Stefan Kießling: "Die Sehnsucht nach einem Titel ist groß"

Wenn Bayer 04 Leverkusen heute (ab 18.30 Uhr, live auf Sport1 und Sky) im DFB-Pokalviertelfinale Union Berlin empfängt, wird Stefan Kießling wie immer auf der Tribüne der BayArena mitfiebern. Der 36 Jahre alte frühere Torjäger ist inzwischen "Referent der Geschäftsführung" bei der Werkself. Im DFB.de-Interview spricht der sechsmalige Nationalspieler mit Mitarbeiter Tobias Gonscherowski über seinen neuen Job, den Pokalhit und sein größtes Spiel.

DFB.de: Herr Kießling, juckt es noch ein bisschen in den Füßen, wenn Sie beim Training oder den Spielen der Profis zuschauen?

Stefan Kießling: Es wird immer irgendwie in den Füßen jucken. Trotzdem ist mein Karriereende ja doch schon fast zwei Jahre her. Irgendwann ist es eben vorbei. Ich sitze jetzt oben auf der Tribüne und verfolge alles aus einer anderen Perspektive. Ich kann mich in die Situationen hineinversetzen und kommentiere oben auf meinem Platz auch fleißig mit. Aber meine Zeit als aktiver Fußballer ist vorbei. Jetzt bin ich froh, auf eine andere Art und Weise für den Verein tätig zu sein.

DFB.de: Wie gut haben die bald zwei Jahre ohne Profifußball Ihrem Körper getan?

Kießling: Meine Rücken- und Hüftprobleme sind weg, weil ich im Oktober des letzten Jahres eine neue Hüfte bekommen habe. Damit habe ich einen großen Schritt getan, um die Schmerzen loszuwerden, die ich permanent hatte. Das war wichtig. Erst hatte ich gedacht, dass ich die Probleme nach meinem Karriereende ohne eine Operation in den Griff bekommen würde. Aber das war nicht der Fall.

DFB.de: Sie haben zwar keinen Titel gewonnen, waren aber in Leverkusen Publikumsliebling, Bundesliga-Torschützenkönig, Vizemeister, Pokalfinalist, Phantomtor-Torschütze und WM-Dritter. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf Ihre Karriere zurück? Wie zufrieden sind Sie mit dem Erreichten?

Kießling: Ein Titel war ja dabei: Torschützenkönig. Ich habe die Original-Kanone, die mir Uwe Seeler überreicht hat, zu Hause stehen. Nichtsdestotrotz habe ich immer gesagt, dass Torschützenkönig der Bundesliga für mich auch ein Mannschaftstitel ist. Ich habe damals für alle Staffmitglieder kleine Torjägerkanonen anfertigen lassen, weil ich der Meinung bin, dass ich es ohne Mannschaft und das Team hinter dem Team nicht geschafft hätte. Natürlich ist das keine Meisterschaft oder ein Pokal, den man gemeinsam in die Höhe halten kann. Aber ich habe in Leverkusen in den zwölf Jahren als Profi eine wunderschöne Zeit erlebt. Ich bin mit meiner Karriere vollauf zufrieden und würde mit niemandem tauschen wollen.

DFB.de: Worauf werden Sie heute noch am häufigsten angesprochen? Auf das Phantomtor?

Kießling: Nein, das sprechen Sie jetzt an. Natürlich wird dieses Tor immer in Verbindung mit mir bleiben. Aber es ist lange her. Inzwischen kann ich auch darüber schmunzeln. Damals war es aber eine harte Zeit. Worauf werde ich angesprochen? Ganz unterschiedlich. Viele erinnern sich vor allem an das, was ich geleistet habe.

DFB.de: Sie sind 2006 vom 1. FC Nürnberg zu Bayer Leverkusen gewechselt, um mit der Werkself Titel zu gewinnen. Die Nürnberger haben 2007 dann den Pokal gewonnen. Ein Fall von dumm gelaufen?

Kießling: Damals habe ich schon geschmunzelt. Nürnberg hat zwar den Pokal geholt, ist aber ein Jahr später abgestiegen. Insofern habe ich doch alles richtig gemacht. Ich habe meinem Ex-Verein den Erfolg von ganzem Herzen gegönnt. Natürlich hätte ich gerne als Spieler mit Bayer Leverkusen einen Titel gewonnen. Doch jetzt habe ich die Möglichkeit, das in einer anderen Funktion nachzuholen.

DFB.de: Zwei Jahre später haben Sie das Endspiel mit Leverkusen erreicht und gegen Werder Bremen knapp mit 0:1 verloren. Was ist vom Endspiel 2009 hängen geblieben?

Kießling: Eigentlich recht viel, ich habe es in guter Erinnerung behalten. Doch das fing schon viel früher an mit unserem Weg nach Berlin. Wir haben in der Saison wegen des Umbaus der BayArena unsere Rückrunden-Heimspiele in Düsseldorf bestritten. In der Bundesliga haben wir schlecht ausgesehen und nur ein Spiel dort gewinnen können. Aber die beiden Pokalspiele gegen Bayern München und Mainz 05 waren dafür herausragend. Das bleibt im Kopf. Berlin war dann etwas ganz Besonderes - allein schon von der Atmosphäre. Das Abschlusstraining im Olympiastadion war schon großartig.

DFB.de: Damals traf der Bundesliga-Neunte Leverkusen auf den Zehnten Werder Bremen. Das klingt nach Mittelmaß.

Kießling: Aber die Bremer hatten eine richtig gute Mannschaft - und wir auch. Bei Werder spielten Naldo, Mertesacker, Özil, Diego, Frings, Pizarro. Da waren richtig gute Kicker dabei. Und auch wir hatten eine tolle Mannschaft. Das Spiel selbst war vielleicht nicht so prickelnd für die Zuschauer, weil es nur wenige Tormöglichkeiten gab. Allerdings hatten wir durch Patrick Helmes eine Riesentorchance, die er in neun von zehn Fällen verwandelt. Diesmal traf er nicht. Stattdessen bekommen wir einen abgefälschten Ball von Özil rein. Das war natürlich bitter.

DFB.de: Wie sehr haben Sie diese Finalatmosphäre in Berlin trotzdem aufgesogen?

Kießling: Es war schon etwas Besonderes. Für mich war es im Nachhinein mein einziges Finale und deshalb vielleicht mein bedeutendstes Spiel. Ganz Deutschland schaut auf dieses Endspiel. Man steht im Fokus. Das halbe Stadion war rot. Das war echt beeindruckend und hat sich in den Erinnerungen verfestigt.

DFB.de: Gab es Erlebnisse oder Anekdoten rund um das Finale 2009, die unvergesslich bleiben?

Kießling: Durch unsere Niederlage gab es die weniger. Aber trotzdem haben wir am Ende genauso gut gefeiert wie die Bremer.

DFB.de: Was war Ihr größtes Pokalspiel? Das 4:2 gegen die Bayern im Viertelfinale 2009, in dem Sie den Treffer zum 4:2 beisteuerten?

Kießling: Das war sicher eines der größten Spiele. Wir haben zwischenzeitlich 3:0 geführt und dachten, dass uns der Sieg jetzt wirklich nicht mehr zu nehmen ist. Und dann haben die Bayern in zwei Minuten zwei Standardtore gemacht, und es wurde nochmal eng.

DFB.de: Sie haben dann Ihre Karriere 2018 beendet und sind Bayer 04 erhalten geblieben. Welche Tätigkeit üben Sie nun als "Referent der Geschäftsführung" aus? Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?

Kießling: In erster Linie bin ich im Tätigkeitsbereich der Geschäftsführung Sport verortet. Mittlerweile ist der Verein Bayer 04 Leverkusen ja ein mittelständisches Unternehmen, das nicht eben nur aus dem Kerngeschäft Sport besteht. Ich agiere in diesem Sinne als Schnittstelle der Abteilung Sport zu den anderen Abteilungen wie Sponsoring, Marketing, Merchandising oder Kommunikation. Ich koordiniere viele gemeinsame Abläufe, bin aber natürlich auch tagtäglich bei der Mannschaft. Ich schaue mir die Trainingseinheiten und die Spiele an. Für mich ist es total wichtig, weiter hautnah an der Mannschaft zu sein.

DFB.de: Haben Sie auch eine eigene Visitenkarte oder kennt Sie ohnehin jeder?

Kießling: Natürlich habe ich eine Visitenkarte. Als Spieler brauchte ich keine, aber jetzt bei Meetings sollte man hin und wieder dann doch mal die Kontaktdaten austauschen.

DFB.de: Sie sagen, dass Sie bei allen Spielen der Profis dabei und immer auf Reisen sind. Da hat sich ja im Vergleich zur Ihren Profizeiten nicht so viel verändert.

Kießling: Das stimmt nicht so ganz, weil ich ja nicht zwingend schon am Tag vor einem Spiel anreisen muss. Ich bin dennoch bei fast allen Spielen dabei, kann aber auch mal eine Partie verpassen, wenn ein wichtiger privater Termin ansteht. Als Spieler wäre das undenkbar gewesen.

DFB.de: Kommen wir zum aktuellen Geschehen im DFB-Pokal. Bayer 04 steht im Viertelfinale und ist Favorit gegen Union Berlin, das in der Bundesliga zweimal geschlagen wurde. Warum ist das Spiel dennoch kein Selbstgänger?

Kießling: Ganz einfach: weil es ein Pokalspiel ist. In dem ist alles möglich. Und beim Bundesligaspiel in Berlin haben wir uns kürzlich schwer getan. Da hat es Union gut gemacht und gezeigt, wie schwer sie zu spielen sind. Wir haben dagegen gehalten und das Spiel mit etwas Glück gedreht. Im Hinspiel haben wir zu Hause richtig gut gespielt. Aber jetzt ist die Ausgangslage völlig anders. Es ist ein Pokalspiel, da kann so viel passieren. Das haben wir in der Runde zuvor gegen den VfB Stuttgart erlebt. Dieses Spiel haben wir verdient gewonnen – aber der VfB hat sich dabei sehr gut verkauft.

DFB.de: Wie gefährlich sind die Berliner?

Kießling: Union spielt einen eher einfachen Fußball. Sie versuchen, den Ball so schnell wie möglich hinter die Kette zu bekommen und binden ihre schnellen Leute gut ein. Sebastian Andersson gefällt mir gut, wie er die Bälle hält und verteilt. Sie verteidigen gut und stehen kompakt. Es ist unheimlich schwer, gegen sie zu spielen.

DFB.de: Wie schwer trifft Leverkusen der Ausfall von Kevin Volland?

Kießling: Sehr schwer. Kevin hat sich in den letzten Jahren zu einem Führungsspieler entwickelt. Er hat ein großes Standing in der Mannschaft, ist ein wichtiger Spieler, den man vorne flexibel einsetzen kann. Er haut sich rein, ackert, beißt und macht seine Tore. Es ist für uns eine Herausforderung, Kevin zu ersetzen. Aber wir haben einen guten Kader mit starken Alternativen.

DFB.de: Bei einem Sieg stünde Bayer 04 im Halbfinale. Wie groß wäre dann die Titelchance?

Kießling: Daran denke ich jetzt nicht. Wir haben hier vor ein paar Jahren im Viertelfinale gegen den Zweitligisten 1. FC Kaiserslautern gespielt und sind ausgeschieden. Erst einmal müssen wir Union Berlin schlagen. Dann haben wir eine neue Auslosung vor der Brust und müssen das Halbfinale gewinnen. Eins nach dem anderen. Nur so macht es Sinn. Wer sich schon mit dem übernächsten Schritt beschäftigt, der vergisst vielleicht, den nächsten zu machen…

DFB.de: Wie sehr lechzt der Verein nach dem ersten Titel seit 1993?

Kießling: Die Sehnsucht ist natürlich groß. Da sind wir uns im Verein alle einig. Aber mit Reden hat noch kein Verein der Welt einen Titel gewonnen.

[tg]

Wenn Bayer 04 Leverkusen heute (ab 18.30 Uhr, live auf Sport1 und Sky) im DFB-Pokalviertelfinale Union Berlin empfängt, wird Stefan Kießling wie immer auf der Tribüne der BayArena mitfiebern. Der 36 Jahre alte frühere Torjäger ist inzwischen "Referent der Geschäftsführung" bei der Werkself. Im DFB.de-Interview spricht der sechsmalige Nationalspieler mit Mitarbeiter Tobias Gonscherowski über seinen neuen Job, den Pokalhit und sein größtes Spiel.

DFB.de: Herr Kießling, juckt es noch ein bisschen in den Füßen, wenn Sie beim Training oder den Spielen der Profis zuschauen?

Stefan Kießling: Es wird immer irgendwie in den Füßen jucken. Trotzdem ist mein Karriereende ja doch schon fast zwei Jahre her. Irgendwann ist es eben vorbei. Ich sitze jetzt oben auf der Tribüne und verfolge alles aus einer anderen Perspektive. Ich kann mich in die Situationen hineinversetzen und kommentiere oben auf meinem Platz auch fleißig mit. Aber meine Zeit als aktiver Fußballer ist vorbei. Jetzt bin ich froh, auf eine andere Art und Weise für den Verein tätig zu sein.

DFB.de: Wie gut haben die bald zwei Jahre ohne Profifußball Ihrem Körper getan?

Kießling: Meine Rücken- und Hüftprobleme sind weg, weil ich im Oktober des letzten Jahres eine neue Hüfte bekommen habe. Damit habe ich einen großen Schritt getan, um die Schmerzen loszuwerden, die ich permanent hatte. Das war wichtig. Erst hatte ich gedacht, dass ich die Probleme nach meinem Karriereende ohne eine Operation in den Griff bekommen würde. Aber das war nicht der Fall.

DFB.de: Sie haben zwar keinen Titel gewonnen, waren aber in Leverkusen Publikumsliebling, Bundesliga-Torschützenkönig, Vizemeister, Pokalfinalist, Phantomtor-Torschütze und WM-Dritter. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf Ihre Karriere zurück? Wie zufrieden sind Sie mit dem Erreichten?

Kießling: Ein Titel war ja dabei: Torschützenkönig. Ich habe die Original-Kanone, die mir Uwe Seeler überreicht hat, zu Hause stehen. Nichtsdestotrotz habe ich immer gesagt, dass Torschützenkönig der Bundesliga für mich auch ein Mannschaftstitel ist. Ich habe damals für alle Staffmitglieder kleine Torjägerkanonen anfertigen lassen, weil ich der Meinung bin, dass ich es ohne Mannschaft und das Team hinter dem Team nicht geschafft hätte. Natürlich ist das keine Meisterschaft oder ein Pokal, den man gemeinsam in die Höhe halten kann. Aber ich habe in Leverkusen in den zwölf Jahren als Profi eine wunderschöne Zeit erlebt. Ich bin mit meiner Karriere vollauf zufrieden und würde mit niemandem tauschen wollen.

DFB.de: Worauf werden Sie heute noch am häufigsten angesprochen? Auf das Phantomtor?

Kießling: Nein, das sprechen Sie jetzt an. Natürlich wird dieses Tor immer in Verbindung mit mir bleiben. Aber es ist lange her. Inzwischen kann ich auch darüber schmunzeln. Damals war es aber eine harte Zeit. Worauf werde ich angesprochen? Ganz unterschiedlich. Viele erinnern sich vor allem an das, was ich geleistet habe.

DFB.de: Sie sind 2006 vom 1. FC Nürnberg zu Bayer Leverkusen gewechselt, um mit der Werkself Titel zu gewinnen. Die Nürnberger haben 2007 dann den Pokal gewonnen. Ein Fall von dumm gelaufen?

Kießling: Damals habe ich schon geschmunzelt. Nürnberg hat zwar den Pokal geholt, ist aber ein Jahr später abgestiegen. Insofern habe ich doch alles richtig gemacht. Ich habe meinem Ex-Verein den Erfolg von ganzem Herzen gegönnt. Natürlich hätte ich gerne als Spieler mit Bayer Leverkusen einen Titel gewonnen. Doch jetzt habe ich die Möglichkeit, das in einer anderen Funktion nachzuholen.

DFB.de: Zwei Jahre später haben Sie das Endspiel mit Leverkusen erreicht und gegen Werder Bremen knapp mit 0:1 verloren. Was ist vom Endspiel 2009 hängen geblieben?

Kießling: Eigentlich recht viel, ich habe es in guter Erinnerung behalten. Doch das fing schon viel früher an mit unserem Weg nach Berlin. Wir haben in der Saison wegen des Umbaus der BayArena unsere Rückrunden-Heimspiele in Düsseldorf bestritten. In der Bundesliga haben wir schlecht ausgesehen und nur ein Spiel dort gewinnen können. Aber die beiden Pokalspiele gegen Bayern München und Mainz 05 waren dafür herausragend. Das bleibt im Kopf. Berlin war dann etwas ganz Besonderes - allein schon von der Atmosphäre. Das Abschlusstraining im Olympiastadion war schon großartig.

DFB.de: Damals traf der Bundesliga-Neunte Leverkusen auf den Zehnten Werder Bremen. Das klingt nach Mittelmaß.

Kießling: Aber die Bremer hatten eine richtig gute Mannschaft - und wir auch. Bei Werder spielten Naldo, Mertesacker, Özil, Diego, Frings, Pizarro. Da waren richtig gute Kicker dabei. Und auch wir hatten eine tolle Mannschaft. Das Spiel selbst war vielleicht nicht so prickelnd für die Zuschauer, weil es nur wenige Tormöglichkeiten gab. Allerdings hatten wir durch Patrick Helmes eine Riesentorchance, die er in neun von zehn Fällen verwandelt. Diesmal traf er nicht. Stattdessen bekommen wir einen abgefälschten Ball von Özil rein. Das war natürlich bitter.

DFB.de: Wie sehr haben Sie diese Finalatmosphäre in Berlin trotzdem aufgesogen?

Kießling: Es war schon etwas Besonderes. Für mich war es im Nachhinein mein einziges Finale und deshalb vielleicht mein bedeutendstes Spiel. Ganz Deutschland schaut auf dieses Endspiel. Man steht im Fokus. Das halbe Stadion war rot. Das war echt beeindruckend und hat sich in den Erinnerungen verfestigt.

DFB.de: Gab es Erlebnisse oder Anekdoten rund um das Finale 2009, die unvergesslich bleiben?

Kießling: Durch unsere Niederlage gab es die weniger. Aber trotzdem haben wir am Ende genauso gut gefeiert wie die Bremer.

DFB.de: Was war Ihr größtes Pokalspiel? Das 4:2 gegen die Bayern im Viertelfinale 2009, in dem Sie den Treffer zum 4:2 beisteuerten?

Kießling: Das war sicher eines der größten Spiele. Wir haben zwischenzeitlich 3:0 geführt und dachten, dass uns der Sieg jetzt wirklich nicht mehr zu nehmen ist. Und dann haben die Bayern in zwei Minuten zwei Standardtore gemacht, und es wurde nochmal eng.

DFB.de: Sie haben dann Ihre Karriere 2018 beendet und sind Bayer 04 erhalten geblieben. Welche Tätigkeit üben Sie nun als "Referent der Geschäftsführung" aus? Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?

Kießling: In erster Linie bin ich im Tätigkeitsbereich der Geschäftsführung Sport verortet. Mittlerweile ist der Verein Bayer 04 Leverkusen ja ein mittelständisches Unternehmen, das nicht eben nur aus dem Kerngeschäft Sport besteht. Ich agiere in diesem Sinne als Schnittstelle der Abteilung Sport zu den anderen Abteilungen wie Sponsoring, Marketing, Merchandising oder Kommunikation. Ich koordiniere viele gemeinsame Abläufe, bin aber natürlich auch tagtäglich bei der Mannschaft. Ich schaue mir die Trainingseinheiten und die Spiele an. Für mich ist es total wichtig, weiter hautnah an der Mannschaft zu sein.

DFB.de: Haben Sie auch eine eigene Visitenkarte oder kennt Sie ohnehin jeder?

Kießling: Natürlich habe ich eine Visitenkarte. Als Spieler brauchte ich keine, aber jetzt bei Meetings sollte man hin und wieder dann doch mal die Kontaktdaten austauschen.

DFB.de: Sie sagen, dass Sie bei allen Spielen der Profis dabei und immer auf Reisen sind. Da hat sich ja im Vergleich zur Ihren Profizeiten nicht so viel verändert.

Kießling: Das stimmt nicht so ganz, weil ich ja nicht zwingend schon am Tag vor einem Spiel anreisen muss. Ich bin dennoch bei fast allen Spielen dabei, kann aber auch mal eine Partie verpassen, wenn ein wichtiger privater Termin ansteht. Als Spieler wäre das undenkbar gewesen.

DFB.de: Kommen wir zum aktuellen Geschehen im DFB-Pokal. Bayer 04 steht im Viertelfinale und ist Favorit gegen Union Berlin, das in der Bundesliga zweimal geschlagen wurde. Warum ist das Spiel dennoch kein Selbstgänger?

Kießling: Ganz einfach: weil es ein Pokalspiel ist. In dem ist alles möglich. Und beim Bundesligaspiel in Berlin haben wir uns kürzlich schwer getan. Da hat es Union gut gemacht und gezeigt, wie schwer sie zu spielen sind. Wir haben dagegen gehalten und das Spiel mit etwas Glück gedreht. Im Hinspiel haben wir zu Hause richtig gut gespielt. Aber jetzt ist die Ausgangslage völlig anders. Es ist ein Pokalspiel, da kann so viel passieren. Das haben wir in der Runde zuvor gegen den VfB Stuttgart erlebt. Dieses Spiel haben wir verdient gewonnen – aber der VfB hat sich dabei sehr gut verkauft.

DFB.de: Wie gefährlich sind die Berliner?

Kießling: Union spielt einen eher einfachen Fußball. Sie versuchen, den Ball so schnell wie möglich hinter die Kette zu bekommen und binden ihre schnellen Leute gut ein. Sebastian Andersson gefällt mir gut, wie er die Bälle hält und verteilt. Sie verteidigen gut und stehen kompakt. Es ist unheimlich schwer, gegen sie zu spielen.

DFB.de: Wie schwer trifft Leverkusen der Ausfall von Kevin Volland?

Kießling: Sehr schwer. Kevin hat sich in den letzten Jahren zu einem Führungsspieler entwickelt. Er hat ein großes Standing in der Mannschaft, ist ein wichtiger Spieler, den man vorne flexibel einsetzen kann. Er haut sich rein, ackert, beißt und macht seine Tore. Es ist für uns eine Herausforderung, Kevin zu ersetzen. Aber wir haben einen guten Kader mit starken Alternativen.

DFB.de: Bei einem Sieg stünde Bayer 04 im Halbfinale. Wie groß wäre dann die Titelchance?

Kießling: Daran denke ich jetzt nicht. Wir haben hier vor ein paar Jahren im Viertelfinale gegen den Zweitligisten 1. FC Kaiserslautern gespielt und sind ausgeschieden. Erst einmal müssen wir Union Berlin schlagen. Dann haben wir eine neue Auslosung vor der Brust und müssen das Halbfinale gewinnen. Eins nach dem anderen. Nur so macht es Sinn. Wer sich schon mit dem übernächsten Schritt beschäftigt, der vergisst vielleicht, den nächsten zu machen…

DFB.de: Wie sehr lechzt der Verein nach dem ersten Titel seit 1993?

Kießling: Die Sehnsucht ist natürlich groß. Da sind wir uns im Verein alle einig. Aber mit Reden hat noch kein Verein der Welt einen Titel gewonnen.

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