Vogts: "Daumen hoch für Flick!"

Auch mit 75 kann man manche Dinge zum ersten Mal erleben. Seinen Geburtstag feiert Hans-Hubert Vogts, den alle nur Berti nennen, heute erstmals ohne Freunde. Corona ist schuld daran, dass es nur zu einer kleinen Feier im engsten Familienrahmen reicht. Aber der wiederum ist größer geworden, seit acht Monaten ist der ehemalige Bundestrainer und Nationalspieler nun Opa. Sohn Justin und dessen Frau haben ihm eine Enkelin geschenkt.

Was die Freunde ihm schenken werden, erfährt er erst im Mai, zumindest ist das der Plan. Dann hofft nicht nur Berti Vogts auf bessere Zeiten, dann sollen alle in den Schwarzwald ins Hotel Traube kommen dürfen, die in einem langen Fußballerleben zu seinen Freunden geworden sind. Im Gespräch mit DFB.de lässt er es Revue passieren.

Berti Vogts über...

... seine Gesundheit: Mir geht’s gut. Nach meiner Herzoperation 2016 werde ich von einem Tübinger Herzspezialisten betreut, bin da in besten Händen. Ich kann wandern, spiele Golf mit Handicap 16 und schaue mir vor Ort Fußballspiele an. Auch im Ausland. Manchmal sehe ich in der Premier League an einem Wochenende drei Spiele, das ist unterhaltsamer als die Bundesliga.

... die schönste Zeit als Aktiver: Das war die als Juniorenspieler unter Dettmar Cramer, Trainer der Westdeutschen Auswahl. Er hat mich auch zum Verteidiger gemacht, in Büttgen war ich noch Halbstürmer gewesen. Und Cramer hat mir gesagt, dass ich lieber nach Mönchengladbach als zu Fortuna Düsseldorf gehen soll, weil Hennes Weisweiler auf junge Spieler setzt. So kam es, und die Zeit unter Weisweiler war natürlich auch wunderbar.

... seinen Spitznamen "Terrier": Das hat irgendein Journalist erfunden. Anfangs habe ich nur den Kopf darüber geschüttelt. Es sollte wohl meine bissige Spielweise schildern. Fakt ist, dass ich nie die Rote Karte gesehen oder eine Gelb-Sperre habe hinnehmen müssen.

... seine größten Erfolge: Über allem steht natürlich der Gewinn der Weltmeisterschaft 1974 im eigenen Land, das war der wertvollste Titel. Aber das Gefühl, 1970 erstmals Deutscher Meister geworden zu sein, war auch fantastisch.

... seine schönste WM: Das war meine erste, 1970 in Mexiko. Ich war der Jüngste im Kader und durfte mit Größen wie Uwe Seeler, Willi Schulz und Franz Beckenbauer spielen, um nur einige zu nennen. Ich war damals jede Minute dabei, wie bei all meinen 19 WM-Spielen bis 1978. Wir wurden zwar nicht Weltmeister, aber der dritte Platz in Mexiko mit den großen Spielen gegen England und Italien war etwas ganz Besonderes. Zumal wir nur zwölf Tage Vorbereitung gehabt hatten.

1974 war alles ein bisschen anders. Wie wir in Malente gelebt haben mit vier Mann auf einem Zimmer, das kann man ja heute keinem mehr zumuten. Aber im Nachhinein kann man sagen: Geschadet hat es uns nicht, wir wurden Weltmeister. Der Titel verbindet uns bis heute, eigentlich habe ich zu allen Spielern, die unter Helmut Schön Weltmeister geworden sind, ein gutes Verhältnis. Wir sind richtige Freunde geworden, und wir freuen uns immer, uns wiederzusehen.

... sein schönstes Länderspiel: Das war ein Testspiel kurz vor Weihnachten 1968 in Maracana gegen Brasilien, ein 2:2. 180.000 waren gekommen, allerdings nicht um uns, sondern um Pelé zu sehen. Er war mit Abstand der beste Spieler aller Zeiten - noch vor Maradona, Messi oder Cristiano Ronaldo. Es war ein Spektakel. Erst liefen die zehn Mitspieler ein, dann gab es eine Kunstpause und dann kam Pelé, um einen Extraapplaus abzuholen. Alle Menschen im Stadion sind aufgestanden. Es war faszinierend. Deshalb ist das mein Lieblingsspiel.

... die beste Nationalmannschaft: Die Europameister von 1972 waren fußballerisch das Beste, was diese Generation je gemacht hat. Den Ruf trägt sie zurecht. Wenn ich nur an die langen Pässe denke, die der Günter (Netzer; Anm. d. Red.) geschlagen hat, das war absolute Weltklasse. Ich hatte das Pech, dass ich 1972 verletzt war. Helmut Schön nahm mich trotzdem mit zur EM nach Belgien mit der Begründung, dass ich 1974 sowieso dabei sei. Er wollte mir bedeuten, dass ich dazugehörte, und mich bei der EM einwechseln, aber ich habe wegen meines Knies verzichtet.

... seine besten Trainer: Ich habe Dettmar Cramer, Hennes Weisweiler und Helmut Schön viel zu verdanken und vieles von ihnen übernommen für meine Arbeit als Trainer. Zum Beispiel, dass man permanent an seinen Schwächen arbeiten muss, auch mit Einzeltraining etwa am Kopfballpendel. Das hat mir mancher Weltmeister von 1990 noch gedankt.

... Stolz auf junge Schützlinge: Wir haben 1990 in Italien beim WM-Gewinn 17 Spieler im Kader gehabt, die ich im Juniorenbereich betreut hatte. Darauf bin ich immer sehr stolz gewesen.

... Beckenbauers Erbe: Als ich 1990 die Nationalmannschaft übernommen habe, sagte Franz ja bekanntlich die legendären Worte, sie sei mit den nun dazukommenden Spielern aus der DDR auf Jahre hinaus nicht zu besiegen. Im Gegensatz zur veröffentlichten Meinung empfand ich dadurch keinerlei Belastung. Trotzdem habe ich ihn gefrotzelt: "Da hast du mir ein schönes Ei ins Nest gelegt."

... seinen größten Fehler als Bundestrainer: Wir hatten bei der WM 1994 in den USA die besten Spieler in meiner Zeit, aber wir waren keine Mannschaft. Es gab zu viele Probleme, die nichts mit Fußball zu tun hatten. Dass die Frauen mit ihren Kindern ins Hotel kamen, sorgte für Unruhe. Da war ich zu großzügig, aber ich musste es doch sein, weil der Franz das 1990 auch erlaubt hatte.

... seine beste Einwechslung: Im EM-Finale 1996 gab ich meinem Assistenten Rainer Bonhof beim Stand von 0:1 die Anweisung, Oliver Bierhoff herbeizuwinken. Bonhof konnte es erst kaum glauben, aber ich beharrte darauf im Gefühl, dass nur er uns jetzt noch retten konnte. Im Juniorenbereich hatte er bei mir schließlich auch immer viele Tore gemacht. So kam es dann ja in Wembley bekanntlich auch.

... sein Fazit als DFB-Trainer: Der DFB war als Arbeitgeber das Wertvollste, was ich je kennengelernt habe. Mit den Präsidenten Hermann Neuberger oder Egidius Braun war es stets ein vertrauensvolles Verhältnis. Wenn es etwas Wichtiges zu besprechen gab, hat Neuberger den Franz und mich in die "Traube" eingeladen, wobei ich weiter fahren musste als der Franz. Was wir da besprochen haben, drang nie nach außen. Es war eine andere Zeit, auch in der Trainerausbildung.

... seine Erlebnisse als Nationaltrainer im Ausland: In Schottland habe ich Golfspielen gelernt, denn es war Tradition, dass die Nationalmannschaft am Dienstagnachmittag vor einem Länderspiel Golfen geht. Nach einem Probeschlag hat man mir einen Trainer für Anfänger gegeben, aber das haben sie mir immerhin sehr höflich erklärt. Außerdem sollte ich darauf achten, möglichst gleich viele Spieler von Celtic Glasgow und den Rangers einsetzen. Bei elf eigentlich unmöglich - aber der Torwart zähle da nicht mit, hieß es.

In Nigeria staunte ich darüber, was die Spieler am Ball konnten. Das habe ich sonst nie gesehen. Weil ich den im Ausland spielenden Profis erlaubte, vor dem Spiel mal kurz bei der lange entbehrten Familie zu übernachten, waren sie mir sehr dankbar.

In Kuwait erfuhr ich bei der Hochzeit eines Spielers, dass Männer und Frauen auch nach der Trauung nicht zusammen feiern dürfen. Wo sind die Frauen, fragte ich verwundert. Die saßen alle in einem anderen Raum, wurde mir bedeutet - das konnte ich kaum fassen.

Nach Aserbaidschan pflege ich noch immer freundschaftliche Verhältnisse. Ich habe die Auswahl damals von Platz 140 auf 65 der Weltrangliste gebracht.

... seinen Eindruck von Hansi Flick: Ich finde es wichtig, dass er zu den Vereinen hinfährt und Kontakt pflegt. Auch die Art und Weise, wie er mit den Spielern umgeht, gefällt mir. Daumen hoch!

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Auch mit 75 kann man manche Dinge zum ersten Mal erleben. Seinen Geburtstag feiert Hans-Hubert Vogts, den alle nur Berti nennen, heute erstmals ohne Freunde. Corona ist schuld daran, dass es nur zu einer kleinen Feier im engsten Familienrahmen reicht. Aber der wiederum ist größer geworden, seit acht Monaten ist der ehemalige Bundestrainer und Nationalspieler nun Opa. Sohn Justin und dessen Frau haben ihm eine Enkelin geschenkt.

Was die Freunde ihm schenken werden, erfährt er erst im Mai, zumindest ist das der Plan. Dann hofft nicht nur Berti Vogts auf bessere Zeiten, dann sollen alle in den Schwarzwald ins Hotel Traube kommen dürfen, die in einem langen Fußballerleben zu seinen Freunden geworden sind. Im Gespräch mit DFB.de lässt er es Revue passieren.

Berti Vogts über...

... seine Gesundheit: Mir geht’s gut. Nach meiner Herzoperation 2016 werde ich von einem Tübinger Herzspezialisten betreut, bin da in besten Händen. Ich kann wandern, spiele Golf mit Handicap 16 und schaue mir vor Ort Fußballspiele an. Auch im Ausland. Manchmal sehe ich in der Premier League an einem Wochenende drei Spiele, das ist unterhaltsamer als die Bundesliga.

... die schönste Zeit als Aktiver: Das war die als Juniorenspieler unter Dettmar Cramer, Trainer der Westdeutschen Auswahl. Er hat mich auch zum Verteidiger gemacht, in Büttgen war ich noch Halbstürmer gewesen. Und Cramer hat mir gesagt, dass ich lieber nach Mönchengladbach als zu Fortuna Düsseldorf gehen soll, weil Hennes Weisweiler auf junge Spieler setzt. So kam es, und die Zeit unter Weisweiler war natürlich auch wunderbar.

... seinen Spitznamen "Terrier": Das hat irgendein Journalist erfunden. Anfangs habe ich nur den Kopf darüber geschüttelt. Es sollte wohl meine bissige Spielweise schildern. Fakt ist, dass ich nie die Rote Karte gesehen oder eine Gelb-Sperre habe hinnehmen müssen.

... seine größten Erfolge: Über allem steht natürlich der Gewinn der Weltmeisterschaft 1974 im eigenen Land, das war der wertvollste Titel. Aber das Gefühl, 1970 erstmals Deutscher Meister geworden zu sein, war auch fantastisch.

... seine schönste WM: Das war meine erste, 1970 in Mexiko. Ich war der Jüngste im Kader und durfte mit Größen wie Uwe Seeler, Willi Schulz und Franz Beckenbauer spielen, um nur einige zu nennen. Ich war damals jede Minute dabei, wie bei all meinen 19 WM-Spielen bis 1978. Wir wurden zwar nicht Weltmeister, aber der dritte Platz in Mexiko mit den großen Spielen gegen England und Italien war etwas ganz Besonderes. Zumal wir nur zwölf Tage Vorbereitung gehabt hatten.

1974 war alles ein bisschen anders. Wie wir in Malente gelebt haben mit vier Mann auf einem Zimmer, das kann man ja heute keinem mehr zumuten. Aber im Nachhinein kann man sagen: Geschadet hat es uns nicht, wir wurden Weltmeister. Der Titel verbindet uns bis heute, eigentlich habe ich zu allen Spielern, die unter Helmut Schön Weltmeister geworden sind, ein gutes Verhältnis. Wir sind richtige Freunde geworden, und wir freuen uns immer, uns wiederzusehen.

... sein schönstes Länderspiel: Das war ein Testspiel kurz vor Weihnachten 1968 in Maracana gegen Brasilien, ein 2:2. 180.000 waren gekommen, allerdings nicht um uns, sondern um Pelé zu sehen. Er war mit Abstand der beste Spieler aller Zeiten - noch vor Maradona, Messi oder Cristiano Ronaldo. Es war ein Spektakel. Erst liefen die zehn Mitspieler ein, dann gab es eine Kunstpause und dann kam Pelé, um einen Extraapplaus abzuholen. Alle Menschen im Stadion sind aufgestanden. Es war faszinierend. Deshalb ist das mein Lieblingsspiel.

... die beste Nationalmannschaft: Die Europameister von 1972 waren fußballerisch das Beste, was diese Generation je gemacht hat. Den Ruf trägt sie zurecht. Wenn ich nur an die langen Pässe denke, die der Günter (Netzer; Anm. d. Red.) geschlagen hat, das war absolute Weltklasse. Ich hatte das Pech, dass ich 1972 verletzt war. Helmut Schön nahm mich trotzdem mit zur EM nach Belgien mit der Begründung, dass ich 1974 sowieso dabei sei. Er wollte mir bedeuten, dass ich dazugehörte, und mich bei der EM einwechseln, aber ich habe wegen meines Knies verzichtet.

... seine besten Trainer: Ich habe Dettmar Cramer, Hennes Weisweiler und Helmut Schön viel zu verdanken und vieles von ihnen übernommen für meine Arbeit als Trainer. Zum Beispiel, dass man permanent an seinen Schwächen arbeiten muss, auch mit Einzeltraining etwa am Kopfballpendel. Das hat mir mancher Weltmeister von 1990 noch gedankt.

... Stolz auf junge Schützlinge: Wir haben 1990 in Italien beim WM-Gewinn 17 Spieler im Kader gehabt, die ich im Juniorenbereich betreut hatte. Darauf bin ich immer sehr stolz gewesen.

... Beckenbauers Erbe: Als ich 1990 die Nationalmannschaft übernommen habe, sagte Franz ja bekanntlich die legendären Worte, sie sei mit den nun dazukommenden Spielern aus der DDR auf Jahre hinaus nicht zu besiegen. Im Gegensatz zur veröffentlichten Meinung empfand ich dadurch keinerlei Belastung. Trotzdem habe ich ihn gefrotzelt: "Da hast du mir ein schönes Ei ins Nest gelegt."

... seinen größten Fehler als Bundestrainer: Wir hatten bei der WM 1994 in den USA die besten Spieler in meiner Zeit, aber wir waren keine Mannschaft. Es gab zu viele Probleme, die nichts mit Fußball zu tun hatten. Dass die Frauen mit ihren Kindern ins Hotel kamen, sorgte für Unruhe. Da war ich zu großzügig, aber ich musste es doch sein, weil der Franz das 1990 auch erlaubt hatte.

... seine beste Einwechslung: Im EM-Finale 1996 gab ich meinem Assistenten Rainer Bonhof beim Stand von 0:1 die Anweisung, Oliver Bierhoff herbeizuwinken. Bonhof konnte es erst kaum glauben, aber ich beharrte darauf im Gefühl, dass nur er uns jetzt noch retten konnte. Im Juniorenbereich hatte er bei mir schließlich auch immer viele Tore gemacht. So kam es dann ja in Wembley bekanntlich auch.

... sein Fazit als DFB-Trainer: Der DFB war als Arbeitgeber das Wertvollste, was ich je kennengelernt habe. Mit den Präsidenten Hermann Neuberger oder Egidius Braun war es stets ein vertrauensvolles Verhältnis. Wenn es etwas Wichtiges zu besprechen gab, hat Neuberger den Franz und mich in die "Traube" eingeladen, wobei ich weiter fahren musste als der Franz. Was wir da besprochen haben, drang nie nach außen. Es war eine andere Zeit, auch in der Trainerausbildung.

... seine Erlebnisse als Nationaltrainer im Ausland: In Schottland habe ich Golfspielen gelernt, denn es war Tradition, dass die Nationalmannschaft am Dienstagnachmittag vor einem Länderspiel Golfen geht. Nach einem Probeschlag hat man mir einen Trainer für Anfänger gegeben, aber das haben sie mir immerhin sehr höflich erklärt. Außerdem sollte ich darauf achten, möglichst gleich viele Spieler von Celtic Glasgow und den Rangers einsetzen. Bei elf eigentlich unmöglich - aber der Torwart zähle da nicht mit, hieß es.

In Nigeria staunte ich darüber, was die Spieler am Ball konnten. Das habe ich sonst nie gesehen. Weil ich den im Ausland spielenden Profis erlaubte, vor dem Spiel mal kurz bei der lange entbehrten Familie zu übernachten, waren sie mir sehr dankbar.

In Kuwait erfuhr ich bei der Hochzeit eines Spielers, dass Männer und Frauen auch nach der Trauung nicht zusammen feiern dürfen. Wo sind die Frauen, fragte ich verwundert. Die saßen alle in einem anderen Raum, wurde mir bedeutet - das konnte ich kaum fassen.

Nach Aserbaidschan pflege ich noch immer freundschaftliche Verhältnisse. Ich habe die Auswahl damals von Platz 140 auf 65 der Weltrangliste gebracht.

... seinen Eindruck von Hansi Flick: Ich finde es wichtig, dass er zu den Vereinen hinfährt und Kontakt pflegt. Auch die Art und Weise, wie er mit den Spielern umgeht, gefällt mir. Daumen hoch!

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