Video: "Der Fußball hat ein großes Herz"

Als Christian Streich und Matthias Brandt auf der Bühne Platz genommen und die Fotografen ihre Auftaktfotos geschossen hatten, dauerte es nur zwei Minuten bis zu dieser erwartbaren Frage: "Geht’s Ihnen gut?" Streich winkte nur müde ab und resümierte ein letztes Mal, dass "der Abraham ein guter Bub" sei.

Der dienstälteste Trainer der Bundesliga und einer der beliebtesten Schauspieler des Landes hatten sich am Dienstagabend im Freiburger E-Werk vor rund 400 Zuhörern getroffen, um über den Fußball abseits aller tagesaktuellen Aufgeregtheit und - oft ja auch - aller tagesaktuellen Banalität zu sprechen. Die Karten waren in kürzester Zeit ausverkauft gewesen. Dutzende Enttäuschte mussten abends noch abgewiesen werden.

"Fußball ist keine Kunst, aber es sind viele kreative Prozesse dabei"

Im also bis auf den letzten Stuhl gefüllten Saal spürte man die hohe Erwartungshaltung, die beide Gesprächspartner dann tatsächlich noch zu übertreffen wussten. Nach 100 von Christoph Biermann moderierten Minuten gab es lange anhaltenden Applaus und begeisterte Pfiffe. Auch die zweite Auflage des Formats "Spielkultur", die von der DFB-Kulturstiftung organisiert wird, bot ein Fußballgespräch, wie es sonst in Deutschland nicht oft geführt wird. Beide zuhause auf hohen Bühnen, gewährten Streich und Brandt viele Einblicke in ihre Metiers. Oft wurde gelacht, meistens konzentriert zugehört, zwei völlig unterschiedliche Erzähler, beide immer fesselnd.

Einer dieser Einblicke kam als der Journalist und Buchautor Biermann ("Die Fußball-Matrix") Streich bat, Fußball und Kultur zu vergleichen, und der dann über sein Trainerverständnis zu sprechen begann. "Fußball ist keine Kunst", sagte Streich, "aber es sind schon viele, viele kreative Prozesse dabei. Das entsteht im Team, in der Gemeinschaft, da sind alle beteiligt. Meinen jungen Spielern kann ich nicht den Druck nehmen, der gehört zum Fußball. Und dennoch, trotz dieses Drucks und der Anspannung, kommt es immer wieder zu kreativen Momenten, beim Spiel, beim Üben, auch außerhalb vom Platz."

Entscheidend sei, dass man das Talent und das Können des Nebenmannes nicht als Bedrohung erlebe. Es bestehe immer die Gefahr, dass ein junger Spieler ängstlich oder eingeschüchtert werde. Stattdessen versuche er als Trainer, ein Umfeld zu gestalten, in dem es Spielern gelingt, "die Sprache des Mitspielers für sich zu kodieren." Streich schloss: "Du brauchst Empathie füreinander. Wenn das gelingt, finden in einer Mannschaft enorme Entwicklungsprozesse statt."

"Viel entsteht aus der Intuition heraus"

Vieles geschehe aus dem Moment heraus, befanden Streich und Brandt gleichermaßen, das gelte für die Prozesse in einer Fußballmannschaft genauso wie für ein Schauspielensemble. Brandt: "Viel entsteht aus der Intuition heraus, aus der Beobachtung. Pläne oder zu viel Selbstbeobachtung blockieren nur."

Werder Bremen ist der Verein von Matthias Brandt, den viele durch den Polizeiruf 110-Kommissar Hanns von Meuffels kennen, der in der TV-Serie "Babylon Berlin" mitspielte und zuletzt den Kurzgeschichtenband "Raumpatrouille" und sein Romandebüt veröffentlichte. Selbst sei er in jungen Jahren ein bescheidener Fußballer gewesen. "Weil die schönsten Mädchen immer mit den guten Fußballern gingen, empfand ich mein fehlendes Fußballtalent als furchtbar. Irgendwann aber habe ich gemerkt, dass es mehr schöne Mädchen als gute Fußballer gibt. Dann war’s wieder okay."

Meistens aber kreiste das Gespräch nicht um Jugendlieben, sondern um die jeweiligen Berufungen. Und darum, welche Fußfallen lauern, gerade für Trainer und Schauspieler, etwa - wie beide eingestanden - die Selbstergriffenheit oder die Projektionen des Publikums. Brandt: "Die positiven Zuschreibungen sind die gefährlichsten, gerade wenn sie nicht stimmen, man aber tatsächlich gerne so wäre." Es war das Gespräch zweier hochproduktiver Männer mitten im Schaffenszenit. Dazu gab es noch viele schöne Sätze.

"Ich bin ein sehr dankbarer Leser"

Etwa als Biermann darüber sprach, wie Streich bei einer Pressekonferenz versuche, seine Mannschaft gut zu verkaufen, und der unterbrach: "Ich bin kein Verkäufer." Oder Brandt verriet, dass es beim Schreiben wichtig sei, warten zu können. Oder als Streich, der Brandts Buch "Blackbird" gelesen hat, aber auch über seine Lektüre von Dostojewskis "Die Brüder Karamasow" sprach, seine Freude am Lesen beschrieb: "Jemand erzählt mir eine Geschichte und ich muss nicht antworten. Es ist wie das Betreten eines anderen Raumes. Ich bin ein sehr dankbarer Leser." Oder als Streich ausnahmsweise ironisch sagte: "Ich bin nicht gefeit vom Wischen, diesem wunderbaren Gefühl."

Das Schlusswort hatte Brandt, der erzählte, wie schlecht er Fußball gespielt und wie viel Freude ihm das Spiel dennoch bereitet habe: "Der Fußball", sagte Brandt, "hat ein großes Herz."

[ot]

Als Christian Streich und Matthias Brandt auf der Bühne Platz genommen und die Fotografen ihre Auftaktfotos geschossen hatten, dauerte es nur zwei Minuten bis zu dieser erwartbaren Frage: "Geht’s Ihnen gut?" Streich winkte nur müde ab und resümierte ein letztes Mal, dass "der Abraham ein guter Bub" sei.

Der dienstälteste Trainer der Bundesliga und einer der beliebtesten Schauspieler des Landes hatten sich am Dienstagabend im Freiburger E-Werk vor rund 400 Zuhörern getroffen, um über den Fußball abseits aller tagesaktuellen Aufgeregtheit und - oft ja auch - aller tagesaktuellen Banalität zu sprechen. Die Karten waren in kürzester Zeit ausverkauft gewesen. Dutzende Enttäuschte mussten abends noch abgewiesen werden.

"Fußball ist keine Kunst, aber es sind viele kreative Prozesse dabei"

Im also bis auf den letzten Stuhl gefüllten Saal spürte man die hohe Erwartungshaltung, die beide Gesprächspartner dann tatsächlich noch zu übertreffen wussten. Nach 100 von Christoph Biermann moderierten Minuten gab es lange anhaltenden Applaus und begeisterte Pfiffe. Auch die zweite Auflage des Formats "Spielkultur", die von der DFB-Kulturstiftung organisiert wird, bot ein Fußballgespräch, wie es sonst in Deutschland nicht oft geführt wird. Beide zuhause auf hohen Bühnen, gewährten Streich und Brandt viele Einblicke in ihre Metiers. Oft wurde gelacht, meistens konzentriert zugehört, zwei völlig unterschiedliche Erzähler, beide immer fesselnd.

Einer dieser Einblicke kam als der Journalist und Buchautor Biermann ("Die Fußball-Matrix") Streich bat, Fußball und Kultur zu vergleichen, und der dann über sein Trainerverständnis zu sprechen begann. "Fußball ist keine Kunst", sagte Streich, "aber es sind schon viele, viele kreative Prozesse dabei. Das entsteht im Team, in der Gemeinschaft, da sind alle beteiligt. Meinen jungen Spielern kann ich nicht den Druck nehmen, der gehört zum Fußball. Und dennoch, trotz dieses Drucks und der Anspannung, kommt es immer wieder zu kreativen Momenten, beim Spiel, beim Üben, auch außerhalb vom Platz."

Entscheidend sei, dass man das Talent und das Können des Nebenmannes nicht als Bedrohung erlebe. Es bestehe immer die Gefahr, dass ein junger Spieler ängstlich oder eingeschüchtert werde. Stattdessen versuche er als Trainer, ein Umfeld zu gestalten, in dem es Spielern gelingt, "die Sprache des Mitspielers für sich zu kodieren." Streich schloss: "Du brauchst Empathie füreinander. Wenn das gelingt, finden in einer Mannschaft enorme Entwicklungsprozesse statt."

"Viel entsteht aus der Intuition heraus"

Vieles geschehe aus dem Moment heraus, befanden Streich und Brandt gleichermaßen, das gelte für die Prozesse in einer Fußballmannschaft genauso wie für ein Schauspielensemble. Brandt: "Viel entsteht aus der Intuition heraus, aus der Beobachtung. Pläne oder zu viel Selbstbeobachtung blockieren nur."

Werder Bremen ist der Verein von Matthias Brandt, den viele durch den Polizeiruf 110-Kommissar Hanns von Meuffels kennen, der in der TV-Serie "Babylon Berlin" mitspielte und zuletzt den Kurzgeschichtenband "Raumpatrouille" und sein Romandebüt veröffentlichte. Selbst sei er in jungen Jahren ein bescheidener Fußballer gewesen. "Weil die schönsten Mädchen immer mit den guten Fußballern gingen, empfand ich mein fehlendes Fußballtalent als furchtbar. Irgendwann aber habe ich gemerkt, dass es mehr schöne Mädchen als gute Fußballer gibt. Dann war’s wieder okay."

Meistens aber kreiste das Gespräch nicht um Jugendlieben, sondern um die jeweiligen Berufungen. Und darum, welche Fußfallen lauern, gerade für Trainer und Schauspieler, etwa - wie beide eingestanden - die Selbstergriffenheit oder die Projektionen des Publikums. Brandt: "Die positiven Zuschreibungen sind die gefährlichsten, gerade wenn sie nicht stimmen, man aber tatsächlich gerne so wäre." Es war das Gespräch zweier hochproduktiver Männer mitten im Schaffenszenit. Dazu gab es noch viele schöne Sätze.

"Ich bin ein sehr dankbarer Leser"

Etwa als Biermann darüber sprach, wie Streich bei einer Pressekonferenz versuche, seine Mannschaft gut zu verkaufen, und der unterbrach: "Ich bin kein Verkäufer." Oder Brandt verriet, dass es beim Schreiben wichtig sei, warten zu können. Oder als Streich, der Brandts Buch "Blackbird" gelesen hat, aber auch über seine Lektüre von Dostojewskis "Die Brüder Karamasow" sprach, seine Freude am Lesen beschrieb: "Jemand erzählt mir eine Geschichte und ich muss nicht antworten. Es ist wie das Betreten eines anderen Raumes. Ich bin ein sehr dankbarer Leser." Oder als Streich ausnahmsweise ironisch sagte: "Ich bin nicht gefeit vom Wischen, diesem wunderbaren Gefühl."

Das Schlusswort hatte Brandt, der erzählte, wie schlecht er Fußball gespielt und wie viel Freude ihm das Spiel dennoch bereitet habe: "Der Fußball", sagte Brandt, "hat ein großes Herz."

###more###