Volker Finke: "Auch in Freiburg war es nicht immer harmonisch"

Als neunter deutscher Trainer hat Volker Finke den Ehrenpreis "Lebenswerk" des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) erhalten. Im Rahmen des Festakts in Köln anlässlich der Abschlussveranstaltung des 65. Fußball-Lehrer-Lehrgangs erhielt der 71-Jährige am Donnerstagabend den Ehrenpreis aus den Händen von DFB-Präsident Reinhard Grindel. Bisherige Preisträger sind Dettmar Cramer, Udo Lattek, Gero Bisanz, Otto Rehhagel, Jupp Heynckes, Ottmar Hitzfeld, Bernd Schröder und Erich Rutemöller. Im DFB.de-Interview spricht Finke über 16 Jahre in Freiburg, seine Erfahrungen in Japan und Kamerun und über die Niederlagen und Erfolge seiner Karriere als Trainer.

DFB.de: Herr Finke, wie gut erinnern Sie sich noch an Ihren Fußball-Lehrer-Lehrgang vor 29 Jahren? Was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie an die Zeit an der Hennes-Weisweiler-Akademie denken?

Volker Finke: Als Erstes? Fällt mir ein Leuchten in einem dunklen Raum ein. Wir hatten damals Doppelzimmer im Hockeyheim der Kölner Sporthochschule. Ich habe mir das Zimmer mit Rainer Zobel geteilt, wir kannten uns schon vorher. Da ich parallel zum Lehrgang verantwortlicher Trainer beim TSV Havelse war und unter der Woche dreimal das Training geleitet habe, kam ich häufig erst nachts wieder nach Köln. Und dann hat sich mir dieser Anblick geboten. Dieses Bild des aufleuchtenden Glimmstängels im stockdunklen Zimmer werde ich nie vergessen. Rainer Zobel ist der einzige Mensch der Welt, der im Schlafen rauchen kann. (lacht)

DFB.de: Sie waren damals im Kurs unter anderem mit Friedhelm Funkel. Daraus ist eine Freundschaft entstanden, die bis heute Bestand hat.

Finke: Ja. Beinahe wäre er sogar noch einmal beim TSV Havelse bei mir als Spieler eingesprungen. Im Lehrgang habe ich bei diversen Spielformen gesehen, dass Friedhelm noch richtig gut drauf war. Ich habe eine Chance gewittert und ihn mit dem Gedanken angesteckt, dass er nochmal Spaß daran haben könnte, als Spieler zu helfen. Er hätte auch Lust gehabt. Es hat sich dann leider aber irgendwie zerschlagen.

DFB.de: Viele Teilnehmer des Fußball-Lehrer-Lehrgangs reden davon, wie ungewohnt es für Sie war, nach langer Zeit wieder die Schulbank zu drücken. Bei Ihnen müsste es anders gewesen sein, Sie standen kurz zuvor noch selbst als Lehrer vor Schulklassen.

Finke: Das stimmt, auch wenn die Perspektive natürlich eine andere war. Aber mein Studium und meine akademische Vorerfahrung haben mir insgesamt sehr geholfen.

DFB.de: Inwiefern?

Finke: Der Kurs ging von März bis Oktober. Während des Lehrgangs war die Endphase der Oberliga-Saison, während des Lehrgangs wurde auch die Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga gespielt – ich hatte also eine nicht geringe Belastung. Es war für mich daher hilfreich, dass ich nicht sehr viel Zeit investieren musste, um den Stoff zu verstehen und in den Lehrproben umzusetzen. Wenn man Sport studiert hat, hat man beim Fußball-Lehrer-Lehrgang einfach Vorteile.

DFB.de: Mit Blick auf Ihre Karriere als Trainer würden wir gerne ein paar Superlativen durchgehen. Ihr größter Erfolg war…

Finke: Ich würde zwei nennen, die gleichwertig sind. Zum einen der Aufstieg mit einem Dorfverein wie Havelse in die 2. Bundesliga. Und dann die Geschichte mit Freiburg, als wir im zweiten Jahr der Zugehörigkeit zur Bundesliga den dritten Platz belegt haben. Mit dem kleinsten Budget der gesamten Liga. Natürlich war der Klassenerhalt zuvor die Basis für alles, und er war ein kleines Wunder. Drei Spieltage vor Saisonende waren wir im Grunde schon abgestiegen. Dann haben wir in Stuttgart gewonnen, zu Hause gegen Leipzig und am letzten Spieltag in Duisburg. Zeitgleich verlor Nürnberg in Dortmund. So sind wir noch in der Liga geblieben. Auch das war natürlich ein unvergesslicher Erfolg.

DFB.de: Wo Erfolg ist, ist mitunter auch Misserfolg.

Finke: Ja…das stimmt, das gibt's auch. (Pause) (lacht)

DFB.de: An Ihre Niederlagen wollen Sie aber nicht zurückdenken?

Finke: Große Niederlagen sind für mich nicht in erste Linie Resultate auf dem Platz. Viel schwerwiegender war es immer, wenn ich meine Mannschaften oder auch einzelne Spieler nicht von meinen Ideen überzeugen konnte. Teil des Pakets in Freiburg war, dass wir Spieler zu uns geholt haben, die woanders Schwierigkeiten hatten, weil sie als eigenwillig galten. Ich habe mir eingebildet, dass es mir gelingen würde, diese Spieler für die Sache in Freiburg zu begeistern und damit ihre Leistung für uns zu gewinnen. Das hat manchmal geklappt. Aber manchmal eben auch nicht. Das habe ich jedes Mal als Niederlage empfunden.

DFB.de: Und andere Enttäuschungen?

Finke: In meinen 16 Jahren in Freiburg würde ich grob von vier Mannschaften sprechen, die ich trainiert habe. Bei Mannschaften ist es immer so, dass sie Entwicklungen nehmen und irgendwann ihren Zenit erreichen. Die Kunst für einen Trainer besteht darin, dies zu erkennen und rechtzeitig gegenzusteuern. Heute muss ich sagen, dass das nicht immer gelungen ist. In Freiburg haben wir immer einen Radikal-Schnitt gemacht, nachdem wir abgestiegen waren. Wir sind dann schnell wieder hochgekommen und haben mit der neuen Mannschaft die Liga gehalten. Man kann also wahrscheinlich sagen, dass es kein Fehler gewesen wäre, den Schnitt schon früher zu machen.



Als neunter deutscher Trainer hat Volker Finke den Ehrenpreis "Lebenswerk" des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) erhalten. Im Rahmen des Festakts in Köln anlässlich der Abschlussveranstaltung des 65. Fußball-Lehrer-Lehrgangs erhielt der 71-Jährige am Donnerstagabend den Ehrenpreis aus den Händen von DFB-Präsident Reinhard Grindel. Bisherige Preisträger sind Dettmar Cramer, Udo Lattek, Gero Bisanz, Otto Rehhagel, Jupp Heynckes, Ottmar Hitzfeld, Bernd Schröder und Erich Rutemöller. Im DFB.de-Interview spricht Finke über 16 Jahre in Freiburg, seine Erfahrungen in Japan und Kamerun und über die Niederlagen und Erfolge seiner Karriere als Trainer.

DFB.de: Herr Finke, wie gut erinnern Sie sich noch an Ihren Fußball-Lehrer-Lehrgang vor 29 Jahren? Was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie an die Zeit an der Hennes-Weisweiler-Akademie denken?

Volker Finke: Als Erstes? Fällt mir ein Leuchten in einem dunklen Raum ein. Wir hatten damals Doppelzimmer im Hockeyheim der Kölner Sporthochschule. Ich habe mir das Zimmer mit Rainer Zobel geteilt, wir kannten uns schon vorher. Da ich parallel zum Lehrgang verantwortlicher Trainer beim TSV Havelse war und unter der Woche dreimal das Training geleitet habe, kam ich häufig erst nachts wieder nach Köln. Und dann hat sich mir dieser Anblick geboten. Dieses Bild des aufleuchtenden Glimmstängels im stockdunklen Zimmer werde ich nie vergessen. Rainer Zobel ist der einzige Mensch der Welt, der im Schlafen rauchen kann. (lacht)

DFB.de: Sie waren damals im Kurs unter anderem mit Friedhelm Funkel. Daraus ist eine Freundschaft entstanden, die bis heute Bestand hat.

Finke: Ja. Beinahe wäre er sogar noch einmal beim TSV Havelse bei mir als Spieler eingesprungen. Im Lehrgang habe ich bei diversen Spielformen gesehen, dass Friedhelm noch richtig gut drauf war. Ich habe eine Chance gewittert und ihn mit dem Gedanken angesteckt, dass er nochmal Spaß daran haben könnte, als Spieler zu helfen. Er hätte auch Lust gehabt. Es hat sich dann leider aber irgendwie zerschlagen.

DFB.de: Viele Teilnehmer des Fußball-Lehrer-Lehrgangs reden davon, wie ungewohnt es für Sie war, nach langer Zeit wieder die Schulbank zu drücken. Bei Ihnen müsste es anders gewesen sein, Sie standen kurz zuvor noch selbst als Lehrer vor Schulklassen.

Finke: Das stimmt, auch wenn die Perspektive natürlich eine andere war. Aber mein Studium und meine akademische Vorerfahrung haben mir insgesamt sehr geholfen.

DFB.de: Inwiefern?

Finke: Der Kurs ging von März bis Oktober. Während des Lehrgangs war die Endphase der Oberliga-Saison, während des Lehrgangs wurde auch die Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga gespielt – ich hatte also eine nicht geringe Belastung. Es war für mich daher hilfreich, dass ich nicht sehr viel Zeit investieren musste, um den Stoff zu verstehen und in den Lehrproben umzusetzen. Wenn man Sport studiert hat, hat man beim Fußball-Lehrer-Lehrgang einfach Vorteile.

DFB.de: Mit Blick auf Ihre Karriere als Trainer würden wir gerne ein paar Superlativen durchgehen. Ihr größter Erfolg war…

Finke: Ich würde zwei nennen, die gleichwertig sind. Zum einen der Aufstieg mit einem Dorfverein wie Havelse in die 2. Bundesliga. Und dann die Geschichte mit Freiburg, als wir im zweiten Jahr der Zugehörigkeit zur Bundesliga den dritten Platz belegt haben. Mit dem kleinsten Budget der gesamten Liga. Natürlich war der Klassenerhalt zuvor die Basis für alles, und er war ein kleines Wunder. Drei Spieltage vor Saisonende waren wir im Grunde schon abgestiegen. Dann haben wir in Stuttgart gewonnen, zu Hause gegen Leipzig und am letzten Spieltag in Duisburg. Zeitgleich verlor Nürnberg in Dortmund. So sind wir noch in der Liga geblieben. Auch das war natürlich ein unvergesslicher Erfolg.

DFB.de: Wo Erfolg ist, ist mitunter auch Misserfolg.

Finke: Ja…das stimmt, das gibt's auch. (Pause) (lacht)

DFB.de: An Ihre Niederlagen wollen Sie aber nicht zurückdenken?

Finke: Große Niederlagen sind für mich nicht in erste Linie Resultate auf dem Platz. Viel schwerwiegender war es immer, wenn ich meine Mannschaften oder auch einzelne Spieler nicht von meinen Ideen überzeugen konnte. Teil des Pakets in Freiburg war, dass wir Spieler zu uns geholt haben, die woanders Schwierigkeiten hatten, weil sie als eigenwillig galten. Ich habe mir eingebildet, dass es mir gelingen würde, diese Spieler für die Sache in Freiburg zu begeistern und damit ihre Leistung für uns zu gewinnen. Das hat manchmal geklappt. Aber manchmal eben auch nicht. Das habe ich jedes Mal als Niederlage empfunden.

DFB.de: Und andere Enttäuschungen?

Finke: In meinen 16 Jahren in Freiburg würde ich grob von vier Mannschaften sprechen, die ich trainiert habe. Bei Mannschaften ist es immer so, dass sie Entwicklungen nehmen und irgendwann ihren Zenit erreichen. Die Kunst für einen Trainer besteht darin, dies zu erkennen und rechtzeitig gegenzusteuern. Heute muss ich sagen, dass das nicht immer gelungen ist. In Freiburg haben wir immer einen Radikal-Schnitt gemacht, nachdem wir abgestiegen waren. Wir sind dann schnell wieder hochgekommen und haben mit der neuen Mannschaft die Liga gehalten. Man kann also wahrscheinlich sagen, dass es kein Fehler gewesen wäre, den Schnitt schon früher zu machen.

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DFB.de: Zurück zu den Superlativen: Was war die beste Entscheidung des Fußball-Lehrers Volker Finke?

Finke: Wir haben in Freiburg anders Fußball gespielt. Wir haben damit erfolgreich Fußball gespielt. Das ist irgendwann auch außerhalb Freiburgs registriert worden. Meine beste Entscheidung war es, dass ich nach zwei, drei Jahren nicht den Verein gewechselt habe. Diesen "nächsten Schritt", der vielen Trainern angedichtet wird, habe ich mir erspart. Dieser nächste Schritt ist ja in Wahrheit fast immer der Schritt in ein Karussell, das seine Gäste mit großer Regelmäßigkeit abwirft. In diese Mühle bin ich nie hineingeraten, das war das Beste, was ich tun konnte.

DFB.de: Die Situation in Freiburg galt als besonders. Inwieweit haben Sie es bewusst als Luxus empfunden, dass Sie einen so sicheren Arbeitsplatz hatten?

Finke: Das ist so einfach nicht richtig. Achim Stocker, der Präsident des SC, mit dem ich wunderbar streiten konnte und den ich im hohen Maß respektiere, war schon 20 Jahre lang im Amt, bevor meine Zeit in Freiburg begann. In diesen 20 Jahren gab es in Freiburg 23 Trainer. Einmal hat Stocker einen Trainer sogar in der Halbzeit entlassen. Die Leute sind oft erstaunt und gucken mich mit großen Augen an, wenn ich das erzähle.

DFB.de: Wie haben Sie es geschafft, so lange in Freiburg zu arbeiten?

Finke: Stocker haben diese vielen Wechsel ja auch nicht gefallen. Er hat das mir gegenüber ziemlich schnell thematisiert und mir gesagt, dass ich das machen soll, was ich für richtig halten und dass er sich voll hinter mich stellen würde. Das hat er dann auch gemacht. Weil er es gut fand, wie ich es gemacht habe. Er hat mir später gesagt, dass auch er darüber erstaunt ist. "Diese Lehrer - eigentlich kann ich die nicht ab", hat er gesagt. "Aber bei Ihnen ist alles anders. Sie sind Lehrer, und Sie sind trotzdem gut." So war es halt. Aber Freiburg war kein Paradies, es war nicht immer harmonisch. Ich habe mit ihm auch herrlich gestritten und so manche Meinungsverschiedenheit ausgetragen.

DFB.de: Zum Beispiel?

Finke: Zu Beginn war es so, dass er sich oft gegen Investitionen in die Infrastruktur des Vereins gesträubt und das auch an meiner Person festgemacht hat.

DFB.de: Inwiefern?

Finke: Er hat gesagt: "Sie sind ja eh bald weg. Und dann stehe ich hier mit zehn Angestellten und allen möglichen Dingen, die ich nicht mehr benötige." Er war anfangs kein großer Freund unserer Erfolge. Ich erinnere mich noch gut an eine Weihnachtsfeier, auf der er zur Mannschaft gesagt hat: "Ich freue mich, dass die Tabelle so gut ist – aber aufsteigen, das geht hier in Freiburg einfach nicht." Ich dachte, ich hätte was an den Ohren. Diese Angst von Stocker habe ich nicht sofort verstanden. Irgendwann war mir klar, was er meinte und dann habe ich ihm versprochen, dass ich das Projekt in Freiburg auf jeden Fall so lange begleite, bis wir das Gefühl haben, es trägt sich und ist so nachhaltig, dass der SC unabhängig von der Person des Trainers im Profifußball bestehen kann.

DFB.de: Zurück zu den Superlativen: Wer war der beste Spieler, den Sie trainiert haben?

Finke: Einen Spieler hervorzuheben, ist immer schwer. Aber wenn ich genötigt werde, dann muss ich Lewan Kobiaschwili nennen. Er konnte auf mehreren Positionen spielen, hinten links, im zentralen Mittelfeld als Sechser, er konnte Innenverteidiger spielen. Kobiaschwili war sehr komplett, mit dem Ball, und auch wenn der Kopf arbeiten musste, war er einer der herausragend Guten.

DFB.de: Ihre Karriere bestand nicht nur aus Freiburg. Sie könnten auch Spieler nennen, die Sie in Japan oder in Kamerun trainiert haben?

Finke: Ich weiß. Ich weiß auch, auf wen Sie hinauswollen.

DFB.de: Samuel Eto'o.

Finke: Dachte ich mir.

DFB.de: Vielleicht fällt der Name bei der nächsten Kategorie: der komplizierteste Spieler?

Finke: Jetzt kommen wir zusammen. (lacht) Mit ihm - das war einfach ein spezieller Fall. Über ihn könnte ich Bücher schreiben.

DFB.de: Erzählen Sie die spannendsten Kapitel.

Finke: Einmal hat er nachts ein paar Minister Kameruns zusammengetrommelt und eine Sitzung einberufen, die das Ziel hatte, mich als Trainer zu entlassen. Aus deutscher, aus europäischer Perspektive, ist es bemerkenswert, dass ein Spieler so viel Einfluss haben kann.

DFB.de: Wie haben Sie es geschafft, diese Situation zu überstehen? Wenn Samuel Eto'o mit Unterstützung der Politik Ihre Entlassung anstrebt, dann hat das doch sicher Gewicht.

Finke: Ich hatte die Mannschaft hinter mir. Große Teile jedenfalls. Eto'o war jahrelang Kapitän, auch zurecht, wie ich finde. Er war in seiner Leistung herausragend, er hat sich auch von seinem Engagement her so verhalten, dass er weniger Politik gemacht hat. Aber das wurde immer mehr. Bei den Trainern unmittelbar vor mir war es schon so, dass diese erweiterte Kaderlisten erstellt haben, die dann an Eto'o geschickt wurden. Und er hat Haken hinter die Spieler gemacht, die er dabeihaben wollte. Er hat das in ähnlicher Weise auch von mir erwartet und war irritiert, dass ich das verweigert habe. Er kam oft mit einem Zettel in der Hand zu mir, auf dem eine Aufstellung für das das nächste Spiel notiert war.

DFB.de: Wie sind Sie damit umgegangen?

Finke: Mit Nettigkeit. Ich habe versucht, das Positive zu betonen. Ich habe ihm gesagt, dass ich es gut finde, dass er sich als Kapitän einbringen will und er sich Gedanken macht. Dass ich seine Meinung wertschätze und sie mir anhöre. Aber natürlich musste ich ihm auch klarmachen, wie die Rollen sind und wer welche Zuständigkeiten hat. Nach der WM in Brasilien haben wir in Kamerun dann einen Umbruch eingeleitet, ohne ihn.

DFB.de: Eto'o ist also unerreicht, was die schwierigsten Spieler angeht. Wer kommt ihm Nahe?

Finke: In Japan gab es auch schwierige Situationen. Ich hatte bei den Urawa Reds die Aufgabe, die Mannschaft zu verjüngen, die teuersten Spieler mussten raus, junge Talente in die Mannschaft eingebaut werden. Das war vielfach problematisch. Japan ist sehr hierarchisch, das Senioritätsprinzip hat einen großen Stellenwert. Wer dort in der Mannschaft am ältesten ist oder den dicksten Vertrag hat, der hat das Sagen. Das führte dazu, dass ich auch in Japan unfassbare Kämpfe auszutragen hatte, die zumindest ähnlich waren, wie ich das später bei Eto''o erlebt habe.

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DFB.de: Wir wollen zurück zu Ihren Anfängen. Vor Ihrer Zeit als Trainer im Fußball waren Sie auch als Spieler und Trainer im Tischtennis und Volleyball erfolgreich. Wie kam es dazu?

Finke: Ich habe das Glück, in Ballsportarten grundsätzlich eine gewisse Begabung zu haben. In meiner Kindheit und Jugend habe ich in Havelse Fußball gespielt. Das war toll, eine große Sache für mich. Aber als Jugendlicher ist man mit drei, vier Trainingseinheiten nicht ausgefüllt, daher habe ich schon als 14-Jähriger in der Herrenmannschaft Tischtennis gespielt - beim SV Osterwald. Später als Sportstudent hatte ich Spaß daran, Sachen auszuprobieren. Wir hatten damals schon eine Robot-Kamera und haben mit ihr die Bewegungsabläufe für einen vernünftigen Topspin und einen vernünftigen Unterschnitt analysiert und seziert. Beim Volleyball habe ich meistens einfach nur mitgespielt und nur hin und wieder auch das Training übernommen.

DFB.de: Tischtennis ist eine Einzelsportart, Volleyball wird mit sechs Leuten gespielt, Fußball mit elf. Wird die Arbeit eines Trainers komplexer, je mehr Spieler beteiligt sind?

Finke: Weiß ich nicht, vielleicht. Ich halte die Anzahl der Spieler aber vor allem aus einem anderen Grund für wesentlich.

DFB.de: Und zwar?

Finke: Sie ist entscheidend für die Popularität des Fußballs. Ich bin überzeugt, dass die Tatsache, dass Fußball mit so vielen Akteuren gespielt wird, zur Folge hat, dass Fußball am wenigsten vorhersehbar ist. Im Fußball weiß man nicht, wie es ausgeht, es gibt Überraschungen. Auch deswegen ist Fußball so beliebt. Je größer die Gruppe ist, desto größer ist auch die Chance für die Gruppe, die individuell schlechter ist, gegen eine individuell bessere Gruppe zu gewinnen. Weil man schlau spielen kann, mit der richtigen Taktik, es lässt sich etwas organisieren. Beim Volleyball geht das erheblich weniger, beim Tischtennis gar nicht mehr. Wenn die besten sechs Tischtennisspieler in einer Mannschaft spielen, ist die Chance bei fast 100 Prozent, dass diese Mannschaft gegen jede andere Mannschaft gewinnt. Im Fußball ist das anders. Schlaue Leute haben lange vor mir schon formuliert, dass eine Fußballmannschaft viel mehr ist als die Summe ihrer einzelnen Spieler.

DFB.de: Haben Sie aus dieser Vorerfahrung als Trainer in anderen Sportarten einen Mehrwert in der Rolle als Fußballtrainer ziehen können?

Finke: Ja, natürlich, das hat geholfen.

DFB.de: In Freiburg auch in Verbindung mit Achim Sarstedt, Ihrem Assistenten, der ausgebildeter Leichtathletik-Trainer war?

Finke: Klares Ja. Dafür kann ich etliche Beispiele nennen. Heute werden die Leute lächeln, aber früher wurden bis in die Bundesliga gravierende Fehler gemacht in der Frage der Trainingsdosierung, der Belastungssteuerung, der Frage des Trainingsaufbaus. Andere Sportarten waren dem Fußball Lichtjahre voraus. Etwa bei der Aktivierung hin zum Ereignis. Was wir im Fußball eingeführt haben, das Anschwitzen, die Kreislaufaktivierung ein paar Stunden vor dem Spiel, das gab es in der Leichtathletik schon lange vorher. Als wir das zum ersten Mal gemacht haben, haben mich die Spieler angeschaut, als käme ich von einem anderen Stern.

DFB.de: Sie haben in Freiburg Erfolge erzielt mit technisch anspruchsvollem Kurzpassspiel, mit ballorientiertem Kombinationsspiel. Für diese Art Fußball gab es kein plakatives Vorbild, es gab keinen Guardiola, an dem Sie sich orientieren konnten. Wo haben Sie den Gedanken des Kurzpassspiels hergenommen?

Finke: Viel bei anderen Sportarten. Aber natürlich auch bei anderen Fußballmannschaften und anderen Trainern. Schon als Sportstudent bin ich in den Semesterferien häufig in Sportferienlagern im Mittelmeerraum gewesen. In Südfrankreich und in Norditalien habe ich mir ganz viele Fußballspiele angeschaut, in Mailand und in Marseille viele Trainingseinheiten. Ich war neugierig und habe gesehen, dass dort anders trainiert und gespielt wird als in Deutschland. Später habe ich gezielt beobachtet, was Arrigo Sacchi in Mailand macht. Viel gesehen habe ich auch Barcelona. Der Cruyff-Fußball ist zwar etwas anders, trotzdem kann man von dem "Voetbal totaal" viel mitnehmen für seine Mannschaften. Voetbal totaal heißt zum Beispiel auch, den Ball nur dann nach vorne zu spielen, wenn es in dieser Situation eine gewisse Chance gibt, erfolgreich zu sein. Und eben nicht nur auf Zufälle und auf den zweiten Ball zu gehen. Mir hat es sehr viel Spaß gemacht, das mit Mannschaften hinzubekommen und meine Spieler für diese Ansätze zu begeistern.

DFB.de: Nach Freiburg kam mit den Urawa Red Diamonds, dem FC Bayern Japans, eine Station, die konträrer kaum sein konnte. War dieser Schritt ein bewusster Bruch, eine bewusste Entscheidung für das Gegenteil?

Finke: Nein. Es war einfach eine interessante Aufgabe, eine spannende Herausforderung. Ich bin sehr froh, dass ich das gemacht habe. Das wird dann ja immer gesagt: anderes Land, andere Kultur, und wie bereichernd das ist. Das mag langweilig klingen, aber genau das trifft zu. Japan ist diametral anders, man bekommt durch so eine Erfahrung ein Gefühl dafür, wie vielfältig und abwechslungsreich unser Planet Erde ist. Das war einfach gut. In Schulnoten: eine Eins.

DFB.de: Und fußballerisch?

Finke: Nur befriedigend, eine Drei. Es waren Spieler dabei wie Genki Haragushi, Hajme Hosogai, Makoto Hasebe, als sie noch sehr jung waren. Sehr gute Spieler, die ich als Jugendliche in die erste Mannschaft übernommen habe. Qualität war also da.

DFB.de: Aber?

Finke: Bei den Urawa Reds habe ich gemerkt, wie dieses extreme Gruppendenken viel Individualität ersticken kann. Es gibt dafür das Bild eines Nagelbretts. Wenn ein Nagel auf diesem Brett höher und schneller wächst als die anderen, dann wird dieser Nagel ganz schnell wieder auf die gleiche Höhe wie die anderen gehämmert. In Japan ist immer die Gruppe wichtiger als das Individuum.

DFB.de: Und sonst? Was ist Ihnen aus Japan noch in Erinnerung?

Finke: Prägend ist die unglaubliche Organisation, dagegen ist Deutschland chaotisch. Die Japaner wollen vier Wochen vorher vom Trainer wissen, um wie viel Uhr er an welchem Tag mit wie vielen Spielern trainieren will und was er dafür benötigt. Für die Japaner ist es ein Desaster, wenn dann von diesem Plan abgewichen wird. Wenn man als Trainer auf Entwicklungen im Spiel reagiert und das Training daher kurzfristig umstellt. Japaner haben eine überragende Arbeitseinstellung – aber oft ist sie zu gut. Sie glauben, dass sie mit dem Arbeitspensum auch im Fußball die Leistung zwingend steigern können. Ich habe am Anfang meiner Zeit nicht selten Spieler erlebt, die nach dem Abschlusstraining noch weitergemacht und mit Medizinbällen verrückte Geschichten angestellt haben, um sich richtig auszupowern.

DFB.de: Haben Sie ein bestimmtes Bild im Kopf, wenn Sie die Augen schließen und an Japan denken?

Finke: Ein kleines Trikot bei mir zuhause, das mir ein Kind geschenkt hat. Darauf steht geschrieben: "Finke, unterrichte mir Fußball. Bitte, bitte." Japaner suchen sich ihre Lehrer, ihre Respektsperson, an der sie sich orientieren können. Für diesen kleinen Jungen war ich diese Respektsperson, das hat mich berührt. Ich sehe das aber auch kritisch, eben weil in diesem Prinzip Individualität verloren geht. Genki Haragushi hat das mal in einem Interview in seiner Zeit bei Hertha BSC sehr anschaulich beschrieben. Er hat erzählt, dass für ihn die größte Überraschung in Deutschland war, dass man Witze machen kann – auch über ältere Spieler. Für ihn war es eine große Erleichterung und Bereicherung, dass man hier bei uns als junger Spieler eine Meinung haben und sich einbringen darf.

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DFB.de: Nach Japan und der Zeit in Köln folgte der nächste Riesenschritt: Sie wurden Trainer in Kamerun. Stimmt die Behauptung, dass Sie den Traum, einmal eine afrikanische Mannschaft zu trainieren, schon lange hatten?

Finke: Traum ist ein zu großes Wort. Es hat irgendwo nahe gelegen, weil ich in Freiburg mit vielen Spielern aus Afrika gearbeitet hatte.

DFB.de: Sie hatten oft mehr als nur einen Spieler aus einem Land in Ihren Mannschaften, häufig zwei oder drei.

Finke: Wenn man mit Spielern aus einem fremden Kulturkreis arbeitet, dann ist es einfach nur sinnvoll, mehr als nur einen zu holen. Ein Einzelner ist viel häufiger einsam, isoliert, hat Heimweh. So ein Spieler kann auch keine Leistung bringen. Wenn die Spieler einen oder mehrere Ansprechpartner haben, ist vieles leichter.

DFB.de: Lässt sich nicht auch umgekehrt argumentieren? Dass sich ein Einzelner schneller wohlfühlt, weil der Integrationsdruck größer ist?

Finke: Nein, das ist falsch. Das ist maximal theoretisch richtig, in der Praxis aber nicht. Selbst wenn ein Spieler voll motiviert und fleißig ist, wenn er eifrig deutsch lernt und sich bemüht, in die Mannschaft zu integrieren – es dauert einfach. Bis er die Sprache beherrscht, bis er vernünftig kommunizieren und soziale Kontakte knüpfen und pflegen kann. Es ist auch ein Unterschied, ob man die Möglichkeit hat, seine Gedanken und Gefühle gegenüber einem anderen in seiner eigenen Sprache auszudrücken. Natürlich müssen sich auch die beiden oder die drei Spieler integrieren und die Sprache lernen – aber das ist selbstverständlich.

DFB.de: Sie haben Kamerun zur WM 2014 geführt. Nach Niederlagen gegen Mexiko, Kroatien und Brasilien war das Turnier nach der Vorrunde beendet. Dennoch: Wie ordnen Sie das Erlebnis "WM" in Ihrer Trainerlaufbahn ein?

Finke: Ich habe in Brasilien wahnsinnig viele spannende Erfahrungen gemacht. Wobei einiges auch ernüchternd war. Für Kamerun ist es bei so einem Turnier leider nicht mehr wichtig, wie wir abschneiden. Die Mannschaft steht nicht im Vordergrund. Vor der WM gibt es plötzlich ganz viele Personen, die wichtiger sind oder die sich wichtiger nehmen, als die Spieler. Es war zum Beispiel so, dass der Flieger, der uns nach Brasilien bringen sollte, hoffnungslos überbucht und für die Mannschaft kein Platz mehr war. Zudem sind wir wegen des Streits bei den Prämienverhandlungen erst mit zwei Tagen Verspätung nach Brasilien geflogen. Vor Ort hat sich das fortgesetzt. Die Maschinen, die uns zu den Spielorten bringen sollten, waren plötzlich voll mit Delegationsmitgliedern und allen möglichen Leuten, die zuvor nie eine Rolle gespielt haben. Wiederholt war es so, dass wir auf dem Rollfeld standen, losfliegen wollten, aber nicht konnten, weil noch ein Minister gefehlt hat. Das konnte dann auch mal zwei bis drei Stunden dauern. Und dann landet man mit der Mannschaft zu spät am Zielort und kann nicht trainieren, weil die reservierten Trainingszeiten verstrichen waren.

DFB.de: Hausgemachte Wettbewerbsnachteile also.

Finke: Ja, leider. Und leider ist Kamerun da auch kein Einzelfall. Ähnlich ist es in vielen afrikanischen Staaten. Mir wird häufig gesagt, dass es doch bald mal so weit sein muss, dass ein afrikanisches Land Weltmeister wird. Ich bin da skeptisch. So lange die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse so sind, wie sie sind, so lange wäre es ein Wunder, wenn eine Mannschaft aus Afrika den Titel gewinnt. Wir müssen die Länder in Afrika darin unterstützen, die Entwicklung zur Zivilgesellschaft hinzubekommen, es muss sich eine Mittelschicht bilden. Wenn das und viele andere Dinge erfüllt sind, dann hätten afrikanischen Mannschaften bei Weltmeisterschaften Chancengleichheit. Vorher nicht.

DFB.de: Auf der Trainer-Gala in Köln wurden 24 neue Fußball-Lehrer ausgezeichnet. Gibt es einen zentralen Rat, den Sie für die Absolventen haben?

Finke: Für mich ist ein Punkt wichtig, nämlich, dass sich die Trainer nicht als die Entwickler von Spielern verstehen.

DFB.de: Sondern?

Finke: Als Begleiter. Trainer müssen versuchen, denen zu helfen, bei denen Talent zu erkennen ist. Durch bestimmte Trainingsinhalte, mit denen auf das Talent des Spielers eingegangen wird. Die Spieler entwickeln sich von ganz alleine, Trainer können nur dafür sorgen, dass die Spieler in dieser Entwicklung optimal begleitet werden. Hier eine Leitplanke, da eine Leitplanke. Wichtig ist aber immer, dabei auf die individuellen Besonderheiten der Spieler einzugehen und die Spieler nicht in Schablonen zu pressen.

DFB.de: Abschließend: Wenn Sie auf Ihre Karriere blicken - welchem Menschen gilt Ihr größter Dank?

Finke: Ich finde es auch hier schwierig, einen besonders hervorzuheben. Aber die Person Achim Stocker war einfach wichtig für mich, ihn kann ich nicht nicht nennen. Ansonsten will ich keine einzelnen Personen aufzählen. Ganz grundsätzlich bin ich dankbar, dass es in meinem Umfeld Menschen gab und gibt, die mit der Fußball-Blase nichts zu tun haben. Gerade deren Perspektive war für mich wertvoll und hat mir geholfen, gute Lösungen zu finden für die speziellen Herausforderungen, die das Milieu Fußball mit sich bringt.

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