Teresa Enke: "Die Stiftungsarbeit ist ein Teil der Verarbeitung"

Vor vier Jahren wurde ein angesetztes Länderspiel in Köln gegen Chile kurzfristig abgesagt. Genau hier, in Köln, betritt Teresa Enke am Freitag (ab 20.45 Uhr, live in der ARD) wieder ein Fußballstadion - fast vier Jahre nach dem Selbstmord der ehemaligen deutschen Nummer eins.

DFB-Präsident Wolfgang Niersbach hat Robert Enkes Witwe zum Länderspiel gegen Irland eingeladen - und Teresa Enke, die sich als Vorsitzende der Robert-Enke-Stiftung für die Belange depressiv erkrankter Menschen einsetzt, hat die Einladung gerne angenommen. Auch, um auf ihr Engagement aufmerksam zu machen. Im DFB.de-Exklusivinterview mit Redakteur Thomas Hackbarth hat Teresa Enke über "die Zeit danach" gesprochen.

DFB.de: Im Jahr 2011 nahmen sich in Deutschland 10.144 Menschen das Leben. Im selben Jahr starben 4009 Menschen im Straßenverkehr. Die Robert-Enke-Stiftung fördert Maßnahmen und konkrete Einrichtungen, die der Erforschung und Behandlung depressiver Erkrankungen dienen. Frau Enke, wie erleben Sie persönlich Ihr Engagement in der Stiftung, die am 15. Januar 2010 im Namen Ihres verstorbenen Mannes gegründet wurde?

Teresa Enke: Viele Menschen haben ihre depressive Erkrankung nach dem Tode meines Mannes öffentlich gemacht. Das hatte vorrangig zwei Gründe: Einige depressiv Erkrankte erkannten, dass sie handeln müssen. Zum anderen wurden in der Zeit nach Roberts Tod Anlaufstellen bekannter, wo man sich Hilfe holen kann. Die Robert-Enke-Stiftung ist eine solche Einrichtung. Nach dem Tode eines so prominenten Fußballers fiel das Bekenntnis einer Depression so viel einfacher. Plötzlich wuchs das öffentliche Verständnis, davor wurde das Thema stigmatisiert. "Hab' dich nicht so", war doch die übliche Reaktion, wenn mal jemand über Ängste oder Perspektivlosigkeit klagte. Aber nach Roberts Tod hat wirklich fast jeder verstanden, dass es auch ihn treffen kann - selbst wenn man erfolgreich ist und ein intaktes Familienleben führt.

DFB.de: Ist die Aufgabe in der Stiftung für Sie persönlich eine Freude und erfüllend - oder nicht doch manchmal sehr belastend?

Enke: Beides. Ich werde immer wieder mit Erinnerungen konfrontiert. Aber die Arbeit ist ein Teil der Verarbeitung. Vor Roberts Erkrankung hatte ich mich doch nie mit Depressionen beschäftigt. Auf einmal trifft es dich. Am Anfang waren wir völlig alleine auf weiter Flur. Wir kamen uns so allein vor und ahnten überhaupt nicht, wie viele Menschen Roberts Leiden teilten. Nur die engsten Freunde wussten, was los ist. Heute erlebe ich über die Stiftung, dass es vielen Menschen genauso geht, sowohl Patienten wie auch Angehörige. Diesen Menschen möchten wir helfen.

DFB.de: Wie zufrieden sind Sie mit der Unterstützung durch den DFB?

Enke: Ganz persönlich durfte ich immer wieder erleben, wie die Verantwortlichen des DFB uns unterstützen. Nie verkümmerte der Dialog zum bloßen Austausch von Floskeln. Die finanzielle Unterstützung ist vorhanden, inhaltlich entwickeln wir uns weiter, und der DFB öffnet uns Türen. Das ist alles sehr befriedigend.

DFB.de: Wie solide ist drei Jahre nach der Gründung die Finanzierung der Stiftung?

Enke: Das Engagement der drei Stiftungsgründer - Hannover 96, DFB und DFL - hat nie nachgelassen. Gleichzeitig erreichen uns nach wie vor zahlreiche Privatspenden. Jetzt erst hatten wir einen 16-jährigen Jungen, der 200 Euro von seinem Ferienjob der Stiftung übergeben hat. Der Stiftung begegnen viele Leute mit großer Sympathie. Das liegt an meinem Mann, Robert ist der Grund dafür.

DFB.de: Unter den vielfältigen Ansätzen der Stiftungsarbeit hebt sich ein Schwerpunkt für die Zukunft ab: das Erarbeiten von Leitlinien für die Ausbildung junger Sportler. Worauf kommt es dabei an?

Enke: Wir müssen gerade Trainer darin schulen, den Druck für einen jungen Fußballer zu erkennen, den Moment, wenn es zuviel wird. In den Profivereinen ist es zunehmend wichtig, dass ein Austausch zwischen Sportpsychologen und Sportpsychiatern stattfindet. Motivation alleine reicht nicht aus. Die Enke-Stiftung wird darauf hinwirken, dass die Prävention im Kontext von seelischer Gesundheit etwa in den Nachwuchsleistungszentren an Bedeutung gewinnt.

DFB.de: Hat man hochtalentierte junge Fußballer früher alleine gelassen?

Enke: Es gibt schon diese Fälle. Der junge Profi kriegt plötzlich viel, viel Geld, bricht dann vielleicht auch noch die Schule ab, wird hochgejubelt und alle küssen ihm die Füße. Aber sobald er keine Leistung mehr bringt, endet alles - und zwar auf einen Schlag. Plötzlich ist er nur noch eine Nummer. Diese Erfahrung musste auch Robert machen. Dabei hatte er Stützpfeiler. Er hatte ein familiäres Umfeld, er hatte die Schule abgeschlossen und Abitur gemacht. Er hatte mich, er konnte seine Karriere in Deutschland beginnen. Aber dieser Moment: Jetzt Hype, und plötzlich bist du weg. Wenn man da keine Betreuung hat und alles mit sich selbst ausmachen muss, wird es enorm schwierig. Dabei geht es nicht nur um Psychologen und Psychiater. Die Vereine müssen jungen Talenten ein Umfeld bieten. Das ersetzt jedoch nie die Selbstverantwortung. Wenn du außer dem Fußball nichts hast, und der bricht weg, dann ist alles weg.

DFB.de: Dieses Umschlagen der Wirklichkeit, den totalen Absturz ins Nichts, können sich Normalbürger kaum vorstellen.

Enke: Wo gehe ich hin als Leistungssportler? Auf diese Frage müssen wir noch bessere Antworten geben. Etwa auch für die Phase zum Karriereende. Wir müssen mehr Schnittstellen schaffen. In diese Aufgabe werden die Robert-Enke-Stiftung und auch ich persönlich weiter unsere ganze Kraft stecken.

DFB.de: Hat in der Gesellschaft eine Enttabuisierung stattgefunden?

Enke: Ja, das erlebe ich so. Die Leute gehen offener mit ihrer Krankheit um. Markus Miller (Torwart bei Hannover 96; Anm. der Red.) und Lindsay Vonn (Skiweltmeisterin aus den USA; Anm. der Red.) sind doch zwei Beispiele. Beide haben öffentlich gemacht, dass sie depressiv sind, und es hat kaum mehr Wellen geschlagen. Zwei Tage Schlagzeilen, und dann war's weg.

DFB.de: Keine Sponsorenverträge gekündigt, keine Einschaltquoten weggebrochen...

Enke: Nein, das hätte sich auch kein Sponsor getraut.

DFB.de: Auf Grund Ihrer Erfahrung bei der Stiftung: Ist Depression eher eine Alterserkrankung?

Enke: Nein. Egal, wie alt jemand ist, die Krankheit kann auftauchen. Ein Trauma kann Auslöser sein, oder eine langsam sich entwickelnde Situation, eine finanzielle oder gesundheitliche Krise. Auch in der Pubertät werden Kinder depressiv.

DFB.de: Wer ist eher anfällig: Frauen oder Männer?

Enke: Statistisch sind klar Frauen anfälliger für eine depressive Erkrankung. Die Dunkelziffer ist in den vergangenen Jahren kleiner geworden - groß aber ist sie immer noch.

DFB.de: Muss die Robert-Enke-Stiftung den Fußball verändern?

Enke: Den werden wir nicht verändern. Stattdessen müssen wir depressiv erkrankten Spielern den Weg öffnen, dass sie sich ohne Stigmatisierung öffentlich erklären und nach einer Heilungsphase wieder in die Liga zurückkehren können. Fußball ist ein Leistungssport. Das wird sich nie ändern - und das wollen wir auch nicht verändern.

DFB.de: Es gibt so viele unterschiedliche Hilfsansätze für den Depressiven: Therapie, Selbsthilfegruppe, stationäre Behandlung, Medikamente. Wie bewerten Sie die Möglichkeiten der Hilfe?

Enke: Vor allem als Kassenpatient bekommt man schwer einen Termin. Da muss etwas geschehen. Wer zum Arzt geht und erst mal zwei Monate warten muss, der tut sich im schlimmsten Fall etwas an. Und selbst wenn durch glückliche Umstände der Schub abgeklungen sein sollte, ist das Problem nicht bearbeitet. Ist man erst mal in Behandlung, dann sind die Hilfsangebote in Deutschland auf einem guten Niveau. Die individuelle Passung je nach Krankheitsbild und Bedürfnissen des Patienten ist vorbildlich.

DFB.de: Wie gehen Sie heute, fast vier Jahre nach dem 10. November 2009, mit der Öffentlichkeit um?

Enke: Ich versuche, die Öffentlichkeit für die Anliegen der Robert-Enke-Stiftung zu nutzen. Dafür kämpfe ich, diese öffentlichen Auftritte nehme ich gerne wahr.

DFB.de: Der Selbstmord, Ihre Stellungnahme am folgenden Tag - das hat viele Menschen in Deutschland, und nicht nur Fußballfans, stark berührt. Und manche denken wahrscheinlich bis heute, wenn sie Teresa Enke treffen, dass sie Sie kennen. Ist das eine Belastung?

Enke: Natürlich. In Hannover war es belastender. Aber auch ganz normal. (lacht) Ich habe mit Robbie mal im Aufzug Reiner Calmund getroffen, in Barcelona war das gewesen. Ich grüße Herrn Calmund also ganz aufgekratzt, und Robbie fragt mich danach: "Sag' mal, kanntest du ihn überhaupt?" Da wurde mir erst klar, dass die Vertrautheit darauf beruhte, dass ich Calli aus dem Fernsehen kannte. Es war also eine sehr einseitige Vertrautheit. (lacht wieder) Was mich am Anfang sehr belastet hat, war schon, dass keiner unbefangen mit mir umgehen konnte. Jeder hat immer gedacht, man müsse traurig schauen oder man dürfe nicht lachen in meiner Gegenwart. Ich musste weg aus Hannover und in eine Stadt ziehen, in der ich mein Leben führen kann.

DFB.de: Der Journalist Ronald Reng hat ein bewegendes Buch über das Glück und Leid von Robert und Teresa Enke geschrieben. Ein allzu kurzes Leben erhielt auch international etliche Auszeichnungen. Sie waren immer im Austausch mit Ronald Reng. Wie zufrieden waren und sind Sie mit dem fertigen Buch?

Enke: Es ist ein wahnsinnig einfühlsames und ehrliches Buch. Robert hat immer zu mir gesagt, dass er mit Ronnie, mit dem er befreundet war, ein Buch schreiben wird, wenn er seine Karriere beendet. Nur wusste Ronnie damals nicht, dass Robert krank wurde. Dieses Buch war mir sehr wichtig, auch weil ich klar machen wollte, dass Robert eben nicht nur der depressive Mann war. Wir hatten so viele schöne Zeiten. Natürlich gab es Etappen, in denen die Depression unser Leben bestimmt hat. Aber es gab so viele andere, glückliche Phasen. In der Öffentlichkeit stand Robert nach dem 10. November 2009 nur noch für Depression, Suizid, das Dunkle, das Schwarze. Das Buch zeigt so viele andere Seiten unseres Lebens. Das hat Ronald Reng gut geschrieben. Kein anderer hätte es so machen können.

DFB.de: Das Buch beginnt damit, dass Sie sich zum Geburtstag ein Gedicht wünschen und Robert Enke unter allen möglichen Vorwänden verschwindet, um an ihrem Geburtstag ein sehr schönes, sehr humorvolles Gedicht vorzutragen.

Enke: Wir waren 14 Jahre zusammen. Wir haben so viel erlebt, Hochs und Tiefs, und haben die auch gemeistert. Bis es zu diesem tragischen Ende kam. Aber wir haben unser gemeinsames Leben geliebt.

Das meinen DFB.de-User:

"Ich leide auch unter Depressionen und habe schon einen langen Weg mit stationären Aufenthalten hinter mir. Derzeit befinde ich mich in einer guten Verfassung, aber ich weiß auch, dass es sich wieder ändern kann. Die Stiftung finde ich sehr gut. Aber meine Erfahrungen zeigen auch, dass nicht alle Menschen verstanden haben, was Depressionen sind. Und was sie mit einem machen – auch in Auswirkung auf die Familie." (Reinhard N., Hannover)

[th]

[bild1]

Vor vier Jahren wurde ein angesetztes Länderspiel in Köln gegen Chile kurzfristig abgesagt. Genau hier, in Köln, betritt Teresa Enke am Freitag (ab 20.45 Uhr, live in der ARD) wieder ein Fußballstadion - fast vier Jahre nach dem Selbstmord der ehemaligen deutschen Nummer eins.

DFB-Präsident Wolfgang Niersbach hat Robert Enkes Witwe zum Länderspiel gegen Irland eingeladen - und Teresa Enke, die sich als Vorsitzende der Robert-Enke-Stiftung für die Belange depressiv erkrankter Menschen einsetzt, hat die Einladung gerne angenommen. Auch, um auf ihr Engagement aufmerksam zu machen. Im DFB.de-Exklusivinterview mit Redakteur Thomas Hackbarth hat Teresa Enke über "die Zeit danach" gesprochen.

DFB.de: Im Jahr 2011 nahmen sich in Deutschland 10.144 Menschen das Leben. Im selben Jahr starben 4009 Menschen im Straßenverkehr. Die Robert-Enke-Stiftung fördert Maßnahmen und konkrete Einrichtungen, die der Erforschung und Behandlung depressiver Erkrankungen dienen. Frau Enke, wie erleben Sie persönlich Ihr Engagement in der Stiftung, die am 15. Januar 2010 im Namen Ihres verstorbenen Mannes gegründet wurde?

Teresa Enke: Viele Menschen haben ihre depressive Erkrankung nach dem Tode meines Mannes öffentlich gemacht. Das hatte vorrangig zwei Gründe: Einige depressiv Erkrankte erkannten, dass sie handeln müssen. Zum anderen wurden in der Zeit nach Roberts Tod Anlaufstellen bekannter, wo man sich Hilfe holen kann. Die Robert-Enke-Stiftung ist eine solche Einrichtung. Nach dem Tode eines so prominenten Fußballers fiel das Bekenntnis einer Depression so viel einfacher. Plötzlich wuchs das öffentliche Verständnis, davor wurde das Thema stigmatisiert. "Hab' dich nicht so", war doch die übliche Reaktion, wenn mal jemand über Ängste oder Perspektivlosigkeit klagte. Aber nach Roberts Tod hat wirklich fast jeder verstanden, dass es auch ihn treffen kann - selbst wenn man erfolgreich ist und ein intaktes Familienleben führt.

DFB.de: Ist die Aufgabe in der Stiftung für Sie persönlich eine Freude und erfüllend - oder nicht doch manchmal sehr belastend?

Enke: Beides. Ich werde immer wieder mit Erinnerungen konfrontiert. Aber die Arbeit ist ein Teil der Verarbeitung. Vor Roberts Erkrankung hatte ich mich doch nie mit Depressionen beschäftigt. Auf einmal trifft es dich. Am Anfang waren wir völlig alleine auf weiter Flur. Wir kamen uns so allein vor und ahnten überhaupt nicht, wie viele Menschen Roberts Leiden teilten. Nur die engsten Freunde wussten, was los ist. Heute erlebe ich über die Stiftung, dass es vielen Menschen genauso geht, sowohl Patienten wie auch Angehörige. Diesen Menschen möchten wir helfen.

DFB.de: Wie zufrieden sind Sie mit der Unterstützung durch den DFB?

Enke: Ganz persönlich durfte ich immer wieder erleben, wie die Verantwortlichen des DFB uns unterstützen. Nie verkümmerte der Dialog zum bloßen Austausch von Floskeln. Die finanzielle Unterstützung ist vorhanden, inhaltlich entwickeln wir uns weiter, und der DFB öffnet uns Türen. Das ist alles sehr befriedigend.

DFB.de: Wie solide ist drei Jahre nach der Gründung die Finanzierung der Stiftung?

[bild2]

Enke: Das Engagement der drei Stiftungsgründer - Hannover 96, DFB und DFL - hat nie nachgelassen. Gleichzeitig erreichen uns nach wie vor zahlreiche Privatspenden. Jetzt erst hatten wir einen 16-jährigen Jungen, der 200 Euro von seinem Ferienjob der Stiftung übergeben hat. Der Stiftung begegnen viele Leute mit großer Sympathie. Das liegt an meinem Mann, Robert ist der Grund dafür.

DFB.de: Unter den vielfältigen Ansätzen der Stiftungsarbeit hebt sich ein Schwerpunkt für die Zukunft ab: das Erarbeiten von Leitlinien für die Ausbildung junger Sportler. Worauf kommt es dabei an?

Enke: Wir müssen gerade Trainer darin schulen, den Druck für einen jungen Fußballer zu erkennen, den Moment, wenn es zuviel wird. In den Profivereinen ist es zunehmend wichtig, dass ein Austausch zwischen Sportpsychologen und Sportpsychiatern stattfindet. Motivation alleine reicht nicht aus. Die Enke-Stiftung wird darauf hinwirken, dass die Prävention im Kontext von seelischer Gesundheit etwa in den Nachwuchsleistungszentren an Bedeutung gewinnt.

DFB.de: Hat man hochtalentierte junge Fußballer früher alleine gelassen?

Enke: Es gibt schon diese Fälle. Der junge Profi kriegt plötzlich viel, viel Geld, bricht dann vielleicht auch noch die Schule ab, wird hochgejubelt und alle küssen ihm die Füße. Aber sobald er keine Leistung mehr bringt, endet alles - und zwar auf einen Schlag. Plötzlich ist er nur noch eine Nummer. Diese Erfahrung musste auch Robert machen. Dabei hatte er Stützpfeiler. Er hatte ein familiäres Umfeld, er hatte die Schule abgeschlossen und Abitur gemacht. Er hatte mich, er konnte seine Karriere in Deutschland beginnen. Aber dieser Moment: Jetzt Hype, und plötzlich bist du weg. Wenn man da keine Betreuung hat und alles mit sich selbst ausmachen muss, wird es enorm schwierig. Dabei geht es nicht nur um Psychologen und Psychiater. Die Vereine müssen jungen Talenten ein Umfeld bieten. Das ersetzt jedoch nie die Selbstverantwortung. Wenn du außer dem Fußball nichts hast, und der bricht weg, dann ist alles weg.

DFB.de: Dieses Umschlagen der Wirklichkeit, den totalen Absturz ins Nichts, können sich Normalbürger kaum vorstellen.

Enke: Wo gehe ich hin als Leistungssportler? Auf diese Frage müssen wir noch bessere Antworten geben. Etwa auch für die Phase zum Karriereende. Wir müssen mehr Schnittstellen schaffen. In diese Aufgabe werden die Robert-Enke-Stiftung und auch ich persönlich weiter unsere ganze Kraft stecken.

DFB.de: Hat in der Gesellschaft eine Enttabuisierung stattgefunden?

Enke: Ja, das erlebe ich so. Die Leute gehen offener mit ihrer Krankheit um. Markus Miller (Torwart bei Hannover 96; Anm. der Red.) und Lindsay Vonn (Skiweltmeisterin aus den USA; Anm. der Red.) sind doch zwei Beispiele. Beide haben öffentlich gemacht, dass sie depressiv sind, und es hat kaum mehr Wellen geschlagen. Zwei Tage Schlagzeilen, und dann war's weg.

DFB.de: Keine Sponsorenverträge gekündigt, keine Einschaltquoten weggebrochen...

Enke: Nein, das hätte sich auch kein Sponsor getraut.

DFB.de: Auf Grund Ihrer Erfahrung bei der Stiftung: Ist Depression eher eine Alterserkrankung?

Enke: Nein. Egal, wie alt jemand ist, die Krankheit kann auftauchen. Ein Trauma kann Auslöser sein, oder eine langsam sich entwickelnde Situation, eine finanzielle oder gesundheitliche Krise. Auch in der Pubertät werden Kinder depressiv.

DFB.de: Wer ist eher anfällig: Frauen oder Männer?

Enke: Statistisch sind klar Frauen anfälliger für eine depressive Erkrankung. Die Dunkelziffer ist in den vergangenen Jahren kleiner geworden - groß aber ist sie immer noch.

DFB.de: Muss die Robert-Enke-Stiftung den Fußball verändern?

Enke: Den werden wir nicht verändern. Stattdessen müssen wir depressiv erkrankten Spielern den Weg öffnen, dass sie sich ohne Stigmatisierung öffentlich erklären und nach einer Heilungsphase wieder in die Liga zurückkehren können. Fußball ist ein Leistungssport. Das wird sich nie ändern - und das wollen wir auch nicht verändern.

DFB.de: Es gibt so viele unterschiedliche Hilfsansätze für den Depressiven: Therapie, Selbsthilfegruppe, stationäre Behandlung, Medikamente. Wie bewerten Sie die Möglichkeiten der Hilfe?

Enke: Vor allem als Kassenpatient bekommt man schwer einen Termin. Da muss etwas geschehen. Wer zum Arzt geht und erst mal zwei Monate warten muss, der tut sich im schlimmsten Fall etwas an. Und selbst wenn durch glückliche Umstände der Schub abgeklungen sein sollte, ist das Problem nicht bearbeitet. Ist man erst mal in Behandlung, dann sind die Hilfsangebote in Deutschland auf einem guten Niveau. Die individuelle Passung je nach Krankheitsbild und Bedürfnissen des Patienten ist vorbildlich.

DFB.de: Wie gehen Sie heute, fast vier Jahre nach dem 10. November 2009, mit der Öffentlichkeit um?

Enke: Ich versuche, die Öffentlichkeit für die Anliegen der Robert-Enke-Stiftung zu nutzen. Dafür kämpfe ich, diese öffentlichen Auftritte nehme ich gerne wahr.

DFB.de: Der Selbstmord, Ihre Stellungnahme am folgenden Tag - das hat viele Menschen in Deutschland, und nicht nur Fußballfans, stark berührt. Und manche denken wahrscheinlich bis heute, wenn sie Teresa Enke treffen, dass sie Sie kennen. Ist das eine Belastung?

Enke: Natürlich. In Hannover war es belastender. Aber auch ganz normal. (lacht) Ich habe mit Robbie mal im Aufzug Reiner Calmund getroffen, in Barcelona war das gewesen. Ich grüße Herrn Calmund also ganz aufgekratzt, und Robbie fragt mich danach: "Sag' mal, kanntest du ihn überhaupt?" Da wurde mir erst klar, dass die Vertrautheit darauf beruhte, dass ich Calli aus dem Fernsehen kannte. Es war also eine sehr einseitige Vertrautheit. (lacht wieder) Was mich am Anfang sehr belastet hat, war schon, dass keiner unbefangen mit mir umgehen konnte. Jeder hat immer gedacht, man müsse traurig schauen oder man dürfe nicht lachen in meiner Gegenwart. Ich musste weg aus Hannover und in eine Stadt ziehen, in der ich mein Leben führen kann.

DFB.de: Der Journalist Ronald Reng hat ein bewegendes Buch über das Glück und Leid von Robert und Teresa Enke geschrieben. Ein allzu kurzes Leben erhielt auch international etliche Auszeichnungen. Sie waren immer im Austausch mit Ronald Reng. Wie zufrieden waren und sind Sie mit dem fertigen Buch?

Enke: Es ist ein wahnsinnig einfühlsames und ehrliches Buch. Robert hat immer zu mir gesagt, dass er mit Ronnie, mit dem er befreundet war, ein Buch schreiben wird, wenn er seine Karriere beendet. Nur wusste Ronnie damals nicht, dass Robert krank wurde. Dieses Buch war mir sehr wichtig, auch weil ich klar machen wollte, dass Robert eben nicht nur der depressive Mann war. Wir hatten so viele schöne Zeiten. Natürlich gab es Etappen, in denen die Depression unser Leben bestimmt hat. Aber es gab so viele andere, glückliche Phasen. In der Öffentlichkeit stand Robert nach dem 10. November 2009 nur noch für Depression, Suizid, das Dunkle, das Schwarze. Das Buch zeigt so viele andere Seiten unseres Lebens. Das hat Ronald Reng gut geschrieben. Kein anderer hätte es so machen können.

DFB.de: Das Buch beginnt damit, dass Sie sich zum Geburtstag ein Gedicht wünschen und Robert Enke unter allen möglichen Vorwänden verschwindet, um an ihrem Geburtstag ein sehr schönes, sehr humorvolles Gedicht vorzutragen.

Enke: Wir waren 14 Jahre zusammen. Wir haben so viel erlebt, Hochs und Tiefs, und haben die auch gemeistert. Bis es zu diesem tragischen Ende kam. Aber wir haben unser gemeinsames Leben geliebt.

Das meinen DFB.de-User:

"Ich leide auch unter Depressionen und habe schon einen langen Weg mit stationären Aufenthalten hinter mir. Derzeit befinde ich mich in einer guten Verfassung, aber ich weiß auch, dass es sich wieder ändern kann. Die Stiftung finde ich sehr gut. Aber meine Erfahrungen zeigen auch, dass nicht alle Menschen verstanden haben, was Depressionen sind. Und was sie mit einem machen – auch in Auswirkung auf die Familie." (Reinhard N., Hannover)