Torrichter: "Entscheidungen menschlicher Wahrnehmung"

Es ist ein "historischer Fußball-Tag", wenn am Donnerstag die neue Europa League in die Saison startet. Denn erstmals sind sechs Unparteiische in unterschiedlichen Funktionen bei den Spielen auf dem Platz im Einsatz: der Schiedsrichter, seine beiden Assistenten, der vierte Offizielle und zwei Torrichter.

Der von der UEFA beschlossene Test mit den neu eingeführten Torrichtern ist von der FIFA und deren International Board als dafür allein zuständiger Regelkommission genehmigt. Die 48 Schiedsrichter-Teams, die an dem Experiment beteiligt sind, wurden Ende August bei einem Lehrgang in Nyon intensiv geschult. Alle in der Europa League startenden Klubs erhielten von der UEFA eine DVD zur Verfügung gestellt, um sich auf die veränderten Bedingungen einstellen zu können.

Als deutsche Schiedsrichter werden Knut Kircher (Rottenburg) und Michael Weiner (Giesen) an dem Pilotprojekt in dieser Saison beteiligt sein. Den Auftakt macht Kircher am Donnerstag bei der Europa-League-Begegnung zwischen Benfica Lissabon und BATE Borissow (Weißrussland). Kai Voß und Robert Kempter sind seine beiden Assistenten, Jochen Drees ist der vierte Offizielle, Markus Schmidt und Peter Sippel sind die beiden Torrichter.

DFB.de sprach mit Dr. Rainer Koch, dem für Schiedsrichter-Fragen im DFB-Präsidium zuständigen Vizepräsidenten, über die Neuregelung und andere Grundsatzfragen zum Einsatz moderner Technik im Schiedsrichterwesen.

Frage: Herr Koch, erst mal die Frage: Welche konkreten Aufgaben haben die neuen Torrichter?

Dr. Rainer Koch: Die beiden Torrichter sind auf der dem Schiedsrichter-Assistenten gegenüberliegenden Seite hinter der Torlinie positioniert. Sie dürfen auch das Feld betreten, müssen dabei jedoch hinter dem letzten Spieler bleiben und sollen den Torraum nicht betreten. Sie sind mit dem Schiedsrichter über ein Headsetsystem per Funk verbunden und sollen ihn durch kurze verbale Entscheidungshinweise in der Entscheidungsfindung unterstützen. Sie sind ohne Fahnen ausgestattet, so dass sie im Gegensatz zu den Schiedsrichter-Assistenten an den Seitenlinien keine offenen Zeichen geben.

Frage: Wie begründet die UEFA den Test mit den beiden Torrichtern, der zunächst in dieser Saison in allen 144 Guppenspielen der Europa League durchgeführt wird, und welche Erwartungen verknüpft sie damit?

Koch: Mit diesem Experiment will die UEFA eine Möglichkeit testen, wie die Entscheidungsqualität bei Strafraum- und Torsituationen auf der Basis rein menschlicher Wahrnehmung und ohne zusätzliche technische Hilfsmittel verbessert werden kann.



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Es ist ein "historischer Fußball-Tag", wenn am Donnerstag die neue Europa League in die Saison startet. Denn erstmals sind sechs Unparteiische in unterschiedlichen Funktionen bei den Spielen auf dem Platz im Einsatz: der Schiedsrichter, seine beiden Assistenten, der vierte Offizielle und zwei Torrichter.

Der von der UEFA beschlossene Test mit den neu eingeführten Torrichtern ist von der FIFA und deren International Board als dafür allein zuständiger Regelkommission genehmigt. Die 48 Schiedsrichter-Teams, die an dem Experiment beteiligt sind, wurden Ende August bei einem Lehrgang in Nyon intensiv geschult. Alle in der Europa League startenden Klubs erhielten von der UEFA eine DVD zur Verfügung gestellt, um sich auf die veränderten Bedingungen einstellen zu können.

Als deutsche Schiedsrichter werden Knut Kircher (Rottenburg) und Michael Weiner (Giesen) an dem Pilotprojekt in dieser Saison beteiligt sein. Den Auftakt macht Kircher am Donnerstag bei der Europa-League-Begegnung zwischen Benfica Lissabon und BATE Borissow (Weißrussland). Kai Voß und Robert Kempter sind seine beiden Assistenten, Jochen Drees ist der vierte Offizielle, Markus Schmidt und Peter Sippel sind die beiden Torrichter.

DFB.de sprach mit Dr. Rainer Koch, dem für Schiedsrichter-Fragen im DFB-Präsidium zuständigen Vizepräsidenten, über die Neuregelung und andere Grundsatzfragen zum Einsatz moderner Technik im Schiedsrichterwesen.

Frage: Herr Koch, erst mal die Frage: Welche konkreten Aufgaben haben die neuen Torrichter?

Dr. Rainer Koch: Die beiden Torrichter sind auf der dem Schiedsrichter-Assistenten gegenüberliegenden Seite hinter der Torlinie positioniert. Sie dürfen auch das Feld betreten, müssen dabei jedoch hinter dem letzten Spieler bleiben und sollen den Torraum nicht betreten. Sie sind mit dem Schiedsrichter über ein Headsetsystem per Funk verbunden und sollen ihn durch kurze verbale Entscheidungshinweise in der Entscheidungsfindung unterstützen. Sie sind ohne Fahnen ausgestattet, so dass sie im Gegensatz zu den Schiedsrichter-Assistenten an den Seitenlinien keine offenen Zeichen geben.

Frage: Wie begründet die UEFA den Test mit den beiden Torrichtern, der zunächst in dieser Saison in allen 144 Guppenspielen der Europa League durchgeführt wird, und welche Erwartungen verknüpft sie damit?

Koch: Mit diesem Experiment will die UEFA eine Möglichkeit testen, wie die Entscheidungsqualität bei Strafraum- und Torsituationen auf der Basis rein menschlicher Wahrnehmung und ohne zusätzliche technische Hilfsmittel verbessert werden kann.

Frage: Wie beurteilen Sie und der DFB-Schiedsrichter-Ausschuss dieses Modell?

Koch: Durch beide Torrichter kommt eine zusätzliche Perspektive in das Spiel. Der Vorteil ist, dass sich eine Person aus dem Schiedsrichter-Team nur auf Strafraum- und Torsituationen konzentrieren kann. Die Entscheidung beruht jedoch weiterhin auf der menschlichen Wahrnehmung und ist somit auch menschlichen Fehlerquellen unterworfen, z.B. wenn Spieler oder Torwart den Ball verdecken oder der Torrichter so postiert, dass er keine ideale Perspektive auf den Vorgang hat, also sein Blick schlecht oder gar versperrt ist. Trotzdem ist natürlich die Aussage unstrittig, wenn UEFA-Präsident Michel Platini sagt: "Weitere vier Augen sehen mehr. Wir haben keine Krise des Schiedsrichterwesens, wir haben eine Krise des Nicht-Sehen-Könnes bei der heutigen Geschwindigkeit des Spiels."

Frage: Wie wird das Pilotprojekt ausgewertet und wie geht es dann weiter?

Koch: Die Fachleute der UEFA werden alle wichtigen Erkenntnisse aus den 144 Begegnungen der Europa League auswerten und dann sicher auch einen Bericht an die FIFA machen. Wir möchten jetzt hier keine Prognosen abgeben, sondern erst mal die Erfahrungen abwarten, die Schiedsrichter und Vereine mit diesem Versuch machen. Wenn der Test positiv bewertet wird und alles ganz schnell geht, könnte das International Board der FIFA, das ja bekanntlich allein für Regeländerungen zuständig ist und einmal pro Jahr tagt, bereits Anfang 2010 eine Entscheidung treffen, wie es weitergeht. UEFA-Präsident Michel Platini hat schon angekündigt, dass er davon ausgeht, dass bei einer FIFA-Zustimmung bei der Europameisterschaft 2012 die beiden Torrichter bei jedem Spiel im Einsatz sein werden.

Frage: Wie sieht der DFB denn den Einsatz von technischen Hilfsmitteln im Schiedsrichterwesen?

Koch: Die Position des DFB-Schiedsrichter-Ausschusses zu dieser Frage ist seit langem bekannt und wurde in der Sitzung vom 3. September in einem Grundsatzpapier zusammen gefasst. Unsere Schiedsrichter verweigern sich technischen Hilfsmitteln nicht, wenn sie sinnvoll und von FIFA und UEFA zugelassen sind. Der DFB und seine Schiedsrichter bringen ihre Meinung ein, aber letztlich ist das wieder nur die Entscheidung des International Board der FIFA.

Frage: Was bedeutet das für die Hintertorkamera, die bei solchen Diskussionen immer wieder ins Gespräch gebracht wird?

Koch: Sie bietet zur Unterstützung des Schiedsrichters eine zusätzliche Perspektive, zu deren Auswertung das Spiel unterbrochen werden muss. Erst dann kann der Vorgang durch den Schiedsrichter begutachtet werden. Sollte der Torwart auf dem Ball liegen oder ein Spieler die Perspektive der Kamera zum Ball verdecken, dann wäre die Situation jedoch auch mit einer Hintertorkamera nicht mit Sicherheit auflösbar. Zudem wäre bei ganz knappen Situationen eine hundertprozentige Entscheidungsgewissheit nicht gewährleistet. Alles in allem ist der Einsatz der Hintertorkamera ein komplizierter Prozess, der der Spieldynamik entgegensteht, wenn etwa die abwehrende Mannschaft einen verheißungsvollen Gegenzug startet und das Spiel unterbrochen werden muss.

Frage: Und wie sieht's mit dem Chip im Ball aus?

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Koch: Das Projekt "Chip im Ball" beschränkt sich ausschließlich auf die Entscheidung "Tor oder Nicht-Tor". Über den Chip empfängt der Schiedsrichter ein Signal, das zum Beispiel die Entscheidung "Tor" quasi vorgibt. Eine Spielunterbrechung ist nicht erforderlich und durch die systembedingte Entscheidungsvorgabe wären Schiedsrichter und Schiedsrichter-Assistenten aus der Diskussion. Grundvoraussetzung für dieses Modell ist aber, dass man sich auf die Technik verlassen kann. Nur dann wäre das eine nachhaltige Entlastung für den Schiedsrichter. Bei der Klub-WM 2007 wurde übrigens die Funktionsfähigkeit dieses Systems mit sehr guten Ergebnissen getestet. Ein weiter Einsatz wurde dann von der FIFA jedoch zurückgestellt. Dieses war eine Entscheidung zu Gunsten der menschlichen Komponente im Fußball, denn die Alternative dazu ist das Experiment mit den beiden Torrichtern.