Vom Rebell am Ball zum erfolgreichen Geschäftsmann

Er gilt als der Inbegriff des Spielmachers, quasi schon von klein auf hat das seine Berechtigung. Ohne Günter Netzer hätte es in der Gasthausstraße in Mönchengladbach in den fünfziger Jahren wohl etliche Fußballspiele weniger gegeben, denn Klein-Günter war der Ball-Lieferant. Seine Mutter betrieb einen Tante-Emma-Laden – und da gab es auch Gummibälle. So durfte er schon mit fünf bei den Großen mitspielen.

Ein Großer war er bald selbst, schon lange vor dem Eintritt ins Rentenalter. Am Montag wurde einer der genialsten deutschen Fußballer 65 Jahre alt, populär ist er immer noch. Alle Welt kennt ihn. Der jüngeren Generation ist er als Fernsehexperte präsent, der im verbalen Doppelpass mit Gerhard Delling in der ARD der Nationalmannschaft regelmäßig ein kompetentes Zeugnis ausstellt. Eines, auf das der Zuschauer etwas gibt, weil Netzer so seriös herüberkommt und auf jede Selbstdarstellung verzichtet. Über den jungen Netzer hat das niemand jemals behauptet.

Pop-Star im gelben Ferrari

Er war der erste Pop-Star der Bundesliga. Ein junger Wilder, der sich mit seinen Vorgesetzten anlegte und seinen eigenen Weg ging. Der in New York mit seinem Kumpan Berti Vogts des Nachts eine Feuerleiter herunterkletterte und sich in einem Taxi über den Broadway fahren ließ, weil er mehr sehen wollte als nur Hotel und Trainingsplätze. Der sich mit 21 in Kolumbien von der Mannschaft absetzte und auf abenteuerliche Weise ohne Rückflug-Ticket den Panama-Kanal überquerte, weil er auf einer Südamerikareise seiner Borussia plötzlich Heimweh verspürt hatte. Der nach einem Überholmanöver in der Gladbacher Innenstadt mit seinem gelben Ferrari nur knapp um den "Idiotentest" herum kam, immerhin war eine Bushaltestelle zu Bruch gegangen. Der spontan aus einer Vertragsverhandlung ging und im Supermarkt den billigsten Sekt kaufte, als der damalige Borussen-Manager Helmut Grashoff meinte, auf das großzügige Angebot müsse man mit Champagner anstoßen. Netzer war jedoch der Meinung, "mehr sei das nicht wert".

Günter Netzer wird 65

Der sich mit seinem nicht minder dickköpfigen Trainer Hennes Weisweiler manchmal so sehr stritt, dass es wochenlang keine Kommunikation gab und der getreue Berti Vogts den Mittler spielen musste. Der in der Mannschaft zwischenzeitlich so unbeliebt war, dass nach Erstellung eines Soziogramms heraus kam, mit ihm wolle keiner im Doppelzimmer liegen. Der mal bei einem sehenswerten Angriff des FC Liverpool bewundernd Beifall klatschte, statt zu attackieren, was Berti Vogts zu einem Wutanfall hinriss.

Und der sich, das war die legendäre Krönung der Renitenz, im Pokalfinale 1973 gegen Köln in der Verlängerung gegen den erschöpften Christian Kulik selbst einwechselte ("Ich spiele jetzt!") und prompt das Siegtor schoss. Weniger bekannt ist übrigens, dass Weisweiler ihn schon zur Halbzeit einwechseln wollte, doch Netzer lehnte ab: "Ich spiele nicht. Die sind auch ohne mich gut."

All das kam an bei der Jugend der Achtundsechziger-Generation. Und doch war Günter-Theo Netzer nie wirklich einer von ihnen. "Ich bin überhaupt kein politischer Mensch gewesen. Doch die 68er haben in mir einen gesehen, der ihre Ideale verkörpert. Krach mit dem Trainer, Aufbegehren gegen die Obrigkeit und Autoritäten, das war bis dahin undenkbar. Das war revolutionär. Mein Aussehen sowieso. Und sie haben meine Art Fußball zu spielen hoch interessant interpretiert. Das gefiel mir", hat er sein Image Jahrzehnte später reflektiert.

Aus der Tiefe des Raumes

Jedenfalls war er nie einfach nur ein Fußballer. Er war schon mit 20 ein Star und ließ es heraus. Ein Mann mit einer eigenen Diskothek, Kontakten zu Filmstars, der schnelle Autos fuhr und immer schöne Mädchen um sich herum hatte. Sie alle flogen auf seine wehenden blonden Haare. Den Männern war wichtiger, was er auf dem Platz im Dress von Borussia Mönchengladbach und der Nationalmannschaft tat – und auch das war schön anzusehen. "Da war ein sinnliches Verhältnis zu meinem Objekt, das bei jedem Fußtritt anders reagiert, das stets anders behandelt werden wollte", sagte der Mann mit Schuhgröße 47. Manch ein Berichterstatter geriet regelrecht ins Schwärmen ob seiner zentimetergenauen Pässe, Freistöße und Tempoläufe. "Der aus der Tiefe des Raumes plötzlich vorstoßende Netzer hatte 'thrill'. 'Thrill', das ist das Ergebnis, das nicht erwartete Manöver; das ist die Verwandlung von Geometrie in Energie, die vor Glück wahnsinnig machende Explosion im Strafraum.

So stand es zu lesen in der FAZ nach seinem vielleicht größten Spiel, jedenfalls seinem besten von nur 37 in der Nationalmannschaft, damals am 29. April 1972. Es war der erste deutsche Sieg in Wembley und Netzer war der Architekt jenes sagenumwobenen 3:1. Acht Wochen später war er Europameister und Deutschlands Fußballer des Jahres. Und wieder begannen die Beobachter zu schwärmen. "Zusammen mit dem einzigartigen Franz Beckenbauer haucht er dem Spiel die Seele ein", steht in einem Fußball-Jahrbuch von 1972. Dass Netzer nicht auch Weltmeister wurde, liegt an einer für ihn unglücklichen Fügung.

Es gab einen Antipoden in jener Ära, Wolfgang Overath. "Für zwei solche Typen ist auf dem Spielfeld zur gleichen Zeit kein Platz", erkannte Netzer ebenso wie sein Kölner Rivale ("Einer muss eben ins Gras beißen") – und Bundestrainer Helmut Schön sah es auch. Overath war unbestritten der Ehrgeizigere, dirigierte bei der WM in Mexiko 1970 und beim Triumph 1974 im eigenen Land. Netzer war 1974, als erster deutscher Legionär von Real Madrid, wegen Fitnessrückstands nur Statist im Kader, Schön gönnte ihm nur 21 Minuten beim 0:1 gegen die DDR. Bis heute sagt er: "Man beleidigt mich, wenn man mich als Weltmeister bezeichnet."

Titel als Spieler und Manager

Er hat auch so genug gewonnen: zwei deutsche und zwei spanische Meisterschaften als Spieler, DFB-Pokalsieger, zwei Mal Fußballer des Jahres (1972, 1973). Hinzu kamen die Titel als Manager des HSV, der er wurde, als er sich 1978 nur um die Gestaltung der Stadionzeitung bewarb. Er eignete sich offenkundig zu mehr, holte jene Trainer an die Elbe, von denen heute noch in Ehrfurcht gesprochen wurde: Branko Zebec und Ernst Happel. Sie gewannen die bis dato einzigen Meisterschaften in der Bundesliga und zur Krönung 1983 den Europacup der Meister. Nach einem weniger erfolgreichen Zwischenstopp als Schalke-Manager versucht sich der ewige Spielmacher als Geschäftsmann.

Als Sportrechtehändler hat er in der Schweiz sein Auskommen. Er lebt glücklich mit Frau Elvira, die er in einem notlandenden Flugzeug kennen lernte (und bei der anschließenden gemeinsamen Ferrari-Fahrt noch etwas besser) in Zürich, die beiden haben eine Tochter. Netzer schätzt wie einst auf dem Platz die große Freiheit des Spielmachers. Der Welt am Sonntag sagte er 2006: "Ich lasse mich nicht anbinden, Man hat mich nie hundertprozentig zum Arbeiten gekriegt. Ich werde immer frei bleiben, so wie früher auf dem Platz."

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Er gilt als der Inbegriff des Spielmachers, quasi schon von klein auf hat das seine Berechtigung. Ohne Günter Netzer hätte es in der Gasthausstraße in Mönchengladbach in den fünfziger Jahren wohl etliche Fußballspiele weniger gegeben, denn Klein-Günter war der Ball-Lieferant. Seine Mutter betrieb einen Tante-Emma-Laden – und da gab es auch Gummibälle. So durfte er schon mit fünf bei den Großen mitspielen.

Ein Großer war er bald selbst, schon lange vor dem Eintritt ins Rentenalter. Am Montag wurde einer der genialsten deutschen Fußballer 65 Jahre alt, populär ist er immer noch. Alle Welt kennt ihn. Der jüngeren Generation ist er als Fernsehexperte präsent, der im verbalen Doppelpass mit Gerhard Delling in der ARD der Nationalmannschaft regelmäßig ein kompetentes Zeugnis ausstellt. Eines, auf das der Zuschauer etwas gibt, weil Netzer so seriös herüberkommt und auf jede Selbstdarstellung verzichtet. Über den jungen Netzer hat das niemand jemals behauptet.

Pop-Star im gelben Ferrari

Er war der erste Pop-Star der Bundesliga. Ein junger Wilder, der sich mit seinen Vorgesetzten anlegte und seinen eigenen Weg ging. Der in New York mit seinem Kumpan Berti Vogts des Nachts eine Feuerleiter herunterkletterte und sich in einem Taxi über den Broadway fahren ließ, weil er mehr sehen wollte als nur Hotel und Trainingsplätze. Der sich mit 21 in Kolumbien von der Mannschaft absetzte und auf abenteuerliche Weise ohne Rückflug-Ticket den Panama-Kanal überquerte, weil er auf einer Südamerikareise seiner Borussia plötzlich Heimweh verspürt hatte. Der nach einem Überholmanöver in der Gladbacher Innenstadt mit seinem gelben Ferrari nur knapp um den "Idiotentest" herum kam, immerhin war eine Bushaltestelle zu Bruch gegangen. Der spontan aus einer Vertragsverhandlung ging und im Supermarkt den billigsten Sekt kaufte, als der damalige Borussen-Manager Helmut Grashoff meinte, auf das großzügige Angebot müsse man mit Champagner anstoßen. Netzer war jedoch der Meinung, "mehr sei das nicht wert".

Günter Netzer wird 65

Der sich mit seinem nicht minder dickköpfigen Trainer Hennes Weisweiler manchmal so sehr stritt, dass es wochenlang keine Kommunikation gab und der getreue Berti Vogts den Mittler spielen musste. Der in der Mannschaft zwischenzeitlich so unbeliebt war, dass nach Erstellung eines Soziogramms heraus kam, mit ihm wolle keiner im Doppelzimmer liegen. Der mal bei einem sehenswerten Angriff des FC Liverpool bewundernd Beifall klatschte, statt zu attackieren, was Berti Vogts zu einem Wutanfall hinriss.

Und der sich, das war die legendäre Krönung der Renitenz, im Pokalfinale 1973 gegen Köln in der Verlängerung gegen den erschöpften Christian Kulik selbst einwechselte ("Ich spiele jetzt!") und prompt das Siegtor schoss. Weniger bekannt ist übrigens, dass Weisweiler ihn schon zur Halbzeit einwechseln wollte, doch Netzer lehnte ab: "Ich spiele nicht. Die sind auch ohne mich gut."

All das kam an bei der Jugend der Achtundsechziger-Generation. Und doch war Günter-Theo Netzer nie wirklich einer von ihnen. "Ich bin überhaupt kein politischer Mensch gewesen. Doch die 68er haben in mir einen gesehen, der ihre Ideale verkörpert. Krach mit dem Trainer, Aufbegehren gegen die Obrigkeit und Autoritäten, das war bis dahin undenkbar. Das war revolutionär. Mein Aussehen sowieso. Und sie haben meine Art Fußball zu spielen hoch interessant interpretiert. Das gefiel mir", hat er sein Image Jahrzehnte später reflektiert.

Aus der Tiefe des Raumes

Jedenfalls war er nie einfach nur ein Fußballer. Er war schon mit 20 ein Star und ließ es heraus. Ein Mann mit einer eigenen Diskothek, Kontakten zu Filmstars, der schnelle Autos fuhr und immer schöne Mädchen um sich herum hatte. Sie alle flogen auf seine wehenden blonden Haare. Den Männern war wichtiger, was er auf dem Platz im Dress von Borussia Mönchengladbach und der Nationalmannschaft tat – und auch das war schön anzusehen. "Da war ein sinnliches Verhältnis zu meinem Objekt, das bei jedem Fußtritt anders reagiert, das stets anders behandelt werden wollte", sagte der Mann mit Schuhgröße 47. Manch ein Berichterstatter geriet regelrecht ins Schwärmen ob seiner zentimetergenauen Pässe, Freistöße und Tempoläufe. "Der aus der Tiefe des Raumes plötzlich vorstoßende Netzer hatte 'thrill'. 'Thrill', das ist das Ergebnis, das nicht erwartete Manöver; das ist die Verwandlung von Geometrie in Energie, die vor Glück wahnsinnig machende Explosion im Strafraum.

So stand es zu lesen in der FAZ nach seinem vielleicht größten Spiel, jedenfalls seinem besten von nur 37 in der Nationalmannschaft, damals am 29. April 1972. Es war der erste deutsche Sieg in Wembley und Netzer war der Architekt jenes sagenumwobenen 3:1. Acht Wochen später war er Europameister und Deutschlands Fußballer des Jahres. Und wieder begannen die Beobachter zu schwärmen. "Zusammen mit dem einzigartigen Franz Beckenbauer haucht er dem Spiel die Seele ein", steht in einem Fußball-Jahrbuch von 1972. Dass Netzer nicht auch Weltmeister wurde, liegt an einer für ihn unglücklichen Fügung.

Es gab einen Antipoden in jener Ära, Wolfgang Overath. "Für zwei solche Typen ist auf dem Spielfeld zur gleichen Zeit kein Platz", erkannte Netzer ebenso wie sein Kölner Rivale ("Einer muss eben ins Gras beißen") – und Bundestrainer Helmut Schön sah es auch. Overath war unbestritten der Ehrgeizigere, dirigierte bei der WM in Mexiko 1970 und beim Triumph 1974 im eigenen Land. Netzer war 1974, als erster deutscher Legionär von Real Madrid, wegen Fitnessrückstands nur Statist im Kader, Schön gönnte ihm nur 21 Minuten beim 0:1 gegen die DDR. Bis heute sagt er: "Man beleidigt mich, wenn man mich als Weltmeister bezeichnet."

Titel als Spieler und Manager

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Er hat auch so genug gewonnen: zwei deutsche und zwei spanische Meisterschaften als Spieler, DFB-Pokalsieger, zwei Mal Fußballer des Jahres (1972, 1973). Hinzu kamen die Titel als Manager des HSV, der er wurde, als er sich 1978 nur um die Gestaltung der Stadionzeitung bewarb. Er eignete sich offenkundig zu mehr, holte jene Trainer an die Elbe, von denen heute noch in Ehrfurcht gesprochen wurde: Branko Zebec und Ernst Happel. Sie gewannen die bis dato einzigen Meisterschaften in der Bundesliga und zur Krönung 1983 den Europacup der Meister. Nach einem weniger erfolgreichen Zwischenstopp als Schalke-Manager versucht sich der ewige Spielmacher als Geschäftsmann.

Als Sportrechtehändler hat er in der Schweiz sein Auskommen. Er lebt glücklich mit Frau Elvira, die er in einem notlandenden Flugzeug kennen lernte (und bei der anschließenden gemeinsamen Ferrari-Fahrt noch etwas besser) in Zürich, die beiden haben eine Tochter. Netzer schätzt wie einst auf dem Platz die große Freiheit des Spielmachers. Der Welt am Sonntag sagte er 2006: "Ich lasse mich nicht anbinden, Man hat mich nie hundertprozentig zum Arbeiten gekriegt. Ich werde immer frei bleiben, so wie früher auf dem Platz."