf links Stuttgarts Shootingstar Hansi Müller. Entgegen der Praxis der letzten drei Jahre war auch wieder ein Legionär dabei, auf den nach Valencia gewechselten Bonhof wollte Derwall im Mittelfeld nicht verzichten, Bernd Cullmann spielte im Zentrum, über rechts wirbelte der einzige Bayern-Feldspieler Karl-Heinz Rummenigge, der bei der WM die meisten Tore geschossen hatte. Den unerfahrenen Innenverteidigern stellte Derwall die Routiniers Manfred Kaltz und Bernard Dietz zur Seite und hinter ihnen hütete zum bereits 90. Mal Sepp Maier, nach dem Abschied von Berti Vogts erstmals Kapitän, das Tor. Es war eine mutige Mischung aus Jung und Alt.

Der Anpfiff der Derwall-Ära erfolgte um 17 Uhr. Spiel eins nach Cordoba war kein normales Testspiel, die Öffentlichkeit wollte Wiedergutmachung. Und das schienen die Akteure begriffen zu haben. Schon nach zehn Minuten stand es 2:0 für die Gäste durch einen Abramczik-Kopfball und einen Bonhof-Freistoß. Die Tschechen kamen alsbald zum Anschlusstor durch Stambachr (14.), aber der Torhunger der Derwall-Schützlinge war nicht gestillt und so zogen sie bis zur Pause auf 4:1 davon. Wieder führt ein Freistoß zum Tor, doch während die Tschechen einen Bonhof-Hammer mit rechts erwarteten, zirkelte Hansi Müller den Ball mit links durch die löchrige Mauer (35.). Zwei Minuten später war der überragende Rummenigge nur durch ein Foul im Strafraum zu bremsen, Bonhof exekutierte gewohnt souverän.

"Nicht so dramatisch gewünscht"

35.000 Zuschauer im Rosicky-Stadion bewunderten die Wiedergeburt der deutschen Nationalelf, die nach der Pause aber noch einmal zittern musste. Nach einem Zweikampf zwischen Förster und Nehoda gab der rumänische Unparteiische Daina einen umstrittenen Elfmeter, Masny schickte Maier in die falsche Ecke (52.). Es blieb auch unter Derwall dabei: Maier konnte alles, nur keine Elfmeter halten. Als Stambachr per Flugkopfball auf 3:4 verkürzte (61.), wurde es noch mal spannend. Derwall aber wollte den Sieg nicht ermauern, brachte mit Ronny Worm und Debütant Klaus Allofs noch zwei Stürmer, wobei allerdings Worm verletzt gegen Allofs wieder ausgewechselt werden musste. Dann endete die hochklassige Partie mit einem 4:3 für den Gast und Derwall war geglückt, was weder Helmut Schön noch Sepp Herberger bescheiden war – ein Sieg zum Auftakt. "Ich bin natürlich froh, daß wir beim Europameister gewonnen haben. Ich muss aber zugeben, dass ich mir meinen Einstand nicht so dramatisch gewünscht hätte." Kollege Josef Venglos erklärte, es sei "für uns keine Schande, gegen eine so starke Mannschaft knapp und auch ein wenig unglücklich verloren zu haben."

Derwalls Vorgänger Helmut Schön sah das Spiel zuhause in Wiesbaden am Bildschirm und sagte: "Ich wünschte, unsere Mannschaft hätte so in Argentinien gespielt, denn damals waren fast alle Spieler schon dabei." Keiner konnte ahnen, dass die neue Nationalelf, zu der alsbald noch Spieler wie Hans-Peter Briegel, Bernd Schuster, Ulli Stielike und Toni Schumacher stießen, über zwei Jahre unbesiegt bleiben (23 Spiele – bis heute DFB-Rekord), 1980 den EM-Titel und 1982 den zweiten Platz bei der WM in Spanien holen würde. In der Derwall-Ära, so unglücklich sie bei der EM 1984 auch für ihn selbst mit der Entlassung nach dem Vorrunden-Aus endete, fand der deutsche Fußball auf die Weltbühne zurück.