Vor 20 Jahren: Deutschland qualifiziert sich gegen Ukraine für WM

Die Nationalmannschaft hat sich bereits für die WM 2022 in Katar qualifiziert. Vorzeitig, wie so oft. Das war nicht immer so, heute vor 20 Jahren musste sie sogar einmal nachsitzen. Ein Rückblick.

Zum ersten Mal überhaupt in der DFB-Geschichte hatte sich die Nationalmannschaft in den Gruppenspielen zur WM 2002 nicht direkt qualifiziert. Weil sie zwei "Matchbälle" daheim gegen England (1:5) und Finnland (0:0) vergab, musste sie in die Play-offs gegen einen Gegner, der noch nie bei einer WM war. So war die Auswahl von Rudi Völler vor der Doppelveranstaltung am 10. November in Kiew und am 14. November in Dortmund leichter Favorit, aber nicht gerade von Optimisten umzingelt.

In einer Umfrage des Fachblattes Kicker glaubte nur eine knappe Mehrheit von 55,3 Prozent an den Erfolg. Den Ernst der Stunde dokumentierte die Tatsache, dass alle 36 Profiklubs ihre Manager oder Vorstandsvertreter nach Kiew entsandten. Geballte Solidarität.

In der Mannschaft wurde das registriert, mehr nicht. "Sollen sich doch 120.000 Manager auf die Tribüne setzen, das hilft uns auch nichts. Auf dem Platz müssen wir es zeigen", sagte Christian Ziege von Tottenham Hotspur, einer von damals zwei England-Legionären. Franz Beckenbauer, damals Bayern-Präsident, strotzte auch nicht vor Zuversicht. "Wir müssen auf Sieg spielen, damit es wenigstens zu einem Unentschieden reicht." Seine Standortbestimmung des deutschen Fußballs war wenig ermutigend: "Wir sind guter Durchschnitt, mehr nicht."

"Die Relegation hat uns zusammengeschweißt"

Der Schock über das 1:5 von München gegen Gruppensieger England vom 1. September saß eben noch immer tief. Nun also musste der da noch dreimalige Weltmeister nachsitzen, um die Tickets für Japan und Südkorea zu bekommen. Marko Rehmer, der rechte Verteidiger in Völlers Elf, erinnerte sich Jahre später: "Wir hätten diese Spiele am liebsten vermieden. Die Anspannung war sehr groß. Aber die Relegation hat uns zusammengeschweißt, sodass wir eine vernünftige WM gespielt haben."

Eine sympathische Untertreibung, Deutschland zog bekanntlich ins Finale ein und unterlag erst Brasilien (0:2).

Davon war die Mannschaft im Herbst 2001 aber weit entfernt. In Sebastian Deisler und Mehmet Scholl fehlten zwei kreative Spieler verletzt, Stürmer Oliver Neuville war gesperrt. SAT 1 übertrug die Partie live, 13,61 Millionen verfolgten sie am Bildschirm.

Schwacher Start - Ballack gleicht aus

Der Abend im Olympia-Stadion von Kiew begann schlecht für die Deutschen: Schon nach drei Minuten bebte der Pfosten des von Oliver Kahn gehüteten Tores und nach 18 Minuten landete ein Abstauber von Subow im deutschen Netz. 0:1! Dann wurde Marko Rehmer ein Kopfball-Tor aberkannt, weshalb die Bild fragte: "Wann kommt endlich die Tor-Kamera?" Heute haben wir sie.

Auf dem Platz wurde derweil ein Retter gesucht. Er erschien in der Gestalt des 25 Jahre alten Leverkuseners Michael Ballack, "der die Gabe hat, das wichtige erste Tor zu machen", wie Rudi Völler stets betonte. Es lief die 31. Minute. Gerade fragte SAT 1-Reporter Werner Hansch: "Wo ist eigentlich Ballack?", da war der schon zur Stelle. Als Bayern-Stürmer Alex Zickler eine Ecke verlängerte, traf er mit dem linken Fuß. "Das war das wichtigste Tor in meinem Leben. Es kann nur noch ein wichtigeres geben - wenn ich Deutschland am Mittwoch zur WM schieße", sagte Ballack so, als hätte er schon eine Ahnung.

Gute Voraussetzungen für das Rückspiel

Im Stadion legte er den Finger auf den Mund, um die Kulisse zum Schweigen zu bringen. "Ich wollte sagen: 'Seid ein bisschen ruhiger, die Deutschen sind auch noch da.'" Zur Ernüchterung der 85.000 in Kiew war das 1:1 schon der Endstand, die von Jens Nowotny organisierte Abwehr hielt dicht und der gefürchtete Mailand-Legionär Andrej Schewtschenko ging leer aus.

Nun reichte im mit 52.400 Zuschauer*innen ausverkauften Dortmunder Westfalenstadion schon ein 0:0. Die Mannschaft nahm Quartier im Fachwerk-Hotel Lennhof, zum Abendessen gab es eine Martinsgans. Die Laune stieg mit den Umfragewerten und Oliver Kahn prophezeite: "Wenn wir durchkommen, wird es dieser Mannschaft einen unglaublichen Schub geben."

"War klar, dass wir gut spielen würden"

Der Schub war schon mit Anpfiff da, wie entfesselt begann die mit neuem Sturm (Jancker und Neuville für Zickler und Asamoah) auflaufende Elf um die WM-Teilnahme zu rennen und zu kämpfen. So stand es nach 15 Minuten bereits 3:0. Rehmer: "Schon im Hotel und auf der Fahrt im Bus war es so ruhig wie selten. Alle waren so konzentriert, dass es mir klar war, dass wir gut spielen würden."

Der Berliner trug wesentlich dazu bei. Nachdem erneut Ballack das erste Tor (4.) geköpft hatte, bereitete Rehmer das 2:0 (11.) von Oliver Neuville mit einem Pfosten-Kopfball vor und erzielte das 3:0 (15.) per Kopf selbst. Das Stadion tobte, die Ukrainer waren geschockt "und wir konnten das einfach nur noch genießen", sagte Rehmer. In nur 15 furiosen Minuten war die Aussöhnung mit dem Publikum gelungen. Ballack erhöhte in einem seiner besten Länderspiele überhaupt kurz nach der Pause nach Bernd Schneiders Flanke auf 4:0 (51.) - es war das dritte Kopfballtor des Tages. Zum ersten Mal in der Völler-Ära wurde ein solch wichtiges Spiel sogar ein fußballerischer Genuss. In dem Maße, in dem die Spannung wich, kam die Kunst zur Geltung.

Erst in der Nachspielzeit wurde der Ukraine das Ehrentor zum 4:1 durch Superstar Andrej Schewtschenko gestattet. Am Jubel über die WM-Qualifikation änderte das nichts und Rudi Völler freute sich, dass sein 500. Arbeitstag als Bundestrainer nicht sein letzter gewesen war. Er wäre ansonsten zurückgetreten. Dass er blieb, lag nicht nur am Glückspfennig, den ein Bild-Reporter im Stadion von Kiew vergraben und anschließend nach Dortmund mitgebracht hatte. Jedenfalls hielt die stolze Serie, dass Deutschland nie eine WM-Qualifikation verpasst hat. Aber nie war es so knapp wie 2001.

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Die Nationalmannschaft hat sich bereits für die WM 2022 in Katar qualifiziert. Vorzeitig, wie so oft. Das war nicht immer so, heute vor 20 Jahren musste sie sogar einmal nachsitzen. Ein Rückblick.

Zum ersten Mal überhaupt in der DFB-Geschichte hatte sich die Nationalmannschaft in den Gruppenspielen zur WM 2002 nicht direkt qualifiziert. Weil sie zwei "Matchbälle" daheim gegen England (1:5) und Finnland (0:0) vergab, musste sie in die Play-offs gegen einen Gegner, der noch nie bei einer WM war. So war die Auswahl von Rudi Völler vor der Doppelveranstaltung am 10. November in Kiew und am 14. November in Dortmund leichter Favorit, aber nicht gerade von Optimisten umzingelt.

In einer Umfrage des Fachblattes Kicker glaubte nur eine knappe Mehrheit von 55,3 Prozent an den Erfolg. Den Ernst der Stunde dokumentierte die Tatsache, dass alle 36 Profiklubs ihre Manager oder Vorstandsvertreter nach Kiew entsandten. Geballte Solidarität.

In der Mannschaft wurde das registriert, mehr nicht. "Sollen sich doch 120.000 Manager auf die Tribüne setzen, das hilft uns auch nichts. Auf dem Platz müssen wir es zeigen", sagte Christian Ziege von Tottenham Hotspur, einer von damals zwei England-Legionären. Franz Beckenbauer, damals Bayern-Präsident, strotzte auch nicht vor Zuversicht. "Wir müssen auf Sieg spielen, damit es wenigstens zu einem Unentschieden reicht." Seine Standortbestimmung des deutschen Fußballs war wenig ermutigend: "Wir sind guter Durchschnitt, mehr nicht."

"Die Relegation hat uns zusammengeschweißt"

Der Schock über das 1:5 von München gegen Gruppensieger England vom 1. September saß eben noch immer tief. Nun also musste der da noch dreimalige Weltmeister nachsitzen, um die Tickets für Japan und Südkorea zu bekommen. Marko Rehmer, der rechte Verteidiger in Völlers Elf, erinnerte sich Jahre später: "Wir hätten diese Spiele am liebsten vermieden. Die Anspannung war sehr groß. Aber die Relegation hat uns zusammengeschweißt, sodass wir eine vernünftige WM gespielt haben."

Eine sympathische Untertreibung, Deutschland zog bekanntlich ins Finale ein und unterlag erst Brasilien (0:2).

Davon war die Mannschaft im Herbst 2001 aber weit entfernt. In Sebastian Deisler und Mehmet Scholl fehlten zwei kreative Spieler verletzt, Stürmer Oliver Neuville war gesperrt. SAT 1 übertrug die Partie live, 13,61 Millionen verfolgten sie am Bildschirm.

Schwacher Start - Ballack gleicht aus

Der Abend im Olympia-Stadion von Kiew begann schlecht für die Deutschen: Schon nach drei Minuten bebte der Pfosten des von Oliver Kahn gehüteten Tores und nach 18 Minuten landete ein Abstauber von Subow im deutschen Netz. 0:1! Dann wurde Marko Rehmer ein Kopfball-Tor aberkannt, weshalb die Bild fragte: "Wann kommt endlich die Tor-Kamera?" Heute haben wir sie.

Auf dem Platz wurde derweil ein Retter gesucht. Er erschien in der Gestalt des 25 Jahre alten Leverkuseners Michael Ballack, "der die Gabe hat, das wichtige erste Tor zu machen", wie Rudi Völler stets betonte. Es lief die 31. Minute. Gerade fragte SAT 1-Reporter Werner Hansch: "Wo ist eigentlich Ballack?", da war der schon zur Stelle. Als Bayern-Stürmer Alex Zickler eine Ecke verlängerte, traf er mit dem linken Fuß. "Das war das wichtigste Tor in meinem Leben. Es kann nur noch ein wichtigeres geben - wenn ich Deutschland am Mittwoch zur WM schieße", sagte Ballack so, als hätte er schon eine Ahnung.

Gute Voraussetzungen für das Rückspiel

Im Stadion legte er den Finger auf den Mund, um die Kulisse zum Schweigen zu bringen. "Ich wollte sagen: 'Seid ein bisschen ruhiger, die Deutschen sind auch noch da.'" Zur Ernüchterung der 85.000 in Kiew war das 1:1 schon der Endstand, die von Jens Nowotny organisierte Abwehr hielt dicht und der gefürchtete Mailand-Legionär Andrej Schewtschenko ging leer aus.

Nun reichte im mit 52.400 Zuschauer*innen ausverkauften Dortmunder Westfalenstadion schon ein 0:0. Die Mannschaft nahm Quartier im Fachwerk-Hotel Lennhof, zum Abendessen gab es eine Martinsgans. Die Laune stieg mit den Umfragewerten und Oliver Kahn prophezeite: "Wenn wir durchkommen, wird es dieser Mannschaft einen unglaublichen Schub geben."

"War klar, dass wir gut spielen würden"

Der Schub war schon mit Anpfiff da, wie entfesselt begann die mit neuem Sturm (Jancker und Neuville für Zickler und Asamoah) auflaufende Elf um die WM-Teilnahme zu rennen und zu kämpfen. So stand es nach 15 Minuten bereits 3:0. Rehmer: "Schon im Hotel und auf der Fahrt im Bus war es so ruhig wie selten. Alle waren so konzentriert, dass es mir klar war, dass wir gut spielen würden."

Der Berliner trug wesentlich dazu bei. Nachdem erneut Ballack das erste Tor (4.) geköpft hatte, bereitete Rehmer das 2:0 (11.) von Oliver Neuville mit einem Pfosten-Kopfball vor und erzielte das 3:0 (15.) per Kopf selbst. Das Stadion tobte, die Ukrainer waren geschockt "und wir konnten das einfach nur noch genießen", sagte Rehmer. In nur 15 furiosen Minuten war die Aussöhnung mit dem Publikum gelungen. Ballack erhöhte in einem seiner besten Länderspiele überhaupt kurz nach der Pause nach Bernd Schneiders Flanke auf 4:0 (51.) - es war das dritte Kopfballtor des Tages. Zum ersten Mal in der Völler-Ära wurde ein solch wichtiges Spiel sogar ein fußballerischer Genuss. In dem Maße, in dem die Spannung wich, kam die Kunst zur Geltung.

Erst in der Nachspielzeit wurde der Ukraine das Ehrentor zum 4:1 durch Superstar Andrej Schewtschenko gestattet. Am Jubel über die WM-Qualifikation änderte das nichts und Rudi Völler freute sich, dass sein 500. Arbeitstag als Bundestrainer nicht sein letzter gewesen war. Er wäre ansonsten zurückgetreten. Dass er blieb, lag nicht nur am Glückspfennig, den ein Bild-Reporter im Stadion von Kiew vergraben und anschließend nach Dortmund mitgebracht hatte. Jedenfalls hielt die stolze Serie, dass Deutschland nie eine WM-Qualifikation verpasst hat. Aber nie war es so knapp wie 2001.

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