Vor 30 Jahren: Häßler schießt Deutschland zur WM 1990

Sein erstes Länderspieltor war auch das wichtigste: Mit seinem Premierentreffer sicherte Thomas Häßler der Nationalmannschaft heute vor 30 Jahren in Köln den Sieg gegen Wales. Ohne das 2:1 wäre Deutschland nicht Weltmeister 1990 geworden. DFB.de blickt zurück auf ein Stück Fußballgeschichte in geschichtsträchtigen Zeiten.

Als es überstanden war, sanken die Sieger gleichermaßen erschöpft wie erleichtert zu Boden. In einem unerwartet spannenden Spiel gegen Außenseiter Wales sicherte sich die deutsche Nationalmannschaft heute vor 30 Jahren das WM-Ticket für "Italia 90". Die jubelnden Zuschauer hatten nicht den Eindruck, den kommenden Weltmeister gesehen zu haben, die Spieler auch nicht. "Die letzten zehn Minuten waren der Horror", sagte Mittelstürmer Rudi Völler. Dabei fielen auch sie in die glücklichsten Nachkriegstage Deutschlands, denn auch über diesem Spiel schwebte die Verheißung der Wiedervereinigung.

Wohl nie fiel es einer deutschen Nationalmannschaft schwerer, sich auf ein entscheidendes Spiel zu konzentrieren wie in jenen Novembertagen 1989. Es war der deutsche Herbst, unvergessliche Schicksalstage in der Geschichte der Nation. Die Mauer öffnete sich am 9. November einen Spalt und war fortan nicht mehr zu schließen. Eine friedliche Revolution in der DDR führte Ost und West nach 40 Jahren Trennung zusammen, und auf den westdeutschen Straßen fuhren plötzlich Trabbis. Der Anfang vom Ende der DDR. Diesen Eindrücken konnte und wollte sich niemand entziehen. Auch die Nationalmannschaft nicht. Teamchef Franz Beckenbauer betonte später immer wieder gern, es sei in seiner Amtszeit (1984 bis 1990) "die schwierigste Woche überhaupt" gewesen, "denn die Mauer fiel, und es war unmöglich, die Konzentration hochzuhalten."

Der Mauerfall überlagert alles

Die 21 Nationalspieler, die in der Sportschule Hennef zusammengezogen waren, um sich auf den finalen Gruppenkampf gegen Wales vorzubereiten, spürten den Windhauch der Geschichte, der von Berlin übers ganze Land wehte. Verteidiger Stefan Reuter erinnerte sich 2009: "Jeder hatte ja irgendwie Kontakt zu Freunden und Familie und hat telefoniert." Rudi Völler fragte damals: "Das Spiel gegen Wales, was ist das schon gegen dieses Ereignis?" Thomas Häßler, im Berliner Wedding groß geworden, sah als Kind von seiner Schule aus immer auf die Mauer. Er gab zu: "Ich habe die Geschehnisse im Fernsehen mit einer Gänsehaut verfolgt. Ich wäre jetzt gern in Berlin gewesen, um dies alles ganz persönlich mitzuerleben."

Und doch war es für das ganze Land ein Segen, dass der kleine Dribbelkünstler in diesen Tagen bei der Mannschaft blieb. Denn der Abend von Müngersdorf sollte seine Sternstunde im DFB-Trikot werden. Kaum jemand weiß es heute noch: Die deutsche Mannschaft, die ein halbes Jahr später Weltmeister werden sollte, gewann 1989 nicht mal ihre Qualifikationsgruppe und landete hinter der Auswahl der Niederlande. Das DFB-Team musste deshalb hoffen, als einer von zwei punktbesten Zweiten zur WM fahren zu können. Als am Nachmittag bekannt wurde, dass die Rumänen in einer anderen Gruppe die Dänen 3:1 geschlagen hatten, stand fest: Gegen Schlusslicht Wales half nur ein Sieg.

Beckenbauer: "Die Blamage wäre zu groß gewesen"

Eigentlich eine Formsache, aber angesichts der Umstände war keinem recht wohl. Teamchef Beckenbauer sprach vom "wichtigsten Spiel in meiner Laufbahn" und hatte für den Fall des Scheiterns schon seinen Rücktritt angekündigt, "die Blamage wäre zu groß gewesen." Dass er dennoch an ein gutes Ende glaubte, dokumentierte er mit der Nominierung von 21 Spielern, obwohl letztlich nur 16 auf den Spielberichtsbogen durften. Die kaiserliche Begründung: "Wir wollten schon mal das Zusammenleben bei der WM üben." Der verletzte Kapitän Lothar Matthäus komplettierte als Nummer 22 die Delegation. Bei den Walisern fehlte der von der Kritik in den britischen Medien beleidigte Superstar und Torjäger Ian Rush vom FC Liverpool.

Beckenbauer war trotzdem nervös wie selten, er wollte nicht als erster deutscher Nationaltrainer eine Weltmeisterschaft verpassen. Im Testspiel gegen eine Amateurauswahl fielen die Tore zwar wie reife Früchte (14:0), doch der Kaiser zeterte: "Einige haben wohl zu viel zu Mittag gegessen, andere haben sich bewegt wie beim Waldspaziergang."

Kohler muss auf die Tribüne

Er drohte die Aufstellung zu überdenken, aber als es am 15. November vor 60.000 Zuschauern in Köln endlich losging, spielte die erwartete Elf. Nur dass der Teamchef den Manndecker Jürgen Kohler mangels Fitness auf die Tribüne setzte, verblüffte manchen Experten, für ihn verteidigte Guido Buchwald. Neuralgischer Punkt schien das Mittelfeld zu sein, wo mit Thomas Häßler, Andreas Möller und Hans Dorfner gleich drei unerfahrene Spieler aufliefen, die zusammen auf nur 19 Länderspiele kamen.

Auch der rechte Verteidiger Stefan Reuter, heute Sportdirektor des FC Augsburg, war mit 23 Jahren noch kein alter Hase. Prompt unterlief ihm in der elftem Minute ein kapitaler Fehler, seinen Ballverlust nutzten die Waliser durch Malcolm Allen, der auch noch Libero Klaus Augenthaler tunnelte, zum 0:1. Torwart Bodo Illgner kam noch mit der Schulter dran, aber es half nichts mehr. "Der Fehler lag drüben ganz eindeutig bei Stefan Reuter", benannte der sonst so einfühlsame ZDF-Kommentator Dieter Kürten den Schuldigen. War es die besondere Nervosität in einem Alles-oder-nichts-Spiel? Reuter sagte dazu nachher nur süffisant: "Die unangenehmen Dinge verdrängt man immer."

Überhaupt habe er von der besonderen Spannung, die in der Luft lag, nicht so viel gemerkt. "Das realisiert man immer erst hinterher, was gewesen wäre, wenn", so Reuter. "Gerade weil wir dann Weltmeister wurden, wurde ja noch immer oft an dieses Wales-Spiel erinnert und wie knapp es gewesen war. Aber im Fußball entscheiden eben oft Kleinigkeiten." Oder die Kleinsten.

Torpremiere: Häßlers erster Treffer ist der wichtigste

Nach Völlers schnellem Ausgleich im Anschluss an eine Möller-Ecke und Augenthalers Kopfball (25.) ging es mit 1:1 in die Kabinen. Das entsprach durchaus dem Spielverlauf, die Waliser wehrten sich nach Kräften, Ex-Bayern-Stürmer Mark Hughes zwang Bodo Illgner zu einer Glanzparade und Dean Saunders traf den Außenpfosten. Klaus Augenthaler blieb angeschlagen in der Kabine, es kam der Leverkusener Alois Reinhardt zu seinem dritten Länderspiel.

Und ab der 48. Minute durfte er mithelfen, einen Vorsprung zu verteidigen. Dank des großen Moments der Kölner "Zauberzwerge" Pierre Littbarski (1,68 Meter) und Thomas Häßler (1,66). Littbarski flankte von links, der Ball wurde von Verteidiger Andy Melville noch verlängert und fiel Häßler quasi vor die Füße. Mit links schoss er ihn volley und flach knapp neben den rechten Pfosten ins Tor. Es war sein erster Treffer für Deutschland, einen besseren Moment hätte er nicht wählen können. "Das sind so Momente, die wird man nie vergessen", sagte Reuter.

Zitterpartie bis zum Abpfiff

Littbarski, an diesem Tag Kapitän, schuf in der 77. Minute indes einen Moment zum Vergessen. Seinen Foulelfmeter, den Völler herausgeholt hatte, lenkte Keeper Neville Southall an den Pfosten, von wo der Ball die Linie entlangkullerte, und so mancher Torjubel erwies sich als verfrüht. "Drin isser - isser nich - er kommt wieder raus", schrie Kürten bestürzt in sein Mikrofon. Es blieb bis zuletzt ein Zitterspiel. Das ein junger Mann namens Colin Pascoe vom FC Sunderland beinahe noch gewendet hätte - doch der Joker der Waliser köpfte in der 88. Minute freistehend über das Tor von Bodo Illgner. "Unser Herz rutscht in die Hose, sag ich Ihnen, so habe ich lange nicht mehr gezittert", gestand Kürten unumwunden nach dieser Szene.

Um 21.57 Uhr war es dann endlich geschafft, Abpfiff. Die Deutschen sanken zu Boden, ein Lächeln huschte über Beckenbauers bis dahin versteinerte Miene. Am Ende stand ein verdienter Sieg, dem man nicht ansah, wie verdient er war. Rudi Völler fand: "Die letzten zehn Minuten waren der totale Horror. Das war ein Hitchcock." Und von Andreas Brehme war zu vernehmen: "Das Publikum in Köln war einmalig. Das 0:1 wirkte wie ein Schock, und nach dem 2:1 haben wir es uns selbst schwer gemacht."

Beckenbauer belohnt Häßler mit WM-Finale

Das Presseecho war ein Mix aus Erleichterung und Skepsis: "Trotz lähmender Selbstzweifel ans Ziel gelangt", titelte die Süddeutsche Zeitung. Die Auslandsgazetten bemühten wieder die Legende vom deutschen Schlachtenglück im Fußball: "Deutschland ist durch ein Nadelöhr gekrochen. Das Tor von Häßler bewahrt Beckenbauer vor dem Psychiater", schrieb De Telegraaf (Holland). Beckenbauer selbst schaute längst schon nach vorne: "Wenn wir uns in den Dingen verbessern, die ich angesprochen habe, und alle ihre Leistung bringen, dann können wir in Italien eine gute Rolle spielen."

Im Bus der Mannschaft, den Matthäus noch mit einem Fan-Schal an der Frontscheibe ausstattete, herrschte pure Erleichterung. Beckenbauer sah man tief durchatmend in seinen Sitz fallen. Sie alle wussten, wem sie zu danken hatten: Thomas Häßler. Der Held des Tages prophezeite: "So ein wichtiges Tor werde ich in meiner Laufbahn kaum noch schießen." In der Tat. Es sollte ihn sogar zum Weltmeister machen, denn Beckenbauer, wie er später zugab, stellte ihn am 8. Juli 1990 in Rom im Finale eben deshalb auf, als er sich zwischen ihm und Olaf Thon entscheiden musste. Nur für Bayern-Profi Hansi Dorfner gab es keinen Bonus, er war der einzige aus der Startelf, der nicht mit über den Brenner fuhr.

Das Drama von Köln interessierte auch die hohe Politik. Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher saß im Stadion und gestand: "Die letzten zehn Minuten sind mir ganz schön an die Nerven gegangen." Arbeitsminister Norbert Blüm witzelte: "Das war ganz schön aufregend. Aber Aufregung am Feierabend ist auch mal ganz schön." Vollkommen war das deutsche Fußballglück aber nicht, denn zum selben Zeitpunkt verspielte die DDR-Auswahl durch ein 0:3 in Wien ihre WM-Chance. Es wäre auch zu schön gewesen...

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Sein erstes Länderspieltor war auch das wichtigste: Mit seinem Premierentreffer sicherte Thomas Häßler der Nationalmannschaft heute vor 30 Jahren in Köln den Sieg gegen Wales. Ohne das 2:1 wäre Deutschland nicht Weltmeister 1990 geworden. DFB.de blickt zurück auf ein Stück Fußballgeschichte in geschichtsträchtigen Zeiten.

Als es überstanden war, sanken die Sieger gleichermaßen erschöpft wie erleichtert zu Boden. In einem unerwartet spannenden Spiel gegen Außenseiter Wales sicherte sich die deutsche Nationalmannschaft heute vor 30 Jahren das WM-Ticket für "Italia 90". Die jubelnden Zuschauer hatten nicht den Eindruck, den kommenden Weltmeister gesehen zu haben, die Spieler auch nicht. "Die letzten zehn Minuten waren der Horror", sagte Mittelstürmer Rudi Völler. Dabei fielen auch sie in die glücklichsten Nachkriegstage Deutschlands, denn auch über diesem Spiel schwebte die Verheißung der Wiedervereinigung.

Wohl nie fiel es einer deutschen Nationalmannschaft schwerer, sich auf ein entscheidendes Spiel zu konzentrieren wie in jenen Novembertagen 1989. Es war der deutsche Herbst, unvergessliche Schicksalstage in der Geschichte der Nation. Die Mauer öffnete sich am 9. November einen Spalt und war fortan nicht mehr zu schließen. Eine friedliche Revolution in der DDR führte Ost und West nach 40 Jahren Trennung zusammen, und auf den westdeutschen Straßen fuhren plötzlich Trabbis. Der Anfang vom Ende der DDR. Diesen Eindrücken konnte und wollte sich niemand entziehen. Auch die Nationalmannschaft nicht. Teamchef Franz Beckenbauer betonte später immer wieder gern, es sei in seiner Amtszeit (1984 bis 1990) "die schwierigste Woche überhaupt" gewesen, "denn die Mauer fiel, und es war unmöglich, die Konzentration hochzuhalten."

Der Mauerfall überlagert alles

Die 21 Nationalspieler, die in der Sportschule Hennef zusammengezogen waren, um sich auf den finalen Gruppenkampf gegen Wales vorzubereiten, spürten den Windhauch der Geschichte, der von Berlin übers ganze Land wehte. Verteidiger Stefan Reuter erinnerte sich 2009: "Jeder hatte ja irgendwie Kontakt zu Freunden und Familie und hat telefoniert." Rudi Völler fragte damals: "Das Spiel gegen Wales, was ist das schon gegen dieses Ereignis?" Thomas Häßler, im Berliner Wedding groß geworden, sah als Kind von seiner Schule aus immer auf die Mauer. Er gab zu: "Ich habe die Geschehnisse im Fernsehen mit einer Gänsehaut verfolgt. Ich wäre jetzt gern in Berlin gewesen, um dies alles ganz persönlich mitzuerleben."

Und doch war es für das ganze Land ein Segen, dass der kleine Dribbelkünstler in diesen Tagen bei der Mannschaft blieb. Denn der Abend von Müngersdorf sollte seine Sternstunde im DFB-Trikot werden. Kaum jemand weiß es heute noch: Die deutsche Mannschaft, die ein halbes Jahr später Weltmeister werden sollte, gewann 1989 nicht mal ihre Qualifikationsgruppe und landete hinter der Auswahl der Niederlande. Das DFB-Team musste deshalb hoffen, als einer von zwei punktbesten Zweiten zur WM fahren zu können. Als am Nachmittag bekannt wurde, dass die Rumänen in einer anderen Gruppe die Dänen 3:1 geschlagen hatten, stand fest: Gegen Schlusslicht Wales half nur ein Sieg.

Beckenbauer: "Die Blamage wäre zu groß gewesen"

Eigentlich eine Formsache, aber angesichts der Umstände war keinem recht wohl. Teamchef Beckenbauer sprach vom "wichtigsten Spiel in meiner Laufbahn" und hatte für den Fall des Scheiterns schon seinen Rücktritt angekündigt, "die Blamage wäre zu groß gewesen." Dass er dennoch an ein gutes Ende glaubte, dokumentierte er mit der Nominierung von 21 Spielern, obwohl letztlich nur 16 auf den Spielberichtsbogen durften. Die kaiserliche Begründung: "Wir wollten schon mal das Zusammenleben bei der WM üben." Der verletzte Kapitän Lothar Matthäus komplettierte als Nummer 22 die Delegation. Bei den Walisern fehlte der von der Kritik in den britischen Medien beleidigte Superstar und Torjäger Ian Rush vom FC Liverpool.

Beckenbauer war trotzdem nervös wie selten, er wollte nicht als erster deutscher Nationaltrainer eine Weltmeisterschaft verpassen. Im Testspiel gegen eine Amateurauswahl fielen die Tore zwar wie reife Früchte (14:0), doch der Kaiser zeterte: "Einige haben wohl zu viel zu Mittag gegessen, andere haben sich bewegt wie beim Waldspaziergang."

Kohler muss auf die Tribüne

Er drohte die Aufstellung zu überdenken, aber als es am 15. November vor 60.000 Zuschauern in Köln endlich losging, spielte die erwartete Elf. Nur dass der Teamchef den Manndecker Jürgen Kohler mangels Fitness auf die Tribüne setzte, verblüffte manchen Experten, für ihn verteidigte Guido Buchwald. Neuralgischer Punkt schien das Mittelfeld zu sein, wo mit Thomas Häßler, Andreas Möller und Hans Dorfner gleich drei unerfahrene Spieler aufliefen, die zusammen auf nur 19 Länderspiele kamen.

Auch der rechte Verteidiger Stefan Reuter, heute Sportdirektor des FC Augsburg, war mit 23 Jahren noch kein alter Hase. Prompt unterlief ihm in der elftem Minute ein kapitaler Fehler, seinen Ballverlust nutzten die Waliser durch Malcolm Allen, der auch noch Libero Klaus Augenthaler tunnelte, zum 0:1. Torwart Bodo Illgner kam noch mit der Schulter dran, aber es half nichts mehr. "Der Fehler lag drüben ganz eindeutig bei Stefan Reuter", benannte der sonst so einfühlsame ZDF-Kommentator Dieter Kürten den Schuldigen. War es die besondere Nervosität in einem Alles-oder-nichts-Spiel? Reuter sagte dazu nachher nur süffisant: "Die unangenehmen Dinge verdrängt man immer."

Überhaupt habe er von der besonderen Spannung, die in der Luft lag, nicht so viel gemerkt. "Das realisiert man immer erst hinterher, was gewesen wäre, wenn", so Reuter. "Gerade weil wir dann Weltmeister wurden, wurde ja noch immer oft an dieses Wales-Spiel erinnert und wie knapp es gewesen war. Aber im Fußball entscheiden eben oft Kleinigkeiten." Oder die Kleinsten.

Torpremiere: Häßlers erster Treffer ist der wichtigste

Nach Völlers schnellem Ausgleich im Anschluss an eine Möller-Ecke und Augenthalers Kopfball (25.) ging es mit 1:1 in die Kabinen. Das entsprach durchaus dem Spielverlauf, die Waliser wehrten sich nach Kräften, Ex-Bayern-Stürmer Mark Hughes zwang Bodo Illgner zu einer Glanzparade und Dean Saunders traf den Außenpfosten. Klaus Augenthaler blieb angeschlagen in der Kabine, es kam der Leverkusener Alois Reinhardt zu seinem dritten Länderspiel.

Und ab der 48. Minute durfte er mithelfen, einen Vorsprung zu verteidigen. Dank des großen Moments der Kölner "Zauberzwerge" Pierre Littbarski (1,68 Meter) und Thomas Häßler (1,66). Littbarski flankte von links, der Ball wurde von Verteidiger Andy Melville noch verlängert und fiel Häßler quasi vor die Füße. Mit links schoss er ihn volley und flach knapp neben den rechten Pfosten ins Tor. Es war sein erster Treffer für Deutschland, einen besseren Moment hätte er nicht wählen können. "Das sind so Momente, die wird man nie vergessen", sagte Reuter.

Zitterpartie bis zum Abpfiff

Littbarski, an diesem Tag Kapitän, schuf in der 77. Minute indes einen Moment zum Vergessen. Seinen Foulelfmeter, den Völler herausgeholt hatte, lenkte Keeper Neville Southall an den Pfosten, von wo der Ball die Linie entlangkullerte, und so mancher Torjubel erwies sich als verfrüht. "Drin isser - isser nich - er kommt wieder raus", schrie Kürten bestürzt in sein Mikrofon. Es blieb bis zuletzt ein Zitterspiel. Das ein junger Mann namens Colin Pascoe vom FC Sunderland beinahe noch gewendet hätte - doch der Joker der Waliser köpfte in der 88. Minute freistehend über das Tor von Bodo Illgner. "Unser Herz rutscht in die Hose, sag ich Ihnen, so habe ich lange nicht mehr gezittert", gestand Kürten unumwunden nach dieser Szene.

Um 21.57 Uhr war es dann endlich geschafft, Abpfiff. Die Deutschen sanken zu Boden, ein Lächeln huschte über Beckenbauers bis dahin versteinerte Miene. Am Ende stand ein verdienter Sieg, dem man nicht ansah, wie verdient er war. Rudi Völler fand: "Die letzten zehn Minuten waren der totale Horror. Das war ein Hitchcock." Und von Andreas Brehme war zu vernehmen: "Das Publikum in Köln war einmalig. Das 0:1 wirkte wie ein Schock, und nach dem 2:1 haben wir es uns selbst schwer gemacht."

Beckenbauer belohnt Häßler mit WM-Finale

Das Presseecho war ein Mix aus Erleichterung und Skepsis: "Trotz lähmender Selbstzweifel ans Ziel gelangt", titelte die Süddeutsche Zeitung. Die Auslandsgazetten bemühten wieder die Legende vom deutschen Schlachtenglück im Fußball: "Deutschland ist durch ein Nadelöhr gekrochen. Das Tor von Häßler bewahrt Beckenbauer vor dem Psychiater", schrieb De Telegraaf (Holland). Beckenbauer selbst schaute längst schon nach vorne: "Wenn wir uns in den Dingen verbessern, die ich angesprochen habe, und alle ihre Leistung bringen, dann können wir in Italien eine gute Rolle spielen."

Im Bus der Mannschaft, den Matthäus noch mit einem Fan-Schal an der Frontscheibe ausstattete, herrschte pure Erleichterung. Beckenbauer sah man tief durchatmend in seinen Sitz fallen. Sie alle wussten, wem sie zu danken hatten: Thomas Häßler. Der Held des Tages prophezeite: "So ein wichtiges Tor werde ich in meiner Laufbahn kaum noch schießen." In der Tat. Es sollte ihn sogar zum Weltmeister machen, denn Beckenbauer, wie er später zugab, stellte ihn am 8. Juli 1990 in Rom im Finale eben deshalb auf, als er sich zwischen ihm und Olaf Thon entscheiden musste. Nur für Bayern-Profi Hansi Dorfner gab es keinen Bonus, er war der einzige aus der Startelf, der nicht mit über den Brenner fuhr.

Das Drama von Köln interessierte auch die hohe Politik. Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher saß im Stadion und gestand: "Die letzten zehn Minuten sind mir ganz schön an die Nerven gegangen." Arbeitsminister Norbert Blüm witzelte: "Das war ganz schön aufregend. Aber Aufregung am Feierabend ist auch mal ganz schön." Vollkommen war das deutsche Fußballglück aber nicht, denn zum selben Zeitpunkt verspielte die DDR-Auswahl durch ein 0:3 in Wien ihre WM-Chance. Es wäre auch zu schön gewesen...

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