Völler: "Weltmeister bist du für immer"

„Un Trascinatore“, ein Mitreißer. So nannte ihn einst Dino Viola, der Präsident von AS Rom. Rudi Völler, ein Draufgänger im gegnerischen Strafraum. Einfach mitreißend. Weltmeister 1990 mit Deutschland, italienischer Pokalsieger 1991 mit AS Rom, Champions League-Gewinner 1993 mit Olympique Marseille.

Mitreißend war er später als Teamchef der deutschen Nationalmannschaft, die er 2002 in seinem insgesamt dritten WM-Finale zur Vize-Weltmeisterschaft führte. Und ein „trascinatore“ ist Rudi Völler in seiner heutigen Rolle des Sportdirektors als Frontmann bei Bayer Leverkusen. Vor allem aber war und blieb Rudi Völler immer authentisch und ist mit seiner Glaubwürdigkeit und Gradlinigkeit zum Liebling der Fans geworden.

Am Dienstag wurde er 50. Im DFB.de-Gespräch der Woche mit Redakteur Wolfgang Tobien blickt Rudi Völler zurück auf Höhe- und Tiefpunkte seiner Karriere. Er umreißt die Prinzipien seines heutigen Jobs in Leverkusen und blickt auf die WM in Südafrika. Und er beschreibt zwei große Persönlichkeiten, die er bewundert.

DFB.de: Herr Völler, wo und mit wem werden Sie Ihren 50. Geburtstag feiern?

Rudi Völler: Am liebsten würde ich mit meiner Frau für ein paar Tage wegfahren. Das geht aber jetzt in der Endphase der Saison natürlich nicht. So wird im kleinen Rahmen mit einem ganz kleinen Personenkreis gefeiert. Wenn ich 60 werde, wird es vielleicht eine größere Party geben.

DFB.de: Welchen besonderen Geburtstagswunsch haben Sie, außer Gesundheit für Sie selbst und Ihre Familie?

Völler: Mit der tollen und leidenschaftlichen Leistung - vor allem in der zweiten Halbzeit - beim 1:1 gegen Bayern München hat mir die Mannschaft am Samstag ja schon ein kleines Geschenk gemacht. Schade, dass wir nicht mit drei Punkten belohnt wurden. Generell werde ich mich weiterhin mit großer Energie um beruflichen Erfolg bemühen. Aber ganz klar, Gesundheit für die Familie und mich ist das Entscheidende.

Rudi Völler zum 50. Geburtstag - Stationen eines bewegten Lebens

DFB.de: Mit welchem Gefühl blicken Sie auf ein halbes Jahrhundert Rudi Völler zurück?

Völler: Sicherlich mir einem anderen Lebensgefühl als die Generation vor mir. Mein Vater war noch im Krieg und dann mit 50, wie viele seiner damaligen Altersgenossen, auch wegen der seinerzeitigen Arbeitsbedingungen schon etwas müde und erschöpft. Heute fühlen sich viele 50-Jährige, so wie ich, noch jung und fit. Im privaten Bereich war Sabrina, die ich damals in Rom kennen gelernt und geheiratet habe, der Glücksgriff in meinem Leben. Sportlich und beruflich würde ich alle Entscheidungen noch mal genauso treffen. Mit Ausnahme des kurzen Intermezzos 2004 als Trainer bei AS Rom. Das war ein Fehler.

DFB.de: Warum?

Völler: Damals hätte ich nach meinem Rücktritt bei der EM 2004 eine längere Pause machen müssen. Ich hatte viele Anfragen von Klubs, denen ich sofort abgesagt habe, Es gibt aber zwei, drei Vereine, die mich zu jenem Zeitpunkt trotzdem hätten überreden können, weil ich zu ihnen einen besonders engen und emotionalen Draht habe. Dazu gehört sowieso Bayer Leverkusen. Dazu zählt Kickers Offenbach, mein erster Profiverein, dessen neues Stadion wir mit Bayer Leverkusen im nächsten Jahr einweihen werden. Nicht nur wegen mir, sondern auch wegen der seit vielen Jahren bestehenden Fan-Freundschaft zwischen beiden Vereinen. Und eben AS Rom, wo ich die schönsten fünf Jahre meiner Spielerkarriere verbracht habe. Für diese schwere Aufgabe hätte ich meinen Kopf aber total frei haben und bestens vorbereitet sein müssen. Das funktionierte so kurz nach der EM jedoch noch nicht.

DFB.de: Als Fußballer haben Sie in den vergangenen Jahrzehnten einige Wandlungen hinter sich: vom Spieler zum Weltstar, vom Top-Torjäger zum Trainer, vom Teamchef zum Sportdirektor. Welche Veränderungen stellen Sie dabei an sich selbst fest?

Völler: Der Wechsel zum Teamchef der Nationalmannschaft hat mich schon ein Stück weit verändert. Wegen der Verantwortung, die man in dieser Position trägt, bei der wichtigsten Trainer-Aufgabe, die es im deutschen Fußball gibt. Dieses Bewusstsein, der Deutschen liebstes Gut zu verantworten, war für mich mit vier tollen und aufregenden, aber auch sehr anstrengenden Jahren verbunden. Das ist heute für Jogi Löw nicht anders. Weil wirklich jeder Wimpernschlag beobachtet und hinterfragt wird.

DFB.de: Wie schwierig ist es, früher als Teamchef und jetzt als Sportdirektor Rudi Völler bleiben zu können, dessen Charisma vor allem auf absoluter Glaubwürdigkeit und Gradlinigkeit basiert?

Völler: Natürlich kann man in einer solchen Position nicht immer gerade heraus sagen, was man denkt und plant. Vor allem, wenn es um Personalfragen geht. Ich musste und muss meinen eigenen Stil finden. Wichtig ist dabei, ein Umfeld von hoher Qualität zu haben. So konnte ich während meiner ersten Zeit als Sportdirektor bei Bayer Leverkusen zwischen 1996 und 2000 Reiner Calmund und Wolfgang Holzhäuser über die Schulter blicken, hatte danach als DFB-Teamchef mit Michael Skibbe einen ausgezeichneten Co-Trainer an meiner Seite und kann mich jetzt als Bayer- Sportchef, wo ich inzwischen weitaus mehr Verantwortung habe als während der ersten Phase als Sportdirektor, auf Mitarbeiter mit großer Kompetenz und Loyalität verlassen.

DFB.de: Hingeschaut wird bei Ihnen aber auch heute noch ganz genau, oder?

Völler: Wegen meines Bekanntheitsgrads muss ich, wenn es zum Beispiel um Spielerverpflichtungen geht, immer im Hintergrund arbeiten und kann mich dabei logischerweise nicht in der Öffentlichkeit sehen lassen. Gerade wenn man finanziell nicht aus dem Vollen schöpfen kann, muss man manchmal etwas schlitzohrig und schneller sein als die anderen, die ja auch gute Ideen haben.

DFB.de: Sehen Sie sich in Ihrer heutigen Sportchef-Funktion als Frontmann, als Schwungrad der Bayer-Profiabteilung?

Völler: Ich bin mir bewusst, dass ich mit meinem Namen in der augenblicklichen Position ein bisschen auch Bayer Leverkusen repräsentiere und an der Front stehe bei einem Verein, der nicht die riesige Fan-Gemeinde hat wie Schalke, Dortmund oder Bayern München. Doch wichtig ist, dass wir in Absprache mit dem Trainer und auf der Basis der zusammen mit unserem Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser erarbeiteten wirtschaftlichen Vorgaben die Pläne umsetzen und die Ziele erreichen, die wir uns alle hier vorgenommen haben. Ganz entscheidend ist im Profigeschäft, dass man nicht gleich umfällt, wenn zwischenzeitlich mal etwas Gegenwind aufkommt. Dass man nicht seine Meinung ändert, wenn die Mannschaft zweimal hintereinander verloren hat. Dass man seinem Kurs treu bleibt und trotzdem immer noch dazu lernen kann und will.

DFB.de: Als Spieler haben Sie große Titel gewonnen. Als Teamchef und Sportdirektor sind Sie in dieser Hinsicht bisher eher ein Unvollendeter.

Völler: Diese Geschichte mit den Titeln sehe ich ganz entspannt. Die Frage ist doch: Was ist Erfolg? Ist es ein größerer Erfolg, mit Bayern München Deutscher Meister zu werden oder mit Mainz 05 als Neuling in dieser Saison nach 26 Spielen 38 Punkte zu verzeichnen?

DFB.de: Ihre Antwort?

Völler: Meiner Meinung nach ist der Mainzer Erfolg zu diesem Zeitpunkt viel höher zu bewerten angesichts der dort vorhandenen geringen Möglichkeiten. Als Jürgen Klopp wegging, haben ja viele geglaubt, der Verein würde jetzt aufgelöst. Erfolg ist relativ. Wenn du bei Bayern München einen Fünf-Jahres-Vertrag unterschreibst - egal, in welcher Funktion, ob als Trainer, Physiotherapeut, Platzwart oder Spieler -, wirst du in diesen fünf Jahren mindestens dreimal Deutscher Meister. Du kannst dich gar nicht dagegen wehren. Du wirst es einfach, weil sich die Bayern im Laufe der Jahre so überragende Möglichkeiten geschaffen haben.

DFB.de: Was bedeutet dies für Ihre jetzige Situation und Position in Leverkusen?

Völler: Mit Bayer so zu arbeiten, um den bestmöglichen Erfolg zu erreichen. Ob das dann mal die deutsche Meisterschaft sein wird oder das Erreichen der Champions League, die Europa League oder der Gewinn des DFB-Pokals, das hängt von vielen Dingen ab. Vor allem auch von den finanziellen Mitteln, die bei weitem nicht mehr in dem Umfang vorhanden sind wie früher. Wenn wir es jetzt schaffen sollten, uns für die Champions League zu qualifizieren, dann hätten wir eine traumhafte Saison gespielt. Wir präsentieren attraktiven, bisweilen spektakulären Fußball. Die Mannschaft ist personell gut zusammengestellt, und viele unserer Spieler haben einen hohen Wiederverkaufswert. Natürlich hätte uns der Sieg im DFB-Pokalfinale im vergangenen Jahr gut zu Gesicht gestanden. Und selbstverständlich wollte und will ich auch nach meiner Spielerkarriere Titel gewinnen.

DFB.de: Weswegen Sie das WM-Finale 2002 gerne noch einmal spielen würden – dann aber mit dem damals Gelb-gesperrten Michael Ballack?

Völler: Die Chance für eine Überraschung wäre mit Michael Ballack zweifellos größer gewesen, weil wir dann alle unsere Möglichkeiten hätten ausschöpfen können. Wir hatten damals sicherlich nicht die zweitbeste Mannschaft der Welt. Trotzdem haben wir es bis ins Finale geschafft und ohne unseren besten Spieler eine gute Figur im Endspiel abgegeben.

DFB.de: Und wurden bei der Rückkehr in Deutschland als Vater des Erfolgs wie ein Volksheld gefeiert. Spüren Sie heute noch immer den großen Sympathiebonus der Öffentlichkeit wie früher als Spieler und DFB-Teamchef?

Völler: Ich freue mich darüber, dass ich praktisch überall gut gelitten bin. Das heißt aber nicht, dass ich jedermanns Darling sein will. Mein Verein ist Bayer Leverkusen, mit dem ich den totalen Erfolg will. Da interessieren mich die anderen Klubs nicht.

DFB.de: 2004, das einzige wirklich schwarze Jahr in Ihrer Karriere, hat Ihre hohen Sympathiewerte nicht beeinträchtigen können?

Völler: Ich habe diese wirklich schwierigen Monate damals realistisch eingeschätzt und dementsprechend einen Schlussstrich gezogen. Über meinen Fehler mit den drei, vier Wochen in Rom haben wir ja schon gesprochen. Und wenn man als Nationaltrainer bei der EM in der Gruppenphase ausscheidet, dann ist das - egal, wie schwer die Gruppe war - einfach zu wenig. Gerade mit Blick auf die WM 2006 im eigenen Land gab es für mich eine wichtige Priorität. Das war, bei aller Sympathie, der Rücktritt.

DFB.de: Welchen Stellenwert hat für Sie die Fußball-Weltmeisterschaft?

Völler: Wenn heute gefragt wird, wer war vor drei Jahren Deutscher Meister, dann muss man googeln oder im kicker-Almanach nachschauen. Man weiß es einfach nicht mehr so genau, weil man Deutscher Meister ja nur für dieses eine Jahr ist. Weltmeister aber ist man, obwohl es alle vier Jahre eine neue WM-Endrunde gibt, Weltmeister ist man dagegen für immer. Eine WM ist das Größte. Weil ich den besonderen Flair einer WM genießen will, werde ich im Sommer für ein paar Tage nach Südafrika reisen. Zum einen als Sportdirektor für Bayer Leverkusen, vielleicht ergibt sich ja dort eine interessante Personalie. Und zum anderen als Fan unserer Mannschaft.

DFB.de: Welche Chancen sehen Sie als Fan für Joachim Löw und sein Team?

Völler: Deutschland wurde schon immer bei WM-Endrunden respektiert und als Turniermannschaft gefürchtet. So wird es auch diesmal sein. Jogi Löws Auswahl wird gut vorbereitet sein. Ich rechne sie zum Kreis der Endspiel-Kandidaten.

DFB.de: Was sagen Sie zu Ihrem früheren Lehrmeister Otto Rehhagel, der jetzt mit fast 72 Jahren als Griechenlands Nationaltrainer erstmals an einer WM-Endrunde teilnehmen wird?

Völler: Otto Rehhagel ist ein Phänomen. Eine Legende wie Otto Rehhagel hätte ich gerne mal als Bundestrainer gesehen. Ganz einfach, weil diese Position, die ja die wichtigste ist im deutschen Fußballs, dann ein Trainer bekommen hätte, der unglaublich viel für den deutschen Fußball geleistet und zudem zweimal Unmögliches möglich gemacht hat: mit Kaiserslautern aufzusteigen und gleich Deutscher Meister zu werden sowie mit Griechenlands Nobodies die EM zu gewinnen. Ganz zu schweigen von den anderen Titeln, die er geholt hat. Ich hätte mich 2004 jedenfalls riesig über und für ihn als meinen Nachfolger gefreut. Doch er wollte die Griechen nach dem tollen Triumph in Portugal nicht im Stich lassen und ist auch in diesem Fall seinen Prinzipien wie immer treu geblieben.

DFB.de: Wer wird der Topstar der WM 2010?

Völler: Sicherlich einer aus den beiden Endspielteams. Möglicherweise ein Spanier oder ein Brasilianer. Oder Lionel Messi, der weltweit überragende Klub-Spieler dieser Saison, sofern ihm Argentinien bei der WM ein ähnliches Umfeld bietet wie derzeit der FC Barcelona in der Champions League. Vielleicht sogar Michael Ballack, falls unsere Mannschaft ins Endspiel kommt. Er wäre mal dran.

DFB.de: Zum Abschluss eine persönliche Frage: Mit welcher Persönlichkeit abseits des Fußballs würden Sie gerne mal einen Abend verbringen?

Völler: Wen ich verehre und mir immer wieder in Talk-Shows anschaue, ist Helmut Schmidt. Was er in den Jahren des Terrorismus durchgemacht hat, mit welch furchtbaren Entscheidungen er damals als Bundeskanzler konfrontiert wurde und wie er das alles bewältigt hat, finde ich noch immer bewundernswert. In ihm begegnet mir heute in den Talk-Shows eine überragende Persönlichkeit. Ich liebe es, wenn er ruhig und dennoch engagiert mit unglaublicher Kompetenz - und mit einer Zigarette lässig zwischen den Fingern - schwierige politische Themen abhandelt und über das Leben philosophiert. Er ist einer, zu dem ich aufschaue.

Das meinen DFB.de-User:

"HAPPY BIRTHDAY TO YOU! Herzlichen Glückwunsch zum 50. Geburtstag! Viel Spaß beim Feiern und viel Erfolg für die Zukunft!" (Markus Pyrtsch)

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„Un Trascinatore“, ein Mitreißer. So nannte ihn einst Dino Viola, der Präsident von AS Rom. Rudi Völler, ein Draufgänger im gegnerischen Strafraum. Einfach mitreißend. Weltmeister 1990 mit Deutschland, italienischer Pokalsieger 1991 mit AS Rom, Champions League-Gewinner 1993 mit Olympique Marseille.

Mitreißend war er später als Teamchef der deutschen Nationalmannschaft, die er 2002 in seinem insgesamt dritten WM-Finale zur Vize-Weltmeisterschaft führte. Und ein „trascinatore“ ist Rudi Völler in seiner heutigen Rolle des Sportdirektors als Frontmann bei Bayer Leverkusen. Vor allem aber war und blieb Rudi Völler immer authentisch und ist mit seiner Glaubwürdigkeit und Gradlinigkeit zum Liebling der Fans geworden.

Am Dienstag wurde er 50. Im DFB.de-Gespräch der Woche mit Redakteur Wolfgang Tobien blickt Rudi Völler zurück auf Höhe- und Tiefpunkte seiner Karriere. Er umreißt die Prinzipien seines heutigen Jobs in Leverkusen und blickt auf die WM in Südafrika. Und er beschreibt zwei große Persönlichkeiten, die er bewundert.

DFB.de: Herr Völler, wo und mit wem werden Sie Ihren 50. Geburtstag feiern?

Rudi Völler: Am liebsten würde ich mit meiner Frau für ein paar Tage wegfahren. Das geht aber jetzt in der Endphase der Saison natürlich nicht. So wird im kleinen Rahmen mit einem ganz kleinen Personenkreis gefeiert. Wenn ich 60 werde, wird es vielleicht eine größere Party geben.

DFB.de: Welchen besonderen Geburtstagswunsch haben Sie, außer Gesundheit für Sie selbst und Ihre Familie?

Völler: Mit der tollen und leidenschaftlichen Leistung - vor allem in der zweiten Halbzeit - beim 1:1 gegen Bayern München hat mir die Mannschaft am Samstag ja schon ein kleines Geschenk gemacht. Schade, dass wir nicht mit drei Punkten belohnt wurden. Generell werde ich mich weiterhin mit großer Energie um beruflichen Erfolg bemühen. Aber ganz klar, Gesundheit für die Familie und mich ist das Entscheidende.

Rudi Völler zum 50. Geburtstag - Stationen eines bewegten Lebens

DFB.de: Mit welchem Gefühl blicken Sie auf ein halbes Jahrhundert Rudi Völler zurück?

Völler: Sicherlich mir einem anderen Lebensgefühl als die Generation vor mir. Mein Vater war noch im Krieg und dann mit 50, wie viele seiner damaligen Altersgenossen, auch wegen der seinerzeitigen Arbeitsbedingungen schon etwas müde und erschöpft. Heute fühlen sich viele 50-Jährige, so wie ich, noch jung und fit. Im privaten Bereich war Sabrina, die ich damals in Rom kennen gelernt und geheiratet habe, der Glücksgriff in meinem Leben. Sportlich und beruflich würde ich alle Entscheidungen noch mal genauso treffen. Mit Ausnahme des kurzen Intermezzos 2004 als Trainer bei AS Rom. Das war ein Fehler.

DFB.de: Warum?

Völler: Damals hätte ich nach meinem Rücktritt bei der EM 2004 eine längere Pause machen müssen. Ich hatte viele Anfragen von Klubs, denen ich sofort abgesagt habe, Es gibt aber zwei, drei Vereine, die mich zu jenem Zeitpunkt trotzdem hätten überreden können, weil ich zu ihnen einen besonders engen und emotionalen Draht habe. Dazu gehört sowieso Bayer Leverkusen. Dazu zählt Kickers Offenbach, mein erster Profiverein, dessen neues Stadion wir mit Bayer Leverkusen im nächsten Jahr einweihen werden. Nicht nur wegen mir, sondern auch wegen der seit vielen Jahren bestehenden Fan-Freundschaft zwischen beiden Vereinen. Und eben AS Rom, wo ich die schönsten fünf Jahre meiner Spielerkarriere verbracht habe. Für diese schwere Aufgabe hätte ich meinen Kopf aber total frei haben und bestens vorbereitet sein müssen. Das funktionierte so kurz nach der EM jedoch noch nicht.

DFB.de: Als Fußballer haben Sie in den vergangenen Jahrzehnten einige Wandlungen hinter sich: vom Spieler zum Weltstar, vom Top-Torjäger zum Trainer, vom Teamchef zum Sportdirektor. Welche Veränderungen stellen Sie dabei an sich selbst fest?

Völler: Der Wechsel zum Teamchef der Nationalmannschaft hat mich schon ein Stück weit verändert. Wegen der Verantwortung, die man in dieser Position trägt, bei der wichtigsten Trainer-Aufgabe, die es im deutschen Fußball gibt. Dieses Bewusstsein, der Deutschen liebstes Gut zu verantworten, war für mich mit vier tollen und aufregenden, aber auch sehr anstrengenden Jahren verbunden. Das ist heute für Jogi Löw nicht anders. Weil wirklich jeder Wimpernschlag beobachtet und hinterfragt wird.

DFB.de: Wie schwierig ist es, früher als Teamchef und jetzt als Sportdirektor Rudi Völler bleiben zu können, dessen Charisma vor allem auf absoluter Glaubwürdigkeit und Gradlinigkeit basiert?

Völler: Natürlich kann man in einer solchen Position nicht immer gerade heraus sagen, was man denkt und plant. Vor allem, wenn es um Personalfragen geht. Ich musste und muss meinen eigenen Stil finden. Wichtig ist dabei, ein Umfeld von hoher Qualität zu haben. So konnte ich während meiner ersten Zeit als Sportdirektor bei Bayer Leverkusen zwischen 1996 und 2000 Reiner Calmund und Wolfgang Holzhäuser über die Schulter blicken, hatte danach als DFB-Teamchef mit Michael Skibbe einen ausgezeichneten Co-Trainer an meiner Seite und kann mich jetzt als Bayer- Sportchef, wo ich inzwischen weitaus mehr Verantwortung habe als während der ersten Phase als Sportdirektor, auf Mitarbeiter mit großer Kompetenz und Loyalität verlassen.

DFB.de: Hingeschaut wird bei Ihnen aber auch heute noch ganz genau, oder?

Völler: Wegen meines Bekanntheitsgrads muss ich, wenn es zum Beispiel um Spielerverpflichtungen geht, immer im Hintergrund arbeiten und kann mich dabei logischerweise nicht in der Öffentlichkeit sehen lassen. Gerade wenn man finanziell nicht aus dem Vollen schöpfen kann, muss man manchmal etwas schlitzohrig und schneller sein als die anderen, die ja auch gute Ideen haben.

DFB.de: Sehen Sie sich in Ihrer heutigen Sportchef-Funktion als Frontmann, als Schwungrad der Bayer-Profiabteilung?

Völler: Ich bin mir bewusst, dass ich mit meinem Namen in der augenblicklichen Position ein bisschen auch Bayer Leverkusen repräsentiere und an der Front stehe bei einem Verein, der nicht die riesige Fan-Gemeinde hat wie Schalke, Dortmund oder Bayern München. Doch wichtig ist, dass wir in Absprache mit dem Trainer und auf der Basis der zusammen mit unserem Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser erarbeiteten wirtschaftlichen Vorgaben die Pläne umsetzen und die Ziele erreichen, die wir uns alle hier vorgenommen haben. Ganz entscheidend ist im Profigeschäft, dass man nicht gleich umfällt, wenn zwischenzeitlich mal etwas Gegenwind aufkommt. Dass man nicht seine Meinung ändert, wenn die Mannschaft zweimal hintereinander verloren hat. Dass man seinem Kurs treu bleibt und trotzdem immer noch dazu lernen kann und will.

DFB.de: Als Spieler haben Sie große Titel gewonnen. Als Teamchef und Sportdirektor sind Sie in dieser Hinsicht bisher eher ein Unvollendeter.

Völler: Diese Geschichte mit den Titeln sehe ich ganz entspannt. Die Frage ist doch: Was ist Erfolg? Ist es ein größerer Erfolg, mit Bayern München Deutscher Meister zu werden oder mit Mainz 05 als Neuling in dieser Saison nach 26 Spielen 38 Punkte zu verzeichnen?

DFB.de: Ihre Antwort?

Völler: Meiner Meinung nach ist der Mainzer Erfolg zu diesem Zeitpunkt viel höher zu bewerten angesichts der dort vorhandenen geringen Möglichkeiten. Als Jürgen Klopp wegging, haben ja viele geglaubt, der Verein würde jetzt aufgelöst. Erfolg ist relativ. Wenn du bei Bayern München einen Fünf-Jahres-Vertrag unterschreibst - egal, in welcher Funktion, ob als Trainer, Physiotherapeut, Platzwart oder Spieler -, wirst du in diesen fünf Jahren mindestens dreimal Deutscher Meister. Du kannst dich gar nicht dagegen wehren. Du wirst es einfach, weil sich die Bayern im Laufe der Jahre so überragende Möglichkeiten geschaffen haben.

DFB.de: Was bedeutet dies für Ihre jetzige Situation und Position in Leverkusen?

Völler: Mit Bayer so zu arbeiten, um den bestmöglichen Erfolg zu erreichen. Ob das dann mal die deutsche Meisterschaft sein wird oder das Erreichen der Champions League, die Europa League oder der Gewinn des DFB-Pokals, das hängt von vielen Dingen ab. Vor allem auch von den finanziellen Mitteln, die bei weitem nicht mehr in dem Umfang vorhanden sind wie früher. Wenn wir es jetzt schaffen sollten, uns für die Champions League zu qualifizieren, dann hätten wir eine traumhafte Saison gespielt. Wir präsentieren attraktiven, bisweilen spektakulären Fußball. Die Mannschaft ist personell gut zusammengestellt, und viele unserer Spieler haben einen hohen Wiederverkaufswert. Natürlich hätte uns der Sieg im DFB-Pokalfinale im vergangenen Jahr gut zu Gesicht gestanden. Und selbstverständlich wollte und will ich auch nach meiner Spielerkarriere Titel gewinnen.

DFB.de: Weswegen Sie das WM-Finale 2002 gerne noch einmal spielen würden – dann aber mit dem damals Gelb-gesperrten Michael Ballack?

Völler: Die Chance für eine Überraschung wäre mit Michael Ballack zweifellos größer gewesen, weil wir dann alle unsere Möglichkeiten hätten ausschöpfen können. Wir hatten damals sicherlich nicht die zweitbeste Mannschaft der Welt. Trotzdem haben wir es bis ins Finale geschafft und ohne unseren besten Spieler eine gute Figur im Endspiel abgegeben.

DFB.de: Und wurden bei der Rückkehr in Deutschland als Vater des Erfolgs wie ein Volksheld gefeiert. Spüren Sie heute noch immer den großen Sympathiebonus der Öffentlichkeit wie früher als Spieler und DFB-Teamchef?

Völler: Ich freue mich darüber, dass ich praktisch überall gut gelitten bin. Das heißt aber nicht, dass ich jedermanns Darling sein will. Mein Verein ist Bayer Leverkusen, mit dem ich den totalen Erfolg will. Da interessieren mich die anderen Klubs nicht.

DFB.de: 2004, das einzige wirklich schwarze Jahr in Ihrer Karriere, hat Ihre hohen Sympathiewerte nicht beeinträchtigen können?

Völler: Ich habe diese wirklich schwierigen Monate damals realistisch eingeschätzt und dementsprechend einen Schlussstrich gezogen. Über meinen Fehler mit den drei, vier Wochen in Rom haben wir ja schon gesprochen. Und wenn man als Nationaltrainer bei der EM in der Gruppenphase ausscheidet, dann ist das - egal, wie schwer die Gruppe war - einfach zu wenig. Gerade mit Blick auf die WM 2006 im eigenen Land gab es für mich eine wichtige Priorität. Das war, bei aller Sympathie, der Rücktritt.

DFB.de: Welchen Stellenwert hat für Sie die Fußball-Weltmeisterschaft?

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Völler: Wenn heute gefragt wird, wer war vor drei Jahren Deutscher Meister, dann muss man googeln oder im kicker-Almanach nachschauen. Man weiß es einfach nicht mehr so genau, weil man Deutscher Meister ja nur für dieses eine Jahr ist. Weltmeister aber ist man, obwohl es alle vier Jahre eine neue WM-Endrunde gibt, Weltmeister ist man dagegen für immer. Eine WM ist das Größte. Weil ich den besonderen Flair einer WM genießen will, werde ich im Sommer für ein paar Tage nach Südafrika reisen. Zum einen als Sportdirektor für Bayer Leverkusen, vielleicht ergibt sich ja dort eine interessante Personalie. Und zum anderen als Fan unserer Mannschaft.

DFB.de: Welche Chancen sehen Sie als Fan für Joachim Löw und sein Team?

Völler: Deutschland wurde schon immer bei WM-Endrunden respektiert und als Turniermannschaft gefürchtet. So wird es auch diesmal sein. Jogi Löws Auswahl wird gut vorbereitet sein. Ich rechne sie zum Kreis der Endspiel-Kandidaten.

DFB.de: Was sagen Sie zu Ihrem früheren Lehrmeister Otto Rehhagel, der jetzt mit fast 72 Jahren als Griechenlands Nationaltrainer erstmals an einer WM-Endrunde teilnehmen wird?

Völler: Otto Rehhagel ist ein Phänomen. Eine Legende wie Otto Rehhagel hätte ich gerne mal als Bundestrainer gesehen. Ganz einfach, weil diese Position, die ja die wichtigste ist im deutschen Fußballs, dann ein Trainer bekommen hätte, der unglaublich viel für den deutschen Fußball geleistet und zudem zweimal Unmögliches möglich gemacht hat: mit Kaiserslautern aufzusteigen und gleich Deutscher Meister zu werden sowie mit Griechenlands Nobodies die EM zu gewinnen. Ganz zu schweigen von den anderen Titeln, die er geholt hat. Ich hätte mich 2004 jedenfalls riesig über und für ihn als meinen Nachfolger gefreut. Doch er wollte die Griechen nach dem tollen Triumph in Portugal nicht im Stich lassen und ist auch in diesem Fall seinen Prinzipien wie immer treu geblieben.

DFB.de: Wer wird der Topstar der WM 2010?

Völler: Sicherlich einer aus den beiden Endspielteams. Möglicherweise ein Spanier oder ein Brasilianer. Oder Lionel Messi, der weltweit überragende Klub-Spieler dieser Saison, sofern ihm Argentinien bei der WM ein ähnliches Umfeld bietet wie derzeit der FC Barcelona in der Champions League. Vielleicht sogar Michael Ballack, falls unsere Mannschaft ins Endspiel kommt. Er wäre mal dran.

DFB.de: Zum Abschluss eine persönliche Frage: Mit welcher Persönlichkeit abseits des Fußballs würden Sie gerne mal einen Abend verbringen?

Völler: Wen ich verehre und mir immer wieder in Talk-Shows anschaue, ist Helmut Schmidt. Was er in den Jahren des Terrorismus durchgemacht hat, mit welch furchtbaren Entscheidungen er damals als Bundeskanzler konfrontiert wurde und wie er das alles bewältigt hat, finde ich noch immer bewundernswert. In ihm begegnet mir heute in den Talk-Shows eine überragende Persönlichkeit. Ich liebe es, wenn er ruhig und dennoch engagiert mit unglaublicher Kompetenz - und mit einer Zigarette lässig zwischen den Fingern - schwierige politische Themen abhandelt und über das Leben philosophiert. Er ist einer, zu dem ich aufschaue.

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"HAPPY BIRTHDAY TO YOU! Herzlichen Glückwunsch zum 50. Geburtstag! Viel Spaß beim Feiern und viel Erfolg für die Zukunft!" (Markus Pyrtsch)