Vier Generationen Frauenfußball: "Wir können noch mehr"

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs – er wurde an diesem Tag vom Deutsche Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind bald 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert – damals wie heute. 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de prägende Persönlichkeiten in den Fokus. Heute: Hannelore Ratzeburg, Silvia Neid, Saskia Bartusiak und Laura Freigang im Gespräch - vier Generationen Frauenfußball an einem Tisch.

DFB.de: Warum Fußball? Was hat Sie dazu gebracht?

Saskia Bartusiak: Ich habe angefangen mit fünf. In unserer Nachbarschaft hatte ich, mit Ausnahme meiner zwei Schwestern, nur Jungs, und die haben immer Fußball gespielt. Als sie gemerkt haben, dass ich das auch ganz gut kann, haben sie mich immer mitgenommen. Wir haben jede freie Minute draußen gekickt. Auch mein Vater hat Fußball gespielt.

Silvia Neid: Bei mir war es ähnlich. Ich konnte noch nicht lange gehen, da habe ich schon gegen den Ball getreten. Vier oder fünf Jahre alt war ich da. Mein Vater war ein sehr guter Fußballspieler; mein Bruder, der zwei Jahre älter ist als ich, spielte auch. Für uns ging es jeden Nachmittag auf den Bolzplatz und ich war voll akzeptiert, wurde auch immer als eine der Ersten gewählt. Ich kam aus einer fußballbegeisterten Familie, deshalb war das für uns normal. War es aber natürlich in der Zeit noch nicht. Mit elf Jahren bin ich dann in einen Fußballverein gegangen.

Laura Freigang: Meine Eltern haben mir erzählt, dass ich Fußball spiele, seit ich laufen kann. Schon mit vier war ich im Verein. Ich komme nicht aus einer Fußballfamilie, aber mir hat‘s einfach Spaß gemacht.

Neid: Fanden deine Eltern das komisch, dass du Fußball spielen wolltest?

Freigang: Sie waren nicht begeistert, aber es war jetzt auch nicht das große Thema. Sie haben mich trotzdem zunächst mal zum Tanzen geschickt, doch das war nicht erfolgreich (lacht). Sie haben gemerkt, dass es mir mit Fußball ernst ist. Ich wollte immer zum Training, immer zum Spiel. Ich habe auch auf dem Schulhof immer mit den Jungs gespielt. Deshalb haben sie das unterstützt. Ich glaube ganz einfach, dass meine Eltern von der Frauenfußballbewegung noch nicht viel mitbekommen hatten, auch wenn die Nationalmannschaft zu dem Zeitpunkt schon einiges gewonnen hatte. Ich war auch das erste Mädchen in meinem Ort, das Fußball gespielt hat.

Hannelore Ratzeburg: Ich bin ein Kind der 50er-Jahre, da durften Frauen noch vergleichsweise wenig. Bei uns in der Familie spielte Fußball seinerzeit keine Rolle. 1970 hat der DFB das Frauenfußballverbot aufgehoben. Zu der Zeit hatte ich einen Freund, der im Verein spielte und auf der Weihnachtsfeier wurde darüber gesprochen. Ich war neugierig und auch ein bisschen angepiekst durch die 68er, die Studentenbewegung, den Widerspruchsgeist. Da habe ich gesagt: Das möchte ich auch mal ausprobieren. Ich habe dann einige andere Frauen dafür gewinnen können. Ich weiß noch, die meisten kamen mit Gymnastikschläppchen zum Training in die Halle. Ich wollte nur in die Halle, damit uns am Anfang keiner zuschaut. Wir wussten ja noch nicht so richtig, wie wir uns überhaupt anstellen würden. Meine Eltern haben die Hände überm Kopf zusammengeschlagen. Aber ich bin dabei geblieben.

DFB.de: War die Aufhebung des Verbots 1970 denn ein großes Thema?

Ratzeburg: Ja, und wie. Es hieß zum Beispiel, Frauen, die Fußball spielen, bekommen Brustkrebs und O-Beine. Es war schon heftig. Häufig war von "Weiberfußball" die Rede, das war bisweilen ein Spießrutenlauf. Ich weiß noch, ich habe am Muttertag 1971, das war der 9. Mai, das erste Mal Elf-gegen-Elf Fußball gespielt, 250 kreischende Männer am Spielfeldrand. Das war damals ziemlich gepusht durch die Medien. Viel mit Fußball hatte das aber noch nicht zu tun. Ich habe damals im Studentenwohnheim Zettel aufgehängt, um für Frauenfußball zu werben und so haben wir im Grunde eine Studentinnen-Mannschaft aufgebaut; aus ganz Hamburg sind Spielerinnen gekommen. Zwei Jahre später haben wir dann als erster Verein eine Mädchenfußball-Abteilung aufgebaut. Ich wollte es einfach wissen. Ich erinnere mich noch daran, als es hieß, wir sollten Röckchen tragen, weil die Hockeyspielerinnen die auch trugen. Die waren aber unglaublich teuer.

DFB.de: Das ist am Geld gescheitert?

Ratzeburg: Natürlich nicht nur. Kein Mensch, der Fußball spielt, hat dabei Röckchen an, sage ich heute. Aber damals waren wir noch unsicher. Wir hatten ja keine Vorbilder. Beim DFB-Bundestag 1970 wurde noch darüber diskutiert, ob man Frauen das Rempeln beim Fußball erlauben solle, das sei, so hieß es, "unfraulich".

DFB.de: Ist das ein Zeichen dafür, dass es bis zur Akzeptanz noch ein weiter Weg war?

Ratzeburg: Man muss das im historischen Kontext sehen. Bis 1976 gab es das Leitmodell der "Hausfrauenehe". Wenn eine Frau zum Beispiel einen Kredit aufnehmen wollte, weil sie sich ein Auto kaufen wollte, brauchte sie dazu die Einwilligung des Mannes. Und natürlich war der DFB-Bundestag mit seiner Zusammensetzung ein Abbild dieser Zeit. Deshalb wundert mich so eine Diskussion nicht. Nur, weil Frauen Druck gemacht haben, kam es überhaupt dazu. Und diese Entscheidung wurde auch dadurch beeinflusst, dass es in anderen Ländern wie Italien und England Frauenfußball-Verbände gab, das wollte der DFB verhindern. Aber, da gebe ich Ihnen recht, so richtig akzeptiert waren wir trotz der Aufhebung des Verbots noch nicht.

DFB.de: Inwieweit ist Akzeptanz auch von Erfolg abhängig?

Neid: Erfolg war und ist das A und O. Ohne Erfolg hätten wir nicht das mediale Interesse gehabt und ohne das mediale Interesse nicht den Zulauf in den Vereinen. Auch für uns als Nationalmannschaft war das enorm wichtig: Wir konnten dann sagen, wir brauchen noch einen Co-Trainer oder einen Physiotherapeuten. Die Bedingungen haben sich dann immer mehr verbessert. Und ganz ehrlich: Ehe wir das erste Mal Business Class fliegen durften, mussten wir erst zweimal Weltmeister werden. Die Bedingungen haben sich professionalisiert – unsere Siege haben dafür die Voraussetzungen geschaffen.

Bartusiak: Nur durch den Erfolg haben wir wirklich Anerkennung erfahren und eine Wertschätzung für unsere Leistungen, die wir über Jahre gebracht haben. Leider Gottes war das so. Darauf haben die Nationalspielerinnen der Anfangsjahre lange gewartet, da wurde man eher geduldet als unterstützt. Wir sind aber immer noch zu sehr vom unmittelbaren Erfolg abhängig.

Neid: Ich habe mal gesagt: Im Grunde müssen wir jedes zweite Turnier gewinnen, um weiterhin positiv wahrgenommen zu werden. 2011 gab es nach unserem Aus im Viertelfinale bei der Heim-WM viel Schelte und es war klar, dass wir 2013 den EM-Titel gewinnen mussten. Dann fielen plötzlich sechs Spielerinnen vor dem Turnier aus und wir mussten Spielerinnen aus der U 20 mitnehmen. Zum Glück lief es dann richtig gut und wir haben gewonnen. Wäre uns das nicht gelungen, wäre vieles in Frage gestellt worden.

DFB.de: Wie ist das eigentlich, wenn Sie zum Training gehen, sagen Sie dann, Sie gehen zum Fußball oder zum Frauenfußball?

Freigang: Zum Fußball.

DFB.de: Ist es nicht nervig bis unangenehm, dass diese Unterscheidung "Fußball" und "Frauenfußball" lautet?

Ratzeburg: Ich habe dazu beim Bundestag in meiner Rede Stellung genommen. Ich habe noch nie gehört, dass eine Fußballerin sagt, sie geht zum Frauenfußball. Sie geht zum Fußball. Natürlich braucht man Zuordnungen für die verschiedenen Klassen. Früher war da von "Damenfußball" die Rede.

Neid: Den Begriff gibt es sogar heute noch, den habe ich neulich erst auf einer Trainertagung gehört. Ich dachte erst: Wo bin ich denn hier gelandet?

Freigang: Man muss sich doch nur die Bezeichnungen anschauen: Es gibt den "Women‘s World Cup" und es gibt den "World Cup". Die WM der Männer heißt aber nicht Männer-WM.

Bartusiak: Keine von uns würde sagen: Ich gehe jetzt zum Frauenfußball-Training. Das wäre völlig absurd.

Ratzeburg: Da habt ihr recht. Wir sind in einem Sport, der komplett männerdominiert ist. Den DFB gibt es seit 120 Jahren und 70 Jahre davon ohne Frauen. Natürlich profitieren wir auch von den Strukturen, die in dieser Zeit geschaffen wurden, aber es war zu Beginn eben ein Verband nur für Männerfußball. Die sich im Übrigen auch erst einiges erkämpfen mussten, denn zu Beginn war Fußball als "Fußlümmelei" verpönt.

Freigang: Aber gerade, wenn man den Kontext betrachtet, müsste es doch mittlerweile möglich sein, auch im Fußball weiter zu sein. Bei solchen Namensbezeichnungen könnte man den Anfang machen.

DFB.de: Wie wichtig ist es für die Entwicklung des Sports, Vorbilder zu haben? Und welche hatten Sie?

Neid: Sie sind sehr wichtig, ich selbst hatte allerdings noch keine weiblichen, denn woher sollten die kommen? Hannelore Ratzeburg kannte ich noch nicht (lacht). Gerd Müller fand ich toll, auch von meinem Vater habe ich mir viel abgeschaut. Er war beidfüßig. Mein Bruder hat den linken Fuß bekommen, ich den rechten.

Freigang: Ein bestimmtes Vorbild hatte ich nicht, aber ich habe mir schon als Kind die Länderspiele und die Turniere der Frauen angeguckt. Bei einem U 16-Länderspiel habe ich mal ein Autogramm von Dzsenifer Marozsán bekommen, habe auch noch alte Schuhe mit einer Unterschrift von Renate Lingor. Für mich war es ein großes Ziel, auch mal so gut zu werden wie sie.

Neid: Das freut mich, Laura, denn ich weiß aus meiner Zeit als U-Trainerin, dass viele Spielerinnen damals Männer als Vorbilder hatten.

Bartusiak: Ich habe mich für Frauenfußball genauso interessiert wie für Männerfußball. Ich bin mit 13 in eine Mädchenmannschaft gewechselt, zum FSV Frankfurt, der damals sehr erfolgreich war. Da waren Spielerinnen wie Sandra Smisek, Sandra Minnert, Anouschka Bernhard oder Birgit Prinz dabei. Als ich dann mal mit denen trainieren durfte, hat Birgit mich in die Kabine mitgenommen und mit mir geredet. Sie war ja selber noch sehr jung, aber schon Nationalspielerin. Ich hatte somit im Grunde meine Vorbilder immer schon im Training dabei. Ich habe ihnen nachgeeifert, hatte Riesenspaß und wollte es auch in die Nationalmannschaft schaffen.

DFB.de: Waren Sie sich dessen bewusst, selbst eine Vorbildfunktion zu haben, als Sie es nach oben geschafft hatten?

Bartusiak: Ja, schon. Wenn du in der Öffentlichkeit stehst, weißt du, dass es Leute gibt, die dir zuschauen. Dass es Mädchen gibt, die auch dahin kommen wollen, die sich für dich interessieren, die Autogramme von dir wollen und all das. Ich musste mich dafür aber auch nicht verstellen, das war ganz natürlich für mich. Es ist doch etwas Schönes, wenn Leute einem zuschauen.

Neid: Endlich gab es sie ja.

Bartusiak: Für uns war das etwas Besonderes, wir waren stolz darauf.

DFB.de: Ist Ihnen solch eine Rolle als junger Spielerin schon bewusst?

Freigang: Ja. Ich versuche, authentisch zu bleiben, das zu sagen, was ich denke, wenn ich gefragt werde. Vorbilder sind wir, finde ich, dadurch, dass wir uns einer Sache so sehr verschrieben haben und in sie so viel Zeit und Mühe investieren, unabhängig davon, ob wir viel dafür zurückbekommen. Ich glaube, das allein bewundern schon einige. Dass ich so viele Vorbilder im Frauenfußball hatte, lag auch daran, dass die Nähe so groß ist. Man kommt viel besser an die Spielerinnen heran. Das ist etwas, was ich auch zu geben versuche.

DFB.de: Wenn wir die vergangenen 50 Jahre Revue passieren lassen, welche Meilensteine gab es für Sie in der Entwicklung des Frauenfußballs?

Ratzeburg: Da steht für mich die Europameisterschaft 1989 im eigenen Land an erster Stelle, bei der wir zum ersten Mal Europameisterinnen wurden. Es lief ganz hervorragend: mit einem Halbfinale in Siegen, das wir nach Elfmeterschießen gegen Italien gewannen, und einem Finale in Osnabrück gegen Norwegen, das seinerzeit das Nonplusultra war, das wir ebenfalls für uns entschieden.

Neid: Das Spiel gegen Italien war das erste Frauenfußball-Spiel, das live im deutschen Fernsehen gezeigt wurde, das war natürlich genial. Es war dramatisch, unsere Torfrau Marion Isbert hielt drei Elfmeter, verwandelte dann selbst und feierte anschließend mit ihrem Sohn auf dem Arm. So haben wir das Interesse geweckt. Beim Finale in Osnabrück war die Hütte dann natürlich voll.

Ratzeburg: Ich weiß noch, dass wir nach dem Italien-Spiel zurück nach Kaiserau gefahren sind, wo alle vier Mannschaften untergebracht waren, und die Leute dort Deutschland-Fahnen aus den Fenstern gehängt hatten. Das war grandios, etwas ganz Neues.

Neid: Das kann ich nur unterstreichen. Für mich war natürlich auch unser erstes Länderspiel 1982 ein Meilenstein. Gero Bisanz hat da hervorragende Arbeit geleistet. Er musste erst mal schauen, woher er überhaupt die Spielerinnen bekommt. Eine Frauen-Bundesliga gab es ja noch nicht. Es gab zwei Lehrgänge, einen im Norden, einen im Süden, à 30 Spielerinnen. 16 blieben übrig und die waren beim ersten Länderspiel dabei. Es waren 5000 Zuschauer in Koblenz, aber man merkte schon, dass einige nur gekommen waren, weil sie sich lustig machen wollten. Das hat uns genervt. Aber als Startschuss war dieses Spiel natürlich wichtig. Außerdem die Endspiele um den DFB-Pokal der Frauen in Berlin vor dem Finale der Männer. 1988 ist mir dabei das "Tor des Monats" gelungen. Das Schöne war, dass das Stadion am Ende unseres Spiels voll war. Das war die ersten Jahre auch gut, aber irgendwann passte es nicht mehr, weil die meisten Leute froh zu sein schienen, wenn wir weg waren und die Männer auf den Platz konnten. Deshalb war die Entscheidung, 2010 nach Köln zu gehen und ein eigenes Finale zu veranstalten, genau richtig.

DFB.de: Wie sind Sie mit der gestiegenen Aufmerksamkeit nicht nur um die Nationalmannschaft, sondern auch um Sie persönlich umgegangen?

Neid: In meiner Zeit als Spielerin war das vor allem eine regionale Geschichte im Siegener Raum, da war das nicht schwierig. Richtig viel wurde es erst, als ich Bundestrainerin wurde, das war mitunter anstrengend. Man muss sich das vorstellen, ich wurde knapp 35 Jahre immer mit der Frauen-Nationalmannschaft verbunden, als Spielerin, Spielführerin, Co-Trainerin, Chef-Trainerin. Als Bundestrainerin aufzuhören, war auch unter dem Gesichtspunkt ein bewusster Schritt, um mehr aus der Öffentlichkeit herauszukommen.

DFB.de: Wie war das bei der Heim-WM 2011, als plötzlich sogar Paparazzi hinter Ihnen her waren?

Bartusiak: Neu und extrem, keiner wusste ja im Vorfeld, was da auf uns zukommen würde. Wir konnten gar nicht mehr allein das Hotel verlassen.

Neid: Ich weiß noch, ich habe damals den Fernseher eingeschaltet und dann wusste ich: Aha, meine Spielerinnen sind shoppen (lacht).

Bartusiak: Wir standen unter Beobachtung, das war irre. Unter uns waren wir eigentlich nur auf unserem Hotelflur. Aber trotzdem war es ein wahnsinniges Erlebnis, mit so vielen Jahren Abstand ein absolutes Highlight. Wenn ich nur an das Eröffnungsspiel im ausverkauften Berliner Olympiastadion denke. Auf dem Weg dahin dachte ich, ich traue meinen Augen nicht. Überall waren Menschen. Das war eine neue Dimension. Aber es war schwierig, konzentriert zu arbeiten.

Neid: Wir kamen nicht zur Ruhe, das war unser Problem. Jede hatte so viel mit sich selbst zu tun, um alles, was passierte, zu verarbeiten. Die Situation kannten wir so im Frauenfußball ja nicht.

DFB.de: Im Vergleich zu früher suchen die Spielerinnen durch Social Media heute unmittelbar die Öffentlichkeit. Stimmt dieser Eindruck?

Freigang: Social Media ist sehr wichtig geworden, das stimmt. Es kann ein Tool für uns Spielerinnen sein, uns zu präsentieren. Das ist auch für die Frauen-Nationalmannschaft wichtig, um Interesse zu wecken. Auch dann, wenn die Erfolge mal nicht so da sind. Das kann sehr hilfreich sein.

Bartusiak: Wer das heute nicht nutzt, ist wahrscheinlich in der öffentlichen Vermarktung hintendran.

Freigang: Es kommt auf die Balance an. Einerseits möchte man Einblicke gewähren, andererseits möchte man auch Privatsphäre behalten. Dazu kommt: Ich habe keinen, der das für mich macht. Wenn ich qualitativ gute Sachen posten will, ist das zeitaufwändig und da ich neben dem Fußball studiere, ist das nicht immer einfach.

Ratzeburg: Was ich toll finde, ist, dass die Spielerinnen heute so selbstbewusst sind. Früher war zum Beispiel die Skepsis gegenüber der Presse viel ausgeprägter, weil die Spielerinnen diesen Kontakt einfach nicht gewohnt waren. Heute geben sie großartige Interviews. Sie äußern klar ihre Meinung und sind auch locker und authentisch dabei.

Bartusiak: Ich war nicht der Typ für Social Media, mache es auch heute noch nicht und stehe komplett dahinter. Es gibt natürlich viele Spielerinnen, die das gerade in der heutigen Zeit für sich nutzen und das ist auch völlig legitim. Ich wollte einfach nicht so viel von mir teilen. Das wäre nicht ich gewesen. Ich wollte meine Ruhe haben, wenn ich gerade nicht mit Fußball zu tun hatte, wollte mich dann mit anderen Dingen beschäftigen. Ich habe mich wohl damit gefühlt, wie ich es gemacht habe.

DFB.de: Eine weitere Sache, die sich geändert hat, ist das Engagement von Lizenzvereinen im Frauenfußball, derzeit sind es sieben von zwölf in der FLYERALARM FrauenBundesliga. Wie stehen Sie dazu?

Ratzeburg: Wir haben eine ausgeglichene Liga auf einem sehr guten Niveau. Man muss überlegen, ob es sinnvoll ist, Lizenzvereine dazu zu verpflichten, wie das in England der Fall ist. Ich weiß nicht, ob das hilfreich ist, aber generell tut sich bei uns gerade eine ganze Menge. Und es wäre wünschenswert, wenn die Unterschiede in Bezug auf die Infrastruktur bei den Vereinen geringer würden.

Bartusiak: Es ist schade, wenn man bedenkt, dass wir über Jahre so viel gewonnen haben, es aber bei vielen großen Vereinen nie ein Selbstverständnis gab, den Frauenfußball zu unterstützen, in ihn zu investieren. Bis heute nicht. Noch immer müssen wir Überzeugungsarbeit leisten. Dabei erleben wir bei den großen Turnieren immer wieder, dass die Begeisterung sehr wohl da ist.

DFB.de: Macht es für Sie einen Unterschied, beim 1. FFC oder bei Eintracht Frankfurt zu spielen?

Freigang: Ich bin stolz, für den 1. FFC Frankfurt zu spielen, wenn man sich nur die Historie anschaut: Es ist unglaublich, was der Verein für den deutschen Fußball geleistet hat und ich finde es auf der einen Seite schade, dass das nun ein Ende hat. Aber ich freue mich auch darauf, künftig bei der Eintracht zu spielen. Dadurch haben wir andere Möglichkeiten. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.

Neid: Natürlich ist das mit Erwartungen verbunden, das etwas Gutes kommt. Aber um noch mal auf die Frage davor zurückzukommen: Ich frage mich schon: Was soll denn noch passieren? Sollen wir noch zehnmal Europameisterinnen werden, noch viermal Weltmeisterinnen, noch dreimal Olympiasiegerinnen?

Freigang: Ich studiere Sport an der Uni Frankfurt, und wenn da unter Kommilitonen über Frauenfußball gesprochen wird, denke ich manchmal: Der Respekt ist einfach nicht so da. Da heißt es dann: Ihr seid langsamer, könnt dies nicht, könnt das nicht. Es ist traurig, dass das immer noch so ist und dass dies womöglich auch eine Rechtfertigung dafür ist, dass wir nicht die gleichen Möglichkeiten bekommen.

Neid: Das liegt ganz klar daran, dass Fußball eine Männerdomäne ist. Ich habe nie gehört, dass Steffi Graf sich hinstellen und sagen musste: Ich schlage nicht so hart auf wie Boris Becker, weil es halt Frauen-Tennis ist.

DFB.de: Damit sind wir wieder beim Thema Akzeptanz. Sie haben in den USA gespielt, wie haben Sie das dort erlebt?

Freigang: Da ist es anders. Die Spielerinnen sind öffentliche Personen, haben Social-Media-Kanäle mit zig Millionen Followern, werden total respektiert. In den USA gibt es Basketball, Football und Baseball als männerdominierte Sportarten. Der Fußball ist dort genauso eher ein Frauensport wie er eher kein Männersport ist. Das Selbstverständnis ist ein anderes. Mit der Qualität hat das nichts zu tun.

Neid: Bei allen Vergleichen ist mir eines wichtig zu betonen: Wir haben die Qualität! Wenn ich sehe, wie es in England, Spanien oder Frankreich läuft, muss ich sagen, dass unsere Liga zu den besten gehört, ganz eindeutig. Unsere Spielerinnen sind sehr gut geschult, gerade was das Defensivverhalten angeht. Wir sind auf einem guten Weg mit unserer Liga. Und auch mit unseren Nationalmannschaften. Wir dürfen uns nicht kleiner machen, als wir sind, nur weil wir bei zwei Turnieren der Frauen mal nicht gewonnen haben. Es kommen viele gute Spielerinnen nach.

DFB.de: Was wünschen Sie sich für die nächsten 50 Jahre Frauenfußball in Deutschland?

Ratzeburg: Unser oberstes Ziel muss es sein, nicht mehr von Respekt und Würdigung und so etwas überhaupt reden zu müssen, das muss alles selbstverständlich sein. 15,6 Prozent der DFB-Mitglieder sind weiblich. Wenn wir diese Quote auf allen Ebenen, in allen Gremien hinbekämen, wäre das schon ein Anfang. Eine größere Durchmischung, übrigens auch in Sachen Alter, kann für die Weiterentwicklung des Fußballs allgemein nur von Vorteil sein. Nur dann bilden wir unsere Gesellschaft auch richtig ab. Das Leadership-Programm für Frauen, das wir 2016 durchgeführt haben, war auf dem Weg ein wichtiger Schritt. Es hat sich viel getan in den fünf Jahrzehnten, vieles ist bewegt worden und hat sich zum Positiven entwickelt. Aber wir können noch mehr.

Neid: Das ewige Kämpfen um Anerkennung muss ein Ende haben. Wir spielen auf höchstem Niveau in der Welt, müssen uns nicht verstecken. Wir haben Frauen mit unheimlich viel Fachwissen, die stärker eingebunden werden sollten. Und vielleicht steht bis dahin ja sogar mal eine Frau an der Spitze des DFB.

Bartusiak: Und das sollte dann ganz normal sein. Ich wünsche mir, dass wir weiterhin so erfolgreiche Mannschaften haben werden wie in den vergangenen Jahren. Dass wir an diese tolle Historie anknüpfen und neue Meilensteine in der Zukunft setzen. Wir haben so viele super Spielerinnen.

[dfb]

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs – er wurde an diesem Tag vom Deutsche Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind bald 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert – damals wie heute. 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de prägende Persönlichkeiten in den Fokus. Heute: Hannelore Ratzeburg, Silvia Neid, Saskia Bartusiak und Laura Freigang im Gespräch - vier Generationen Frauenfußball an einem Tisch.

DFB.de: Warum Fußball? Was hat Sie dazu gebracht?

Saskia Bartusiak: Ich habe angefangen mit fünf. In unserer Nachbarschaft hatte ich, mit Ausnahme meiner zwei Schwestern, nur Jungs, und die haben immer Fußball gespielt. Als sie gemerkt haben, dass ich das auch ganz gut kann, haben sie mich immer mitgenommen. Wir haben jede freie Minute draußen gekickt. Auch mein Vater hat Fußball gespielt.

Silvia Neid: Bei mir war es ähnlich. Ich konnte noch nicht lange gehen, da habe ich schon gegen den Ball getreten. Vier oder fünf Jahre alt war ich da. Mein Vater war ein sehr guter Fußballspieler; mein Bruder, der zwei Jahre älter ist als ich, spielte auch. Für uns ging es jeden Nachmittag auf den Bolzplatz und ich war voll akzeptiert, wurde auch immer als eine der Ersten gewählt. Ich kam aus einer fußballbegeisterten Familie, deshalb war das für uns normal. War es aber natürlich in der Zeit noch nicht. Mit elf Jahren bin ich dann in einen Fußballverein gegangen.

Laura Freigang: Meine Eltern haben mir erzählt, dass ich Fußball spiele, seit ich laufen kann. Schon mit vier war ich im Verein. Ich komme nicht aus einer Fußballfamilie, aber mir hat‘s einfach Spaß gemacht.

Neid: Fanden deine Eltern das komisch, dass du Fußball spielen wolltest?

Freigang: Sie waren nicht begeistert, aber es war jetzt auch nicht das große Thema. Sie haben mich trotzdem zunächst mal zum Tanzen geschickt, doch das war nicht erfolgreich (lacht). Sie haben gemerkt, dass es mir mit Fußball ernst ist. Ich wollte immer zum Training, immer zum Spiel. Ich habe auch auf dem Schulhof immer mit den Jungs gespielt. Deshalb haben sie das unterstützt. Ich glaube ganz einfach, dass meine Eltern von der Frauenfußballbewegung noch nicht viel mitbekommen hatten, auch wenn die Nationalmannschaft zu dem Zeitpunkt schon einiges gewonnen hatte. Ich war auch das erste Mädchen in meinem Ort, das Fußball gespielt hat.

Hannelore Ratzeburg: Ich bin ein Kind der 50er-Jahre, da durften Frauen noch vergleichsweise wenig. Bei uns in der Familie spielte Fußball seinerzeit keine Rolle. 1970 hat der DFB das Frauenfußballverbot aufgehoben. Zu der Zeit hatte ich einen Freund, der im Verein spielte und auf der Weihnachtsfeier wurde darüber gesprochen. Ich war neugierig und auch ein bisschen angepiekst durch die 68er, die Studentenbewegung, den Widerspruchsgeist. Da habe ich gesagt: Das möchte ich auch mal ausprobieren. Ich habe dann einige andere Frauen dafür gewinnen können. Ich weiß noch, die meisten kamen mit Gymnastikschläppchen zum Training in die Halle. Ich wollte nur in die Halle, damit uns am Anfang keiner zuschaut. Wir wussten ja noch nicht so richtig, wie wir uns überhaupt anstellen würden. Meine Eltern haben die Hände überm Kopf zusammengeschlagen. Aber ich bin dabei geblieben.

DFB.de: War die Aufhebung des Verbots 1970 denn ein großes Thema?

Ratzeburg: Ja, und wie. Es hieß zum Beispiel, Frauen, die Fußball spielen, bekommen Brustkrebs und O-Beine. Es war schon heftig. Häufig war von "Weiberfußball" die Rede, das war bisweilen ein Spießrutenlauf. Ich weiß noch, ich habe am Muttertag 1971, das war der 9. Mai, das erste Mal Elf-gegen-Elf Fußball gespielt, 250 kreischende Männer am Spielfeldrand. Das war damals ziemlich gepusht durch die Medien. Viel mit Fußball hatte das aber noch nicht zu tun. Ich habe damals im Studentenwohnheim Zettel aufgehängt, um für Frauenfußball zu werben und so haben wir im Grunde eine Studentinnen-Mannschaft aufgebaut; aus ganz Hamburg sind Spielerinnen gekommen. Zwei Jahre später haben wir dann als erster Verein eine Mädchenfußball-Abteilung aufgebaut. Ich wollte es einfach wissen. Ich erinnere mich noch daran, als es hieß, wir sollten Röckchen tragen, weil die Hockeyspielerinnen die auch trugen. Die waren aber unglaublich teuer.

DFB.de: Das ist am Geld gescheitert?

Ratzeburg: Natürlich nicht nur. Kein Mensch, der Fußball spielt, hat dabei Röckchen an, sage ich heute. Aber damals waren wir noch unsicher. Wir hatten ja keine Vorbilder. Beim DFB-Bundestag 1970 wurde noch darüber diskutiert, ob man Frauen das Rempeln beim Fußball erlauben solle, das sei, so hieß es, "unfraulich".

DFB.de: Ist das ein Zeichen dafür, dass es bis zur Akzeptanz noch ein weiter Weg war?

Ratzeburg: Man muss das im historischen Kontext sehen. Bis 1976 gab es das Leitmodell der "Hausfrauenehe". Wenn eine Frau zum Beispiel einen Kredit aufnehmen wollte, weil sie sich ein Auto kaufen wollte, brauchte sie dazu die Einwilligung des Mannes. Und natürlich war der DFB-Bundestag mit seiner Zusammensetzung ein Abbild dieser Zeit. Deshalb wundert mich so eine Diskussion nicht. Nur, weil Frauen Druck gemacht haben, kam es überhaupt dazu. Und diese Entscheidung wurde auch dadurch beeinflusst, dass es in anderen Ländern wie Italien und England Frauenfußball-Verbände gab, das wollte der DFB verhindern. Aber, da gebe ich Ihnen recht, so richtig akzeptiert waren wir trotz der Aufhebung des Verbots noch nicht.

DFB.de: Inwieweit ist Akzeptanz auch von Erfolg abhängig?

Neid: Erfolg war und ist das A und O. Ohne Erfolg hätten wir nicht das mediale Interesse gehabt und ohne das mediale Interesse nicht den Zulauf in den Vereinen. Auch für uns als Nationalmannschaft war das enorm wichtig: Wir konnten dann sagen, wir brauchen noch einen Co-Trainer oder einen Physiotherapeuten. Die Bedingungen haben sich dann immer mehr verbessert. Und ganz ehrlich: Ehe wir das erste Mal Business Class fliegen durften, mussten wir erst zweimal Weltmeister werden. Die Bedingungen haben sich professionalisiert – unsere Siege haben dafür die Voraussetzungen geschaffen.

Bartusiak: Nur durch den Erfolg haben wir wirklich Anerkennung erfahren und eine Wertschätzung für unsere Leistungen, die wir über Jahre gebracht haben. Leider Gottes war das so. Darauf haben die Nationalspielerinnen der Anfangsjahre lange gewartet, da wurde man eher geduldet als unterstützt. Wir sind aber immer noch zu sehr vom unmittelbaren Erfolg abhängig.

Neid: Ich habe mal gesagt: Im Grunde müssen wir jedes zweite Turnier gewinnen, um weiterhin positiv wahrgenommen zu werden. 2011 gab es nach unserem Aus im Viertelfinale bei der Heim-WM viel Schelte und es war klar, dass wir 2013 den EM-Titel gewinnen mussten. Dann fielen plötzlich sechs Spielerinnen vor dem Turnier aus und wir mussten Spielerinnen aus der U 20 mitnehmen. Zum Glück lief es dann richtig gut und wir haben gewonnen. Wäre uns das nicht gelungen, wäre vieles in Frage gestellt worden.

DFB.de: Wie ist das eigentlich, wenn Sie zum Training gehen, sagen Sie dann, Sie gehen zum Fußball oder zum Frauenfußball?

Freigang: Zum Fußball.

DFB.de: Ist es nicht nervig bis unangenehm, dass diese Unterscheidung "Fußball" und "Frauenfußball" lautet?

Ratzeburg: Ich habe dazu beim Bundestag in meiner Rede Stellung genommen. Ich habe noch nie gehört, dass eine Fußballerin sagt, sie geht zum Frauenfußball. Sie geht zum Fußball. Natürlich braucht man Zuordnungen für die verschiedenen Klassen. Früher war da von "Damenfußball" die Rede.

Neid: Den Begriff gibt es sogar heute noch, den habe ich neulich erst auf einer Trainertagung gehört. Ich dachte erst: Wo bin ich denn hier gelandet?

Freigang: Man muss sich doch nur die Bezeichnungen anschauen: Es gibt den "Women‘s World Cup" und es gibt den "World Cup". Die WM der Männer heißt aber nicht Männer-WM.

Bartusiak: Keine von uns würde sagen: Ich gehe jetzt zum Frauenfußball-Training. Das wäre völlig absurd.

Ratzeburg: Da habt ihr recht. Wir sind in einem Sport, der komplett männerdominiert ist. Den DFB gibt es seit 120 Jahren und 70 Jahre davon ohne Frauen. Natürlich profitieren wir auch von den Strukturen, die in dieser Zeit geschaffen wurden, aber es war zu Beginn eben ein Verband nur für Männerfußball. Die sich im Übrigen auch erst einiges erkämpfen mussten, denn zu Beginn war Fußball als "Fußlümmelei" verpönt.

Freigang: Aber gerade, wenn man den Kontext betrachtet, müsste es doch mittlerweile möglich sein, auch im Fußball weiter zu sein. Bei solchen Namensbezeichnungen könnte man den Anfang machen.

DFB.de: Wie wichtig ist es für die Entwicklung des Sports, Vorbilder zu haben? Und welche hatten Sie?

Neid: Sie sind sehr wichtig, ich selbst hatte allerdings noch keine weiblichen, denn woher sollten die kommen? Hannelore Ratzeburg kannte ich noch nicht (lacht). Gerd Müller fand ich toll, auch von meinem Vater habe ich mir viel abgeschaut. Er war beidfüßig. Mein Bruder hat den linken Fuß bekommen, ich den rechten.

Freigang: Ein bestimmtes Vorbild hatte ich nicht, aber ich habe mir schon als Kind die Länderspiele und die Turniere der Frauen angeguckt. Bei einem U 16-Länderspiel habe ich mal ein Autogramm von Dzsenifer Marozsán bekommen, habe auch noch alte Schuhe mit einer Unterschrift von Renate Lingor. Für mich war es ein großes Ziel, auch mal so gut zu werden wie sie.

Neid: Das freut mich, Laura, denn ich weiß aus meiner Zeit als U-Trainerin, dass viele Spielerinnen damals Männer als Vorbilder hatten.

Bartusiak: Ich habe mich für Frauenfußball genauso interessiert wie für Männerfußball. Ich bin mit 13 in eine Mädchenmannschaft gewechselt, zum FSV Frankfurt, der damals sehr erfolgreich war. Da waren Spielerinnen wie Sandra Smisek, Sandra Minnert, Anouschka Bernhard oder Birgit Prinz dabei. Als ich dann mal mit denen trainieren durfte, hat Birgit mich in die Kabine mitgenommen und mit mir geredet. Sie war ja selber noch sehr jung, aber schon Nationalspielerin. Ich hatte somit im Grunde meine Vorbilder immer schon im Training dabei. Ich habe ihnen nachgeeifert, hatte Riesenspaß und wollte es auch in die Nationalmannschaft schaffen.

DFB.de: Waren Sie sich dessen bewusst, selbst eine Vorbildfunktion zu haben, als Sie es nach oben geschafft hatten?

Bartusiak: Ja, schon. Wenn du in der Öffentlichkeit stehst, weißt du, dass es Leute gibt, die dir zuschauen. Dass es Mädchen gibt, die auch dahin kommen wollen, die sich für dich interessieren, die Autogramme von dir wollen und all das. Ich musste mich dafür aber auch nicht verstellen, das war ganz natürlich für mich. Es ist doch etwas Schönes, wenn Leute einem zuschauen.

Neid: Endlich gab es sie ja.

Bartusiak: Für uns war das etwas Besonderes, wir waren stolz darauf.

DFB.de: Ist Ihnen solch eine Rolle als junger Spielerin schon bewusst?

Freigang: Ja. Ich versuche, authentisch zu bleiben, das zu sagen, was ich denke, wenn ich gefragt werde. Vorbilder sind wir, finde ich, dadurch, dass wir uns einer Sache so sehr verschrieben haben und in sie so viel Zeit und Mühe investieren, unabhängig davon, ob wir viel dafür zurückbekommen. Ich glaube, das allein bewundern schon einige. Dass ich so viele Vorbilder im Frauenfußball hatte, lag auch daran, dass die Nähe so groß ist. Man kommt viel besser an die Spielerinnen heran. Das ist etwas, was ich auch zu geben versuche.

DFB.de: Wenn wir die vergangenen 50 Jahre Revue passieren lassen, welche Meilensteine gab es für Sie in der Entwicklung des Frauenfußballs?

Ratzeburg: Da steht für mich die Europameisterschaft 1989 im eigenen Land an erster Stelle, bei der wir zum ersten Mal Europameisterinnen wurden. Es lief ganz hervorragend: mit einem Halbfinale in Siegen, das wir nach Elfmeterschießen gegen Italien gewannen, und einem Finale in Osnabrück gegen Norwegen, das seinerzeit das Nonplusultra war, das wir ebenfalls für uns entschieden.

Neid: Das Spiel gegen Italien war das erste Frauenfußball-Spiel, das live im deutschen Fernsehen gezeigt wurde, das war natürlich genial. Es war dramatisch, unsere Torfrau Marion Isbert hielt drei Elfmeter, verwandelte dann selbst und feierte anschließend mit ihrem Sohn auf dem Arm. So haben wir das Interesse geweckt. Beim Finale in Osnabrück war die Hütte dann natürlich voll.

Ratzeburg: Ich weiß noch, dass wir nach dem Italien-Spiel zurück nach Kaiserau gefahren sind, wo alle vier Mannschaften untergebracht waren, und die Leute dort Deutschland-Fahnen aus den Fenstern gehängt hatten. Das war grandios, etwas ganz Neues.

Neid: Das kann ich nur unterstreichen. Für mich war natürlich auch unser erstes Länderspiel 1982 ein Meilenstein. Gero Bisanz hat da hervorragende Arbeit geleistet. Er musste erst mal schauen, woher er überhaupt die Spielerinnen bekommt. Eine Frauen-Bundesliga gab es ja noch nicht. Es gab zwei Lehrgänge, einen im Norden, einen im Süden, à 30 Spielerinnen. 16 blieben übrig und die waren beim ersten Länderspiel dabei. Es waren 5000 Zuschauer in Koblenz, aber man merkte schon, dass einige nur gekommen waren, weil sie sich lustig machen wollten. Das hat uns genervt. Aber als Startschuss war dieses Spiel natürlich wichtig. Außerdem die Endspiele um den DFB-Pokal der Frauen in Berlin vor dem Finale der Männer. 1988 ist mir dabei das "Tor des Monats" gelungen. Das Schöne war, dass das Stadion am Ende unseres Spiels voll war. Das war die ersten Jahre auch gut, aber irgendwann passte es nicht mehr, weil die meisten Leute froh zu sein schienen, wenn wir weg waren und die Männer auf den Platz konnten. Deshalb war die Entscheidung, 2010 nach Köln zu gehen und ein eigenes Finale zu veranstalten, genau richtig.

DFB.de: Wie sind Sie mit der gestiegenen Aufmerksamkeit nicht nur um die Nationalmannschaft, sondern auch um Sie persönlich umgegangen?

Neid: In meiner Zeit als Spielerin war das vor allem eine regionale Geschichte im Siegener Raum, da war das nicht schwierig. Richtig viel wurde es erst, als ich Bundestrainerin wurde, das war mitunter anstrengend. Man muss sich das vorstellen, ich wurde knapp 35 Jahre immer mit der Frauen-Nationalmannschaft verbunden, als Spielerin, Spielführerin, Co-Trainerin, Chef-Trainerin. Als Bundestrainerin aufzuhören, war auch unter dem Gesichtspunkt ein bewusster Schritt, um mehr aus der Öffentlichkeit herauszukommen.

DFB.de: Wie war das bei der Heim-WM 2011, als plötzlich sogar Paparazzi hinter Ihnen her waren?

Bartusiak: Neu und extrem, keiner wusste ja im Vorfeld, was da auf uns zukommen würde. Wir konnten gar nicht mehr allein das Hotel verlassen.

Neid: Ich weiß noch, ich habe damals den Fernseher eingeschaltet und dann wusste ich: Aha, meine Spielerinnen sind shoppen (lacht).

Bartusiak: Wir standen unter Beobachtung, das war irre. Unter uns waren wir eigentlich nur auf unserem Hotelflur. Aber trotzdem war es ein wahnsinniges Erlebnis, mit so vielen Jahren Abstand ein absolutes Highlight. Wenn ich nur an das Eröffnungsspiel im ausverkauften Berliner Olympiastadion denke. Auf dem Weg dahin dachte ich, ich traue meinen Augen nicht. Überall waren Menschen. Das war eine neue Dimension. Aber es war schwierig, konzentriert zu arbeiten.

Neid: Wir kamen nicht zur Ruhe, das war unser Problem. Jede hatte so viel mit sich selbst zu tun, um alles, was passierte, zu verarbeiten. Die Situation kannten wir so im Frauenfußball ja nicht.

DFB.de: Im Vergleich zu früher suchen die Spielerinnen durch Social Media heute unmittelbar die Öffentlichkeit. Stimmt dieser Eindruck?

Freigang: Social Media ist sehr wichtig geworden, das stimmt. Es kann ein Tool für uns Spielerinnen sein, uns zu präsentieren. Das ist auch für die Frauen-Nationalmannschaft wichtig, um Interesse zu wecken. Auch dann, wenn die Erfolge mal nicht so da sind. Das kann sehr hilfreich sein.

Bartusiak: Wer das heute nicht nutzt, ist wahrscheinlich in der öffentlichen Vermarktung hintendran.

Freigang: Es kommt auf die Balance an. Einerseits möchte man Einblicke gewähren, andererseits möchte man auch Privatsphäre behalten. Dazu kommt: Ich habe keinen, der das für mich macht. Wenn ich qualitativ gute Sachen posten will, ist das zeitaufwändig und da ich neben dem Fußball studiere, ist das nicht immer einfach.

Ratzeburg: Was ich toll finde, ist, dass die Spielerinnen heute so selbstbewusst sind. Früher war zum Beispiel die Skepsis gegenüber der Presse viel ausgeprägter, weil die Spielerinnen diesen Kontakt einfach nicht gewohnt waren. Heute geben sie großartige Interviews. Sie äußern klar ihre Meinung und sind auch locker und authentisch dabei.

Bartusiak: Ich war nicht der Typ für Social Media, mache es auch heute noch nicht und stehe komplett dahinter. Es gibt natürlich viele Spielerinnen, die das gerade in der heutigen Zeit für sich nutzen und das ist auch völlig legitim. Ich wollte einfach nicht so viel von mir teilen. Das wäre nicht ich gewesen. Ich wollte meine Ruhe haben, wenn ich gerade nicht mit Fußball zu tun hatte, wollte mich dann mit anderen Dingen beschäftigen. Ich habe mich wohl damit gefühlt, wie ich es gemacht habe.

DFB.de: Eine weitere Sache, die sich geändert hat, ist das Engagement von Lizenzvereinen im Frauenfußball, derzeit sind es sieben von zwölf in der FLYERALARM FrauenBundesliga. Wie stehen Sie dazu?

Ratzeburg: Wir haben eine ausgeglichene Liga auf einem sehr guten Niveau. Man muss überlegen, ob es sinnvoll ist, Lizenzvereine dazu zu verpflichten, wie das in England der Fall ist. Ich weiß nicht, ob das hilfreich ist, aber generell tut sich bei uns gerade eine ganze Menge. Und es wäre wünschenswert, wenn die Unterschiede in Bezug auf die Infrastruktur bei den Vereinen geringer würden.

Bartusiak: Es ist schade, wenn man bedenkt, dass wir über Jahre so viel gewonnen haben, es aber bei vielen großen Vereinen nie ein Selbstverständnis gab, den Frauenfußball zu unterstützen, in ihn zu investieren. Bis heute nicht. Noch immer müssen wir Überzeugungsarbeit leisten. Dabei erleben wir bei den großen Turnieren immer wieder, dass die Begeisterung sehr wohl da ist.

DFB.de: Macht es für Sie einen Unterschied, beim 1. FFC oder bei Eintracht Frankfurt zu spielen?

Freigang: Ich bin stolz, für den 1. FFC Frankfurt zu spielen, wenn man sich nur die Historie anschaut: Es ist unglaublich, was der Verein für den deutschen Fußball geleistet hat und ich finde es auf der einen Seite schade, dass das nun ein Ende hat. Aber ich freue mich auch darauf, künftig bei der Eintracht zu spielen. Dadurch haben wir andere Möglichkeiten. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.

Neid: Natürlich ist das mit Erwartungen verbunden, das etwas Gutes kommt. Aber um noch mal auf die Frage davor zurückzukommen: Ich frage mich schon: Was soll denn noch passieren? Sollen wir noch zehnmal Europameisterinnen werden, noch viermal Weltmeisterinnen, noch dreimal Olympiasiegerinnen?

Freigang: Ich studiere Sport an der Uni Frankfurt, und wenn da unter Kommilitonen über Frauenfußball gesprochen wird, denke ich manchmal: Der Respekt ist einfach nicht so da. Da heißt es dann: Ihr seid langsamer, könnt dies nicht, könnt das nicht. Es ist traurig, dass das immer noch so ist und dass dies womöglich auch eine Rechtfertigung dafür ist, dass wir nicht die gleichen Möglichkeiten bekommen.

Neid: Das liegt ganz klar daran, dass Fußball eine Männerdomäne ist. Ich habe nie gehört, dass Steffi Graf sich hinstellen und sagen musste: Ich schlage nicht so hart auf wie Boris Becker, weil es halt Frauen-Tennis ist.

DFB.de: Damit sind wir wieder beim Thema Akzeptanz. Sie haben in den USA gespielt, wie haben Sie das dort erlebt?

Freigang: Da ist es anders. Die Spielerinnen sind öffentliche Personen, haben Social-Media-Kanäle mit zig Millionen Followern, werden total respektiert. In den USA gibt es Basketball, Football und Baseball als männerdominierte Sportarten. Der Fußball ist dort genauso eher ein Frauensport wie er eher kein Männersport ist. Das Selbstverständnis ist ein anderes. Mit der Qualität hat das nichts zu tun.

Neid: Bei allen Vergleichen ist mir eines wichtig zu betonen: Wir haben die Qualität! Wenn ich sehe, wie es in England, Spanien oder Frankreich läuft, muss ich sagen, dass unsere Liga zu den besten gehört, ganz eindeutig. Unsere Spielerinnen sind sehr gut geschult, gerade was das Defensivverhalten angeht. Wir sind auf einem guten Weg mit unserer Liga. Und auch mit unseren Nationalmannschaften. Wir dürfen uns nicht kleiner machen, als wir sind, nur weil wir bei zwei Turnieren der Frauen mal nicht gewonnen haben. Es kommen viele gute Spielerinnen nach.

DFB.de: Was wünschen Sie sich für die nächsten 50 Jahre Frauenfußball in Deutschland?

Ratzeburg: Unser oberstes Ziel muss es sein, nicht mehr von Respekt und Würdigung und so etwas überhaupt reden zu müssen, das muss alles selbstverständlich sein. 15,6 Prozent der DFB-Mitglieder sind weiblich. Wenn wir diese Quote auf allen Ebenen, in allen Gremien hinbekämen, wäre das schon ein Anfang. Eine größere Durchmischung, übrigens auch in Sachen Alter, kann für die Weiterentwicklung des Fußballs allgemein nur von Vorteil sein. Nur dann bilden wir unsere Gesellschaft auch richtig ab. Das Leadership-Programm für Frauen, das wir 2016 durchgeführt haben, war auf dem Weg ein wichtiger Schritt. Es hat sich viel getan in den fünf Jahrzehnten, vieles ist bewegt worden und hat sich zum Positiven entwickelt. Aber wir können noch mehr.

Neid: Das ewige Kämpfen um Anerkennung muss ein Ende haben. Wir spielen auf höchstem Niveau in der Welt, müssen uns nicht verstecken. Wir haben Frauen mit unheimlich viel Fachwissen, die stärker eingebunden werden sollten. Und vielleicht steht bis dahin ja sogar mal eine Frau an der Spitze des DFB.

Bartusiak: Und das sollte dann ganz normal sein. Ich wünsche mir, dass wir weiterhin so erfolgreiche Mannschaften haben werden wie in den vergangenen Jahren. Dass wir an diese tolle Historie anknüpfen und neue Meilensteine in der Zukunft setzen. Wir haben so viele super Spielerinnen.

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