Fanvertreter Sig Zelt: "Provokante Gesänge sind ein Aufbegehren"

Sig Zelt leitet mit "Pro Fans" ein Interessenbündnis von 48 Fan- und Ultragruppen in Deutschland. DFB.de-Redakteur Thomas Hackbarth sprach mit ihm über ein neues Projekt an sieben Standorten der 2. Bundesliga, unter anderem in Hamburg, Hannover und Fürth. Es geht um das Verhältnis zwischen Fans und Polizei.

DFB.de: Herr Zelt, Sie sind Pressesprecher der Fanvereinigung Pro Fans. Was sind denn typische Konfliktauslöser zwischen Stadionbesuchern und Polizeikräften am Spieltag?

Sig Zelt: Grundsätzlich soll jeder Polizeieinsatz Konflikte vermeiden helfen. Leider stellen wir jedoch Konflikte zwischen Zuschauern und Polizei häufiger fest als zwischen Fans untereinander. Allzu oft werden freiheitseinschränkende Maßnahmen der Polizei als unverhältnismäßig empfunden. Das führt zuweilen zu dem psychologisch erklärbaren Effekt: Werde ich wie ein Störer behandelt, obwohl ich keiner bin, dann verhalte ich mich doch wie ein solcher. Natürlich kann man nicht alles darauf zurückführen. Manche Stadiongänger sind alkoholisiert. Dann tut man manchmal Dinge, die man sonst nicht tut. Normalerweise bleibt das folgenlos, jedoch bei einer dichten Begleitung durch Polizeikräfte werden auch kleinere Verfehlungen viel öfter angezeigt. Umgekehrt impliziert es ein erhebliches Konfliktpotential, wenn Polizeikräfte es schon als Bedrohung betrachten, wenn Fangruppen auf anderen Wegen anreisen, als es erwartet wurde - obwohl das ein selbstverständliches Freiheitsrecht ist. 

DFB.de: Wie sähe aus Ihrer Sicht das perfekte Verhältnis zwischen Fans und Polizei aus?

Zelt: Anzustreben ist, dass die Fans gegenseitig auf sich achten und dass die Polizei angemessen zurückhaltend und stets deeskalierend agiert. Die Gesellschaft soll grundsätzlich auf sich selbst aufpassen, nicht die Polizei. Das gilt auch beim Fußball. Die Polizei soll Straftaten verfolgen und ja, auch präventiv wirken, aber eben nur, wenn ein konkreter dringender Anlass gegeben ist, und so wenig einschränkend wie möglich.

DFB.de: Kennen Sie Standorte, an denen das Verhältnis zwischen Fans und Polizei besonders entspannt ist? Welche Faktoren machen das aus?

Zelt: Es hängt wohl sehr stark vom Einsatzleiter oder der Einsatzleiterin ab und auch davon, wie die Polizei das Konfliktpotenzial der Begegnung einschätzt. Man kann es schwer an Standorten festmachen. Zum Beispiel laufen die Spiele in Fürth immer sehr entspannt ab, sofern die örtliche Polizei den Einsatz leitet. Bei brisanten Partien kommen aber die Kräfte aus Nürnberg oder gar München, und dann wird ganz anderes berichtet.  

DFB.de: Wie bewerten Sie das nun von der Nivel-Stiftung finanzierte Pilotprojekt zur Spieltagsnachbetrachtung?

Zelt: Das Projekt halte ich vor allem dann für besonders wertvoll, wenn es nach einer konfliktbeladenen Begegnung zu einem Kontakt der Beteiligten führt: Fans auf der einen Seite, Polizei oder der gastgebende Verein auf der anderen. Wenn es dabei die Chance des Perspektivwechsels eröffnet, kann es ein gegenseitiges Verständnis und gegenseitigen Respekt fördern. Fans sind grundsätzlich durchaus bereit, auch eigenes Verhalten kritisch zu reflektieren. All die bekannten provokanten Gesänge sind viel eher ein Aufbegehren gegen eine empfundene Geringschätzung, als dass Fans den Polizisten wirklich ihre Würde absprechen wollten. Gerade Auswärtsfans haben das gleiche Recht auf den Schutz ihrer Freiheit und Unversehrtheit wie die Heimzuschauer und wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger. In der Projektgruppe war es wohltuend zu erfahren, dass die Vertreter der Polizei ihre eigene Organisation keineswegs für unfehlbar hielten. Pressemitteilungen und andere öffentliche Äußerungen der Polizei vermitteln jedoch oft ein ganz anderes Bild. Kommunikationsbedarf ist also durchaus vorhanden.

DFB.de: Kritisch nachgefragt: Ist es nicht so, dass Fans, die einen Online-Fragebogen ausfüllen, ohnehin nie in einen Konflikt mit der Polizei geraten?

Zelt: Die allermeisten Fans lassen sich unbestritten überhaupt nichts zuschulden kommen. Aber zumindest von denen, die auch zu einem Auswärtsspiel fahren, werden Sie kaum jemanden finden, der noch nie in einen Konflikt mit der Polizei geraten wäre. Das ist ja gerade das Problem, und diejenigen gilt es in erster Linie zu schützen und zu stärken. Darüber hinaus sollte das Projekt mit steigender Bekanntheit auch breite Kreise erreichen. 

DFB.de: Pro Fans ist ein Bündnis von 48 Fan- und Ultragruppen. Welche großen Gruppen gehören denn dazu? Wofür steht Pro Fans ein? Wie ist Pro Fans strukturiert?

Zelt: Die Szenen der einzelnen Vereine sind bei uns durch jeweils eine oder mehrere Gruppen, zumeist Ultragruppen, vertreten. Ein gewähltes "Büro" führt die Geschäfte zwischen den bundesweiten Treffen. Neben kleineren sind auch viele große und wichtige Standorte dabei, wie etwa Berlin, Dortmund, Hamburg, Hannover, Köln, Mainz oder München. Andere, wie Frankfurt, Nürnberg oder Stuttgart fehlen allerdings. Die Bewegung Fanszenen Deutschland hingegen hat nahezu alle aktiviert. Deshalb hat sich Pro Fans zuletzt zurückgenommen. Wir werden sehen, wie die Gruppen in Zukunft ihre Interessen vertreten sehen wollen. Wir stehen für die integrative Rolle des Fußballs ein, über politische und weltanschauliche Standpunkte hinaus, aber mit deutlicher Distanzierung von rassistischen Haltungen. Unser Fokus ist eine lebhafte Fankultur, die übrigens weit über das Stadionerlebnis hinausgeht. Fußball sollte nicht nur durch sportliche Leistungen Schlagzeilen machen, sondern wichtige gesellschaftliche Werte vorleben, denn das ist es, wofür wir unser Herzblut geben. Es macht uns große Sorge, wenn zunehmend nur noch das Prinzip "Geld regiert die Welt" maßgebend zu sein scheint. 

DFB.de: Werden Sie die Umsetzung des Pilotprojekts in den kommenden zehn Monaten begleiten? Welches Ergebnis erwarten und welches erhoffen Sie? 

Zelt: Es gab eine vorbereitende Projektgruppe, in der ich neben Ulrike Polenz von Unserer Kurve als Fanvertreter mitgewirkt habe und wo wir aus vielen guten und realisierungswürdigen Ideen die der Spieltagsnachbereitung ausgewählt und auf den Weg gebracht haben. Ich halte das für potenzialträchtig und habe mich deshalb für den Projektbeirat zur Verfügung gestellt. Ich hoffe, das Vorhaben lässt sich so umsetzen, dass es sich als ein sinnvolles, gutes Instrument erweist, zu einem entspannten Verhältnis zwischen Fans und Polizei beizutragen. Wenn sich zeigt, dass es so ist, erwarte ich natürlich, dass sich ein Weg findet, aus dem Piloten ein an allen Standorten gängiges Verfahren zu machen. Der sehr überschaubare finanzielle Aufwand dafür wird dann hoffentlich kein Hindernis sein.

[th]

Sig Zelt leitet mit "Pro Fans" ein Interessenbündnis von 48 Fan- und Ultragruppen in Deutschland. DFB.de-Redakteur Thomas Hackbarth sprach mit ihm über ein neues Projekt an sieben Standorten der 2. Bundesliga, unter anderem in Hamburg, Hannover und Fürth. Es geht um das Verhältnis zwischen Fans und Polizei.

DFB.de: Herr Zelt, Sie sind Pressesprecher der Fanvereinigung Pro Fans. Was sind denn typische Konfliktauslöser zwischen Stadionbesuchern und Polizeikräften am Spieltag?

Sig Zelt: Grundsätzlich soll jeder Polizeieinsatz Konflikte vermeiden helfen. Leider stellen wir jedoch Konflikte zwischen Zuschauern und Polizei häufiger fest als zwischen Fans untereinander. Allzu oft werden freiheitseinschränkende Maßnahmen der Polizei als unverhältnismäßig empfunden. Das führt zuweilen zu dem psychologisch erklärbaren Effekt: Werde ich wie ein Störer behandelt, obwohl ich keiner bin, dann verhalte ich mich doch wie ein solcher. Natürlich kann man nicht alles darauf zurückführen. Manche Stadiongänger sind alkoholisiert. Dann tut man manchmal Dinge, die man sonst nicht tut. Normalerweise bleibt das folgenlos, jedoch bei einer dichten Begleitung durch Polizeikräfte werden auch kleinere Verfehlungen viel öfter angezeigt. Umgekehrt impliziert es ein erhebliches Konfliktpotential, wenn Polizeikräfte es schon als Bedrohung betrachten, wenn Fangruppen auf anderen Wegen anreisen, als es erwartet wurde - obwohl das ein selbstverständliches Freiheitsrecht ist. 

DFB.de: Wie sähe aus Ihrer Sicht das perfekte Verhältnis zwischen Fans und Polizei aus?

Zelt: Anzustreben ist, dass die Fans gegenseitig auf sich achten und dass die Polizei angemessen zurückhaltend und stets deeskalierend agiert. Die Gesellschaft soll grundsätzlich auf sich selbst aufpassen, nicht die Polizei. Das gilt auch beim Fußball. Die Polizei soll Straftaten verfolgen und ja, auch präventiv wirken, aber eben nur, wenn ein konkreter dringender Anlass gegeben ist, und so wenig einschränkend wie möglich.

DFB.de: Kennen Sie Standorte, an denen das Verhältnis zwischen Fans und Polizei besonders entspannt ist? Welche Faktoren machen das aus?

Zelt: Es hängt wohl sehr stark vom Einsatzleiter oder der Einsatzleiterin ab und auch davon, wie die Polizei das Konfliktpotenzial der Begegnung einschätzt. Man kann es schwer an Standorten festmachen. Zum Beispiel laufen die Spiele in Fürth immer sehr entspannt ab, sofern die örtliche Polizei den Einsatz leitet. Bei brisanten Partien kommen aber die Kräfte aus Nürnberg oder gar München, und dann wird ganz anderes berichtet.  

DFB.de: Wie bewerten Sie das nun von der Nivel-Stiftung finanzierte Pilotprojekt zur Spieltagsnachbetrachtung?

Zelt: Das Projekt halte ich vor allem dann für besonders wertvoll, wenn es nach einer konfliktbeladenen Begegnung zu einem Kontakt der Beteiligten führt: Fans auf der einen Seite, Polizei oder der gastgebende Verein auf der anderen. Wenn es dabei die Chance des Perspektivwechsels eröffnet, kann es ein gegenseitiges Verständnis und gegenseitigen Respekt fördern. Fans sind grundsätzlich durchaus bereit, auch eigenes Verhalten kritisch zu reflektieren. All die bekannten provokanten Gesänge sind viel eher ein Aufbegehren gegen eine empfundene Geringschätzung, als dass Fans den Polizisten wirklich ihre Würde absprechen wollten. Gerade Auswärtsfans haben das gleiche Recht auf den Schutz ihrer Freiheit und Unversehrtheit wie die Heimzuschauer und wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger. In der Projektgruppe war es wohltuend zu erfahren, dass die Vertreter der Polizei ihre eigene Organisation keineswegs für unfehlbar hielten. Pressemitteilungen und andere öffentliche Äußerungen der Polizei vermitteln jedoch oft ein ganz anderes Bild. Kommunikationsbedarf ist also durchaus vorhanden.

DFB.de: Kritisch nachgefragt: Ist es nicht so, dass Fans, die einen Online-Fragebogen ausfüllen, ohnehin nie in einen Konflikt mit der Polizei geraten?

Zelt: Die allermeisten Fans lassen sich unbestritten überhaupt nichts zuschulden kommen. Aber zumindest von denen, die auch zu einem Auswärtsspiel fahren, werden Sie kaum jemanden finden, der noch nie in einen Konflikt mit der Polizei geraten wäre. Das ist ja gerade das Problem, und diejenigen gilt es in erster Linie zu schützen und zu stärken. Darüber hinaus sollte das Projekt mit steigender Bekanntheit auch breite Kreise erreichen. 

DFB.de: Pro Fans ist ein Bündnis von 48 Fan- und Ultragruppen. Welche großen Gruppen gehören denn dazu? Wofür steht Pro Fans ein? Wie ist Pro Fans strukturiert?

Zelt: Die Szenen der einzelnen Vereine sind bei uns durch jeweils eine oder mehrere Gruppen, zumeist Ultragruppen, vertreten. Ein gewähltes "Büro" führt die Geschäfte zwischen den bundesweiten Treffen. Neben kleineren sind auch viele große und wichtige Standorte dabei, wie etwa Berlin, Dortmund, Hamburg, Hannover, Köln, Mainz oder München. Andere, wie Frankfurt, Nürnberg oder Stuttgart fehlen allerdings. Die Bewegung Fanszenen Deutschland hingegen hat nahezu alle aktiviert. Deshalb hat sich Pro Fans zuletzt zurückgenommen. Wir werden sehen, wie die Gruppen in Zukunft ihre Interessen vertreten sehen wollen. Wir stehen für die integrative Rolle des Fußballs ein, über politische und weltanschauliche Standpunkte hinaus, aber mit deutlicher Distanzierung von rassistischen Haltungen. Unser Fokus ist eine lebhafte Fankultur, die übrigens weit über das Stadionerlebnis hinausgeht. Fußball sollte nicht nur durch sportliche Leistungen Schlagzeilen machen, sondern wichtige gesellschaftliche Werte vorleben, denn das ist es, wofür wir unser Herzblut geben. Es macht uns große Sorge, wenn zunehmend nur noch das Prinzip "Geld regiert die Welt" maßgebend zu sein scheint. 

DFB.de: Werden Sie die Umsetzung des Pilotprojekts in den kommenden zehn Monaten begleiten? Welches Ergebnis erwarten und welches erhoffen Sie? 

Zelt: Es gab eine vorbereitende Projektgruppe, in der ich neben Ulrike Polenz von Unserer Kurve als Fanvertreter mitgewirkt habe und wo wir aus vielen guten und realisierungswürdigen Ideen die der Spieltagsnachbereitung ausgewählt und auf den Weg gebracht haben. Ich halte das für potenzialträchtig und habe mich deshalb für den Projektbeirat zur Verfügung gestellt. Ich hoffe, das Vorhaben lässt sich so umsetzen, dass es sich als ein sinnvolles, gutes Instrument erweist, zu einem entspannten Verhältnis zwischen Fans und Polizei beizutragen. Wenn sich zeigt, dass es so ist, erwarte ich natürlich, dass sich ein Weg findet, aus dem Piloten ein an allen Standorten gängiges Verfahren zu machen. Der sehr überschaubare finanzielle Aufwand dafür wird dann hoffentlich kein Hindernis sein.

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