Thema Kinderschutz im Sport: "Der DFB hat viel für die Prävention getan"

Acht Millionen Kinder sind Mitglied in einem Sportverein. Ihre körperliche und psychische Unversehrtheit ist wohl das höchste Gut im Sport. Anlässlich der dritten Fachtagung mit rund 50 Teilnehmern aus den DFB-Landesverbänden, die heute beim DFB stattfindet, spricht DFB.de mit dem Psychologen Ralf Slüter vom Deutschen Kinderschutzbund (DKSB) darüber, was Eltern und Vereinsverantwortliche über einen hochwirksamen Kinderschutz wissen sollten.

DFB.de: Herr Slüter, welchen Stellenwert hat der Kinderschutz beim DFB?

Ralf Slüter: Mein Eindruck ist, dass der DFB sehr verantwortungsbewusst handelt und schon viel für die Prävention sexualisierter Gewalt in der Spitze und beim kleinen Amateurverein getan hat. Die DFB-Broschüre aus dem Jahr 2015 ist ein starker Handlungsleitfaden für jeden Verein, von der Kreisliga bis ziemlich weit nach oben. Dort wird verständlich erklärt, wie man sich präventiv aufstellen sollte. Denn Kinderschutz ist ein Qualitätsmerkmal für jeden Verein. Und Passivität hilft nur den potenziellen Tätern.

DFB.de: Zu wie vielen Fällen von Kindesmissbrauch kommt es jährlich?

Slüter: Ich kenne keine verlässliche Zahl. Zuletzt erschien die Studie "Safe Sport" der Sporthochschule Köln, dort hatte man 1800 Kaderathletinnen und Kaderathleten befragt. 37 Prozent aller Kadersportlerinnen und Kadersportler, die an der Studie teilgenommen haben, geben an, schon einmal eine Form von sexualisierter Gewalt im Sport erfahren zu haben. Aber eine Kaderathletin, die oft in einer Einzeldisziplin antritt, ist tatsächlich in einer ganz anderen Situation als ein Kind im Fußballverein. Die Anzahl der strafrechtlich verfolgten Fälle von Kindesmissbrauch im Sport in Deutschland ist absolut minimal. Aber klar ist auch: Jeder einzelne Übergriff ist furchtbar. Wir müssen präventiv stark aufgestellt sein.

DFB.de: Was sollten Eltern über das Täterverhalten wissen?

Slüter: Ein Übergriff fällt nie vom Himmel, das ist oft ein Step-by-step-Prozess. Es fängt mit einer mangelnden Nähe-Distanz-Balance an, dass man also jemanden anfasst, obwohl der das nicht will. Es gibt sexuelle Anzüglichkeiten, es kommt zum Küssen. Und dann geht das in den schlimmsten Fällen weiter bis schließlich zur Vergewaltigung. Was strafrechtlich relevant ist, dafür wandert man selbstverständlich ins Gefängnis. Aber auch die Anfänge sind nicht okay, der Sportverein muss reagieren. Für die Kinder ist es ungeheuer schwer, sich zu äußern. Da wurde eine Beziehung aufgenommen, man ist sich nahe gekommen, da sind Abhängigkeiten entstanden. Plötzlich wird anzüglich gesprochen. Das Kind ist verwirrt, weiß nicht, wann es Stopp sagen kann. Im Grunde genommen ist es ein wirklich perfides und grausames Ausprobieren des Täters, wie weit er gehen kann.

DFB.de: 80 bis 90 Prozent der Täter sind Männer, Opfer werden sowohl Jungen wie Mädchen. Können Eltern ihr Kind wappnen?

Slüter: Eltern müssen offen darüber sprechen. Kinder sollten aber auch nicht zu viel Angst haben, sie müssen sich frei fühlen, Kinder müssen die Welt entdecken wollen. Man sollte sein Kind sicher nicht so verängstigen, dass es sich am Ende gar nicht mehr raustraut. Das Wesentliche scheint mir, dass Eltern ihre Kinder wahrnehmen. Man muss Veränderungen mitbekommen. Und dann sollten Eltern ihre Kinder auch ansprechen: "Immer wenn du vom Training kommst, bist du so still. Ist etwas passiert?"

DFB.de: Bei jedem neuen Skandal sind wieder alle verblüfft, wie es über so lange Zeit zu Missbrauchsfällen kommen konnte. Wie erklären Sie dieses Schweigekartell?

Slüter: Das sind ja oft machtvolle Verhältnisse. Und die das tun, haben das Gefühl, keiner kann mir was. Sonst würden die das nicht tun. Und die das erleiden, sind irritiert mit der Frage: "Darf ich das blöd finden, was der da tut?" Die schämen sich vielleicht sogar, weil sie bei der ersten Grenzüberschreitung nicht Stopp gesagt haben. Wie gesagt, es sind oft Beziehungen mit einem riesigen Machtgefälle. Es geht um Ängste, auch Angst vor dem Karriereende. Dann zu sagen, du machst hier etwas, das ist nicht okay, das trauen sich eben manche Kinder nicht. Das kann doch jeder nachvollziehen. Dass das Umfeld schweigt, finde ich unerträglich und oft auch unerklärlich.

DFB.de: Im vergangenen Dezember haben Sie die Betreuerinnen und Betreuer der Junioren-Nationalmannschaften geschult. Welchen Eindruck hatten Sie?

Slüter: Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ich beim DFB schule, sind sehr motiviert in den Seminaren. Anfangs braucht es manchmal einen Moment, mir muss es erst mal gelingen, ein Bewusstsein für die Relevanz des Themas zu schaffen.

DFB.de: Wieso?

Slüter: Für die Teammanager der U-Nationalmannschaften, von der U 15 bis zur U 21, geht es in erster Linie um das nächste Länderspiel, die nächste Europameisterschaft. Sie sind Hauptansprechpartner und hauptverantwortlich. Da muss alles passen, das Hotel, der Transport, die Trainingsmöglichkeiten. Denen muss ich klar machen, dass die Prävention sexualisierter Gewalt tatsächlich ein Thema ist, das sie interessieren sollte. Das im Zweifel ganz schlimme und ernsthafte Folgen für die ihnen anvertrauten Jugendlichen haben kann. Sobald ich das rübergebracht habe, sind alle engagiert.

DFB.de: Sie haben beim Kindesmissbrauch 20 Jahre lang therapeutisch mit Opfern und Tätern gearbeitet.

Slüter: Ich hatte damals mit vielen familiären Übergriffen zu tun, schwerste sexuelle Übergriffe, das eskalierte schließlich furchtbar. Die schlimmsten Fälle endeten mit Mord. Da passieren Dinge, die man sich nicht vorstellen kann und auch nicht vorstellen will. Für die Opfer sexualisierter Gewalt reden wir von einem sehr, sehr hohen Maß an Beschädigung. Das ist schicksalhaft - wenn Menschen so etwas erleben, haben die allermeisten ein Leben lang damit zu tun.

DFB.de: Werden die Täter hart genug bestraft?

Slüter: Das ist als Psychologe nicht so mein Thema. Ich will, dass die aufhören.

[th]

Acht Millionen Kinder sind Mitglied in einem Sportverein. Ihre körperliche und psychische Unversehrtheit ist wohl das höchste Gut im Sport. Anlässlich der dritten Fachtagung mit rund 50 Teilnehmern aus den DFB-Landesverbänden, die heute beim DFB stattfindet, spricht DFB.de mit dem Psychologen Ralf Slüter vom Deutschen Kinderschutzbund (DKSB) darüber, was Eltern und Vereinsverantwortliche über einen hochwirksamen Kinderschutz wissen sollten.

DFB.de: Herr Slüter, welchen Stellenwert hat der Kinderschutz beim DFB?

Ralf Slüter: Mein Eindruck ist, dass der DFB sehr verantwortungsbewusst handelt und schon viel für die Prävention sexualisierter Gewalt in der Spitze und beim kleinen Amateurverein getan hat. Die DFB-Broschüre aus dem Jahr 2015 ist ein starker Handlungsleitfaden für jeden Verein, von der Kreisliga bis ziemlich weit nach oben. Dort wird verständlich erklärt, wie man sich präventiv aufstellen sollte. Denn Kinderschutz ist ein Qualitätsmerkmal für jeden Verein. Und Passivität hilft nur den potenziellen Tätern.

DFB.de: Zu wie vielen Fällen von Kindesmissbrauch kommt es jährlich?

Slüter: Ich kenne keine verlässliche Zahl. Zuletzt erschien die Studie "Safe Sport" der Sporthochschule Köln, dort hatte man 1800 Kaderathletinnen und Kaderathleten befragt. 37 Prozent aller Kadersportlerinnen und Kadersportler, die an der Studie teilgenommen haben, geben an, schon einmal eine Form von sexualisierter Gewalt im Sport erfahren zu haben. Aber eine Kaderathletin, die oft in einer Einzeldisziplin antritt, ist tatsächlich in einer ganz anderen Situation als ein Kind im Fußballverein. Die Anzahl der strafrechtlich verfolgten Fälle von Kindesmissbrauch im Sport in Deutschland ist absolut minimal. Aber klar ist auch: Jeder einzelne Übergriff ist furchtbar. Wir müssen präventiv stark aufgestellt sein.

DFB.de: Was sollten Eltern über das Täterverhalten wissen?

Slüter: Ein Übergriff fällt nie vom Himmel, das ist oft ein Step-by-step-Prozess. Es fängt mit einer mangelnden Nähe-Distanz-Balance an, dass man also jemanden anfasst, obwohl der das nicht will. Es gibt sexuelle Anzüglichkeiten, es kommt zum Küssen. Und dann geht das in den schlimmsten Fällen weiter bis schließlich zur Vergewaltigung. Was strafrechtlich relevant ist, dafür wandert man selbstverständlich ins Gefängnis. Aber auch die Anfänge sind nicht okay, der Sportverein muss reagieren. Für die Kinder ist es ungeheuer schwer, sich zu äußern. Da wurde eine Beziehung aufgenommen, man ist sich nahe gekommen, da sind Abhängigkeiten entstanden. Plötzlich wird anzüglich gesprochen. Das Kind ist verwirrt, weiß nicht, wann es Stopp sagen kann. Im Grunde genommen ist es ein wirklich perfides und grausames Ausprobieren des Täters, wie weit er gehen kann.

DFB.de: 80 bis 90 Prozent der Täter sind Männer, Opfer werden sowohl Jungen wie Mädchen. Können Eltern ihr Kind wappnen?

Slüter: Eltern müssen offen darüber sprechen. Kinder sollten aber auch nicht zu viel Angst haben, sie müssen sich frei fühlen, Kinder müssen die Welt entdecken wollen. Man sollte sein Kind sicher nicht so verängstigen, dass es sich am Ende gar nicht mehr raustraut. Das Wesentliche scheint mir, dass Eltern ihre Kinder wahrnehmen. Man muss Veränderungen mitbekommen. Und dann sollten Eltern ihre Kinder auch ansprechen: "Immer wenn du vom Training kommst, bist du so still. Ist etwas passiert?"

DFB.de: Bei jedem neuen Skandal sind wieder alle verblüfft, wie es über so lange Zeit zu Missbrauchsfällen kommen konnte. Wie erklären Sie dieses Schweigekartell?

Slüter: Das sind ja oft machtvolle Verhältnisse. Und die das tun, haben das Gefühl, keiner kann mir was. Sonst würden die das nicht tun. Und die das erleiden, sind irritiert mit der Frage: "Darf ich das blöd finden, was der da tut?" Die schämen sich vielleicht sogar, weil sie bei der ersten Grenzüberschreitung nicht Stopp gesagt haben. Wie gesagt, es sind oft Beziehungen mit einem riesigen Machtgefälle. Es geht um Ängste, auch Angst vor dem Karriereende. Dann zu sagen, du machst hier etwas, das ist nicht okay, das trauen sich eben manche Kinder nicht. Das kann doch jeder nachvollziehen. Dass das Umfeld schweigt, finde ich unerträglich und oft auch unerklärlich.

DFB.de: Im vergangenen Dezember haben Sie die Betreuerinnen und Betreuer der Junioren-Nationalmannschaften geschult. Welchen Eindruck hatten Sie?

Slüter: Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ich beim DFB schule, sind sehr motiviert in den Seminaren. Anfangs braucht es manchmal einen Moment, mir muss es erst mal gelingen, ein Bewusstsein für die Relevanz des Themas zu schaffen.

DFB.de: Wieso?

Slüter: Für die Teammanager der U-Nationalmannschaften, von der U 15 bis zur U 21, geht es in erster Linie um das nächste Länderspiel, die nächste Europameisterschaft. Sie sind Hauptansprechpartner und hauptverantwortlich. Da muss alles passen, das Hotel, der Transport, die Trainingsmöglichkeiten. Denen muss ich klar machen, dass die Prävention sexualisierter Gewalt tatsächlich ein Thema ist, das sie interessieren sollte. Das im Zweifel ganz schlimme und ernsthafte Folgen für die ihnen anvertrauten Jugendlichen haben kann. Sobald ich das rübergebracht habe, sind alle engagiert.

DFB.de: Sie haben beim Kindesmissbrauch 20 Jahre lang therapeutisch mit Opfern und Tätern gearbeitet.

Slüter: Ich hatte damals mit vielen familiären Übergriffen zu tun, schwerste sexuelle Übergriffe, das eskalierte schließlich furchtbar. Die schlimmsten Fälle endeten mit Mord. Da passieren Dinge, die man sich nicht vorstellen kann und auch nicht vorstellen will. Für die Opfer sexualisierter Gewalt reden wir von einem sehr, sehr hohen Maß an Beschädigung. Das ist schicksalhaft - wenn Menschen so etwas erleben, haben die allermeisten ein Leben lang damit zu tun.

DFB.de: Werden die Täter hart genug bestraft?

Slüter: Das ist als Psychologe nicht so mein Thema. Ich will, dass die aufhören.